
Interview des Monats: FCK-Trainer Dirk Schuster, Teil 1/2
"Der FCK ist kein Job, sondern eine Bestimmung"
Wohin steuert der 1. FC Kaiserslautern mit Dirk Schuster? Wir haben den Trainer zum großen Sommerpausen-Interview getroffen und mit ihm über seine ersten Wochen bei den Roten Teufeln gesprochen.
Der Betze brennt: Dirk Schuster, ein Kollege hat unlängst von einem "zweiten ersten Date" geschrieben, das für Sie und Ihre Mannschaft mit der laufenden Saisonvorbereitung begonnen hätte. Demnach wäre das erste wohl eher "Speeddating" gewesen, da die Zeit zum Kennenlernen im Mai, unmittelbar vor den Relegationsspielen, sehr knapp war. Wie läufts denn beim zweiten Anlauf?
Dirk Schuster (54): Die Eindrücke, die wir damals beim Speeddating gewonnen haben, haben sich verfestigt. Wir haben eine Mannschaft kennengelernt, die wissbegierig ist, Neues aufnehmen will und bereit ist, an die Grenzen zu gehen, wie die Relegationsspiele gezeigt haben. Jetzt wird intensiv und hart trainiert. Wir haben Zeit, Einzelgespräche zu führen und mit den Spielern auch über unsere Erwartungen zu reden. Hinzu kommen Impulse und Reflexe durch die neuen Spieler - da sind wir Trainer gefordert, die Integrationsprozesse voranzutreiben. Der Geist, der innerhalb der Mannschaft herrscht, ist auch außerhalb des Platzes fantastisch. So ein paar Reibungspunkte ab und an sind manchmal aber auch gar nicht schlecht, um eine Hierarchie im Team herauszubilden.
"Die Neuen müssen begreifen, was es heißt, für Lautern zu spielen"
Der Betze brennt: Knapp bemessen ist die Zeit allerdings auch beim zweiten Date. Saisonstart ist schon Mitte Juli, da bleiben nur vier Wochen Zeit zur Vorbereitung ...
Schuster: Das ist knapp, definitiv. Normalerweise haben wir sechs, sieben Wochen zur Vorbereitung. Im Ausdauer- und Schnelligkeitsbereich arbeiten, dabei auch die sportmedizinischen Aspekte beachten, die Neuen integrieren, Automatismen einstudieren, die taktischen Dinge durchgehen - spielen wir künftig mit Vierer- oder Dreierkette? - das alles in dieses komprimierte Zeitfenster zu packen, ist brutal. Da müssen wir sehen, wie wir das koordiniert kriegen: Erstmal die taktische Einheit, wenn die Spieler noch aufnahmefähig sind, und anschließend die körperliche Belastung. Und die Neuen müssen begreifen, was es heißt, beim 1. FC Kaiserslautern zu spielen.
Der Betze brennt: Und das heißt?
Schuster: Verinnerlichen, dass dieser Verein für die Menschen hier eine Art Religion ist. Dass es kein Job ist, hier zu spielen, sondern eine Bestimmung. Ich hab neulich mal den Satz gehört: Viele Städte haben ein Stadion, aber dieses Stadion hat eine Stadt. Den fand ich großartig.
Der Betze brennt: Schauen wir nochmal zurück. Nach ihrem kurzfristigen Amtsantritt vor den Relegationsspielen hatten Sie angekündigt, gar nicht so viel ändern zu wollen, das mache in der Kürze der Zeit keinen Sinn. Dann haben Sie doch ziemlich viel geändert, unter anderem wieder von Dreier- auf die Viererkette umgestellt. Hatten Sie da nur geblufft oder hatten Sie in den Tagen vor dem Hinspiel tatsächlich schon so viele Erkenntnisse gewonnen, dass Sie diese Umstellung für angezeigt hielten?
