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Neue Ausrichtung: St. Paulis Bekenntnis wider den modernen Fußball (Welt Online)

Fußballthemen, welche den FCK nicht oder nicht direkt betreffen.
Thomas
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Beitrag von Thomas »

Anbei ein interessanter Artikel über unseren Ligakonkurrenten FC St. Pauli, wie ich finde. In einem Satz zusammengefasst geht es darum, dass es als Fußballverein vielleicht gar nicht mal so verkehrt ist, manches auch mal anders zu machen als alle anderen:
Welt Online hat geschrieben:NEUE AUSRICHTUNG
St. Paulis Bekenntnis wider den modernen Fußball


Gekaufter Erfolg? Von Großkonzernen abhängige Klubs wie Leipzig, Wolfsburg und Ingolstadt stehen in der Kritik. Der FC St. Pauli geht einen radikal anderen Weg. Vorbild ist ein Berliner Techno-Club.

Das Zitat von Dave Boyle ist etwa zehn Jahre alt, für Sandra Schwedler ist es aktueller denn je: "Wenn du einen Frosch ins Wasser setzt und das Wasser langsam erwärmst, dann stirbt er irgendwann. Wenn du ihn aber in heißes Wasser setzt, springt er heraus."

Schwedler hat einen schleichenden Prozess ausgemacht, und in ihrem Bild ist der Frosch der Fußball. Schwedler ist die neue Aufsichtsratsvorsitzende des Zweitligisten FC St. Pauli. Sie hat sich in den vergangenen Jahren als beharrliche Streiterin für Interessen von Fußballfans einen Namen gemacht, arbeitete für ProFans, Pro 15.30 und Football Supporters Europe. Netzwerke, über die sie auch den britischen Fanrechtler Boyle kennenlernte und den Satz aufschnappte. Er stammt aus einer Zeit, als sich in England das Fußballpublikum deutlich verändert hatte, nachdem in den Stadien Stehplätze abgeschafft, der Alkoholausschank stark eingeschränkt, Vereine von Investoren übernommen und die Preise stetig erhöht worden waren, bis sich nur noch wenige die Tickets leisten konnten.

Schwedler glaubt, dass es zuletzt auch in Fußball-Deutschland wärmer geworden ist: "Immer ein Stückchen mehr Kommerzialisierung, ein Stückchen mehr Änderung. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem viele sagen: Ich gehe jetzt nicht mehr hin. Teilweise gibt es das ja jetzt schon."

Kritik am Kommerz wird lauter

In Zeiten, da der einzige verbliebene Kontrahent des FC Bayern am Tropf von Volkswagen hängt, Red Bull mit seiner Leipziger Fußballsparte am Ende der Zweitligasaison den dritten Aufstieg in Folge begießen will, der aktuelle Tabellenführer im Unterhaus ohne Audi in der Bayernliga spielen würde und Bayer Leverkusen und die TSG Hoffenheim von manchem schon als klassische Traditionsvereine eingeordnet werden, wächst die Zahl der Kritiker und Mahner, die einen Verlust traditioneller Werte und die Überhitzung der Branche erkennen.

Bis zum 16. November des vergangenen Jahres war Schwedler eine von vielen engagierten Kämpfern gegen den ausgemachten Klimawandel. Bis zu dem Tag, an dem sie von den Mitgliedern des Hamburger Zweitligisten FC St. Pauli mit überwältigender Mehrheit in den Aufsichtsrat ihres Klubs gewählt wurde und auf dessen konstituierender Sitzung auch den Vorsitz übernahm.

Begeht der FC St. Pauli sportlichen Selbstmord?

St. Pauli präsentiert sich seitdem als Gegenentwurf. In Zeiten, in denen die Hemmschwelle der Klubs, sich für Investoren zu öffnen, spürbar sinkt, sie in ihren Aktiengesellschaften Anteile offerieren oder mit strategischen Partnern in einer GmbH kooperieren, um sportlich erfolgreich oder überhaupt konkurrenzfähig bleiben zu können, handelt St. Pauli antizyklisch. Es ist ein Bekenntnis wider den modernen Fußball, das es in dieser Deutlichkeit und Konsequenz noch nicht gegeben hat. Einige sagen, der ohnehin schon auf Tabellenplatz 18 der Zweiten Liga abgestürzte Klub habe damit seinen Freitod gewählt und werde zwangsläufig aus dem Profifußball verschwinden. Andere finden, St. Pauli fülle sein Image seit dem November wieder mit Leben. Nicht ausgeschlossen, dass beides richtig ist.
(...)

Göttlich überzeugt St. Paulis Mitglieder

Oke Göttlich grinst bei diesen Sätzen. Ihm gefällt Schwedlers Sichtweise, er teilt viele ihrer Ansichten. "St. Pauli muss ein unabhängiger Verein bleiben. Das ist das Wichtige", ergänzt er, "bei den ausgegliederten Systemen, die momentan probiert werden, geht häufig die Unabhängigkeit und damit Flexibilität verlustig. Früher gab es das Zeitalter des Mäzenatentums, das abgelöst wurde durch Großsponsoren, die in die Vereinspolitik mit hineingeredet haben. Auch bei St. Pauli war das ja immer mal ein Thema. Wir aber wollen uns diese Unabhängigkeit erhalten, dass wir ein Verein bleiben, der von unseren größten Förderern – unseren Fans und Mitgliedern – geführt wird." Ein Wunsch als Wahlversprechen.
(...)

Eine seiner ersten Dienstreisen führte ihn nach Frankfurt am Main. Wer sich fragte, wo auf der DFL-Versammlung am 4. Dezember die Vertreter des FC St. Pauli Platz genommen hatten, musste nur die Abstimmungen beobachten. Im Meer der grünen Karten, stach an derselben Stelle immer wieder auch mal eine rote heraus. Rot ist ungewöhnlich, Rot bedeutet Nein. Sandra Schwedler nickt: "Viele der kleinen Vereine sind abhängig. Durch das Solidarprinzip bei den Fernsehgeldern haben einige Angst und das Gefühl, so abstimmen zu müssen, wie es von oben erwartet wird." Abnickverhalten bei der DFL? St. Pauli verhielt sich wie ein Geisterfahrer. Wie das schwarze Exemplar einer Schafherde. Oder eben das weiße, allein zwischen schwarzen – je nach Sichtweise.
(...)

Die Fans – ihnen hat es der FC St. Pauli zu verdanken, dass es ihn überhaupt noch gibt. Immer wieder stand der "Chaosklub" in den vergangenen Jahrzehnten vor der Pleite, immer wieder war auf die Treue und Spendenbereitschaft des Anhangs Verlass, nicht nur während der umfangreichen Retter-Kampagne 2003. Die Erinnerung an Regionalligazeiten ist noch frisch. Keine zehn Jahre ist das her.

"In jeder schwierigen Situation haben uns die unterschiedlich aktiven Fans, die 10.000, 20.000, 30.000 Menschen hier im Stadion plus Millionen Sympathisanten unterstützt. Wir müssen aufpassen, dass wir an unseren Kernwerten und einem authentischen Fußball so festhalten, dass diese Leute Fans bleiben. Wir müssen unsere Werte leben."
(...)

Quelle und kompletter Text: http://www.welt.de/sport/article1373012 ... sball.html
Der Verein führt als eingetragener Verein den Namen 1. Fußball-Club Kaiserslautern e.V. (1. FCK) und hat seinen Sitz in Kaiserslautern. Seine Farben sind rot und weiß. (...) Das Stadion trägt den Namen Fritz-Walter-Stadion. (Vereinssatzung des 1. FC Kaiserslautern e.V. - Artikel 1, Absatz 1)
mster
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Beitrag von mster »

Mal ganz provokant gefragt:
[...]werde zwangsläufig aus dem Profifußball verschwinden[...]
Wäre das tatsächlich so schlimm? Ich bin mittlerweile der Ansicht, dass es den "großen Knall" vielleicht sogar braucht. Wenn man sieht welche Zuschauerzahlen RW Essen, Alemannia Aachen usw. in den unteren Ligen anziehen sieht man, dass Tradition eben doch einen Wert hat.

Nehmen wir mal an, der FCK steigt nicht auf diese Saison. Stattdessen gehen Ingolstadt und der Drecksverein aus Leipzig hoch, runter kommen Dortmund und Hamburg.

