Länderspielpause. Zeit für ein erstes Zwischenzeugnis. Wie weit ist die fußballerische Neuorientierung, die der 1. FC Kaiserslautern unter Markus Anfang anstrebt, vorangeschritten? Wir haben mal ein paar Beobachtungen zusammengetragen.
"Ich habe mich nach dem Ausgleich umgedreht, wir haben kurz drüber gesprochen und entschieden: Wir spielen voll auf Sieg." So sei es geschehen in der 68. Minute der Partie gegen Hertha BSC beim Stand von 3:3, berichtete FCK-Trainer Anfang in der Medienrunde danach. Sätze, die einem Betzenberg-Besucher eigentlich runtergehen müssten wie Pfälzer Rieslingschorle. Das ist doch die Einstellung, die er bei seinen Roten Teufeln sehen will. Erst recht im eigenen Haus.
Was folgte, ist bekannt. Anfang wechselt mit Ragnar Ache und Jannik Mause zwei Stürmer ein, stellt auf eine 3-4-1-2-Formation um. Prompt spielt sich Lautern in den folgenden Minuten drei gute Einschussgelegenheiten heraus - den vierten und entscheidenden Treffer erzielen dann aber doch die Berliner.
Tja. Risiko wird eben nicht immer belohnt. Erst recht nicht in einem Spiel wie Fußball, aus das so viele Zufallsfaktoren und andere Irrationalitäten Einfluss nehmen können wie in kaum einem anderen Mannschaftssport.
Der späte Niederschlag ändert die Wahrnehmung
Und schon schmeckt die Rieslingschorle nicht mehr so richtig. Wenn die Roulettekugel am Ende in ein schwarzes statt auf ein rotes Feld gesprungen ist, ändert sich die Wahrnehmung des ganzen Spiels. Sowohl in Beiträgen mehr oder weniger professioneller Fußballbeschreiber als auch in den Fanforen. Bei einem 4:3 für den FCK wären Heldengesänge angestimmt worden, womöglich auf Ache, der nach dem 3:4 sogar noch zwei Kopfballchancen hatte, wenigstens auf Ausgleich zu stellen. Dabei wäre die Lautrer Abwehrleistung nach nur drei Gegentreffern nicht minder kritikwürdig gewesen.
So aber werden sie gnadenlos ausgewalzt: Die schlechte Flügelverteidigung, namentlich Erik Wekesser und Almamy Touré. Die an diesem Abend tatsächlich maue Passquote Boris Tomiaks. Dazu seine Fehler im Stellungsspiel, die zu Gegentreffern führten. Da hilft ihm auch sein selbst erzieltes Tor zum 3:3 nicht viel.
Doch nicht nur die Wahrnehmung dieser Partie wird durch dieses unglückliche 3:4 verschoben. Auch diese erste Zwischenbilanz, die sie sich in der ersten Länderspielpause dieser Saison anbietet, fällt jetzt wohl wesentlicher zurückgenommener aus, als sie es mit zehn Punkten nach vier Liga-Spielen gewesen wäre.
Ein neuer Ton - aber findet Anfang auch Anklang?
Denn jetzt sind's "nur" sieben Punkte. Zwei Siege bei Aufsteigern, die aber auch schon von anderen geschlagen wurden und noch von etlichen anderen geschlagen werden dürften - kein Grund also auszuflippen. Ein 2:2-Heim-Remis gegen ein Team aus Fürth, das, wenn es in Erstbesetzung aufläuft, zu den ersten Adressen der Liga gehört. Gegen das die Betze-Buben einen 0:2-Rückstand aufholen mussten. Dazu braucht es immer auch ein wenig Glück. Außerdem ein Erfolg im DFB-Pokal, auswärts bei einem ambitionierten Drittligisten erzielt, immerhin.
Unterm Strich also ein akzeptabler, aber nicht überragender Saisonstart.
Zufriedenstellend auf jeden Fall insofern, als dass diese ersten Wochen dem neuen Trainer Gelegenheit gaben, den Ressentiments zu begegnen, die ihm nach der Bekanntgabe seiner Verpflichtung entgegenschlugen. Markus Anfang gibt sich offen und zugänglich, verlässt sich aber nicht einfach nur auf seine positive Ausstrahlung, sondern ist stets bemüht, möglichst jeden mitzureißen, nicht nur Spieler, sondern auch Journalisten und Fans. Wenn er, wie seinerzeit im DBB-Interview, darüber referiert, es sei ihm wichtiger als Befehl und Gehorsam, dass seine Spieler sich bei ihm wohlfühlen, hat er fast etwas von Apples TV-Trainer Ted Lasso: "Früher haben die Trainer mit mehr Distanz gearbeitet und Dinge eingefordert, was über Respekt schon hinausging. Mir ist Empathie wichtiger."