Schuster: Beides. Unser Vorteil war: Wir wussten vieles über Dynamo Dresden, aber die wussten nicht, was wir machen würden. Ich hatte zufällig das vorletzte Spiel von Dresden in Karlsruhe gesehen, das Saisonfinale gegen Aue habe ich mir mit meinen Co-Trainer Sascha Franz zusammen angeschaut, auch die vorangegangenen Dynamo-Spiele hatten wir uns auf Video angesehen. Wir wussten: Unter Guerino Capretti hatten die immer 3-5-2 gespielt, da war keine Änderung zu erwarten. Und wir müssen die Außenbahnspieler Guram Giorbelidze und Agyemang Diawusie in Griff kriegen. Wir Trainer waren sicher, dass dies in einem 4-2-3-1 am besten funktioniert. Dies aber einer Mannschaft einfach so zu diktieren macht keinen Sinn. Wir mussten sie überzeugen. Also haben wir eine Woche vor der Relegation ein internes Testspiel gemacht. Team 1 spielte in der ersten Hälfte 4-2-3-1, Team 2 imitierte das Dresdner 3-5-2. In der Pause führte Team 1 mit 1:0. In Hälfte zwei ließen wir mit umgekehrten Formationen spielen - und Team 2 gewann mit 2:0. Danach haben wir die Spieler gefragt, in welchem System sie sich wohler gefühlt haben: Fast alle stimmten fürs 4-2-3-1. In der verbleibenden Woche haben wir dann die dafür passenden Abläufe geübt.
"Wir haben die Mannschaft vor dem Rückspiel auf alle Details vorbereitet"
Der Betze brennt: Dennoch lief das Hinspiel auf dem Betzenberg nicht optimal …
Schuster: Wir haben eigentlich gut begonnen. Wir wollten Dresden überraschen, sind von Anfang an voll drauf gegangen und haben das auch gut gemacht. Dadurch hat uns dann aber hintenraus die Kraft gefehlt. Wir haben durchgehend gut verteidigt, hatten jedoch nicht mehr die Dominanz und haben zu viele Bälle verschenkt. Und wir haben Chris Löwe nicht in den Griff gekriegt, der das Dresdner Spiel immer wieder ankurbelte.
Der Betze brennt: Der Druck vor dem Rückspiel war für beide Mannschaften extrem. Wie haben Sie Ihre Spieler mental vorbereitet?
Schuster: Wir wussten, was die Dresdner Fans für einen Alarm machen würden, auch schon mal Feueralarm, buchstäblich: Die Bielefelder zum Beispiel sind in der Nacht vor dem Spiel mal um ihren Schlaf gebracht worden, weil Dresdner Fans in ihrem Hotel Feueralarm ausgelöst hatten. Also haben wir uns ein Hotel außerhalb der Stadt gesucht. Wir wussten auch noch, dass die Dresdner vor dem Aue-Spiel ihren Rasen kurz vorm Anpfiff nochmal stark gewässert hatten.. Wir wussten ebenso, dass die Balljungen bei solch brisanten Spielen eine besondere Rolle spielen könnten, dass sie Einwürfe der Gastmannschaften eventuell verzögern, das eigene Team aber immer wieder sofort ins Spiel bringen könnten. Auf all das haben wir die Mannschaft eingestellt. Und dann haben wir uns noch die Sache mit den Bändchen einfallen lassen. In Darmstadt hatten wir schon mal so etwas Ähnliches gemacht.
Der Betze brennt: Bändchen?
Schuster: Jeder Spieler bekam ein Armbändchen, vorne mit seinen Initialen, innen mit dem FCK-Logo und dem Kopf eines Inuit drauf.
Der Betze brennt: Was sollte der denn da?
Schuster: Inuit stehen im Eissturm eng zusammen, und wenn der Wind dreht, drehen sie sich auch geschlossen vom Wind weg. Das wollten wir mit dem Inuit-Kopf symbolisieren. Auch wir Trainer haben diese Bändchen getragen. Das war wie ein Vertrag, den wir untereinander schlossen. Später haben wir dann mitbekommen, dass die Spieler die Bändchen sogar noch untereinander getauscht hatten, also dass jeder mit den Initialen eines anderen am Arm spielte. Das hat die Symbolkraft nochmal verstärkt. Tolle Sache.
"Jean Zimmer hat Bundesliga-Niveau - wieso sollten wir auf ihn verzichten?"
Der Betze brennt: Bei diesem Rückspiel war bis in jeden Winkel des Stadions eine ungeheuerliche Anspannung zu spüren. Selbst ältere Fans, die noch die Europapokalnächte der 1980er und 1990er Jahre erlebt haben, erzählten uns hinterher, eine solche Intensität in einem Fußballspiel noch nie gefühlt zu haben. Und Mitte der zweiten Hälfte, als die Dresdner auf den Ausgleich drängten, stand wohl jeder FCK-Sympathisant, ob im Stadion oder am Bildschirm, kurz vorm Herzkasper. Von ihnen am war im TV eine Einstellung zu sehen, in der sie ganz entspannt in die Kamera lächelten. Waren sie tatsächlich innerlich so ruhig?
Schuster: Nee, war ich gar nicht. Das muss wohl die Situation gewesen sein, als Jean Zimmer und noch zwei, drei andere Spieler auf mich zukamen und jeder meinte, Trainer, nimm mich raus, ich bin kaputt. Ich hab dann abgewunken und gesagt, nix da, ich kann doch nicht die halbe Mannschaft auswechseln (lacht). Vielleicht hab ich dabei gegrinst, es ist mir aber nicht bewusst geworden. So um die 70. Minute hatte ich dann auch das Gefühl, dass wir das Ding nach Hause bringen.
Der Betze brennt: Sie haben Jean Zimmer angesprochen. Das war ebenfalls eine Überraschung, dass Sie ihn in beiden Spielen in die Startelf beorderten, trotz seiner langen Ausfallzeit und erst ein paar Minuten Spielpraxis gegen Wehen Wiesbaden. Weshalb wollten sie ihn dabei haben?
Schuster: Zunächst mal, weil er gut trainiert hatte. Deshalb hatten wir ja auch Julian Niehues im Hinspiel gebracht. Und weil wir Zimmer gut kennen, aus seinen Zeiten, in denen er noch in der Ersten Liga die Außenbahnen rauf und runter gefegt ist. Wir wussten auch, dass er vergangene Saison gerade im Zusammenspiel mit "Hecke" (Philipp Hercher; Anm. d. Red.) gut funktioniert hatte. Warum also hätten wir auf einen Spieler verzichten sollte, von dem wir wissen, dass er eigentlich sogar Bundesliga-Niveau hat? Drum haben wir ihm vertraut und ihm gesagt, du spielst, solange die Füße tragen - wohl wissend, dass wir ihn höchstwahrscheinlich sowieso nicht rausnehmen (lacht).
Der Betze brennt: Mit Mike Wunderlich und René Klingenburg befinden sich zwei Spieler in Ihrem Kader, denen ein besonderes Verhältnis zu Ihrem Vorgänger Marco Antwerpen nachgesagt wird, die auch als dessen ausdrückliche Wunschspieler geholt wurden. Wie sind Sie mit den beiden umgegangen? Mussten Sie ihnen gegenüber eine besondere Sensibilität an den Tag legen?
Schuster: Die Gedanken hatte ich mir in der Tat auch gemacht. Ich muss aber sagen: Beide haben die Situation hochprofessionell angenommen. "Klinge" kam an meinem zweiten Tag zu mir und hat gesagt: "Trainer, ich weiß, ich war gestern durcheinander, aber jetzt bin ich wieder voll da und steh' voll hinter ihnen und der Mannschaft." Ich habe geantwortet: "Ist in Ordnung, das zeichnet dich doch aus, dass du für deinen ehemaligen Trainer Partei ergriffen hast. Und ich weiß, wie du dich gefühlt hast, ich hab das auch schon erlebt." Als junger Spieler war Joachim Streich mein Mentor und Trainer in Magdeburg. Nach dem Mauerfall ging er nach Braunschweig und ich bin ihm gefolgt, weil das sein ausdrücklicher Wunsch war. Im Herbst haben sie ihn dann entlassen. Da hab ich auch zwei, drei Einheiten gebraucht, um damit klarzukommen.
Morgen im zweiten Teil des großen DBB-Interviews: Dirk Schuster über seine Erfahrungen aus 35 Jahren Profifußball, die Ambitionen des 1. FC Kaiserslautern und die Rolle der Fans bei Neuverpflichtungen.
