The Valleys of the Green and Grey: Kritische Nachbetrachtung der Nationalmannschaft (Teil III/III)
Es war in einem Gebäude in Idar-Oberstein, von dem ich Blick auf das Tal und die beiden grünen Hänge hatte. Es hatte bei sommerlichen Temperaturen leicht bis mittelmäßig stark geregnet. Vom Tal stieg leichter Nebel auf, der leicht über den Hängen ritt und zusammen mit den Sonnenstrahlen ein beeindruckendes farbliches Gesamtkunstwerk bildete. Liebe auf den ersten Blick. Ein bisserl Rio de Janeiro.
I. See the Stars that shine so bright!
Vor dem ersten Spiel gegen 1860 München war ich nochmals extra in Idar-Oberstein gewesen um nach Edelsteinen zu suchen. Noch koine gefunden! War der Sportplatz doch sehr weit vom Zentrum entfernt. Das Spuil des FCK II hatte ich leider verpasst.
Bekannt unter Insidern ist die kleine Stadt für ihre kulinarischen Köstlichkeiten und touristischen Ausflugsmöglichkeiten. Ob Deutsches Mineralienmuseum, Felsenkirche oder Schloss. Viele attraktive Spots. Für die ganze Familie zu Empfehlen! Von den Großeltern bis zu den Kloinen.
Aber zurück zum sportlichen Abschneiden: Die WM 2018 in Russland war ein sportlicher Reinfall. Enttäuschend für Mannschaft, Trainer und Fans. Depression? Nein Danke!
1994 in den USA galt das deutsche Team ebenfalls als großer Favorit, da zu den Weltmeistern von 1990 die ehemaligen DDR-Stars hinzukommen sollten. Direkt nach der Wiedervereinigung. Man denke an die Herren Sammer, Doll, Kirsten und Marshall um nur einige zu nennen. Die DFB-Elf scheiterte bereits im Viertelfinale an Bulgarien.
Auch bei der diesjährigen Mannschaft gab der Gewinn des Konföderationscup 2017 mit einer B-Elf und der Sieg bei der U21 Europameisterschaft Anlass für eine sehr gute WM. Auch für eine positive Weiterentwicklung über die nächsten Jahre.
Allen Frust zum Trotz schmücken vier Sterne das Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft. Begonnen mit der Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz bis zum WM-Titel 2014 in Brasilien. Dazwischen der Gewinn der Heimweltmeisterschaft 1974 und der Weltmeisterschaft in Italien 1990. Ausschlaggebend für das positive Abschneiden waren immer die mannschaftliche Geschlossenheit und der Teamgeist.
Häufig entwickelte sich darauf aufbauend eine spielerische Leichtigkeit.
II. Konstruktiv aber Kritisch: Sportliche Nachbetrachtung und Konsequenzen
Der Trainer und die große Analyse (Pressekonferenz vom 29.08.2018)
Nach mehreren Stationen im Ausland übernahm Joachim Löw das Traineramt beim VFB Stuttgart. Zunächst als Co-Trainer, dann als Trainer. Mit dem VFB erreichte er 1998 das Finale im Europapokal der Pokalsieger, unterlag jedoch gegen dem FC Chelsea mit 0:1. Es war die große Zeit des VFB mit Spielern wie Elber, Bobic und Balakow. Auch als magisches Dreieck bezeichnet.
Seit 2004 ist Joachim Löw im Trainingsbetrieb beim DFB tätig. Begonnen hatte er als Co-Trainer unter Jürgen Klinsmann. Bundestrainer wurde er 2006. Der größte Erfolg von Löw war der Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien.
Bereits vor der WM verlängerte der DFB den Vertrag von Löw bis 2022. Grund waren wohl diverse Anfragen von größeren Vereinen.