Das ist ein neuer Ton, der auf jeden Fall sympathisch klingt. Immer-noch-Skeptiker werden an dieser Stelle allerdings dagegenhalten: Autoritäre Trainertypen sind am Betzenberg stets besser klargekommen, nicht nur im Umgang mit der Mannschaft, sondern auch in dem mit Funktionären, Geldgebern und anderen Geistern, die gerne mal Einfluss aufs Sportliche nehmen wollen. Das war nicht nur bei King Kalli und König Otto so, das hat zuletzt auch das Zwischenspiel mit Friedhelm Funkel gezeigt. Was übrigens ebenso verdeutlichte: Autorität hat nichts mit Lautstärke zu tun.
Krahls Aufbaupässe: Bitte Blutdrucktabletten bereithalten!
Doch wie stellt sich die angekündigte Neuorientierung in Sachen Spielkultur dar? Die endgültige Abkehr vom "Schusterball"? Die Rückkehr zum "Betze-Fußball"? Das "Agieren statt Reagieren", das Markus Anfang im verlinkten DBB-Interview ebenfalls erwähnt hat?
Natürlich kann niemand erwarten, dass sich eine solche Neuausrichtung nach fünf Pflichtspielen bereits in der Endausbaustufe befindet. Einige Elemente sind aber bereits augenfällig.
Das auf kurzen Wegen vorgetragene Spiel aus der Abwehr etwa. Zu dem es leider zu sagen gibt: Wenn Keeper Julian Krahl versucht, mit den Innenverteidigern einen ersten Aufbaupass in den Sechserraum zustande zu bringen, ist Hypertonikern weiterhin empfohlen, ihre Blutdrucktabletten in Griffweite bereitzuhalten. Sonst droht Schlaganfall. Dass das noch verbessert werden muss, steht wohl außer Frage.
Ballbesitzfußball? Gar nicht mal so sehr
Ob Anfang allerdings das anstrebt, was in der Kurzform meist als "Ballbesitzfußball" bezeichnet wird, muss noch abgewartet werden. Bislang verzeichnet der FCK "Wyscout" zufolge im Schnitt 49,2 Prozent Ballbesitz. Das ist eine Steigerung gegenüber den 44,3 Prozent der Vorsaison, in der allerdings drei Trainer ihre Ideen umsetzten. Unter Dirk Schuster verzeichneten die Lautrer meist nur Ballbesitzanteile von um die 40 Prozent. Im aktuellen Ligavergleich bedeuten diese 49,2 Prozent grade mal Rang 10. Auch da will Anfang sicher noch besser werden. Allerdings scheint ihm nicht unbedingt vorzuschweben, dass sich sein Jungs irgendwann bei jedem Angriff mit Kurzpässen bis in gegnerischen Fünfmeterraum durchkombinieren.
"Der lange Ball gehört zum Fußball, wenn die Situation da ist", erklärte der Trainer etwa in der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Fürth am 2. Spieltag . "Es geht darum zu erkennen, wann kommt der lange Ball hinter die Linie."
Die Laufwerte: Da muss noch mehr kommen
Zum Stirnrunzeln verleiten nach wie vor die Laufwerte: Platz 13 im Ranking der bislang zurückgelegten Laufdistanzen, Platz 15 bei den zurückgelegten Sprints, Platz 16 bei den "intensiven Läufen" (Quelle: bundesliga.de). Auch wenn da ebenfalls Verbesserungen gegenüber der Vorsaison auszumachen sind und die Anfang-Teufel immer wieder mal eindrucksvoll ins Angriffspressing gehen. Nach permanentem Stressen des Gegners sieht das - noch - nicht aus. Wenngleich die von "Wyscout" erhobenen PPDA-Werte zeigen: Im Schnitt gestatten die Roten Teufel ihren Gegnern 9,83 Pässe bis zur ersten Attacke, das bedeutet Platz 7 im Liga-Vergleich. Das ist doch gar nicht so übel. Zumal es in der vergangenen Saison waren noch 13,57 Pässe waren - Platz 15. Es geht also aufwärts.
