
Interview mit Westkurven-Vorsänger Sascha Kempf, Teil 1/2
„Ein Vorsänger ist nur so gut wie seine Kurve“
Sascha Kempf ist das bekannteste Gesicht der Westkurve: Seit zehn Jahren ist er der Vorsänger der FCK-Fans. Im ersten Part des zweiteiligen Interviews mit „Der Betze brennt“ spricht er über seine Anfangszeiten auf dem Podest, die Entwicklung im letzten Jahrzehnt und seine persönlichen Höhe- und Tiefpunkte in dieser Zeit.
Der Betze brennt: Hallo Sascha, Du stehst jetzt seit zehn Jahren auf dem Vorsängerpodest. Erinnerst Du Dich noch an Deinen ersten Einsatz am Megaphon?
Kempf: Daran erinnere ich mich ganz genau, das war am 6. März 2004 beim Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt. Damals war noch die „Generation Luzifer“ die einzige größere Ultragruppe in Kaiserslautern. Die Stimmung war nicht besonders gut, das Spiel lief auch ziemlich träge, wie schon die ganze Saison - der FCK grutzte mal wieder mitten im Abstiegskampf herum. Kurz vor der Halbzeitpause hatte der damalige GL-Vorsänger Walluf einfach kein Bock mehr, was sich auch schon in den Wochen zuvor angedeutet hatte. Irgendjemand hat dann zu mir gesagt „Nimm du doch das Ding (das Megaphon; Anm. d. Red.) und probier es mal“. Dann habe ich das gemacht, eigentlich aus dem Nichts heraus, und es hat einfach zusammengepasst. In der 90. Minute haben wir noch 1:0 gewonnen und nach dem Spiel hat jeder gesagt, es war gut und ich soll weitermachen.
Der Betze brennt: Und jetzt feierst Du sozusagen Dein Jubiläum als Vorsänger. Zehn Jahre - hättest Du das damals gedacht?
Kempf: Im ersten Moment habe ich mir zwar keine großen Gedanken gemacht und es einfach mal ausprobiert. Aber mit der Zeit war für mich dann schon klar, dass ich die Sache jetzt auch durchziehe. Damals mit Anfang 20 war ich auch noch oft zum Groundhopping im Ausland unterwegs und die Eindrücke haben mich geprägt, dass dort eigentlich überall der Capo bzw. der Vorsänger mindestens 30 oder älter ist. Und es hat sicher auch etwas mit meiner persönlichen Einstellung zu tun: Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig.
„Was willsch' denn Du, Kaschper?“
Der Betze brennt: Wie ist es dann weiter gegangen?
Kempf: Am Anfang im Jahr 2004 war es noch etwas relativ neues, auch am Betze, mit dem Megaphon zwischen den Fans zu stehen. Damals habe ich noch in der alten Westkurve ganz oben zwischen Block 7 und Block 8 auf dem Trennzaun, der ja mittlerweile auch gar nicht mehr existiert, gesessen und hauptsächlich die Ultras angeheizt. Unser und mein Ziel war es aber, eine Entwicklung zu schaffen und mehr Leute zu erreichen. Dann habe ich eben Mut gefasst und bin auf diesem Zaun immer weiter nach unten gerutscht, von Heimspiel zu Heimspiel. Da gab es dann auch mal Anfeindungen: „Was willsch' denn Du, Kaschper?“ Einige von diesen Kritikern gehen heute noch auf den Betze, und wenn man dann mal über die damalige Zeit spricht, ist es für beide Seiten witzig (lacht). Es hat sich schon vieles verändert seit 2004.
Der Betze brennt: Wie reagierst Du auf solche Anfeindungen?
Kempf: Im Stadion kommt das heute eigentlich kaum noch vor, da bekomme ich fast nur Lob und konstruktives Feedback. Kritischer wird es schon eher im Internet. Damals in den Anfangszeiten kam noch dazu, dass viele Leute grundsätzlich skeptisch sind, wenn es etwas neues gibt. Da sind wir dann auch mal die Fanregionen abgefahren, haben uns vorgestellt und versucht, die Leute einzubinden: Was ist Ultrá, warum haben wir ein Megaphon, welche Ziele wollen wir erreichen? Dass es dann irgendwann für den Vorsänger sogar ein Podest oder eine Anlage geben würde, habe ich damals natürlich noch nicht geahnt.