Nach dem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft in der Vorrunde, geriet auch Jogi Löw in die öffentliche Kritik. Bevor die erste Pressekonferenz von Löw nach der WM thematisiert wird, ist es interessant zu erfahren wie Löw in der Fachpresse wahrgenommen wird. Wie beurteilt der Kicker Jogi Löw nach dem Ausscheiden? Zwiespältig!
Für eine Weiterbeschäftigung von Löw in der jetzigen Situation, nach der WM 2018, spricht seine Erfahrung junge Spieler zu einem guten Team zusammenzuführen. Löw gelte als großer Visionär und Entwickler.
Auf der anderen Seite bezeichnet der Kicker den Bundestrainer als Laisser-faire-Löw, dessen Wirkung nach außen zunehmend wichtiger wurde. Scheinbar fällt hierunter z.B. das morgendliche Joggen am Strand von Sotschi, welches von allen Fernsehkanälen aufgegriffen wurde.
Viele Medien sind auch pikiert über die Öffentlichkeitsarbeit von Löw. So wurde die Bekanntgabe des WM-Kaders kritisiert, da bei der Pressekonferenz keine Nachfragen der Journalisten beantwortet wurden. Der DFB und die Nationalmannschaft schotteten sich ab für die deutschen Fans und für die Medien. Ärgerlich für viele Familien, die sehr viel Aufwand betrieben um die Nationalmannschaft im Trainingslager in Südtirol zu besuchen.
Irgendwie passte bei der WM 2018 das Bild des Bundes-Jogi nicht, der Ruhe, Gelassenheit, und innere Stärke ausstrahlt in dynamischen Zeiten. So der Kicker in seiner Nachbetrachtung. Also Trainer auf Bewährung?
Jogi Löw fühlt eine „Ungebrochene Motivation und volle Energie“ (Kicker, 5.7.2018).
Am 29.08.2018 fand die erste Pressekonferenz nach dem Ausscheiden bei der WM 2018 statt, kurz vor dem Nations League Spiel gegen Weltmeister Frankreich in München. Hier der Link zur zweistündigen Pressekonferenz von Löw zusammen mit Manager Oliver Bierhoff:
https://www.youtube.com/watch?v=xHlK5bpio8M
Bei der Pressekonferenz des DFB wirkte Löw selbstkritisch und einsichtig bezüglich diverser Fehleinschätzungen. Er verwandte auch den Begriff Arroganz, als es um den Beibehalt des Ballbesitzfußballs ging. Diesen wollte er bei der WM perfektionieren.
Nachdem die Causa Özil schon recht ausführlich beleuchtet wurde, gilt der Blick auf die Spielweise, den Betreuerstab und die Kaderpolitik.
Entwicklung der deutschen Spielweise und Defizite
Der Ballbesitzfußball hat sich in der Ära Löw immer weiterentwickelt. So war die Weltmeisterschaft 2010 zunächst geprägt von einer kompakten Defensive und einem ordentlichen Konterfußball. 2014 griffen viele Rädchen ineinander. Löw selbst sprach von einer goldenen Mitte bei vielen Stellgrößen, die den Ballbesitzfußball des Weltmeisters von 2014 formten.
Als Weltmeister gilt man auf dem Papier und den Wettbüros in jedem Spiel als Favorit. Jeder Gegner ist defensiv ausgerichtet und setzt auf eigenes Konterspiel. Für den Trainer und seine Überzeugung von einem perfekten Ballbesitzfußball, fehlten bei der Weltmeisterschaft 2018 die positiven Rahmenbedingungen.
Zwar war die Laufleistung häufig gut. Allerdings fehlten die Sprints mit hoher Intensität und die Geradlinigkeit im Passspiel. Das Spiel wirkte statisch. 2014 kam jeder Ball nach 1,19 Sekunden zum Nebenmann. 2018 nach 1,5 Sekunden. Bedingt durch die taktische Ausrichtung der Gegner?
