
Interview des Monats: FCK-Trainer Markus Anfang (Teil 1/2)
"Mir hat es nie gereicht, unentschieden zu spielen"
Das erste ausführliche Interview mit Markus Anfang: Im DBB-Gespräch verrät der neue FCK-Trainer die drei Säulen seiner Arbeit mit der Mannschaft, welcher Fehler auf dem Platz für ihn ein No-Go ist und wie seine erste Begegnung mit den Investoren war.
Der Betze brennt: Markus Anfang, wie verfolgen Sie denn die EM?
Markus Anfang (50): Bislang haben wir es meistens nur geschafft, die 21-Uhr-Spiele zu sehen, weil wir vorher nicht nach Hause gekommen sind. Oft konnte ich auch nur die zweite Halbzeit schauen. Ich versuche natürlich, alle Spiele der deutschen Mannschaft zu sehen.
Der Betze brennt: Gibt es eine Mannschaft, von der Sie sagen, wie die spielt, so will ich auch beim 1. FC Kaiserslautern spielen lassen?
Anfang: Natürlich jede, die gewinnt (lacht). Nein, im Ernst, da habe ich eigentlich noch nie drauf geachtet, das wäre auch nicht fair. Wir sind Zweitligist, wir haben ganz andere Voraussetzungen. Wir können uns nicht mit den Top-Spielern vergleichen, die bei so einer Europameisterschaft unterwegs sind. Natürlich hast du als Trainer immer den Wunsch, dass deine Jungs einfach alles können. Sie wollen ja auch alles lernen, das merke ich in den Trainingseinheiten. Wir wollen uns alle weiterentwickeln. Dabei dürfen die Jungs auch mal Fehler machen. Es gibt nur einen Fehler, den ich gar nicht akzeptiere: die Unterlassung. Wenn du nichts versuchst, dann wirst du dich nicht weiterentwickeln.
"Einen Fehler akzeptiere ich gar nicht: die Unterlassung"
Der Betze brennt: Sie sind auf Ihren bisherigen Stationen immer dadurch aufgefallen, dass Sie sehr offensiv denken. Ihre Mannschaften sollen agieren, nicht reagieren. Woher kommt das, dass Sie Fußball immer offensiv denken?
Anfang: So ein bisschen liegt das wohl in der Natur der Sache. Ich war früher auch ein Offensivspieler, der viel nach vorne gespielt hat, der wahnsinnig ehrgeizig ist, der natürlich unheimlich gerne Spiele gewinnt. Mir hat es nie gereicht, unentschieden zu spielen. Das versuche ich auch als Trainer weiterzugeben. Aber das soll jetzt nicht so rüberkommen, dass ich nur Hurra-Fußball spielen lassen will, was uns ja auch schon angedichtet worden ist. Ich möchte auch gerne zu Null spielen.
Der Betze brennt: Gab es auf Ihrem Karriereweg als Spieler Trainer, die Sie besonders beeinflusst haben?
Anfang: Ich hatte das Glück, viele gute, aber auch unterschiedliche Trainer zu erleben. Aleks Ristic, Huub Stevens, Jogi Löw ... Übrigens auch Erik Gerets in Kaiserslautern, selbst wenn es da am Ende bekanntlich Probleme gab (Anfang wurde im Januar 2004 zusammen mit Thomas Hengen und Steffen Freund aussortiert; Anm. d. Red.). Inhaltlich aber war seine Arbeit absolut in Ordnung. In der Jugend war mein Vater zehn Jahre lang mein Trainer, das prägt natürlich ebenfalls. Was für mich rausgezogen habe ich mir bei jedem, aber jemanden kopieren wollte ich nie, das macht auch keinen Sinn. Du musst immer dein eigenes Ding machen. Für mich als Spieler war es immer wichtig, mich wohlzufühlen, und das soll jetzt auch bei meinen Jungs so sein. Früher haben die Trainer mit mehr Distanz gearbeitet und Dinge eingefordert, was über Respekt schon hinausging. Mir ist Empathie wichtiger.