Und es darf davon ausgegangen werden, dass sich der Trainer hier noch steigern will. Daten ließen gewisse Tendenzen erkennen, spiegelten aber nicht die klare Wahrheit wider, erklärte er zwar ebenfalls auf der PK vor dem Fürth-Spiel. "Wenn du gut stehst und den Ball gut laufen lässt, brauchst du zwangsläufig nicht so viel zu laufen." Sprints gehörten aber auch zum Spiel. Und: "Um eine gewisse Intensität zu entwickeln, musst du was im Tank haben. Damit du Gas geben kannst." Ergo: Da muss noch mehr kommen.
Von Vierer- zur Dreierkette switchen: Der neue Weg
Augenfällig geworden ist ebenso der fließende Übergang von der Vierer-Abwehrkette zur Dreierkette bei Ballbesitz. Grundsätzlich ist dergleichen auch am Betzenberg nicht neu. Nur setzte beispielsweise Kosta Runjaic dabei auf die klassische Variante des "abkippenden" Sechsers. Heißt nichts anderes, als dass sich der zentrale defensive Mittelfeldspieler zum Spielaufbau zwischen die beiden Innenverteidiger fallen lässt, bei "Coach Kosta" waren das meist Markus Karl oder Ruben Jenssen. Marco Antwerpen praktizierte ein solches Abkippen zeitweise mit Felix Götze. Boris Schommers wiederum ließ sich später die Variante einfallen, bei der Achter Hikmet Ciftci auf die Position des linken Innenverteidigers zurückbewegte.
Anfang setzt nun auf einen Kniff, der am Betzenberg noch unbekannt gewesen sein mag, der andernorts aber schon seit ein paar Jahren häufiger praktiziert wird. Von Pep Guardiola bei Manchester City etwa. In Deutschland war er immer mal bei Teams zu sehen, die von Julian Nagelsmann trainiert wurden: Rasenballsport Leipzig, Bayern München, Deutsche Nationalmannschaft. Beim Switchen wird ein Außenverteidiger - beim FCK zuletzt Erik Wekesser - zum Innenverteidiger, während der andere aufrückt. Im Betze-Trikot marschierten Jean Zimmer oder Almamy Touré die rechte Seite hoch.
Denkbar wäre auch, dass sich der aufrückende Außenverteidiger in den Sechserraum bewegt. Das wäre eher die Pep-Variante. Und beim FCK gegebenenfalls eine Überlegung wert, wenn sich Daisuke Yokota als Rechtsaußen etabliert.
Per se erfolgsversprechender als der abkippende Sechser ist diese Switch-Variante nicht. Es kommt halt drauf an, was die Spieler besser umsetzen. Vorteile können sein: Der Sechser bleibt den Spielern in der hinteren Linie als Anspielstation auf kurzem Weg erhalten. Oder: Es stiftet beim Gegner Verwirrung, wenn eine offensive Flügelposition permanent von einem anderen Spieler besetzt wird. Bei FCK waren das in starken Phasen dann mal Marlon Ritter, mal Jannik Mause - oder eben der aufrückende Rechtsverteidiger Zimmer/Touré.
Fazit: Es bleibt spannend. Auf jeden Fall
Etwas merkwürdig mutet an, dass Anfang Neuzugang Jan Gyamerah derzeit als Sechser bringt. Dabei wäre der 29-Jährige eigentlich prädestiniert für die Rolle des aufrückenden Rechtsverteidigers. Das ändert sich vielleicht noch. Die Frage wäre dann halt, wer sonst den Sechser geben soll. Für uns heißt die beste Lösung nach wie vor Boris Tomiak.
Ist schon ein bisschen schwer verständlich, warum auf dieser Position im Transfersommer nichts geschehen ist. Zumal Markus Anfang unlängst durchblicken ließ, dass auch er Afeez Aremu, der nun seit über einem Jahr am Betze um Anschluss ringt, da eher nicht sieht. Aremu sei einer für eine Doppelsechs, meinte der Coach, und diese Zweifach-Besetzung im Zentrum habe er auch perspektivisch nicht auf dem Zettel.
Soweit unsere Beobachtungen nach knapp sechs Anfangs-Wochen. Auch wenn unser Fazit wohl niemanden umhauen wird: Wohin die Reise in dieser Saison gehen wird, ist noch immer nicht raus. Spannend wird's auf jeden Fall. Sagen wir es mal so: Wäre die angestrebte Neuausrichtung einfach zu bewältigen, wäre sie auch nicht anspruchsvoll.
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer