Meine Sichtweise und warum die Megafonanlage keine "Waffe" ist:
- 1. Ehrliche und spielbezogene Fußball-Atmosphäre kann man nicht koordinieren.
Es sind spontane Reaktionen auf das Spielgeschehen.
- 2. Die Fankurve ist eine lebendige Gemeinschaft vieler einzelner Fans verschiedener Altersklassen. Jeder sieht das Spiel anders und hat andere Vorstellungen von der Unterstützung für die Mannschaft.
- 3. Gerade die Autonomie und Eigendynamik machen eine Fankurve zu etwas besonderem.
- 4. Niemand kann Personen dazu zwingen ein bestimmtes Lied zu singen. Die Realität zeigt, dass sich die Atmosphäre im Fritz-Walter-Stadion seit der
Existenz der Anlage nicht verbessert hat. Die Westkurve hat jedoch an Spontanität und Spielbezug verloren.
- 5. Jede Person und jeder Fanclub ist Teil der Kurve und keiner sollte bevorzugt bzw. benachteiligt werden oder Sonderrechte genießen. Alle sind gleich.
- 6. Auch wenn die Westkurve nicht koordiniert wird, kann sie geschlossen „auftreten“.
- 7. Es ist trotz der Größe der Kurve möglich, dass sich Gesänge in der Kurve verbreiten. Es dauert zwar länger und es ist vielleicht mit einem kleineren
Kanon verbunden – doch es geht nicht darum wie ein Musikchor zu singen. Gerade das langsame Ausbreiten ist etwas besonderes.
Es geht darum, der Westkurve wieder ihre Freiheit zu geben. Jeder soll seine Art und Vorstellungen von Stimmung ausleben, ohne, dass über die Megafonanlage oder
kleinere Megafone alles koordiniert und vorgegeben wird.
Das Spiel steht im Vordergrund.
Was ich persönlich noch sagen möchte, ist, dass es keinen Sinn hätte, die Megafonanlage zu entfernen wenn nicht auch die Megafone von anderen Gruppierungen weg kommen. So würde das Problem nur verlagert bzw. entschärft werden. Jedoch nicht gelöst.
Daher ist es am sinnvollsten die Megafonanlage und die Megafone zu entfernen. Der Abbau der MFA hätte zudem den positiven Nebeneffekt, dass man die grünen Pfosten hinter dem Tor entfernen könnte, was eine bessere Sicht auf das Spielfeld zur Folge hat.
Argumente der Megafonanlagen-Befürworter. Und warum diese nicht passen:
1. Die Kurve ist zu groß. Man muss diese koordinieren.
In einer Fankurve sind tausende verschiedene Menschen. Jeder ist anders. Und jeder hat andere Vorstellungen davon, eine Mannschaft von den Rängen zu unterstützen.
Schon das alleine sollte als Grund reichen, wieso eine „Gleichschaltung“ grundsätzlich abzulehnen ist. Aber gerne möchte ich mich genauer dazu äußern.
Gerne wird gesagt, dass man die nun größere Westkurve koordinieren müsste. Schon da muss man fragen: Wieso? Wenn man gemeinsam mehrzeilige Lieder singen will, ist
eine Anlage wirklich sinnvoll. Aber da sollte klar sein, dass das nicht die Absicht sein kann. Gerade der Betzenberg war schon immer für eine „andere Stimmung“ bekannt. Spielbezogen, chaotisch, aggressiv, laut. Schimpfereien, Schlachtrufe, akustischer Hass, Pfiffe und auch
mal etwas ruhiger. Kurz ausgedrückt: Eine emotionale und spontane Reaktion auf das Spielgeschehen. Und nichts anderes ist wahre Stimmung. Man kann sie nicht einfach „machen“, sie kommt und entwickelt sich von ganz alleine. Aus dem Inneren. Je nach Spielverlauf. Und nein, das ist nicht koordiniert. Ist das schlimm? Und wie oben schon erwähnt: Die Vorstellungen der Personen in der Westkurve, was Unterstützung anbelangt, sind verschieden. Wieso will man dann 16.000 Menschen etwas aufdrücken? Man kann niemanden dazu zwingen, etwas zu singen. Wenn ein Fanclub seine Art von Stimmung ausleben will, hindert ihn niemand – aber man muss auch den anderen Personen die Freiheit lassen.
Anarchie, Spontanität und Eigendynamik sind die Stärken jeder Fankurve. Das ist mit der Megafonanlage schlicht nicht möglich.
Das Spiel muss wieder in den Vordergrund! Wegen dem geht man ja schließlich ins Stadion.
Dass die Kurve zu groß ist, ist also kein wirkliches Argument und das wird indirekt auch gleichzeitig von den „Begründern“ der Megafonanlage, den Ultras, bestätigt. Oder wieso sind selbst in kleinen Gästeblöcken oft mehrere Megafone zu sehen?
2. Wenn gerade nichts angestimmt wird, kann das die Megafonanlage übernehmen.
Muss es denn 90 Minuten im Stadion laut sein? Ich sage ganz klar: Nein. Jeder braucht während dem Spiel mal kurze Pausen. Mal plätschert das Spiel auch nur so dahin. Ist es nicht ehrlich und natürlich, dass es dann ruhiger wird im Stadion? Auch früher, als der Betze wirklich noch eine Festung war, war das der Fall. Dafür konnte der Betzenberg durch ein Foul in der nächsten Sekunde explodieren. Man sollte außerdem nicht vergessen, dass gerade die ruhigeren Momente die lauteren so extrem wirken lassen. 90 Minuten derselbe Lärmpegel ist künstlich und hat meiner Meinung nach auch auf die Mannschaft keine so große Wirkung.
3. Es wird doch nur etwas aus der Kurve weitergegeben.
Im Grunde läuft es wieder auf dasselbe hinaus. Eine Fankurve muss nicht koordiniert werden (siehe oben) und es ist ganz normal, dass mal unterschiedliche Sachen zur
gleichen Zeit gesungen werden. Es wird sich schon was durchsetzen. Wenn nicht, dann halt nicht.
Und wenn wir ehrlich sind, entspricht es nicht der Realität, dass nur Sachen aus der Kurve weitergegeben werden. Eventuell auch, weil nicht mehr viel von den Personen angestimmt wird – man sollte jedoch dem jedoch auf dem Grund gehen. Viele haben es schon längst aufgegeben oder verlernt, etwas einfach „loszubrüllen“. Weil es oft von der Megafonanlage wieder übertönt wird.
Die Westkurve hat ihre Selbstständigkeit und Spontanität verloren. Es würde wieder Zeit brauchen, es zu ändern. Aber es wäre ein Schritt in die richtige Richtung.
Die Megafonanlage ist Gift für eine lebendige Fankurve.
Stimmung kann man nicht machen.
Sie entsteht - ganz von alleine. Je nach Spielverlauf. Unkoordinierbar.
Die Ultras sind nicht Schuld an der "schlechteren" Atmosphäre, aber sie werden verstehen müssen, dass eine lebendige Fankultur nicht durch straffe Organisation entsteht, sondern durch die Kreativität jedes Einzelnen. Und sie werden begreifen müssen, dass ein Fanblock keine Dirigenten braucht. Er kommt sehr gut alleine zurecht.
Die Einstellung der Ultras, die grundsätzlich mit Old-School-Stimmung wenig anfangen können, akzeptiere ich voll und ganz. Jeder soll das tun, was er für richtig hält. Im Gegenzug müssen sie aber auch die andere Seite akzeptieren. Die Menschen, die wieder eine wilde, chaotische, kreative, spontane, spielbezogene und vor allem eine anarchische Kurve wollen.
Was ich gerne noch hinzufügen möchte: Kommt weg von dem Gedanken, dass es jedes Spiel laut sein muss auf den Rängen. Kommt weg von dem Gedanken, dass ihr die Mannschaft 90 Minuten ununterbrochen unterstützen MÜSST. Schaut einfach das Spiel, alles andere entwickelt sich ganz von alleine. Das wäre zumindest wahre und ehrliche Atmosphäre.
In der Ruhe liegt die Kraft! Eine unvorhersehbare Eigendynamik auf Rasen und Rängen, die ganz plötzlich entstehen könnte. DAS beeindruckt auch die Gegner und Schiedsrichter. Wenn Mannschaft und Fans für einige Augenblicke wie "verschmolzen" sind. Nein, das kann nicht immer klappen und das soll auch nicht immer klappen. Unvorhersehbar, spontan und spielbezogen - das ist eine Waffe!
Lasst der Westkurve wieder ihre Freiheiten - für eine anarchische Fangemeinde. Das Spiel steht im Vordergrund.