Der Betze brennt: Wir in Kaiserslautern haben Sie das erste Mal in der Saison 2017/18 wahrgenommen, als Sie mit Holstein Kiel in die Zweite Liga aufgestiegen waren und am Ende Platz 3 erreichten, während der FCK abstieg. Kiel fiel damals durch einen gepflegten Fußball auf, der so gar nichts Underdog-mäßiges hatte, wie man es von einem Aufsteiger erwartet ...
Anfang: Der Verein hatte 36 Jahre lang versucht, in die Zweite Liga aufzusteigen, und hatte es dann endlich geschafft. Wir hatten eine Mannschaft, die einfach eine gute Entwicklung genommen hatte, da haben wir uns gesagt: Wir gehen da jetzt nicht rein und rufen den Klassenverbleib als Saisonziel aus. So verlierst du schon von vorneherein Spiele und kämpfst gegen den Abstieg. Wir bereiten uns vor, um Spiele zu gewinnen und nicht mit dem Gedanken, bloß nicht verlieren zu wollen. Das versuchte ich danach auch allen anderen meiner Mannschaften zu vermitteln, nur ist es manchmal anders wahrgenommen worden.
Der Betze brennt: Was in Kiel auffällt: Für Sie und fast alle Trainer, die nach Ihnen kamen, wurde die KSV zum Karriere-Sprungbrett. Tim Walter landete anschließend beim Hamburger SV, Ole Werner coacht jetzt Erstligist Bremen, Marcel Rapp ist mit den Störchen in die Bundesliga aufgestiegen, nur mit André Schubert hat's zwischenzeitlich mal nicht so funktioniert. Beim FCK findet man seit Jahren keine Linie, wenn es um Trainerverpflichtungen geht. Wie bekommt Kiel das hin? An den Sportdirektoren kann's nicht liegen, denn auch die wechseln regelmäßig.
Anfang: Da sitzen mit Hermann Langness und Gerhard Lütje erfolgreiche und erfahrene Unternehmer im Aufsichtsrat. Mit Wolfgang Schwenke haben sie einen Finanz-Geschäftsführer, der auch sportlich viel Einfluss hat, weil er selbst sehr erfolgreich als Handball-Trainer gearbeitet hat. Das ist schon einmal eine gute Basis, um Geld vernünftig und gut einzusetzen. Zusammen hat man ein Umfeld und Strukturen geschaffen, die die Ruhe und Kontinuität ausstrahlen, die alle so gerne hätten. Findet man so aber nicht überall. Hat vielleicht auch was mit der typisch norddeutschen Gelassenheit zu tun. Gemeinsam hat man Kiel von einer Handballstadt zu einer Sportstadt entwickelt, in der auch Fußball seinen Platz hat. Und man hat Trainer geholt, die aufstrebend waren, die mutig waren, die nach vorne spielen wollen.
"Guardiola? Klopp? Jeder muss seinen eigenen Weg finden"
Der Betze brennt: Gerade in den unteren Klassen herrscht ja die Meinung vor: Allzu hohe fußballerische Ansprüche darf man nicht stellen, weil ja das Geld fehlt, um die Spieler zu verpflichten, die diese erfüllen können. Aber es gibt Ausnahmen, Teams, die mit geringen Budgets zusammengestellt sind und dennoch attraktiven Fußball spielen wollen. Sie und Ihre Nachfolger in Kiel waren und sind solche Ausnahmen, außerdem Christian Titz in Magdeburg, Horst Steffen in Elversberg, Lukas Kwasniok in Paderborn. Erkennen Sie da geistige Verwandte?
Anfang: Von geistigen Verwandten würde ich nicht reden. Jeder hat seine Herangehensweise, wie er Fußball spielen lässt, seine Prinzipien. Und man braucht eine gewisse Zeit, diese umzusetzen. Die genannten Kollegen arbeiten alle schon länger an ihren gegenwärtigen Stationen, und alle haben auch schon mal Zeiten durchlebt, in denen es nicht so lief. Ich weiß natürlich, je größer ein Verein ist, umso mehr Wucht er hat, umso stärker wünscht man sich - und ich spreche jetzt bewusst nicht von Erwartungshaltung -, dass es schnell geht, dass man schnell nach oben kommt. Aber wenn man zu schnell nach oben geht, geht's vielleicht auch schnell wieder runter, weil, um nachhaltig was aufzubauen, ein Jahr mehr nötig gewesen wäre. Das ist so ein bisschen die Problematik, gerade bei großen Vereinen. Ich war in Köln, in Bremen, in Dresden, ich weiß, wie die Fans ticken. Aber ich glaube, wenn die Mannschaft dem Publikum das Gefühl gibt, das, was da passiert, ist ehrlich, ist geradeaus, ist leidenschaftlich, dann akzeptieren die Fans auch mal ein schlechtes Ergebnis. Und bauen die Jungs auf, statt draufzuhauen.