„Ein Alleinstellungsmerkmal der Westkurve“
Der Betze brennt: Der Vorsänger und das Megaphon werden gerne kritisiert, aber es gibt auch viele Rituale, die ohne einen „Dirigenten“ nicht möglich wären. Von Dir wurden zum Beispiel 2006 beim Auswärtsspiel in Mainz die Taschentücher beim „Schönen Gruß und auf Wiedersehen“ eingeführt, die längst zu einem ganz großen Markenzeichen der FCK-Fans geworden sind.
Kempf: Genau! Das Spiel haben wir ja gewonnen damals an Fastnachtssamstag, unser erster und leider bis heute einziger Sieg in Mainz. Kurz vor dem Ende des Spiels haben wir uns mit „Uiuiui-Auauau“ über den Karnevalsverein lustig gemacht und einige Fans packten dafür die Taschentücher aus. Das habe ich dann aufgegriffen für's „Schönen Gruß und auf Wiedersehen“, was ja schon seit Jahrzehnten ein Gassenhauer in der Westkurve ist, und es wurde danach immer größer.
Der Betze brennt: ... und einzigartig in Deutschland.
Kempf: Das ist auf jeden Fall ein Alleinstellungsmerkmal, auf das wir stolz sein können. Da müssen wir auch wieder hin, zu mehr solchen Sachen, die individuell sind und auf den Betze passen. Es ist aber auch ein gutes Beispiel für meine grundsätzliche Philosophie: Jeder gute Vorsänger ist nur so gut wie seine Kurve. Die meisten Ideen kommen gar nicht von mir, sondern aus der Kurve heraus.
Der Betze brennt: Was auch immer brachial gut rüberkommt, ist das von den Ultras so genannte „Bumm Bumm Klatsch“, also das langsame Einklatschen hin zum „Kaaaiiiserslautern“ aus zigtausend Kehlen.
Kempf: Wahrscheinlich der FCK-Schlachtruf schlechthin. Das Einklatschen dazu haben wir ungefähr 2005 eingeführt, auch hier erst im kleineren Kreis und dann bis hinauf zur ganzen Westkurve. Ohne Koordination über die Megaphonanlage wäre dieses Ritual, das wir ja immer kurz nach Anpfiff durchführen, gar nicht oder nur viel schwieriger machbar.
Der Betze brennt: Drittes Beispiel: „You'll never walk alone“ ohne Stadionlautsprecher.
Kempf: Da gab es mal eine Diskussion mit Horst Schömbs (FCK-Stadionsprecher; Anm. d. Red.), aus der sich das entwickelt hatte. Das haben wir dann einfach probiert und es klappte schnell recht gut. Mittlerweile ist das übrigens sogar als fester Punkt im Stadionprogramm festgehalten, immer wenn der „Unzerstörbar“-Schal auf der Anzeigetafel eingeblendet wird, macht das Radio Pause und wir können ungestört singen.
Höhepunkte und Tiefpunkte
Der Betze brennt: Kommen wir von vor dem Spiel zu nach dem Spiel: Bei Dir auf dem Podest waren auch schon viele FCK-Spieler, sei es Martin Amedick nach dem Aufstieg, Denis Linsmayer oder Jimmy Hoffer zum trommeln, oder auch Mathias Abel, um sich von den Fans zu verabschieden. Wie ist das so?
Kempf: Das ist schon geil, wenn ein Spieler da hoch kommt. Bei Jimmy Hoffer war ich nicht oben, der hat ja weder trommeln noch singen gekonnt (lacht). Eigentlich hatten die Fans da auch Willi (Orban) gefordert und nicht Jimmy (Hoffer). Andere kommen hoch und wollen unbedingt trommeln, wie Denis Linsmayer. Und als Martin Amedick nach dem Aufstieg unsere Lieder angestimmt hat, war das natürlich eines der Highlights überhaupt. In erster Linie denke ich dabei aber nicht an mich, sondern erhoffe ich mir dadurch mehr Identifikation zwischen Mannschaft und Fans, was in letzter Zeit ja leider eher kritisch war.
Der Betze brennt: Ein Abend, den man herausheben kann, war sicher auch das Pokal-Heimspiel gegen Leverkusen 2009. Woher kommt Dein gutes Gefühl für solche Momente? Gehst Du vorher alles durch und hast vielleicht schon ein paar Lieder im Kopf, oder geschieht das alles spontan?
Kempf: Da spielt mittlerweile auch die Erfahrung eine große Rolle. Ich sprechen nach dem Spiel immer wieder mit verschiedenen Leuten, gerade auch mit denen, die die alten Zeiten schon miterlebt haben, und nicht nur, aber natürlich auch, mit den Ultras. Was hat den Betze früher ausgemacht, was können wir davon in die Neuzeit übertragen, und was ist vor allem auch wichtig zu übertragen? Bei solchen Top-Spielen wie gegen Leverkusen oder auch 2010 gegen Bayern läuft aber eigentlich alles von selbst. Ich mache mir eher Gedanken bei Spielen, in denen es um „nichts“ geht oder wo nur 20.000 Zuschauer erwartet werden. Da ist es viel schwieriger, die Fans zu motivieren.
Der Betze brennt: Es gab aber sicher auch Tiefpunkte in den letzten zehn Jahren. Etwa den letzten Spieltag 2007, als es im Heimspiel gegen Köln einen Stimmungsboykott der Ultras gab, der total in die Hose ging.
Kempf: Ja, ich erinnere mich. Damals war wie so oft der Informationsfluss nicht gut, da muss die Ultraszene auch heute noch dazu lernen. Der Boykott war ganz kurzfristig: Weil der Verein kritische Spruchbänder erst erlaubt und dann verboten hatte, wollten die Ultras schweigen, und der Rest der Kurve wusste nicht warum. Da hatten sich die Leute gerade mit dem Megaphon identifiziert nach vier, fünf Jahren, und dann lief plötzlich nichts mehr. Aber daraus wurde auch gelernt und ich zum Beispiel würde das heute so nicht mehr unterstützen. Ich sehe mich als Vorsänger der ganzen Westkurve und nicht nur der Ultras.
Der Betze brennt: Trotzdem gab es 2012 im Rahmen der 12:12-Proteste nochmals einen Stimmungsboykott ...
Kempf: ... der aber auch von einer breiten Masse der Fans, in allen Stadien Deutschlands, mitgetragen wurde. Das war schon beeindruckend, und vorbildlich organisiert. Kritisch war da höchstens der anschließende Boykott über die kompletten 90 Minuten, nachdem die Vereine das umstrittene Sicherheitskonzept durchgewunken hatten. Dieses Spiel gegen Aalen war mit Sicherheit ein Tiefpunkt. Wobei ich da aber auch sagen muss, dass ich hinter dieser Aktion auch heute noch stehe, weil's für mich selbst richtig rübergekommen ist - ich habe mich da einfach verarscht gefühlt, nachdem unser Vorstand sein Versprechen gebrochen und das DFL-Papier unterschrieben hatte. Die Mehrheit der Stadionbesucher sah das genauso und hat auch diesen Protest unterstützt.
„Die Fans sind träge geworden“
Der Betze brennt: Was waren sonst noch Tiefpunkte für Dich?
Kempf: Da sind natürlich die Abstiege zu nennen, aber auch das häufige Schlechtreden von neuen Ideen. Manchmal kommen auch Vorwürfe, die so einfach nicht stimmen, wie etwa: „Wenn der Gegner nen Eckball hat, schreit der Hansel 'Auf geht’s Lautern schießt ein Tor'“. Das mache ich ganz sicher nicht. Aber das Spiel ist heute auch so schnell geworden, da kann man gar nicht mehr sofort auf alles reagieren. Natürlich ist es auch für mich ein Thema, die Emotionen aus der Kurve einfach mal laufen zu lassen, aber das hat in letzter Zeit auch nicht wirklich geklappt - leider. Es kommt fast nichts mehr aus der Kurve, es pfeift keiner mehr bei einem gegnerischen Eckball, kaum jemand brüllt der eigenen Mannschaft nach einem Fehlpass neuen Mut zu.
Der Betze brennt: Was sind die Gründe dafür?
Kempf: Das hat sicher mehrere Ursachen. Einige Fans denken vielleicht, wir hauen in der zweiten Liga jeden Gegner weg, aber diese Zeiten sind einfach vorbei. Die Leute sind auch insgesamt irgendwie träge geworden. Und natürlich fehlt die Euphorie auch aus den bekannten sportlichen Gründen.
Der Betze brennt: Wird die Kurve vielleicht auch durch den Vorsänger passiv?
Kempf: Das kann man sicher nicht abstreiten. Es hat sich eine Trägheit entwickelt und hier stellt sich die interessante Frage: Wie wäre es gekommen, wenn dies oder jenes anders gemacht worden wäre in den letzten zehn Jahren? Wie wäre die Stimmung heute ohne Megaphon, ohne Anlage oder ohne Ultras? Ich war ja in der letzten Rückrunde vier Heimspiele in Folge nicht da, und da bekam ich die Rückmeldung: Die Stimmung war in ein paar Details zwar anders, aber sie war unterm Strich nicht schlechter und nicht besser ohne Vorsänger.
Der Betze brennt: Wie können wir wieder mehr Leben in die Bude bringen?
Kempf: Dafür gibt es leider kein Patentrezept. Aber jeder FCK-Fan muss sich hinterfragen, ob er dem Erbe der Westkurve gerecht wird, so wie die Spieler dem Erbe Fritz Walters gerecht werden sollen. Wir müssen auch versuchen, die Jugend wieder anzuziehen, die uns gerade wegzubrechen droht aufgrund der sportlichen Situation. Auf den Tabellenplatz haben wir leider keinen direkten Einfluss. Aber dann brauchen wir, und das haben wir als Fans selbst in der Hand, wenigstens eine geile Kurve, wo die Leute sagen: „Da fahr' ich hin, in Lautern geht was ab!“
Der Betze brennt: Du hast es gerade angesprochen, in der vergangenen Rückrunde hast Du öfter arbeitsbedingt gefehlt. Wie sieht es für die neue Saison aus?
Kempf: Ich hatte in den letzten Monaten beruflich viel um die Ohren mit Weiterbildungen. Aber das ist jetzt alles geschafft und deswegen kann ich sagen: Nächste Saison bin ich wieder voll dabei!
Morgen im zweiten Teil des großen Interviews auf „Der Betze brennt“: Vorsänger Sascha Kempf über seine Wahrnehmung mit dem Rücken zum Spielfeld, den Umzug des Stimmungszentrums und die Zukunft der Westkurve.
Quelle: Der Betze brennt
Update, 24.07.2014:

Interview mit Westkurven-Vorsänger Sascha Kempf, Teil 2/2
„Kein Mensch will jemandem seinen Platz wegnehmen“
Im zweiten Teil des großen Vorsänger-Interviews sprechen wir mit Sascha Kempf darüber, wie man ein Spiel auf einem Podest vor 15.000 Fans erlebt und wie die nähere Zukunft der Westkurve aussieht: Zur Verbesserung der Betze-Atmosphäre ist ein neues Stimmungszentrum direkt hinter dem Tor geplant.
Der Betze brennt: Sascha, wie nimmst Du das Spiel wahr? Du stehst meistens mit dem Rücken zum Spielfeld und trotzdem hat man das Gefühl, dass Du wie wir alle mit dabei bist. Hast Du Augen nach hinten oder wie machst Du das?
Sascha Kempf (30): Bei Heimspielen bekomme ich dank dem Vorsängerpodest eigentlich ziemlich viel vom Spiel mit. Selbst wenn ich mit dem Rücken zum Rasen stehe, sehe ich in den Augen der Fans, was gerade abgeht - und drehe mich dann um, wenn es brenzlig wird. Auch wenn ich natürlich nicht jeden einzelnen Spielzug mitbekomme, aber länger als 20, 30 Sekunden am Stück bin ich eigentlich nie mit dem Blick vom Spielfeld weg.
„Ich habe meine fünf, sechs Fixpunkte in der Kurve“
Der Betze brennt: Wenn die Westkurve ausverkauft ist, bist Du für bis zu 15.000 Fans verantwortlich. Wie organisierst Du bei so viel Input die Stimmung?
Kempf: Ich habe immer meine fünf, sechs Fixpunkte, wo ich hinschaue und die Stimmung aufnehme. Da sind auch die älteren FCK'ler dabei, die für die viel zitierte „Old School“-Stimmung stehen, zu denen über Jahre hinweg die Kontakte gewachsen sind. Und natürlich die Ultras, zu denen ich ja auch selbst immer noch gehöre. Das ist auch ein Grund dafür, warum es in letzter Zeit stimmungsmäßig nicht so gut gelaufen ist: Durch die räumliche Entfernung zwischen Ultras und Vorsänger konnte ich die Reaktionen nicht mehr so gut aufnehmen und auch andere Schlachtrufe nicht mehr ideal zu den Ultras weitergeben.
Der Betze brennt: Und was ist, wenn mal aus einer ungewohnten Ecke etwas angestimmt wird?
Kempf: Ganz bestimmt überhöre ich auch mal einen Gesang. Das ist dann aber hundertprozentig keine böse Absicht von mir, sondern liegt an dem eingeschränkten Sichtfeld, das man als Einzelner vor einer Tribüne mit zehn-, fünfzehntausend Menschen hat. Manchmal werden auch zwei, drei Schlachtrufe gleichzeitig angestimmt und ich muss mich dann für einen entscheiden.
Der Betze brennt: Wir FCK-Fans tun uns in letzter Zeit schwer mit kreativen Fangesängen. Früher hatten wir doch für jeden Spieler, für jede Situation ein eigenes Lied. Würdest Du da zustimmen?
Kempf: Von außen betrachtet würde ich da auf jeden Fall zustimmen. Aber es gibt genug Leute, in der Ultraszene und darüber hinaus, die sich ständig Gedanken über neue Lieder machen. Ich selbst denke mir beim Autofahren oft: „Aus dem Lied da im Radio, da könnte man doch einen Fangesang draus machen.“ Aber wann integriert man solche neuen Schlachtrufe? Das geht fast nur, wenn es auch sportlich läuft. Auch übrigens bei anderen Vereinen, ich nenne da mal Borussia Dortmund als Beispiel. Es ist schwer, wenn es sportlich nicht läuft, wenn es vielleicht auch noch Diskussionen über die Ultras gibt, die ich natürlich auch für viele Leute irgendwie repräsentiere. Und bei den Fußballspielern kommt heutzutage noch dazu, dass die meist schon wieder den Verein wechseln, ehe sich überhaupt ein Lied entwickeln kann, das dann auch authentisch ist.
„Das Stimmungszentrum entwickelte sich anders als erhofft“
Der Betze brennt: Zum Saisonauftakt übernächste Woche startet der nächste größere Versuch, das Betze-Feeling zu verbessern: Die Ultras ziehen von ihren Blöcken 7.2/8.2/9.2 um nach unten, direkt hinters Tor. Warum ist das Stimmungszentrum oben aus Deiner Sicht gescheitert?
Kempf: Ich war vor zwei Jahren auch ein Befürworter vom Umzug nach oben, aber ich hatte mir das ganz anders vorgestellt: Die Ultragruppen sollten nicht so in die Länge gezogen, sondern geballt auf einem Haufen stehen, so wie es jetzt auch hinterm Tor sein soll. Und zusammen mit anderen Fans. Das hatte sich oben leider ganz anders entwickelt als erhofft. Da darf man auch ruhig mal selbstkritisch sein: In den letzten Jahren ist von der Ultraszene viel verbockt und Kredit verspielt worden. Es waren auch einfach zu viele Themen, um die sich die Ultras kümmerten, teilweise kümmern mussten, da war irgendwann der Pegel erreicht.
Der Betze brennt: Und deshalb soll es nun wieder nach unten gehen, genauer gesagt direkt hinters Tor, zwischen den Aufgängen der Blöcke 8.1 und 9.1. Aber liegt es wirklich nur am Standort, ob die Stimmung gut oder schlecht ist?
Kempf: Natürlich nicht. Der Standort der Ultras ist nur einer von ganz vielen Gründen für eine gute oder schlechte Stimmung in der Westkurve. Aber unwichtig ist er eben auch nicht, beispielsweise hatte ich ja schon den Kontakt vom Vorsänger zu den aktiven Fans erwähnt, der im letzten Jahr verloren gegangen war.
Der Betze brennt: Was erwartest Du Dir vom neuen Stimmungszentrum?
Kempf: Erstmal erwarte ich mir auch ein bisschen Akzeptanz von den Leuten, die schon dort stehen. Kein Mensch will jemandem seinen Platz wegnehmen! Die Westkurve ist groß genug für uns alle und niemand soll verdrängt werden. Aber auch die Ultras müssen sich ständig hinterfragen - was übrigens auch jetzt schon gemacht wird - was zum Beispiel das Thema Fahnen schwenken angeht oder die Einbindung der Trommler. Wir wollen schließlich auch dort akzeptiert werden, wo wir unsere neue Heimat gemeinsam mit anderen FCK-Fans suchen. Mittelfristig erhoffe ich mir, dass das Stimmungszentrum eine Traube wird, die immer weiter nach außen wächst, bis irgendwann wieder die ganze Westkurve mitmacht.
Der Betze brennt: Wie sollte sich die Westkurven-Stimmung generell entwickeln?
Kempf: Die einen finden die englische Stimmung geil, die anderen möchten mehr in Richtung südländisch gehen - aber der Betze sollte immer der Betze bleiben, mit Inspirationen aus allen Fankulturen, so wie es auch schon immer war.
„Zurück kommen zum 'Gemeinsam für den FCK'“
Der Betze brennt: Noch mal ganz konkret gefragt, weil es dazu auch im Internet große Diskussionen gab: Die Ultras sollen im neuen Stimmungszentrum also nicht ihr eigenes Ding machen, sondern gemeinsam mit der ganzen Westkurve durchstarten?
Kempf: Ganz genau so ist es. Mein Gedankengang war sogar bewusst, direkt hinters Tor zu gehen, um auch die Ultras wieder mehr an die übrigen Fans ranzuführen. Der Umzug nach oben hat die Ultras eigentlich ein bisschen aus der Kurve rausgezogen, der Kontakt zum harten Kern in den unteren Blöcken fehlte. Jetzt wollen wir wieder zurück kommen zum „Gemeinsam für den FCK“ und das ist auch die Zielsetzung, an der wir uns messen lassen müssen.
Der Betze brennt: Genau daran zweifelten ja viele Fans, als vor kurzem die Ankündigung kam, dass die Ultras den zweiten großen Umzug innerhalb von zwei Jahren planen.
Kempf: Auch da war sicher die Kommunikation nicht ideal, wobei die ja aktuell noch läuft und längst nicht abgeschlossen ist. An dieser Stelle möchte ich auch nochmals alle interessierten Fans zur Diskussionsrunde beim Stadionfest einladen (siehe zugehörige Meldung auf „Der Betze brennt“). Es gab aber auch Irrtümer seitens der Kritiker: Der Blockumzug etwa ging ganz normal über die Bühne. Wir haben gegen Ende der letzten Saison beim FCK-Kartenservice angefragt, ob es möglich wäre in den unteren Teil der Westkurve umzuziehen und Dauerkarten in diesen Bereich umschreiben zu lassen. Uns wurde die Rückmeldung gegeben, dass das davon abhängig ist, wie viele Kündigungen in diesem Bereich eingehen und dass sich normal um eine Umschreibung beworben werden müsse, was wir darauf hin umsetzten. Leider lief das alles sehr kurzfristig, sowohl szeneintern, wo die erste Idee auch erst im April aufkam, als auch extern mit der öffentlichen Ankündigung in der Sommerpause. Diese Kritik müssen wir uns gefallen lassen.
Der Betze brennt: Die Ultras werden ja sowieso gerne ins Zentrum der Kritik gerückt, manchmal zu Recht, manchmal zu Unrecht...
Kempf: Wie viele Leute haben sich schon in der Ultraszene geirrt! Von wegen die tragen nur schwarze Klamotten, die wollen dem Verein nur schaden, und und und. Das ist auch eines der Hauptthemen, die ich mir persönlich für die neue Saison gesetzt habe: Wieder mehr Miteinander, mehr Respekt und weniger Missverständnisse. Und einfach mal was ausprobieren anstatt alles schon vorher zu zerreden - wenn es dann nicht klappt, startet man eben den nächsten Versuch. Wenn ein neues Lied scheiße war, dann lacht mal jeder und es wird in die Tonne gekloppt. Aber das nächste Lied passt dann und schlägt ein. Mehr Mut haben, mehr aus sich raus gehen!
„Ich bin im Stadion immer ansprechbar“
Der Betze brennt: Seit 2011 bist Du auch als gewählter Fanvertreter tätig. Eines Deiner Projekte, an denen Du seitdem arbeitest und das zu dieser Aussage passt, ist der „Dialog Stimmung“, eine öffentliche Diskussionsrunde zur Verbesserung der Stadionatmosphäre. Ist da zur neuen Saison wieder was geplant?
Kempf: Auf jeden Fall! Ich möchte auch mehr Interesse an Fan-Themen generell anregen. Ob die Flanke ordentlich auf dem Elfmeterpunkt landet, darauf haben wir keinen Einfluss, aber bei der Stimmung im Stadion können wir alle etwas bewegen. Und natürlich auch bei vielen Dingen, die über die 90 Minuten Fußball am Wochenende hinausgehen.
Der Betze brennt: Wann und wie kann man mit Dir und anderen interessierten Fans diskutieren?
Kempf: Die nächste Gelegenheit ist am Samstag beim Stadionfest. Der „Dialog Stimmung“ hat bis jetzt leider noch nicht so gut geklappt wie erhofft, hauptsächlich aus zeitlichen und organisatorischen Gründen. Aber auch in der neuen Saison möchte ich wieder entsprechende Veranstaltungen anbieten. Mir ist bewusst, dass nicht jeder an solchen Diskussionsrunden im Stadion teilnehmen kann oder auch manch einer einfach nicht für das Reden vor großem Publikum gemacht ist. Deshalb möchte ich auch im Internet und speziell hier auf „Der Betze brennt“ mehr Präsenz zeigen. Ich werde zwar nicht auf jeden Forumsbeitrag reagieren können, aber wir werden einen Weg finden, auch die konstruktiven Vorschläge aus dem Internet mit einfließen zu lassen.
Der Betze brennt: Zum Abschluss unseres Interviews noch eine personelle Frage: Wer sind eigentlich die weiteren Vorsänger, die neben Dir auf dem Zaun sitzen oder auch mal anstatt Dir, wenn Du verhindert bist?
Kempf: Das sind Niklas von Frenetic Youth, Phil von der Generation Luzifer und Hasemann vom Pfalz Inferno. Bei dieser Gelegenheit möchte ich an alle FCK-Fans appellieren: Bitte unterstützt auch unsere anderen Vorsänger so wie Ihr mich unterstützt, auch wenn vielleicht mal ein nicht so bekanntes Gesicht auf dem Zaun hockt. Ihr kennt unsere Namen, kommt auf uns zu, sprecht mit uns - wir haben alle ein gemeinsames Ziel, nämlich die Verbesserung der Stimmung.
Der Betze brennt: Dein Schlusswort: Was möchtest Du den FCK-Fans zehn Tage vor dem Start in die Saison 2014/15 mit auf den Weg geben?
Kempf: Kommt zur Diskussionsrunde beim Stadionfest, gebt mir hier im Forum konstruktives Feedback. Ich bin im Stadion immer ansprechbar und habe für die Zukunft auch schon einige Ideen. Egal ob Ultra, Kutte, Trommler, Fahnenschwenker oder Gelegenheitsbesucher, egal ob 16 oder 60 - wir sind alle FCK-Fans, wir wollen alle unseren Verein und unsere Kurve nach vorne bringen. Lasst uns gemeinsam das Heimspiel wieder zu dem machen, was es einmal war. Alles auf Anfang!
Der Betze brennt: Vielen Dank für das interessante Gespräch.
(Das Interview führten Marky und Thomas)
Quelle: Der Betze brennt