Reportage: Fan-Rückkehr in die Westkurve

Die Rückkehr der Betze-Emotion

Die Rückkehr der Betze-Emotion


18 Monate lagen zwischen dem letzten Spiel vor gefüllter Westkurve und ihrem Comeback an diesem Samstag. Damals wie heute war DBB-Autor Gerrit dabei und berichtet über einen emotionalen Samstag­nachmittag beim 1. FC Kaiserslautern.

Als ich das letzte Mal die Westkurve nach einem Spiel verlassen habe, da war die FCK-Welt gerade ziemlich am Boden. Die Roten Teufel hatten eine 3:1-Führung gegen Meppen aus der Hand gegeben, vier Minuten vor dem Ende noch den 3:3-Ausgleich hinnehmen müssen. Lediglich 15.701 Zuschauer waren damals noch auf Deutschlands höchsten Fußballberg gepilgert, der nur zwei Punkte vor den Abstiegsplätzen in der 3. Liga rumdümpelte. Und in Deutschland und der Welt verbreitete sich gerade das noch weitgehend unbekannte Coronavirus. Welche Auswirkungen dieses auf unser aller Leben und das vierzehntägliche Stadionerlebnis nehmen würde, war da noch nicht im Geringsten zu erahnen.

18 Monate später stehe ich wieder hier. Und mit mir erstmals auch wieder eine ordentlich gefüllte Westkurve. Wieder sind zwar nur knapp 14.600 Fans im Stadion, wieder tut sich der FCK in der Tabelle schwer. Trotzdem ist an diesem Tag alles anders. Nach anderthalb Jahren spüre ich an jeder Faser meines Körpers, an jeder Ecke des Fritz-Walter-Stadions und bei jedem Fan, den ich im Block treffe, eine riesengroße Erleichterung: Endlich dürfen wir wieder in unser Wohnzimmer, endlich darf sich unsere Liebe zu diesem Verein wieder ihren Platz bahnen. Ich verfolge diesen Tag zur Abwechslung mal wieder ausschließlich mit Fan-Brille, meine persönliche Westkurven-Rückkehr beginnt schon recht früh. Und wird emotional.

Chronik eines emotionalen Heimsieges: Endlich wieder Westkurve!

Kaiserslautern, 05:30 Uhr: Mein Wecker klingelt früh, denn ein 50. Geburtstag in der Familie will vorbereitet und gefeiert werden. Doch das Heimspiel gegen Osnabrück wird darunter natürlich nicht leiden. Als ich gegen 06:00 Uhr mit Schal, Trikot und Betze-Pullover meine Wohnung verlasse, kontrolliere ich nochmal meinen Geldbeutel. Die frisch eingetroffene Dauerkarte ist eingesteckt. Ich blicke von meiner Haustür auf einen noch im dunkel ruhenden Betzenberg. Noch acht Stunden bis zur Westkurven-Rückkehr.

12:00 Uhr: Die Vorfreude steigt. Mit insgesamt zwölf Geburtstagsgästen aus ganz Deutschland machen wir uns bei herrlichem Spätsommerwetter vom Ort der Geburtstagsfeier in Kaiserslautern auf den Weg zur nahe gelegenen Bahnstation, von wo aus uns der Zug innerhalb von drei Minuten zum Hauptbahnhof bringen wird. "Mer kumme glei noh", rufen uns Nachbarn in Trikots lachend hinterher. Am Bahnsteig warten bereits eine handvoll weiterer FCK-Fans, die sich mit Kaltgetränken die Wartezeit vertreiben und erste Lieder anstimmen. Noch zwei Stunden bis zur Westkurven-Rückkehr.

12:30 Uhr: Vom Lautrer Hauptbahnhof geht es in Richtung Betzebud, schließlich soll sich jeder vor dem Erklimmen von Deutschlands höchstem Fußballberg noch einmal stärken können. Dort angekommen ist spürbar, dass der Betze heute wieder voller sein wird als in den vergangenen Wochen. Gerade als die ersten Weinschorlen über die Theke gehen, biegt der Osnabrücker Mannschaftsbus in Richtung Elf-Freunde-Kreisel ein. Es wird gepfiffen und etwas gepöbelt, der ein oder anderer Osnabrücker, der sich ebenfalls hierher verirrt hat, schaut irritiert. Fußballherz, was willst du mehr. Noch 90 Minuten bis zur Westkurven-Rückkehr.

Fritz-Walter-Stadion, 13:00 Uhr: Wir sind da. Vor den Toren der West bilden sich bereits Schlangen. Als wir vollzählig sind, stellen wir uns an. Das Prozedere dauert aber insgesamt keine fünf Minuten. Nachdem der Impfnachweis kontrolliert und der Ordner alles einmal abgetastet und durchsucht hat, geht es zum Drehkreuz. Ich zücke meine Dauerkarte, die Anzeige zeigt grün, ich bin drin. Nach einem kurzen Stop im Fanshop geht es weiter in die heiligen Hallen der Westkurve. Die ersten Minuten ist es noch etwas ungewohnt, wieder so viele Leute um einen herum zu haben. Doch schnell gewinnt das Gefühl der Erleichterung Überhand, endlich wieder mit lieben Menschen in seinem zweiten Zuhause zu sein. Wir decken uns mit Essen und Getränken ein und nehmen dann die Stufen hinauf zu Block 9.2. Erstmals seit 18 Monaten gehe ich vorbei an "unserem" Ordner. Noch 60 Minuten bis zur Westkurven-Rückkehr.