Der Betze brennt: Apropos, wie die Fans ticken: Beim FCK kommen Sie in Ihrer Trainerkarriere zum ersten Mal zu einem Verein, in dem auch Investoren mitreden. Haben Sie die schon kennengelernt?
Anfang: Ja. Auch die Investoren sind ja Fans, ich denke, dass kann man von allen in dieser Gruppe sagen. Ich hatte auch schon ein Gespräch mit dem Beirat, da sind ja auch zwei der Investoren dabei. Lief alles sehr positiv. Ich hatte auch nichts anderes erwartet.
Der Betze brennt: Der FCK hatte letzte Saison den zweithöchsten Zuschauerschnitt der Vereinsgeschichte, jetzt wurde mit 28.000 Dauerkarten gerade ein neuer Rekord für die Zweite Liga aufgestellt. Welche Bedeutung messen Sie den Zuschauern für die kommende Saison zu?
Anfang: Es ist sehr wichtig für uns, so eine Fanbase und solch einen Support zu haben. Das wollen wir natürlich auch vom Platz aus beliefern: Wir wollen den Funken überspringen lassen. Wenn du so eine Tribüne hinter dir stehen hast und ein ganzes Stadion, das so eine Atmosphäre erzeugen kann - das ist eine Riesenchance und die wollen wir nutzen. Das ist einfach das Besondere an solchen Vereinen wie dem FCK.
Der Betze brennt: Zurück zum Trainerdasein. Von Ihrem Kollegen Pep Guardiola ist der Satz überliefert, es brauche 100 Trainingseinheiten, bis eine Mannschaft in der Lage ist, seine Spielidee umzusetzen. Würden Sie das so unterschreiben oder geht es auch mit weniger?
Anfang: Also zunächst mal finde ich es heftig, in einem Atemzug mit Pep Guardiola genannt zu werden, von dem bin ich Meilen entfernt ...
Der Betze brennt: Aber eine ganze Trainergeneration versucht, ihm nachzueifern ...
Anfang: Ich nicht. Weil er einzigartig ist, genauso, wie Jürgen Klopp einzigartig ist. Jeder muss seinen eigenen Weg finden. 100 Trainingseinheiten? Ich weiß nicht. Bei zwei Trainingseinheiten pro Tag wärst du dann nach 50 Tagen soweit ... Ich habe da, ehrlich gesagt, noch nie drüber nachgedacht, ob das hinkommen kann. Richtig ist, um sich Automatismen anzueignen, brauchst du eine gewisse Zeit. Und die kann kürzer werden, wenn sich Erfolgserlebnisse einstellen. Wenn die Mannschaft merkt, mit der Art und Weise, wie du Fußball spielst, kannst du gewinnen, dann wächst aus dieser Überzeugung Selbstvertrauen. Dann gehen viele Sachen wesentlich leichter von der Hand. Dann spielst du auch mal Spiele, die auch in die andere Richtung gehen können, aber aufgrund deiner Lockerheit, deines Selbstvertrauens, deines Selbstverständnisses gewinnst du auch die.
"Spieler besser machen, das Team besser machen, Ergebnisse erzielen"
Der Betze brennt: Marco Antwerpen und Dirk Schuster haben beim FCK einen Fußball spielen lassen, der mehr auf Reagieren als auf Agieren ausgelegt war. Und unterm Strich waren sie auch erfolgreich: Antwerpen hat den FCK wieder an die Aufstiegsplätze herangeführt, Schuster hat den Aufstieg klargemacht und ein erstes erfolgreiches Zweitliga-Jahr gespielt. Die Probleme begannen, als versucht wurde, einen mehr agierenden, dominanten Stil zu etablieren. Da haben die Ergebnisse nicht mehr gestimmt. Nachfolger Dimitrios Grammozis wollte ebenfalls auf Offensive mit laufintensiven Angriffspressing setzen, das sah phasenweise auch gut aus, brachte aber keine Punkte. Erst Friedhelm Funkel hat eine Balance zwischen Defensive und Offensive gefunden, mit der sich der Abstieg vermeiden ließ. Was stimmt Sie zuversichtlich, den Stilwechsel besser hinzukommen als Ihre Vorgänger?
Anfang: Alle Trainer, die Sie eben genannt haben, haben ihre Spuren hinterlassen. Und alle haben ihren Teil dazu beigetragen, das DFB-Pokal-Finale zu erreichen, waren zumindest in diesem Punkt erfolgreich. Meine Aufgabe ist es nicht, zurückzuschauen, was gestern war. Oder mich mit anderen zu vergleichen. Ich habe jetzt eine Sommervorbereitung zur Verfügung, das ist schon mal ein Vorteil, den andere nicht hatten. Wir müssen uns auf drei Bausteine, drei Säulen konzentrieren: Einzelne Spieler besser machen, das Mannschaftsgefüge besser machen - und Ergebnisse erzielen. Denn die müssen am Ende des Tages stimmen, das ist klar. Aber ohne die beiden erstgenannten Säulen gibt es auch diese dritte nicht. In Dresden habe ich zuletzt gesehen, wie's laufen kann. In fast allen Spielen waren wir überlegen, wir haben die wenigsten Schüsse aufs Tor zugelassen, die meisten Chancen herausgespielt, sie aber nicht genutzt. Die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen war in den meisten Partien extrem hoch, aber wir haben nicht gewonnen. Klar kannst du trotzdem versuchen, mal was umzustellen, die Mannschaft mal tiefer stellen und so. Auch das haben wir getan, doch die Ergebnisse haben immer noch nicht gestimmt. Trotzdem würde ich den Weg immer wieder so wählen. Weil ich glaube, dass es nicht häufig vorkommt, dass du trotz überlegenen Spiels kein gutes Ergebnis erzielst.
Morgen im zweiten Teil des großen DBB-Interviews: FCK-Trainer Markus Anfang über Dreier-, Vierer- oder Fünferkette, seine gewünschte Kadergröße und die Zusammenarbeit mit Enis Hajri.
Quelle: Der Betze brennt / Autoren: Eric Scherer, Thomas Hilmes
Ergänzung, 03.07.2024:

Interview des Monats: FCK-Trainer Markus Anfang (Teil 2/2)
"Friedhelm Funkel war mein wichtigster Ansprechpartner"
Markus Anfang antwortet schlagkräftig auf die Frage nach der Viererkette, nennt seine Wunschgröße für den Kader und spricht über die Zusammenarbeit mit Enis Hajri: Teil 2 unseres großen Interviews mit dem FCK-Trainer.
Der Betze brennt: Markus Anfang, wie haben sie denn den 1. FC Kaiserslautern in der vergangenen Saison verfolgt?
Markus Anfang (50): Ehrlich gesagt, habe ich mir die Zweite Liga immer wieder mal angeschaut, aber mich keinem Verein explizit gewidmet. Mein Fokus lag auf Dynamo Dresden und dementsprechend auf der 3. Liga.
Der Betze brennt: Als Sie das DFB-Pokal-Finale sahen, wie sicher waren Sie da bereits, dass Sie Ihre künftige Mannschaft sehen?
Anfang: Noch nicht sehr sicher. 'Natürlich habe ich mir das Spiel angeschaut, aber nicht in dem Bewusstsein, dass das meine neue Mannschaft sein könnte, wie verschiedene Dinge auf dem Platz funktionierenoder wie sich wer bewegt. Ich kannte die Kaderstruktur und einzelne Spieler ja noch gar nicht. Ja, es hatte bereits erste Gespräche mit Thomas Hengen gegeben, unmittelbar, nachdem klar war, dass es mit Friedhelm Funkel nicht weitergehen würde. Aber dann bin ich in Urlaub geflogen und habe Thomas mitgeteilt, dass ich erst mit Friedhelm reden möchte, bevor ich unterschreibe. Das habe ich dann auch getan. Friedhelm Funkel war mein wichtigster Ansprechpartner. Einen mit seiner Erfahrung, den muss man einfach kontaktieren, wenn man dazu die Möglichkeit hat.
Der Betze brennt: Wie Ihre Aussage zu Ihrer Dresdner Zeit zeigte, beschäftigen Sie sich ja auch mit Analysedaten - die der eben genannte Friedhelm Funkel etwa für "überbewertet" hält. Haben Sie sich auch die vom FCK aus der letzten Saison schonmal angeguckt?
Anfang: Nicht wirklich. Zurzeit geht's für mich darum, zu erkennen, was für ein Potenzial jeder Einzelne hat und das, was wir spielen lassen wollen, mit den Jungs zu besprechen. Was im letzten Jahr war, will ich gar nicht wissen. Die Spieler hatten drei unterschiedliche Trainer mit drei unterschiedlichen Ansätzen, denen sie sich immer wieder neu anpassen mussten. Das macht es schwierig, sie allein anhand von Daten zu bewerten. Wir nutzen lieber diese Vorbereitung, um uns eigene Eindrücke zu verschaffen. Dort haben wir Möglichkeiten, mit jedem zu besprechen, wo er sich noch steigern kann.
Der Betze brennt: Das ist nachvollziehbar, soweit es um individuelle Leistungsdaten geht. Aber einige Team-Statistiken springen so ins Auge, dass Sie mit Thomas Hengen darüber doch gesprochen haben müssen, bevor sie unterschrieben haben. Zum Beispiel über die Leistungseinbrüche in der zweiten Halbzeit. Nach Halbzeit-Ergebnissen war der FCK Tabellendritter, nach 90 Minuten Abstiegskandidat. War das ein Problem der körperlichen oder der mentalen Fitness?
Anfang: Ja, darüber haben wir schon gesprochen, aber nur kurz. Ich glaube sogar, dass sich das umgekehrt zu meiner Dresdner Bilanz verhält. Da zählten wir nach den Ergebnissen der ersten Hälfte zu den schlechtesten, danach aber zu den besten Teams. Konkret an irgendwas festmachen, woran es liegt, ist schwierig. Sind wir läuferisch eingebrochen oder hatten wir einfach nur Angst zu verlieren? Haben wir zu viele Standardsituationen zugelassen? Wobei der FCK da ja eher eine der guten Mannschaften war. Du kannst alles auf den Kopf stellen, aber du wirst das vergangene Jahr nicht zurückholen können. Ich mache mir jetzt erst einmal ein Bild vom Ist-Zustand. Und wenn mir das eine oder andere auffällt, was ich als problematisch empfinde, werde ich die Leute in meinem Trainerteam und Staff fragen: War das letzte Saison auch schon so? Das ist ja auch ein Vorteil, dass wir uns da austauschen können, der Blick von außen und der Blick von innen. Dann kann ich vergleichen - und überlegen, wie wir das ändern können.
"Wir spielen in Räumen - da geht’s nicht um klassische Grundordnung"
Der Betze brennt: Wir haben mal bei Kollegen nachgefragt, die Holstein Kiel schon lange verfolgen: Wo seht Ihr Unterschiede zwischen dem Aufstiegstrainer Anfang und dem Aufstiegstrainer Rapp? Die Antwort, kurz zusammengefasst: Guten Fußball haben wir unter beiden gespielt, aber Rapp achtet mehr darauf, das Spiel seiner Mannschaft dem Gegner anzupassen und stellt dementsprechend auch mal um. Anfang ist eher einer, der will, dass sich die Gegner nach ihm richten. Ähnliches hört man auch von anderen Stationen, an denen sie arbeiteten. Ein Vorurteil?
Anfang: Jein. Wir wollen früh Druck auf den Gegner bekommen, ihn im Zweikampf hart angehen und an ihm kleben. Dazu müssen wir im Spiel gegen den Ball auch mal was an unserer Positionierung ändern, damit das Zahlenverhältnis stimmig bleibt. Wenn der Gegner etwa mit vier Mann im Zentrum spielt, kannst du nicht mit zweien dagegenhalten, sonst bist du in Unterzahl. Und ich möchte grundsätzlich immer eine Sicherung haben. Also müssen wir gegen den Ball auch mal anpassen. Das heißt aber nicht, dass ich alles ändere. Aber wenn wir die Kugel haben, dann wollen wir variabel sein, jedoch in unserer Ordnung und bei unseren Abläufen bleiben. Da muss jeder Spieler wissen, ich kann mich in dem Raum bewegen, in dem oder in dem. Und das haben Ihre Kollegen wahrscheinlich gemeint, als sie sagten, dem Anfang ist es egal, was der Gegner macht, seine Spieler sollen nur auf sich gucken.
Der Betze brennt: Welche Grundordnung bevorzugen Sie denn nun eigentlich? In der Regel ein 4-3-3, so ist es jedenfalls meistens zu lesen?
Anfang: Ich habe es eben schon angedeutet. Von diesem klassischen Systemdenken sollten wir langsam mal wegkommen. Spielt der nun ein 4-3-3, ein 4-4-2 oder 3-5-2? Ich weiß, die Medien wollen die Fans immer damit bedienen und das ist auch legitim. Tatsächlich aber kannst du einen Trainerkollegen kaum noch groß überraschen, wenn du mal von Vierer- auf Dreierkette umstellst. Wir spielen in Räumen - da geht's nicht mehr so um eine klassische Grundordnung. Will ich einen zusätzlichen Sicherungsspieler hinten, ziehe ich den Sechser ins Abwehrzentrum. Ob Ihr das dann eine Dreier- oder Fünferkette nennt, was aus der Vierkette geworden ist, ist mir doch egal. Will ich vorne mit zwei Mann attackieren, ziehe ich noch einen Mittelfeldspieler vor die Sturmspitze, dann wird aus dem 4-2-3-1 eben ein 4-4-2, na und? Oder wir lenken das Spiel auf eine Seite und laufen nur mit einer Spitze an. Im Grunde weiß jeder Trainer, welche Ordnung, welches Zahlensystem auf ihn zukommt. Am Ende entscheidet die Umsetzung, wie und mit was die eigene Mannschaft am besten zurecht kommt.
Der Betze brennt: Das heißt, eine intensive Gegner-Analyse spielt bei Ihrer Spielvorbereitung genauso eine wichtige Rolle wie bei Ihren Vorgängern?
Anfang: Natürlich. Wir müssen doch wissen, was auf uns zukommt, und das der Mannschaft nahebringen. Aber wir dürfen den Gegner auch nicht zu groß machen. Wir müssen wissen, wie wir ihn defensiv und wie wir ihn offensiv bespielen wollen. Da haben wir unsere Herangehensweise. Egal, gegen wen es geht, wir überlegen immer, wie wir einen gewissen Druck auf ihn bekommen. Das ist, wie wenn du dich auf einen Boxkampf vorbereitest: Du guckst dir an, wie dein Gegner schlägt, wie du ihn am besten verteidigst. Dazu musst du auch mal deine Position oder deine Armhaltung ändern. Aber du musst auch wissen, wo seine Schwächen sind und wie du ihn treffen kannst. Also richtest du dich nicht komplett nach deinem Gegner aus, sondern versuchst auch, dem Stil treu zu bleiben, den du am ehesten beherrschst.
Der Betze brennt: Für diesen Part haben Sie ja neben Co-Trainer Florian Junge auch Ihren Videoanalysten aus den knapp zwei Jahren in Dresden mitgebracht, Timon Klasen.
Anfang: Ja. Timon wollte Dresden eigentlich schon verlassen, fand dann aber total spannend, wie wir als Trainerteam arbeiten, und ist geblieben. Mittlerweile hat er meine Herangehensweise total verinnerlicht und arbeitet viele Dinge schon im Vorfeld ab, was für mich eine wahnsinnige Arbeitserleichterung ist. Er arbeitet jetzt mit FCK-Spielanalyst Marvin Manske zusammen und, soweit ich sehe, passt das gut. Und mit Niklas Martin haben wir noch jemandem im Trainerteam, der aus diesem Bereich kommt, da sind wir nun also top aufgestellt. Außerdem sind die Datenanalysten unser Bindeglied zum Scouting-Bereich.
Der Betze brennt: Gutes Stichwort. Der FCK stellte vergangene Saison die zweitschwächste Defensive der Liga. Nichts gegen die bereits getätigten Neuverpflichtungen, aber so ziemlich jeder im Umfeld wünscht sich für den Abwehrbereich mindestens noch ein echtes Kaliber, vorzugsweise einen Linksfuß.
Anfang: Abwehrarbeit hat nicht nur was mit einzelnen Positionen zu tun, die ist Sache des Mannschaftsverbundes. Auch mit dem vorhandenen Personal können wir Verbesserungen erzielen. Wir haben ja schon vier Innenverteidiger, und die können auch verteidigen, sonst wäre die Mannschaft vergangenes Jahr nicht ins Pokalfinale gekommen. Unser Hauptaugenmerk liegt zurzeit auf denen, die wir haben und mit denen wir noch planen wollen. Für die Sechser-Position haben wir beispielsweise noch einen Afeez Aremu, der letzte Saison oft ausgefallen ist, wenig Spielzeit bekommen hat und vielleicht auch insgesamt ein unglückliches Jahr hatte. Spieler wie ihn müssen wir uns erstmal angucken und ein Gefühl für sie entwickeln. Deswegen wollen wir nicht in Hektik und Aktionismus verfallen. Was nicht heißt, dass wir Trainer uns nicht ständig mit Thomas Hengen und Enis Hajri (Geschäftsführer und Sportdirektor; Anm. d. Red.) austauschen, wer auf dem Markt ist und für uns interessant wäre, auch für andere Positionen. Aber es muss passen.
"Ideal wären 24 Feldspieler, um in drei Achtergruppen zu trainieren"
Der Betze brennt: Welche Kadergröße schwebt Ihnen denn vor?
Anfang: Ideal wären vier Torhüter und 24 Feldspieler, so dass wir im Training in drei Achtergruppen arbeiten können. Zurzeit haben wir 22 Feldspieler, weil sich Ragnar Ache noch in der Reha befindet und Hendrick Zuck erst wieder ins Lauftraining eingestiegen ist. Wieviele Jugendspieler und Jungprofis das Aufgebot auffüllen, wird von der Qualität der Jugendspieler abhängen. Wie es final ausschauen wird, ist aber noch nicht endgültig geklärt. Das liegt natürlich auch an der Machbarkeit und den wirtschaftlichen Mitteln.
Der Betze brennt: Stichwort Enis Hajri. Dass es um den Technischen Direktor Sport - so die offizielle Bezeichnung seiner Position - vergangene Saison Diskussionen gab, dürfte Ihnen bekannt sein. Unter Trainer Schuster saß er auf der Tribüne, bei Grammozis wechselte er dann runter auf die Bank, ehe Funkel ihn wieder nach oben verbannte - er sei zu emotional, würde zu viel Unruhe in die Mannschaft bringen. Wie werden Sie da verfahren?
Anfang: Da haben wir noch nicht drüber gesprochen, weil wir uns jetzt in erster Linie um die Mannschaft kümmern. Beim Testspiel saßen Enis und Thomas [Hengen] beide mit auf der Bank. Wie wir das dann in der Meisterschaft und im Pokal regeln, werden wir in Ruhe besprechen.
Der Betze brennt: Wie stellt sich die Zusammenarbeit mit Hajri denn bislang für Sie dar?
Anfang: Bislang kann ich nur Positives über ihn sagen. Er gibt immer Hilfestellung, scoutet Spieler, gibt Empfehlungen, aber lässt uns in Ruhe arbeiten. Ebenso Thomas Hengen, der sehr wissbegierig und oft bei den Trainingseinheiten dabei ist. Alles total in Ordnung. Wir sind ja alle ein Team. Da gehört Thomas dazu, Enis, da gehört die Mannschaft dazu, ebenso die Physios. Aber ich bin der Cheftrainer. Ich höre mir gerne Meinungen an, aber ich entscheide, wer spielt und wer eingewechselt wird.
Der Betze brennt: Und da lassen Sie sich von niemandem reinreden?
Anfang: Niemals. Da kann ich ein ganz schöner Sturkopf sein.
"Ich wünsche mir, auch unruhige und holprige Phasen durchzustehen"
Der Betze brennt: Sie sind vor kurzem 50 geworden. Wie sieht Ihre weitere Lebensplanung aus? Wollen Sie irgendwann mal Bundesliga trainieren?
Anfang: Den Ehrgeiz, es noch einmal in die Bundesliga zu schaffen, habe ich auf jeden Fall. Ich war ja schon ein paar Mal nah dran. Mit Kiel in den Relegationsspielen, Köln war Tabellenerster der Zweiten Liga, als ich gehen musste, auch Bremen hat es in der Saison, in der ich schon in der Vorrunde gehen musste, am Ende geschafft. Das heißt jetzt nicht, dass ich mich dazu verpflichtet sehe, mit dem FCK aufzusteigen. Ich sehe die Aufgabe und die Entwicklung. Aber den Ehrgeiz habe ich, auf jeden Fall. Ansonsten sieht meine Lebensplanung vor, dass ich gesund bleiben will und ab einem gewissen Zeitpunkt mehr Zeit für meine Familie haben will. Doch meine Leidenschaft ist der Fußball. Wenn ich den nicht habe, fehlt mir auch ein Stück Energie.
Der Betze brennt: Sie haben in Lautern einen Zweijahresvertrag unterschrieben. Ist das lang genug, um Ihr Ziel Bundesliga mit FCK zu schaffen?
Anfang: Das musste ja jetzt noch kommen (lacht). Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass vergangene Saison hier drei Trainer waren. Da müssen wir erstmal wieder Kontinuität reinkriegen. Dann können wir erfolgreich sein, davon bin ich überzeugt. Aber ob das dann am Ende für den Aufstieg reicht? Da muss viel zusammenkommen. Ich hab's mit Holstein Kiel mit 56 Punkten in die Relegationsspiele geschafft, in Dresden bin ich mit 69 Punkten nur Sechster geworden. Bei Dynamo haben wir in einem Kalenderjahr mal 89 Punkte geholt, aber leider nicht einer Saison. Was wir alle lernen sollten, ist ein Stück Bescheidenheit, so ambitioniert wir auch sind. Wir müssen geerdet bleiben und dürfen nicht vergessen, wo wir herkommen. Aber wenn wir gut gearbeitet und die Jungs sich gut entwickelt haben, wollen wir auch nichts ausschließen.
Der Betze brennt: Würden Sie sich denn wünschen, beim Verein auch mal über einen längeren Zeitraum arbeiten zu können?
Anfang: Das wünschen sich viele Trainer. Die meisten Vereine wünschen es sich auch, und trotzdem kommt es nur in Ausnahmefällen zu längeren Zusammenarbeiten. Wir haben vorhin ja ein paar Namen genannt, und dort hat sich auch nachhaltiger Erfolg eingestellt. Ich würde mir wünschen, dass man gemeinsam mal eine Phase durchsteht, die unruhig und holprig ist, weil da kann man wahnsinnig viel draus lernen, auch voneinander. Und hinterher ist die Verbindung dann noch intensiver. Es müssen aber alle, auch die Fans, immer das Gefühl haben, dass es insgesamt in die richtige Richtung geht. Da gehört viel dazu, ich weiß.
Der Betze brennt: Am Donnerstag wird der Spielplan für die kommende Saison veröffentlicht. Haben Sie einen Wunschgegner zum Auftakt?
Anfang: Schön wäre ein Heimspiel. Gegen wen, ist mir egal.
Der Betze brennt: Dann bleibt uns nur, Ihnen alles Gute zu wünschen und uns für das tolle Gespräch zu bedanken. Wir sehen uns zum Saisonauftakt. Hoffentlich bei einem Heimspiel. Egal, gegen wen.
Quelle: Der Betze brennt / Autoren: Eric Scherer, Thomas Hilmes