Quelle: Der Betze brennt / Autoren: Eric Scherer, Thomas Hilmes
Weitere Links zum Thema:
- Teil 2 des Interviews: "Lasst die Leute doch träumen - das finde ich super" (Der Betze brennt)
Ergänzung, 29.06.2022:

Foto: MS-Sportfoto
Interview des Monats: FCK-Trainer Dirk Schuster, Teil 2/2
"Lasst die Leute doch träumen - das finde ich super"
Teil 2 unseres großen Sommerpausen-Interviews: Dirk Schuster spricht über seine Erfahrungen aus 35 Jahren Profifußball, die Ambitionen des 1. FC Kaiserslautern und die Rolle der Fans bei Neuverpflichtungen.
Der Betze brennt: Dirk Schuster, wie schwer war für Sie die Entscheidung, eine Mannschaft am Ende einer Saison zu übernehmen, unmittelbar vor zwei Relegationsspielen? Warum haben Sie sich das angetan?
Dirk Schuster (54): Wie bitte? Man hat mir die Chance gegeben, mit diesem Verein in nur zwei Spielen in die Zweite Liga aufzusteigen. Die Formulierung "sich das antun" ist in diesem Zusammenhang ja wohl ziemlich daneben.
Der Betze brennt: Wenn Sie aber gescheitert wären, wären Sie direkt verbrannt gewesen, oder zumindest stark angeschlagen in die neue Saison gegangen. Das muss Ihnen doch durch den Kopf gegangen sein.
Schuster: Daran habe ich keine Sekunde gedacht. Sascha Franz und ich haben uns lange mit Thomas Hengen unterhalten, und auf der Basis dieses Gesprächs waren wir überzeugt, es zu schaffen. Wenn wir die Grundstimmung im Team ändern, die nach drei Niederlagen in Folge bescheiden war, wenn wir die Spieler von unserem Weg überzeugen und auch das bisschen Glück haben, das du nunmal auch brauchst: Dann bist du nach nur zwei Spielen in der Zweiten Liga. Und wenn du es nicht schaffst, musst du eben nächstes Jahr neu angreifen. Gemeinsam mit dem Verein die richtigen Schlüsse, überlegen, wie du den Kader verstärkst - aufsteigen. Denn ein anderes Ziel hätte es in der nächsten Saison nicht mehr gegeben.
"Enge Kumpels waren Thomas Hengen und ich nie"
Der Betze brennt: Welche Rolle spielte Thomas Hengen bei Ihrer Entscheidung, an den Betzenberg zu wechseln? Sie kennen sich seit Ihrer gemeinsamen Zeit als Aktive beim Karlsruher SC und haben auch den Fußballlehrer gemeinsam gemacht. Seid Ihr alte Fußballkumpels?
Schuster: Nein, enge Kumpels waren wir nie, auch beim KSC schon nicht, dazu waren wir als Typen zu unterschiedlich. Wir sind gut miteinander umgegangen, aber dass wir regelmäßig ein Bier zusammen getrunken haben, das war nicht der Fall-. Im DFB-Pokal-Finale 1996 hatten wir ja noch gegeneinander gespielt. Später ging ich nach Köln, er nach Wolfsburg. Dann waren wir etwa zur gleichen Zeit in der Türkei, aber auch da haben wir uns nur kurz auf dem Platz gesehen. Den Fußballlehrer haben wir gemeinsam gemacht, aber das ist meist mehr ein nebeneinander als ein miteinander. Aktuell kam der Kontakt eigentlich mehr durch Sascha Franz zustande, der in der 3. Liga öfter unterwegs war. Ihn hat Thomas auch zuerst angerufen. Ich war gerade noch mit einer Produktion für "Sky Sport" beschäftigt, als ich vom Interesse erfahren habe.
Der Betze brennt: Apropos: Werden Sie in der Sky-Reihe "Matchplan" auch künftig noch zu sehen sein?
Schuster: Nein, jetzt nicht mehr. Aber es war eine tolle Erfahrung und eine Erweiterung meines Horizonts. Eine Mannschaft und ihren kommenden Gegner studieren, mit der du eigentlich nichts zu tun hast, und dann vor Kamera exakt erklären, wie du gegen sie spielen lassen würdest - das war auch für mich noch mal lehrreich.
Der Betze brennt: Wir haben uns zum Beispiel angeschaut, wie Sie das Anlaufverhalten erklären, mit dem Hertha BSC im Derby gegen Union Berlin vorgehen müsste. Das ist wirklich sehr anschaulich und gut verständlich. Erklären Sie das Ihren Spielern auch so?
Schuster: Im Prinzip ja. Fußball ist im Grunde eine einfache Sportart, die man auch entsprechend einfach erklären sollte. Und du hast ja oft auch Spieler in der Mannschaft, die nicht so gut Deutsch sprechen. Da macht es keinen Sinn, Dinge unnötig zu verkomplizieren und mit angeblichen Fußball-Fachwörtern um sich zu schmeißen.
"Transfers? Wir behalten und noch ein, zwei Patronen im Gürtel"
Der Betze brennt: Wie muss man sich die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Thomas Hengen in der Transferperiode vorstellen? Ist es eher der Sportchef, der Spieler vorschlägt, oder sind es eher Sie als Trainer, der ihn bittet, die eine oder andere Personalie mal abzuklopfen? Und wer hat das letzte Wort?
Schuster: Der Ablauf ist so, dass wir außerhalb der Trainingszeiten oft beim Thomas im Büro sitzen, und etwa auch die gleiche Zeit in der Scouting-Abteilung mit Olaf Marschall und den anderen verbringen. Wir schauen uns jede Menge Videos von Spielern an, auch etliche von solchen, die wir angeboten bekommen. Ideen darf und muss grundsätzlich jeder haben, und jeder bringt sein eigenes Netzwerk mit ein und nutzt seine persönlichen Kontakte. So war es etwa bei Andreas Luthe. Dass da was gehen könnte, wäre für mich fünf Wochen vorher noch undenkbar gewesen. Aber wir kannten ihn noch von Augsburg, hatten unsere Erinnerungen und Erfahrungen mit ihm, also haben wir ihn mal angerufen - und siehe da: Andy war sofort Feuer und Flamme.
Der Betze brennt: Auch wenn Sie sicher keine Namen nennen: Dürfen wir noch mit weiteren Hammer-Transfers rechnen?
Schuster: Das ganz große Transferfenster hat sich noch gar nicht geöffnet. Wenn die Vorbereitungszeit zu Ende ist und der eine oder andere erkennen muss, dass er in seinem Verein doch nicht die Rolle spielen wird, die er sich erobern wollte, wird sich noch einiges an Personal aus der Bundesliga nach unten verschieben. Darum werden wir uns noch ein, zwei mögliche Patronen im Gürtel behalten.
Der Betze brennt: Sie arbeiten ja gar nicht das erste Mal für einen FCK. Sie sind ja beim FC Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitzer FC, groß geworden, der sich ebenfalls FCK kürzelte. Und Sie haben auch noch einiges von der ehemaligen DDR mitbekommen. Wie weit hat Sie das geprägt? Steckte, zumindest in Ihren jungen Jahren, auch noch ein bisschen Ossi-Mentalität in Ihnen, also eine gewisse Abneigung gegen die Besser-Wessis?
Schuster: Nee. Ich schätze meine Heimat, war aber auch schon vor dem Mauerfall froh, wenn ich mal in den Westen durfte,. Als Nachwuchsspieler und später als Fußballprofi genoss ich das Privileg, mal auf Auslandsreisen gehen zu können. Da waren wir immer happy, wenn wir einen halben Tag freibekamen, um andere Dinge einzukaufen oder mal was anderes von der Welt zu sehen. Und die sah schon anders aus, als sie es uns in der Schule im Osten erzählt hatten. Es gab im Osten schöne Aspekte, aber auch sicher nicht so tolle: Als ich 2019 als Trainer nach Aue wechselte, habe ich in der Region gesehen, dass gewisse Strukturen und Seilschaften von damals sogar immer noch erhalten sind.
"Das Pokal-Endspiel KSC gegen FCK war eine wichtige Erfahrung"
Der Betze brennt: Dieses 7:0 gegen den FC Valencia mit dem KSC 1993 ist sicher das Spiel in Ihrer aktiven Karriere, auf das Sie am meisten angesprochen werden. Welche Partien waren für Sie denn noch bedeutend?
Schuster: Das Pokal-Endspiel mit dem KSC gegen den FCK 1996 war schon auch eine wichtige Erfahrung, auch wenn sie für uns damals äußerst negativ war. Wir hatten eine gute Runde gespielt, der FCK war abgestiegen, da sind wir nach Berlin gefahren und haben uns schon fast als Pokalsieger gefühlt. Und dann haben wir nix auf die Reihe gekriegt. Und bei Martin Wagners Freistoßtreffer geht der Ball erst mir durch die Beine und dann Claus Reitmaier, das war schon brutal. Und später mit dem 1. FC Köln abzusteigen, das war auch ein scheiß Gefühl. Mit dem KSC aber waren alle Uefa-Cup-Spiele Riesenerlebnisse. Ebenso wie meine Länderspiele. Einer von nur 19 Spielern zu sein, die sowohl für die DDR als auch für das vereinte Deutschland aufgelaufen sind, macht mich sehr stolz. Und meine Auslandserfahrung in der Türkei möchte ich ebenfalls nicht missen.
Der Betze brennt: Wer tippen soll, welcher Trainer Dirk Schuster am meisten geprägt hat, wird wohl als erstes Winfried Schäfer nennen. Ist das tatsächlich so? Wer hat Sie noch beeinflusst?
Schuster: Ich habe eigentlich von jedem meiner Trainer ein bisschen was mitgenommen. Joachim Streich war mein Mentor und Förderer. Winnie Schäfer war ein klasse Motivator, vor allem darin, eine Mannschaft auf ein Spiel einzustimmen. Peter Neururer war menschlich super und hatte ein überragendes Gefühl dafür, wann er ein Zuckerl geben darf und wann er dazwischen haut. Hans Krankl habe ich kurze Zeit bei Admira Wacker erlebt, auch der hat mir gefallen mit seiner lockeren Art und seinen Witzen, typisch Ösi (grinst). Bei Ede Becker in Karlsruhe habe ich hospitiert. Da hat er mal eine Situation gelöst, wo zwei Spieler sich fast an die Gurgel gegangen waren, das war überragend. Ebenso Uwe Rapolder, wenn er die Viererkette erklärt hat. Natürlich hat mir bei jedem Trainer auch mal was nicht gefallen, aber das ist ebenso normal.
Der Betze brennt: Sie gelten als Trainer, der die Spielweise Ihrer Mannschaft konsequent an deren Möglichkeiten anpasst. Was dazu führte, dass Sie nach dem Durchmarsch in Darmstadt als Trainer abgestempelt wurden, für den es nur Hoch-Weit gibt ...
Schuster: Im Fußball geht es darum, Tore zu erzielen und Tore zu verhindern - und um die Frage, wie kann ich das eine machen, ohne das andere zu vernachlässigen. Mit Darmstadt waren wir damals mit einem extrem kleinen Etat in die Bundesliga aufgestiegen. Die Qualität, die andere hatten, konnten wir uns nicht leisten. Also holten wir Jungs von der Resterampe - aber solche, von denen wir wussten, dass sie mal die Qualität hatten, für die es nun aber nicht mehr lief. Sandro Wagner zum Beispiel, den rief ich spätabends an und fragte: "Wo bist du gerade?" Er sagte: "In Berlin." Ich sagte: "Kannst du morgen um 11:00 Uhr in Darmstadt sein?" Er sagte: "Ich setz' mich sofort ins Auto und fahre los." Da wusste ich: Der ist richtig. Andere kamen, sahen sich unser Böllenfalltor-Stadion an und fragten, wann wird denn hier renoviert? Die durften gleich wieder nach Hause fahren. Dass wir unter solchen Voraussetzungen keinen Hurra-Fußball spielen konnten, war doch klar. Aber unsere Ergebnisse haben gestimmt, und dann sind wir eben in diese Schublade gesteckt worden. Wer unsere Spiele gesehen hat, weiß aber, dass wir auch fußballerisch gar nicht so schlecht waren.
"Die englische Form des Fußballs macht mir am meisten Spaß"
Der Betze brennt: Gibt es einen Fußball, den Dirk Schuster gerne spielen lassen würde, wenn er die Spieler dazu hätte? An welcher Mannschaft würden Sie sich orientieren?
Schuster: Ich denke, die englische Form des Fußballs macht mir am meisten Spaß. Immer powern, immer mit Tempo nach vorne und dann die individuelle Qualität ausspielen, so wie Manchester City oder der FC Liverpool das machen. Aber dazu muss ich auch sagen: Diese Vereine können nicht nur mit Kohle wedeln ohne Ende, um diese Spieler zu holen, die haben auch Top-Trainer, die dort schon seit Jahren arbeiten. Das ist etwas gewachsen.
Der Betze brennt: Das klingt, als wären Sie durchaus dafür zu haben, mal länger in einem Klub zu arbeiten. Auch wenn man in Deutschland dazu nur selten die Gelegenheit bekommt.
Schuster: Na klar. Das wünscht sich doch jeder. Bestes Beispiel ist doch der SC Freiburg mit Christian Streich, der auch nicht in Frage gestellt wird, wenn die mal absteigen. Oder Heidenheim mit Frank Schmidt, der da schon seit 15 Jahren im Amt ist.
Der Betze brennt: Nach dem Erfolgserlebnis der Relegation und den bisherigen Transfers kocht rund um den Betzenberg schon wieder die Euphorie hoch. Das sorgt einerseits für eine ungeheure Vorfreude auf die kommende Saison, andererseits muss man doch auch die Kirche im Dorf lassen. Wie stehen Sie dazu?
Schuster: Ich sage: Lasst die Leute doch träumen. Das finde ich super. Wenn es nur ein Thema in dieser Stadt gibt, das ist doch geil. Intern wissen wir doch, wie wir die Sache zu händeln haben. Wir wissen, wo wir herkommen, was wir können, was uns erwartet, wie unsere Zielsetzung ist. Andere dürfen gerne Träume, Fantasien und Wünsche haben - alles gut.
"Die Wucht aus der Relegation mit in die neue Saison nehmen"
Der Betze brennt: Den Satz, dass sie auch wegen der tollen Fans und der Betzenberg-Atmosphäre zum FCK kommen, hat man von Neuzugängen auch früher schon oft gehört. Diesen Sommer hat man aber nach der begeisternden Relegation, dem ausverkauften Saar-Pfalz-Derby und den Betze-Karawanen bei Auswärtsspielen den Eindruck, die meinen es wirklich so. Haben Sie auch dieses Gefühl?
Schuster: Und ob. Andreas Luthe hat es uns direkt am Telefon gesagt: "Ich habe die Relegation im Fernsehen gesehen, ich bin noch immer hin und weg." Ich hatte auch Freunden von mir Karten besorgt, die haben mir hinterher gesagt, gerne bitte wieder, wir sind jetzt FCK-Fans. Und was glauben Sie denn, weswegen wir am 15. Juli das Eröffnungsspiel der Zweiten Liga bestreiten dürfen? Weil die Fernsehmacher gesehen haben, was hier los ist. Für uns heißt das: dem gerecht werden. Und die Wucht aus diesen Spielen mit in die neue Saison nehmen.
Der Betze brennt: Besten Dank für das Gespräch!
Quelle: Der Betze brennt / Autor: Eric Scherer, Thomas Hilmes
Ergänzung, 07.07.2022:
Schuster: "Mentalität und Teamgeist schlagen Qualität"
In einer Woche eröffnet der FCK gegen Hannover die Saison in der 2. Liga. Dirk Schuster, Trainer des 1. FC Kaiserslautern, verrät im Podcast "Nur der FCK", wie er in einer stark besetzten Liga bestehen will.
Viel Zeit hatten und haben die Roten Teufel nicht, um sich auf die neue Saison in der 2. Liga vorzubereiten. Bedingt durch die Relegation und den anschließenden, wohlverdienten Urlaub der Spieler, blieben FCK-Coach Dirk Schuster und seinem Team nur gute vier Wochen, um sich auf die bevorstehenden Aufgaben einzuschwören.
"Wir mussten in diese vier Wochen sehr viel reinpacken, inklusive Transfers, die wir auch noch machen wollen. Hier werden wir noch Spieler sichten und Gespräche führen. Das ist sehr zeitaufwendig und intensiv", berichtet Schuster in der neuen Folge des SWR Sport Podcasts "Nur der FCK".
» Zum kompletten Podcast: FCK-Trainer Dirk Schuster bei "Nur der FCK" (ca. 40 Min.)
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Quelle und kompletter Text: SWR