Bei der Chancenverwertung belegte das deutsche Team mit 9,5% den schlechtesten Wert aller 32 Teilnehmer. Schade dass das Team so früh ausgeschieden ist. Es wäre sehr interessant gewesen zu sehen wie Jogi Löw seine Taktik im Verlauf des Turniers an die jeweiligen Gegner angepasst hätte.
Was fehlte noch im Spiel des Weltmeisters von 2014? Der Enthusiasmus? Die Leidenschaft? Dribbling? Zweikämpfe und Spielfreude?
Größe des Betreuer-/Beraterstabs und Interaktion
Die hohe Anzahl an Betreuer wurde in der öffentlichen Debatte häufiger angeführt. Im Kicker vom 9.7.2018 wurde eine Zahl von 118 Mitarbeitern gezählt. Dabei handelte es sich um zwei Assistenten, einem Stürmer- und einem Torwarttrainer, Fitnesscoaches, Physiotherapeuten, Ärzten, Betreuern, Analysten, Köchen, Social –Mediabeauftragten. Gigantischer Wasserkopf?
Ausschlaggebend sollte die Effektivität des Teams sein. Der Kicker verlautete in seiner Serie über den Zusammenbruch des Weltmeisters einige Mängel in der Kommunikation und den Entscheidungsprozessen:
„Die einzelnen Akteure tauschen sich aus, diskutieren intensiv und verlieren sich dabei zuweilen in Details, wenn es um Fragen der Trainingssteuerung, der Regeneration oder der Spielvorbereitung geht.“ (Kicker, 9.7.2018)
„An der Stelle jedoch, an welcher der Entscheider sitzen sollte, klafft eine Lücke. Zu abgehoben wirkt Löw in diesen Tagen, als dass er für solch Profanes noch zu erwärmen wäre. Der Bundestrainer, klagen Mitarbeiter des DFB, sei nur noch schwer erreichbar – im realen wie im übertragenen Sinne -, er sei sprunghaft in seinen Entscheidungen, wechselhaft in seinen Überlegungen.“ (Kicker, 9.7.2018)
„Damals hatte Löw Hansi Flick als Assistenten an seiner Seite. Dieser war das Bindeglied zwischen Expertenstab und dem Chef. Einer, auf den Löw hörte und dem er sogar erlaubte, Standards zu trainieren, obwohl diese nun wirklich nicht zur technischen Raffinesse passten, welche die deutsche Mannschaft seit der WM 2010 auf dem Rasen zelebrierte.“ (Kicker, 9.7.2018)
Aus der Distanz ist es schwierig eine Einschätzung über die optimale Organisationsstruktur abzugeben. Wie wichtig war Hansi Flick für das Trainerteam? Der DFB reagierte mit personellen Änderungen. Es zeichnet sich eine Verkleinerung des Betreuerstabs ab.
Kaderzusammenstellung
Bei der Bekanntgabe des Kaders für Russland 2018 verzichtete Löw auf Leroy Sané und Sandro Wagner. Und sorgte mit der Entscheidung für Verwunderung bei den Experten.
Für Löw galt es die Balance zu finden zwischen Alt und Jung. Erfahrung und jugendlicher Frische. Weltmeister und Confedcupsieger. Oder doch ein Spieler der erfolgreichen U21? Viele Entscheidungen für den Bundestrainer.
Viel Konfliktpotential erregten die Personalien Özil und Gündogan, speziell nach dem vorzeitigen Ausscheiden in der Vorrunde. Allerdings auch schon bei den letzten zwei Vorbereitungsspielen, die mit lauten Pfiffen der Zuschauer begleitet wurden. Der Teamspirit konnte sich während des Turniers leider nicht entfalten. Nach dem Spiel gegen Schweden in der Nachspielzeit und in Unterzahl hätte es vielleicht noch mal entfachen können.
Wie geht es nun weiter? Alter darf kein Entlassungsgrund, Jugend kein Einstellungskriterium sein!
Ohne Özil, Gomez und vorläufig Khedira nimmt der Kader erste Konturen an. Kai Havertz, Thilo Kehrer und Nico Schulz wurden von Löw erstmalig nominiert. Leroy Sané, Nils Petersen und Jonathan Tah komplettieren den Kader für das Spiel gegen Frankreich am 6.9.2018 . Für viele Spieler ist die Nominierung zur Nationalmannschaft ein Kindheitstraum, der wahr wird. Und sollte jeden Spieler mit Stolz erfüllen.
Der Blick geht in die Allianzarena. Wie reagiert das Publikum? Was will der Zuschauer sehen: Freude, Leidenschaft und Einstellung.
III. Die Nationalspieler von Morgen: Nachwuchsleistungszentrum und DFB-Akademie
2017 gewann die deutsche U21 überraschend die Europameisterschaft in Polen. Tolles Turnier, das parallel zum FIFA Confederations Cup ausgetragen wurde. Die Erfolge verdecken allerdings die kritische Situation in anderen Altersklassen.
Stefan Kuntz schlägt Alarm: "Da sehen wir ein Vakuum"
http://www.kicker.de/news/video/2030303 ... akuum.html
Es zeichnet sich ab, dass einerseits weniger Toptalente im Nachwuchsbereich vorhanden sind. Zum anderen mangelt es an der Durchsetzungsfähigkeit gegen gleichaltrige bzw. ältere Spielern.
Der Jungprofi von heute bekommt vieles abgenommen. Viele Experten im Umfeld betreuen die Spieler ganzheitlich – rund um die Uhr. Krisensituationen werden quasi schon in der Entstehungsphase im Keim erstickt. Noch bevor die 5 in Mathe im Zwischenzeugnis leuchtet, sind auch schon die ersten Nachhilfeunterrichtsstunden geplant.
Ein gutes Zeugnis ist natürlich Voraussetzung für eine gute sportliche als auch berufliche Perspektive. Jedoch muss man die Balance zwischen Eigenverantwortung, Selbständigkeit und Eingriff von außen finden. Sehr komplex, da in die Erziehung Eltern, Eliteschulen, Berater, Verbände, Vereine, NLZ und DFB mehr oder weniger stark involviert sind.
Sicherlich stehen die Profis in spe unter einem großen Druck mit vielen Entbehrungen im privaten Bereich. Eine Karriere kann man ja auch nur begrenzt planen. Viele Faktoren können ausschlaggebend sein, dass es doch nicht klappt mit dem Traum in der Bundesliga oder gar der Nationalmannschaft.
Bereits seit mehreren Jahren plant der DFB eine eigene Akademie für die Nationalmannschaften mit mehreren Trainingsplätzen, DFB-Verwaltung und Pressezentrum. Die oben erwähnte Durchsetzungsfähigkeit zeigte der DFB im Streit mit der Galopprennbahn Niederrad, welche für den DFB ihren Platz räumen musste.
Es bleibt abzuwarten wie sich der DFB neu aufstellt. Der Fußball und der Sport im allgemeinem ist auch immer ein Abbild der derzeitigen Gesellschaft mit all ihren Erfolgen aber auch Problemen. Eine weitere Abschottung des DFB ist kontraproduktiv will man die Unterstützung der Bevölkerung gewinnen.
Viele Heimspiele in der jüngeren Vergangenheit sind nicht mehr ausverkauft, was auf die hohen Eintrittspreise, die familienunfreundlichen Anstoßzeiten und auf den oft wenig ansehnlichen Fußball bei Testspielen zurückzuführen ist.
Vielleicht sind die Nachwuchsleistungszentren und die Akademie Bestandteil einer möglichen Expertenrunde, welche von Matthias Sammer zum Wohl der Bundesliga angeregt wird:
Zum Wohl der Bundesliga: Sammer fordert Expertenrunde
http://www.kicker.de/news/fussball/bund ... runde.html