Westkurve, Block 9.2, 13:15 Uhr: "Ich bin wieder hier, in meinem Revier. War nie wirklich weg, hab mich nur versteckt." Die Zeilen von Marius Müller-Westernhagen gehen mir an diesem Nachmittag mehr als einmal durch den Kopf, nachdem wir unsere Plätze eingenommen haben. Im Block treffe ich noch einen weiteren Freund, ansonsten suche ich viele vertraute Gesichter leider vergebens. Es ist eben doch noch nicht alles, wie es einmal war. Viele Sitze und Reihen bleiben leer, wo früher um diese Uhrzeit kein Platz mehr zu bekommen gewesen wäre. Wer nicht geimpft oder genesen ist, darf das Erlebnis der West nämlich noch nicht wieder genießen. Vor allem für Kinder zwischen 12 und 18 Jahren ist das hart, denn diese können noch gar nicht voll geimpft sein, die Empfehlung dafür gibt es schließlich erst seit wenigen Wochen. Auch die Ultras kehren an diesem Samstag nur zum Teil ins Stadion zurück, die Frenetic Youth bringt vor der Kurve ein Spruchband an mit der Aufschrift: "Normalität gibt es erst, wenn sie für alle gilt!" Es ist also noch ein Stück weit, zurück zum alten Betze-Feeling. Aber als die Mannschaft ins Stadion einläuft und tausende Fans anfangen zu klatschen, da überfährt mich dennoch eine lange nicht mehr da gewesene Gänsehaut. Ich checke kurz mein Handy und erhasche bei DBB die Aufstellung. Keine Änderungen, Felix Götze ist zurück im Kader. Ich gönne mir einen großen Schluck und esse eine Frikadelle. Noch 45 Minuten bis zur Westkurven-Rückkehr.

Westkurve, Block 9.2, 14:00 Uhr: Es ist soweit. Die Mannschaften betreten den Rasen. Die Kurve intoniert lauthals "You'll never walk alone", ebenso leidenschaftlich wie sie zuvor bereits das Betze- und Palzlied vertont hatte. Im ersten Durchgang geht es für den FCK Richtung Westen. Als Osnabrücks Keeper Philipp Kühn in Richtung seines Kastens läuft wird er von einem gellenden Pfeifkonzert und einem lauten "Da steht ein A... im Tor" empfangen. Kühn hatte vor der Partie getönt, mit einem frühen Tor den Betze schnell zum schweigen bringen zu wollen. Die Lautrer Antwort "Macht sie platt, schießt sie aus der Stadt" wird wenige Minuten später mit Leben gefüllt werden. Wenige Reihen vor mir ist ein Fan mit einer Trommel bewaffnet und sorgt ebenso wie die anwesenden Ultras und restlichen Fans dafür, dass die Stimmung von Beginn an sehr gut ist. Der Funke, er springt an diesem Nachmittag über. Von der Kurve auf die Mannschaft und wieder zurück.

Von Bierduschen und Bier-Holern: Nicht jeder sieht zwei FCK-Tore

14:09 Uhr: Es läuft die siebte Spielminute, als wir Mike Wunderlich beim Flanken beobachten und René Klingenburg zum Kopfball ansetzt. Der Ball fliegt, wird immer länger, und senkt sich tatsächlich hinter dem so herzlich empfangenen Torwart Kühn in die Maschen. Jaaaaaaa! Bei diesem Torjubel schreit sich die Kurve gefühlt die ganze Last der letzten anderthalb Jahre von der Seele. Aus den hinteren Reihen folgt eine kleine Bierdusche, Klingenburg und seine Mannschaftskollegen lassen sich vor der Kurve feiern. Was haben wir diese Momente vermisst. Betze, dafür lieben wir dich.

14:27 Uhr: Da in unserer Reihe die Getränke zur Neige gegangen sind und zudem der ein oder andere Becher dem Torjubel zum Opfer gefallen ist, beschließen wir, uns um Nachschub zu kümmern. Da der Getränkestand in Block 9.2 noch geschlossen hat, müssen wir ganz nach unten. Als wir gerade in der Schlange anstehen, hören wir, dass es aus der Kurve immer lauter wird. Auf einmal wird aus dem Lärm Geschrei und die Tormusik ertönt. Da wird mir bewusst: Das muss das 2:0 gewesen sein. Ich spurte zum Aufgang von Block 8.1 und vergewissere mich der frohen Botschaft. Zurück am Platz will man mich am liebsten wieder wegschicken, hat mein kurzer Ausflug schließlich Glück gebracht. Auch solche Erlebnisse hat man eben nur live im Block.

14:45 Uhr. Halbzeit am Betze. Erstmal durchatmen. Nicht nur, dass diese Rückkehr in das Wohnzimmer der FCK-Familie eine recht emotionale Angelegenheit ist, an diesem sonnigen Nachmittag scheint auch sportlich einfach alles zu passen. Die Roten Teufel treten so auf, wie man das in einem Heimspiel erwartet, sind zudem brutal effektiv, sieht man einmal davon ab, dass Nicolas Sessa kurz vor der Pause eigentlich das 3:0 hätte nachlegen müssen. Und auch hinten lassen wir nichts anbrennen. Da sollte eigentlich nichts mehr schief gehen, oder? Kurz denke ich an meinen letzten Westkurven-Besuch im März 2020 gegen Meppen zurück. Diesen Gedanken verdränge und verwerfe ich aber schnell wieder.

15:47 Uhr: Die Geschichte der zweiten Halbzeit ist relativ schnell erzählt. All zu viel nach vorne geht beim FCK nicht mehr. Da aber auch Osnabrücks Bemühungen meistens versanden bleibt die Westkurve gelassen. Es ist Zeit für die obligatorischen Gesänge, die man so lange vermisst hat. Als in der 85. Minute Felix Götze nach rund fünf Wochen sein Comeback feiert, wird er frenetisch willkommen geheißen. Kurz vor dem Ende hat die Zwei-Tore-Führung des FCK immer noch Bestand. Hier brennt heute nichts mehr an, daran besteht kein Zweifel mehr. Dadurch ist Zeit für ein fast schon vergessenes Ritual. Endlich werden im Fritz-Walter-Stadion wieder Taschentücher herausgeholt, Osnabrück mit "schönem Gruß und auf Wiedersehen" auf die Heimreise verabschiedet.

15:54 Uhr: Abpfiff. Jaaa! Der FCK gewinnt sein Heimspiel. Er gewinnt zum zweiten Mal in Folge. Und die Westkurve ist sogar dabei. Noch vor wenigen Wochen hätte dieses Szenario wohl noch jeder Fan als Wunschtraum abgetan. Und so ist es wenig verwunderlich, dass die Kurve nach Schlusspfiff wie befreit wirkt. "Der FCK ist wieder da" und "Oh, wie ist das schön, so was hat man lange nicht gesehen" wird ebenso angestimmt wie "Lautern ist der geilste Klub der Welt." Die Mannschaft kommt vor die West und macht die obligatorische Laola mit den Fans, muss sich "Hinsetzen" und gemeinsam ein lautes "F-C-K" in den Lautrer Himmel hinaus rufen. Da wir den Zug zurück erwischen müssen, begeben wir uns jedoch zügig hinunter.

Die Westkurve feiert ihre Rückkehr, aber: Zum Mythos Betze ist es noch ein weiter Weg

16:00 Uhr: Hinter den Blöcken der Westkurve angekommen wird nochmal deutlich, dass dieser Tag für die anwesenden Fans ein ganz besonderer war. Es wird getanzt und gesungen, die Chöre wollen fünf Minuten, zehn Minuten lang gar nicht mehr aufhören, es dröhnt durch die Katakomben: "Ooooh, wie ist das schöööön!" Für viele ist es die erste derartige Party nach 18 Monaten Pandemie. Erneut wird jubiliert, "der FCK ist wieder da", gemeint ist in diesem Moment aber wohl mindestens genauso sehr: Wir, die Fans des FCK, dürfen endlich wieder da sein. Die ganze Last der vergangenen Monate soll in diesem Moment abgeschüttelt werden. Natürlich gelingt das nur bedingt, aber in diesem Moment ist die Westkurve einfach nur glückselig. Es zeigt wieder einmal mehr: Der FCK ist für viele Menschen in dieser Region mehr als nur ein Teil ihres Lebens, für ganz viele ist er ihr Leben. Einmal mehr überfährt mich Gänsehaut.

Für uns geht es danach zurück zum Hauptbahnhof. "Dat war richtig geiler Betze-Fußball heute", ruft mir ein freudestrahlender Geburtstagsgast in seiner Berliner Schnauze zu, der heute unbedingt einmal den Mythos Betze hautnah erleben wollte, wie er sagte. Der Mythos Betze wurde beim 2:0 über Osnabrück sicher noch nicht wieder bemüht, und zur richtigen Normalität fehlt wie bereits erwähnt auch noch ein gutes Stück. Aber an diesem Nachmittag steige ich mit einem wohligen Gefühl die Stufen des Betze hinab. Und als ich abends wieder nach Hause komme und den Betzenberg wie viele Stunden zuvor wieder im Dunklen stehen sehe, da denke ich mir hoffnungsvoll, ja, es ist etwas dran: Der FCK ist wieder da!

Wie war Dein Stadionerlebnis beim Heimspiel gegen Osnabrück? Teile Deine Gefühlslage mit anderen FCK-Fans im Diskussionsforum von Der Betze brennt.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Gerrit Schnabel

Weitere Links zum Thema:

- Spielbericht FCK-VfL 2:0 | Perfekter Fußball-Nachmittag auf dem Betze (Der Betze brennt)

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