Dann wird man sich in der kommenden Saison auf jede Menge "Highlights" freuen dürfen. Wer schaut nicht gerne zu wenn Dietmar Hopps Plastikclub gegen den Rinderwahn vor 10000 Zuschauern spielt? Oder Wolfsburg in Ingolstadt antritt?

Im Gegensatz dazu hätten wir dann in Liga 2 vielleicht Mannschaften wie Düsseldorf, Lautern, Hamburg, Dortmund, Nürnberg, Union, Pauli, Bochum, Braunschweig. Mit etwas Glück kommen aus Liga 3 dann noch Mannschaften rauf die Tradition und Fans mitbringen (wozu auch Dresden gehört, auch wenn ich sie nicht leiden kann).

Das Szenario wird so nicht eintreten, das ist mir schon klar. Aber langfristig gesehen wird die Attraktivität der 1. Liga durch die ganzen seelenlose Drecksclubs massiv abnehmen. Ganz ehrlich, die erste Liga interessiert mich jetzt schon nicht mehr. Ich schau mir maximal noch die Ergebnisse an.

Und damit, um den Bogen zu schlagen zum Beginn des Beitrags: Vielleicht ist es gar nicht so schlimm wenn zwei, drei große Vereine künftig eine Klasse tiefer spielen. Lieber sehe ich mir Aachen gegen Essen in der Reginalliga an als eine der oben erwähnten Partien in der ersten Liga. Sollen Mateschitz und seinesgleichen doch in ihrer eigenen Liga spielen. Von mir aus mit Anstoßzeiten um Mitternacht um die große Fanbasis irgendwo am A**** der Welt zu erreichen. Aber nicht mit mir. Die DFL wird eines Tages mal ein ganz böses Erwachen erleben wenn sie ernsthaft gewillt ist Zustände wie in England zu bekommen (ist ja gerade in den Medien aktuell, dass die weitere Zerstückelung des Spieltags als Option angesehen wird - nur ein weiterer Schritt in Richtung Abgrund).

P.S.: Das was St. Pauli da macht finde ich absolut top. Auch wenn ich dem Verein St. Pauli sonst mit eher gemischten Gefühlen gegenüber stehe.
Thomas
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Beitrag von Thomas »

mster hat geschrieben:Nehmen wir mal an, der FCK steigt nicht auf diese Saison. Stattdessen gehen Ingolstadt und der Drecksverein aus Leipzig hoch, runter kommen Dortmund und Hamburg.

Dann wird man sich in der kommenden Saison auf jede Menge "Highlights" freuen dürfen. Wer schaut nicht gerne zu wenn Dietmar Hopps Plastikclub gegen den Rinderwahn vor 10000 Zuschauern spielt? Oder Wolfsburg in Ingolstadt antritt?

Im Gegensatz dazu hätten wir dann in Liga 2 vielleicht Mannschaften wie Düsseldorf, Lautern, Hamburg, Dortmund, Nürnberg, Union, Pauli, Bochum, Braunschweig. Mit etwas Glück kommen aus Liga 3 dann noch Mannschaften rauf die Tradition und Fans mitbringen (wozu auch Dresden gehört, auch wenn ich sie nicht leiden kann).
Das sehe ich genauso, mster. :daumen: Wenn dazu noch die Perversionen der Anstoßzeiten weitergehen (u.a. wurde ja schon ein Montagsspiel für die erste Liga vorgeschlagen), dann ist es gar nicht mehr so weit weg, dass die zweite Liga genauso attraktiv ist wie die erste - oder vielleicht sogar noch attraktiver.

Wobei es ja in dem Artikel über St. Pauli eigentlich um was anderes geht: Dass man sich als Verein selbst treu bleibt und sich nicht verkauft, nur weil viele andere sich verkaufen. Und das gerade daraus auch etwas besonderes entstehen kann, was einem dann auch wieder neue Vorteile bringt (z.B. bei der Sponsorensuche oder bei den Zuschauerzahlen). Ein anderes Beispiel von dieser Sorte ist sicherlich Union Berlin, wo ja ebenfalls mit beachtlichem Erfolg "anders" gearbeitet wird als bei Hannover oder Hoffenheim.

Bei dem oben fett markierten Auszug zum Thema "unabhängig bleiben" musste ich auch noch an ein anderes Argument denken, dass ich kürzlich in Bezug auf Ausgliederungen und Investoren gelesen habe: Wenn es alle machen, dann hat am Ende keiner was davon. Oder im Original mit den Worten von Ben Redelings:
Ben Redelings hat geschrieben:Doch das eigentliche Dilemma der vergangenen Monate und Jahre ist ein anderes. Immer mehr Fußballfans akzeptieren diese neue Welt. Sie wissen um die Verhältnisse und wollen nicht länger auf der Seite der Verlierer sein. Ihr Verein soll mitmachen beim unehrlichen Spiel, soll nicht länger der ehrliche Dumme sein - koste es, was es wolle! "Geld schießt Tore", das haben mittlerweile alle verstanden. Und so wird schon recht bald der vermeintliche Erfolg alle Mittel heiligen. Die schon lange in der Praxis ausgehebelte "50plus1"-Regel wird fallen, die Investoren werden kommen, Geld wird fließen - und am Ende wird in der Tabelle alles sein wie zuvor. Die mit der meisten Kohle werden vorne stehen.

Komplette Kolumne: http://www.n-tv.de/sport/fussball/Im-Fu ... 45566.html
Der Verein führt als eingetragener Verein den Namen 1. Fußball-Club Kaiserslautern e.V. (1. FCK) und hat seinen Sitz in Kaiserslautern. Seine Farben sind rot und weiß. (...) Das Stadion trägt den Namen Fritz-Walter-Stadion. (Vereinssatzung des 1. FC Kaiserslautern e.V. - Artikel 1, Absatz 1)
Hellboy
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Beitrag von Hellboy »

mster hat geschrieben:Lieber sehe ich mir Aachen gegen Essen in der Reginalliga an als eine der oben erwähnten Partien in der ersten Liga.
Leider ist das aber wohl nicht repräsentativ für die breite Masse, schon gar nicht für die, die viel Geld für ihre Plätze zahlen (also nicht unbedingt die Steher). Denn so sehr ich deinen grundsätzlichen Gedankengang auch teilen möchte, funktioniert das maximal bis Liga 2 - da wegen der deutlich niedrigeren TV-Gelder aber auch schon eigentlich nicht mehr, denn das Geld fließt ja nicht nur über die Zuschauereinnahmen.

Und es ist ja auch nicht so, als hätten Aachen oder Essen regelmäßig 30000 Leute im Stadion. Aachen hat aktuell einen Schnitt von 7000, Essen von ca. 10000 glaube ich. Damit sind die beiden wahrscheinlich mit Abstand Spitzenreiter hinsichtlich Zuschauerschnitt. Und das auch nur, weil's bei beiden gut läuft diese Saison.

Und wie lange wir uns mit einem solchen Schnitt im FWS halten könnten, kannst du ja an einer Hand abzählen. Wahrscheinlich sogar ohne Hand...

Da endet dann zumindest bei mir immer die Träumerei von einer zweiten Liga mit Traditionsteams... Denn das bräuchte schon massive Umstrukturierungen durch die DFL.

Ineressant finde ich in diesem Zusammenhang das Gedankenspiel über eine erste Liga nach "nordamerikanischen Stil". Investoren oder Firmen, die sich mit ihren Clubs in die Liga einkaufen können, keine Auf- und Absteiger, Playoffs, Draft-Regelungen, Salami-Spieltage, Werbeunterbrechungen etc. Die perfekte Spielwiese für Matteschitze und Hopps...

Darunter/Daneben dann 2-3 "klassische" Ligen: 50+1-Regel, alle Spiele Samstags 15:30 Uhr, Auf- und Absteiger, Pyro erlaubt (neeeein - kleiner Gag aus aktuellem Anlass) etc. Alles so, wie wir es mochten und mögen.

Naja, nur so eine kleine Träumerei...
Tyosuabka
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Beitrag von Tyosuabka »

Am Ende wird aber vermutlich der Abstieg zwischen Freiburg/Paderborn/Hertha. ausgemacht. Glaubt doch nicht ernsthaft jemand das Dortmund absteigt. Geld regiert eben die Welt das kann niemand mehr ändern.
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