Einen hohen Unterhaltungswert hatte die Partie zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und dem Hamburger SV auch diesmal. Die hohen fußballerischen Ansprüche, die beide Teams an sich selbst stellen, erfüllte dieses 2:2 jedoch nur bedingt.
Im Prinzip deuteten bereits die Besetzungen im zentralen Mittelfeld an, welcherart Charakter das Spiel annehmen sollte. FCK-Trainer Markus Anfang stellte von Beginn an den robusten Filip Kaloc an die Seite seines Sechsers Boris Tomiak - beim enttäuschenden 1:3 in Hannover hatte da noch der filigrane Philipp Klement starten dürfen. Diesmal stand der Feintechniker nichtmal im Kader. Anfang nannte die Nichtnominierung von Klement eine "Härtefall-Entscheidung", denn er benötigte die verfügbaren Plätze im Kader für andere, defensivstärkere Spieler. HSV-Coach Steffen Baumgart stellte Daniel Elfadli neben seinen etatmäßigen Mittelfeld-Abräumer Jonas Meffert. Elfadli ist, wie Tomiak, auch als Innenverteidiger einsetzbar.
Was darauf hinweist: Beide Übungsleiter wollten zunächst mal ihre Zentralen dichtmachten. Gepflegtes Passspiel, spielerischer Glanz gar hatte da hinten anzustehen. Baumgarts Sicherheitsdenken dürfte dem Respekt vor der bis auf den letzten Platz gefüllten Festungsmacht Betzenberg geschuldet gewesen sein. Bei Anfang war's eher eine Reaktion auf zuletzt sieben Gegentore in zwei Partien. Da hieß es, erstmal hinten gut stehen.
Und in der Tat passierte eine runde Viertelstunde lang wenig bis gar nichts. Auch wenn der HSV energischer Druck auf die gegnerische Abwehrreihe machte.
Bis zum ersten Aufreger brauchte es eine Viertelstunde
Doch Lautern tat der Zweier-Riegel vor den beiden Innenverteidigern gut. Vor allem, weil sich Robert Glatzels Sturmpartner Ransford-Yeboah Königsdörffer, mit vier Treffern bislang gefährlichster Torschütze der Gäste, immer wieder aus der Spitze zurückfallen ließ. In Tomiak oder Kaloc fand er stets einen angemessenen Betreuer. Der zweite Sechser nahm sich dann Marco Richter an, dem Zehner in Baumgarts 3-4-1-2-Formation. Erst später zog der Mann mit der Mütze seinen rechten Außenbahnspieler Silvan Hefti zurück, um Anfangs Drei-Mann-Sturm mit einer Viererkette zu begegnen.
Erst in der 16. Minute war mal zu erleben, wie sich der FCK-Coach das Überspielen eines gegnerischen Angriffspressings vorstellt. Keeper Julian Krahl passt auf die linke Verteidiger-Seite, als ein HSV-Stürmer ihn zu attackieren droht. Erik Wekesser glückt ein sauberer Flankenwechsel auf sein Gegenüber Jan Gyamerah. Der leitet das Leder flugs auf Marlon Ritter weiter, der wiederum direkt Richmond Tachie einsetzt. Dieser startet auf dem rechten Flügel durch, seine flache Flanke in die Strafraummitte aber klärt Dennis Hadzikadunic zur Ecke.
Die drei zuletzt genannten FCK-Spieler waren übrigens allesamt neu in der Startelf. Ritter und Gyamerah waren nach krankheits- und verletzungsbedingten Ausfällen zurückgekehrt. Tachie ersetzte Neuzugang Daisuke Yokota, der sich am Freitag im Training leicht am Knie verletzt hatte. Nach den ablenkenden Transfergerüchten um ZSKA Sofia - die nach DBB-Informationen übrigens bei weitem nicht die im Boulevard kolportierte Ablösesumme von einer Million Euro boten - hat sich der letztes Jahr in der Hinrunde so starke Tachie wieder berappelt und sich erstmals seit dem zweiten Spieltag wieder einen Einsatz erarbeitet.
Der HSV übernimmt die Kontrolle, Ache trifft dennoch
Offensiv-Aktionen wie diese hatten allerdings auf FCK-Seite nun Seltenheitswert. Und, was ebenso typisch für diese Partie werden sollte: Nur wenige Minuten nach seinen ersten gelungenen Passaktionen leistete sich Ritter im Aufbauspiel einen Fehlpass, auf den hin Mittelstürmer Glatzel frei vor Krahls Tor auftauchen durfte. Der Keeper und Verteidiger Jan Elvedi retteten gemeinschaftlich in höchster Not.
Der Führungstreffer für die Betze-Buben in der 32. Minute fiel in einer Phase, in der die Gäste das Spiel eigentlich zu kontrollieren begonnen hatten. In Erwartung einer Ritterschen Freistoßflanke versammeln sie sich im eigenen Strafraum, lassen aber auf der Linksaußen-Position Wekesser vollkommen freistehen. Ritter spielt kurz Aaron Opoku an, der zu Wekesser. Dessen saubere Flanke wird zu Ragnar Ache im Sturmzentrum abgefälscht, worauf dieser zu seinem vierten Saisontreffer vollstreckt.
Führung macht stark, Tachie das 2:0
Anschließend zeigte sich wieder mal, wie Erfolgserlebnisse Selbstvertrauen und Sicherheit geben können. Der FCK war nun richtig gut im Spiel. Zog sich keinesfalls zurück, um auf die berühmten Umschaltmomente zu lauern, sondern attackierte auch weit vorne, präzisierte sein Passspiel und hatte - hört, hört - phasenweise auch mehr Ballbesitz.
Wie, das ist schwer zu glauben? Dann sei es hier durch einige "Wyscout"-Grafiken belegt.
Hier die Entwicklung der Ballbesitzanteile, die zwischen dem 1:0 und 2:0 auf 54 Prozent stiegen. Während sie, auch das muss gesagt werden, in der Anfangs- und in der Schlussphase erbärmlich waren.
Hier der Überblick, wie sich die durchschnittlichen Aufstellungslinien während des Spiels verschoben: Vor dem 2:0 stand die Abwehrreihe bis zu 56 Meter hoch.
Und hier die Visualisierung der Passgenauigkeiten, die sich bereits vor dem 1:0 deutlich verbessert hatten:
Man sieht: Der zweite Treffer fiel gar nicht mehr so überraschend. Tachie erzielt ihn nach 50 Minuten. Tomiak setzt nach einem Ballgewinn im Zentrum Linksaußen Opoku ein, der bedient den in die Sturmmitte einlaufenden Tachie mustergültig - und drin ist das Ding. Damit schienen die Weichen für eine gelungene Samstagabend-Gala auf dem Betzenberg gestellt.
Leider aber "schien" es nur so.
Das schnelle 1:2: Der Anfang von der Wende
Es begann damit, dass der Zwei-Tore-Vorsprung nicht einmal acht Minuten lang hielt. Und sich die FCK-Hintermannschaft bereits zum fünften Mal in dieser Saison einen Gegentreffer nach einem ruhenden Ball einschenken ließ.
Im Mittelpunkt des Geschehens: Keeper Krahl, der einen scharf aufs Tor drehenden Eckball von Linksfuß Miro Muheim nicht zu fassen bekommt, worauf der hinter ihm postierte Glatzel einlocht. Natürlich wird Krahl auf der Torlinie bedrängt, aber eine 1,94 Meter-Kante wie er muss sich da durchsetzen. "Als ich abspringen wollte, ist jemand in mich reingerannt und dann kam ich nicht mehr weg", erklärte der konsternierte Torhüter hinterher.
Dennoch bot sich dem FCK die Gelegenheit, auf 3:1 zu stellen. Wieder leitet Tomiak aus dem Zentrum heraus einen Konter ein. Diesmal ist Ritter die Anspielstation. Der geht über halbrechts ab, schlenzt den Ball Richtung langer Pfosten. Ache rutscht rein, bringt das Leder aber nicht im Netz unter.
Lauterns Passqualität sinkt, der HSV dreht auf
Danach aber gelingen den Roten Teufeln kaum noch Spielzüge über zwei oder mehr Stationen. Obwohl der HSV einiges anbietet. Doch die Passqualität des FCK-Spiels lässt zu stark nach. Von 65 Ballbesitzen im offenen Spiel, die die Gastgeber über die gesamte Spielzeit verzeichnen, enden 42 innerhalb der ersten zehn Sekunden, die meisten davon in dieser Schlussphase.
