FullquoteNewtrial hat geschrieben:Menschen kommunizieren und kooperieren letztendlich mit dem Ziel des Überlebens und der evolutionären Weiterentwicklung. Das tun sie in der aktuellen Entwicklungsphase noch auf Basis der Unterscheidung "Wir vs. die Anderen" - bitter-ernst bis zum Krieg oder spielerisch wie im Fußball, wo es dann nicht um "Feinde", sondern um "Gegner" gehen und über das Trennende In-Group-Verhalten hinaus eine Verbundenheit über die gemeinsame Faszination für das Spiel entstehen sollte.
Der normale Überlebensreflex in einer In-Group ist es, angesichts existenzieller Bedrohungen zusammenzuhalten und interne Differenzen zurückzustellen. Wir alle kennen Filme, wo eine kleine Gruppe sich gegen übermächtige Bedrohungen "von außen" durchschlagen muss und auf den internen Zusammenhalt angewiesen ist. Es gibt dann immer eine Führungsfigur, die von Teilen der Gruppe in Frage gestellt wird. Einen Bösewicht, der intrigant auf eigene Rechnung wirtschaftet (sich z. B. das knappe Wasser in der Wüste privat aneignet). Und Jene, die dem Druck nicht gewachsen sind, und z. B. in einer Situation, in der sich die Gruppe vor Feinden oder Monstern versteckt und ganz leise sein muss, eine Panikattacke kriegt.
In diesem Film-Plot gibt es zwei Varianten: In der einen ist der "Führer" selbst der Bösewicht und muss gestürzt werden, wenn die Gruppe überleben will. Und in der anderen ist er der Held, der sich zwar auch häufiger mal irrt, am Ende die Gruppe aber ans Ziel bringt. Im ersten Fall ist Rebellion angebracht, im zweiten Fall kann sie tödlich für die ganze Gruppe sein. In letzterer Variante ist es typisch, dass dem Helden sein zwischenzeitliches Versagen vor Augen geführt und angezweifelt wird, dass er daraus etwas gelernt hat. Dann wiederholt sich eben diese Situation quasi - und der Held findet diesmal die richtige Lösung, wobei seine "Kritiker" in der Gruppe das Ganze fast noch vermasseln, weil sie ihm reinpfuschen und ihn stürzen wollen.
Und da sind wir beim FCK. Wiederholt sich bei uns aktuell das jahrzehntelange Versagen oder führen uns unsere vor einem dreiviertel Jahr gewählten Helden ans Ziel? Brauchen wir also eine "Rebellion" oder sollten wir derzeit die Füße stillhalten, wenn wir überleben wollen? Darum geht es doch im Kern.
Will man dies einschätzen, so ist man gut beraten, sich die Argumentationsstruktur der "Kritiker" anzuschauen. Ist sie vornehmlich von Affekten und Ressentiments bestimmt oder erscheint sie bei halbwegs unparteiischem Hinsehen erdrückend schlüssig? Bei der entsprechenden Einschätzung kann man sich i.d.R. auf die "Schwarmintelligenz" der Gruppe verlassen, was etwas anderes ist als die "Meinung" des Mobs! Man kürzt also einfach das ressentimentgeladene Gebabb'l weg und schaut sich den Tenor der Einzeldiskussionsstränge und dort der argumentativ ernstzunehmenden Beiträge jeglicher inhaltlicher Ausrichtung an. Dabei zeigt sich m. E. in etwa das folgende Bild:
1. Die von "Team Merk" in der Sanierung/ Planinsolvenz eingeschlagene Strategie ist in sich konsistent, wurde und wird von sachkundiger Seite aber auch mit guten Argumenten im Kern in Frage gestellt. Dieses Vorgehen war demnach nicht "alternativlos", wie es unsere Führung gerne darstellt. Es ist aber auch nicht haltlos, sondern bezeichnet einen möglichen Entwicklungspfad, für den man sich letztendlich entschieden hat. Jetzt wieder zu unserem Film-Plot: Eine gute Gruppe streitet sich darüber an der Weggabelung und hält dann in der Folge zusammen, anstatt bei jedem neu auftretenden Problem zu lamentieren, "Wären wir damals doch anders abgebogen".
2. Unsere Kaderplanung hat in den vergangenen Jahren nicht gegriffen. Und mit Boris Notzon ist ein Hauptverantwortlicher noch im Amt, mit Martin Bader sein bisheriger Vorgesetzter aber nicht mehr. Da die Einkaufspolitik dieses Jahr - gerade in Anbetracht des Insolvenzverfahrens - allgemein als gut bis sehr gut bewertet wird, gibt es aktuell keinen guten Grund für die Annahme, dass sich das Muster der Vorjahre hier wiederholt. Und auf der Abgabeseite erscheint es zumindest fragwürdig, ob man Pick und Kühlwetter hätte halten können, nicht zuletzt auch mit Blick auf das Sonderkündigungsrecht. Und ob man Reisende ganz generell aufhalten sollte und sich damit ggf. Unruhe in den Kader und demotivierte Spieler sowie Grüppchenbildung einhandelt. Anders liegt die Sache bei Thiele, wo die Verantwortung für den Abgang aber eher beim Trainer als beim SD zu liegen scheint. Fazit: "Notzon Raus!"-Rufe sind aktuell unbegründet, ressentimentgeladen und gefährden den Erfolg der Gruppe.
3. Die Arbeit des Trainers: Hier differenziert die "Schwarmintelligenz" - im Unterschied zum Mob - zwischen klaren Erfolgen (z. B. modernes Spielsystem, Defensivstärke, Fitness und Zusammenhalt der Truppe ohne erkennbare Grüppchenbildung angesichts schwierigster Rahmenbedingungen im Verein) und offenen Baustellen (z. B. Zug zum Tor, Abschluss, Standards). Eine Handschrift des Trainers ist klar erkennbar, es bleibt aber die Frage, ob diese für die Erfordernisse der Liga nicht zu kryptisch - und mit dem vorhandenen Spielermaterial überhaupt umsetzbar - ist. Da genau an der offenen Baustelle "Offensive" noch Kaderentwicklungen im Gange sind, besteht begründete Hoffnung auf weitere Verbesserungen. Niemand bei Verstand käme bei so einer Zwischenbilanz auf die Idee einer Trainerentlassung nach dem ersten Spieltag. Sollten die Ergebnisse ausbleiben, müsste man in unserer "All in"-Konstellation andererseits aber auch weit vor dem 10. Spieltag entsprechend reagieren. Aus dieser Ambivalenz ist die "Fünf Spiele"-Orientierung entstanden, die auch realistisch sein dürfte. Schneller wird man nur dann reagieren, falls es heute oder in den kommenden Wochen zu einem Spiel wie seinerzeit in Meppen kommt.
Fazit: Der FCK befindet sich am Scheidweg und ist in einer Situation, in der er noch nie zuvor war! Und niemand hat ein Patentrezept! Während die Schwarmintelligenz im Falle der vorangegangenen Führung praktisch einhellig zu einem vernichtenden Urteil gelangte (das sich in den Nichtentlastungen der JHV dann eindrucksvoll manifestierte), sind wir aktuell in einer entwicklungsoffenen Situation, in der wir eigentlich als am Überleben des FCK interessierte Gruppe zusammenhalten müssten. Wer da noch Öl ins Feuer gießt, betätigt sich als Brandstifter! Der aktuelle Kurs ist wirtschaftlich wie sportlich nachvollziehbar, muss aber ggf. im Sportlichen künftig nochmals deutlich korrigiert werden; im Wirtschaftlichen wird das faktisch jetzt nicht mehr möglich sein: Da gilt das Motto "Augen zu und durch", egal was man von dem eingeschlagenen Weg halten mag. Was wir jetzt mobilisieren müssten, wäre ein kollektiver Überlebensinstinkt, der jeden kleinsten Teilerfolg des FCK frenetisch - und ja: durchaus auch kritiklos und naiv - feiert! Insbesondere der STT zum Meisenheim-Kick zeigte da aber das Gegenteil. An jeden einzelnen User: Was ist Dir wichtiger? Das Kundtun Deiner Verbitterung über den Niedergang des FCK oder Dein Mittun bei dem Versuch, wieder aus Nichts heraus etwas zu erschaffen, den Mythos Betze wiederzubeleben und Dich einfach mal einzuordnen, auch wenn die Dinge nicht nach Deinem Kopf laufen? Man kann diesbezüglich skeptisch sein (bin ich auch!), aber man sollte vielleicht seine Energie trotzdem da hineingeben, anstatt dem Verein und seinem Umfeld mit ressentimentgeladenen - und oftmals wirklich äußerst dummen und peinlichen - posts noch Energie zu entziehen.

Da mache ich mich gerne mal zum "Claqueur". Ein großartiger Beitrag, der unsere Situation sozialpolitisch hervorragend analysiert. Bravo!