Marky hat geschrieben:
Aber das tut auch nichts zur Sache. Denn, was ich dich fragen wollte, war da nicht auch wieder dieser brav geschniegelte Musterschüler auf dem Platz. Auch mit (wenn auch nicht so perfekt sitzendem) Anzug und Brille. Der von dem Foto. Dieser kleinere. Du weißt doch, wen ich meine!
Du irrst nicht. Er war es. Oder er wahr es. Und dachte die Wahrheit liegt auf dem Platz. Die wahre Liebe. Was er da am Zaun sah konnte doch nicht die HB-Kampagne gewesen sein. Das hatte er sich anders vorgestellt. Man hatte ihn missverstanden, so war das doch nicht gemeint.
Aus zoologischen Aspekten fand er die Situation am Zaun interessant, wenngleich ihm noch unklar war, was diese Menschen wollten. Er verstand immer nur "Scheiß-Lakritz" und überlegte, ob irgendeine Marketing Aktion schiefgelaufen sein könnte. Er überlegte: was wollt ihr denn? MAOM. MAOM. Aber was hatte die Menschen nur gegenüber Lakritz so aufgewühlt? Diese Menschen am Zaun konnte man nicht vermarkten. Höchstens für provokative Werbung, aber er wollte seiner Marke kein Provoimage verpassen. Die Leute am Zaun waren aber auch wirklich sauer. Wollten sie gar ihm an den Kragen? Wegen seiner Brille? Seinem Anzug, den er betont lässig ohne Krawatte trug um genau diesem Volk näher zu sein ? Wenn sie ihm an den Kragen wollten, dann aber nix wie weg.
Er überlegte.Ging kleine Kreise auf dem schlechten Rasen. Fand sich irgendwie auf dem Rasen so cool wie der Kaiser nach dem WM Finale 1990. War er nun schon 200 Tage hier? Sein Traditionstrikot, das er unter seinem Hemd trug, war leicht verschwitzt. Schöne Scheiße, aber man kann es ja wenden. Gute Erfindung von mir dachte er. Und auch für den Zaun würde ihm dann doch was einfallen. Irgendwie etwas undergroundiges. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Hätte er nur nie studiert, dann wäre alles einfacher.
200 Tage war er nun hier. Ein paar Mal sah man ihn schon im Fernsehen auf der Tribüne mitfiebern. Für seinen Geschmack sah das etwas feminin aus, aber er würde an sich arbeiten. In 200 Tagen hätte er auch so einen schönen Bart wie der Vertrauenslehrer und käme noch authentischer rüber. Der eine Trainer von der schwarzgelben Mannschaft (die er Bienchen nannte, hihi) hatte auch so einen tollen Bart. Wie hieß dieser Kerl nochmal? Das war der der jetzt einen Nachfolger hat, der genauso aussieht, aber nur in klein und ohne Brille. Dafür auch immer unrasiert und ein Fan von Einbahnstrassenkommunikation.
Irgendwie sind wir alle eine Familie und da gibt es auch schwer Erziehbare dachte er und schaute nochmal zum Zaun zurück. Nun riefen sie auch noch "Lakritz raus". Und weil ihnen die Lakritz scheinbar nicht mehr schmeckten warfen sie mit ihnen (oder spuckten sogar) auf die anderen Leute (besonders auf einen) in den kurzen Sporthosen, die vor dem Zaun standen.In Mainz hatte er mal gesehen, dass da auch so ein Mann in Trainingsanzug AUF dem Zaun stand und den Lakritzkonsumenten irgendwas zurief und dann feierten sie alle zusammen. Aber die kannten sich ja mit Bonbonwerfen traditionell besser aus. Hier war der Mann im Trainingsanzug allerdings in einen Streit mit den Lakritzessern verwickelt. Man schrie sich an und der Mann im Anzug verteidigte wohl das Lakritz. Es schien irgendwie um ein Foto zu gehen. Er überlegt kurz ob er zum Schlichten hingehen sollte, denn mit Bildbearbeitung kannte er sich aus.
Auf der Anzeigetafel stand 1-1. Beim ersten Tor hatte er mit dem Mann neben sich gejubelt. Beim zweiten hatte er fassungslos die Hände vorm Gesicht vergraben. Auch wütend mit dem Fuss aufgestampft. Nun kam ihm das Unentschieden wie eine Niederlage vor und wenn den Leuten auch noch das Lakritz nicht schmeckte dann konnte man wohl wirklich von einem Tag sprechen, den man beerdigen sollte.
Er würde nachher die fassungslosen Männer in den kurzen Hosen in der Kabine etwas aufmuntern und ihnen einen Witz erzählen.
"Kennt ihr Sabine Bo?" würde er sie fragen und die Männer würden sagen "Nee" und er würde einfach sagen "Das ist die Schwester von Harry Bo" und hoffentlich würden die Jungs lachen. Der Mann im Trainingsanzug machte in der Kabine auch immer so Psychotricks, da hatte er sich schon so manches abgeguckt und gerlernt, dass Fussball zu 70% Psüschologi ist oder wie er immer sagte "reine Kopfsache". Und Harry Bo und Lakritz, er fand der Witz passte gut.
Irgendwas stimmt hier dennoch nicht, dachte sich der Mann im Anzug, ging leicht verunsichert Richtung Nordtribüne, nahm sein FDP-Feuerzeug aus der Tasche, beschloss dann doch keine zu rauchen (weil im Stadion) und probierte eines dieser Katjes-jes-jes-jes. Schmeckten doch eigentlich ganz gut.