Bezeichnend ist die Passquote Tomiaks. Den haben wir zwar gerade als Ausgangspunkt zweier starker Tor-Aktionen genannt, unterm Strich aber brachte er nur 67 Prozent seiner Zuspiele zum Mann. Nebenmann Kaloc kam laut "Sofascore" sogar nur 59 Prozent. Zum Vergleich die zentralen Mittelfeldspieler der Gäste: Mefferts Passquote lag bei 89 Prozent, Elfadlis bei 82 Prozent.
Zudem legte der HSV von der Bank nach. Bereits nach 60 Minuten kamen Jean-Luc Dompé, Davie Selke und Adam Karabec in die Partie, und alle drei sorgten dafür, dass sich der Druck aufs FCK-Tor weiter erhöhte.
Es hätte noch schlimmer kommen können
Krahl pariert stark gegen Karabec, Glatzel und Dompé, Jannis Heuer und Jan Elvedi retten in höchster Not. In der fünften Minute der Nachspielzeit aber sind alle Abwehrkräfte machtlos. Karabec flankt mit links von der rechten Seite unwiderstehlich auf Selke, und der lässt dem FCK-Keeper diesmal keine Chance.
Eine Minute später hätte Schiri Florian Exner sogar einen noch bittereren Schlusspunkt setzen können: Elvedi sprang bei einem Zweikampf im Strafraum der Ball an den Arm. Der Pfiff, der darauf folgte, war jedoch der Abpfiff.
Ja, es war wieder ein hochdramatisches Spiel auf dem Betzenberg, das sein Eintrittsgeld wert war. Spannende Samstagabend-Unterhaltung vor einer fantastischen Kulisse. Die Hamburger feierten sich hinterher für ihre tolle Moral und ihren auch qualitativ breit aufgestellten Kader . Bei Lautern überwog zunächst der Frust ob des späten Gegentreffers. Anschließend aber kamen Anfang, Hengen, Ritter & Co. zu der Erkenntnis, dass dieser Auftritt ein "Schritt in die richtige Richtung" gewesen sei, erst recht nach der schwachen Darbietung in Hannover.
Das kann man so ja auch alles gelten lassen. Doch sollten sich beide Lager ebenso bewusst sein: Angesichts der Ansprüche, die beide Klubs auf Sicht an sich selbst stellen, war's, rein fußballerisch betrachtet, eine eher dürftige Partie mit zu vielen einfachen Ballverlusten auf beiden Seiten. Wobei der HSV als klarer Aufstiegsfavorit gilt, während die Lautrer auf ihrem Weg zur spielerischen Neuorientierung noch in der Entwicklung sind. Ob's tatsächlich ein Schritt in die richtige Richtung war, wird sich im Grunde aber erst zeigen, wenn auf diesem Weg auch kommenden Samstag in Regensburg weiter vorangeschritten wird.
Mut macht auf jeden Fall die Phase zwischen dem ersten und zweiten Treffer. Sie hat gezeigt, wie diese Mannschaft aufdrehen kann, wenn sie durch ein Erfolgserlebnis gepusht wird.
Die Passmap: Mittelfeld-Trio spielt zu wenig miteinander
Zu den Standardgrafiken. Die xG-Timeline sieht den HSV klar vorne. Kein Wunder angesichts der Schlussoffensive. In der der FCK, die flache Linie zeigt es, kaum noch was nach vorne brachte.
Die Positions- und Passgrafik des FCK: Die Linien im Mittelfeldzentrum sind einfach zu dünn, und ein paar fehlen ganz: Tomiak (Nr. 2), Kaloc (26) und Ritter (7) haben sich untereinander kaum Bälle zugespielt.
Zum Vergleich die Passmap des HSV: Viel Zirkulation zwischen Abwehrreihe und den zentralen defensiven Mittelfeldspielern. Die Positionierung der eingewechselten Selke (27), Dompé (7) und Karabec (17) zeigt, wie die Gäste in der Schlussphase nach vorne drängten.
Und zum Schluss die Übersicht über die geführten Duelle. Dompé recht imposant für einen 37-Minuten-Einsatz. Kaloc mit eher mäßiger Bilanz, gerade für einen zentralen Mittelfeldspieler. Auch Wekesser sieht nicht gut aus. Hat allerdings den Führungstreffer und kurz vor Schluss mit einem Überraschungs-Freistoß aufs kurze Eck, als alle eine Flanke erwarteten, das letzte Offensivsignal seines Teams gesetzt.
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer
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- Saison-Übersicht 2024/25: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage