Nachdem die größten Experten bei DBB ihren Senf zum Spiel gegeben haben, habe ich mal herausgesucht, wie renommierte Sportjournalisten die Lage der Nation einschätzen:
Auszüge:
Michael Horeni, "FAZ"In den vergangenen vier Wochen in Südafrika hat sich die deutsche Fußballwelt verändert. Eine junge Mannschaft hat die Schönheit und Leichtigkeit des Fußballs für sich und für ihre Fans neu entdeckt. Von dieser Ästhetik made in Germany mit herausragenden Auftritten in der K.o.-Runde gegen England und Argentinien wollten in Südafrika weder Bundestrainer Löw, die Spieler noch ihre weltweit zunehmende Anhängerschaft genug bekommen.
Dass dieses Entdeckungs- und Erweckungserlebnis in der Begegnung mit Spanien am Mittwochabend in Durban ein jähes Ende fand, ist aber weder bitter, noch ungerecht. Das neue Fußball-Deutschland musste im Halbfinale mit an- und einsehen, dass andere trotz des spielerischen Sprungs immer noch besser Fußball spielen können. Beim Europameister Spanien ist über viele Jahre sportliches Selbstbewusstsein und Selbstverständnis gewachsen, das sich aus Qualität und Erfahrung speist – und nicht erst in den vergangenen sechs, sieben Wochen in einem teils berauschenden Schnellverfahren entstand.
[...] Es ist ein kopernikanisches Kabinettstück, das in Südafrika für den deutschen Fußball seinen Anfang genommen hat. Das deutsche Fußball-Bild steht auf dem Kopf. Deutschland mochte bei dieser WM nicht mehr „deutsch“ zum Erfolg kommen, mit Kampf und Kraft. Es kehrte mit Eleganz und Leichtfüßigkeit in die Weltspitze zurück.
Das Team hat Maßstäbe gesetzt wie keine andere Mannschaft seit der Auswahl von 1972, die das bisher gültige deutsche Schönheitsideal verkörperte. Dass in Südafrika die Frage nach der Qualität des Spiels überhaupt in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt ist, und die Wahrnehmung der Deutschen nicht mehr allein von der Ergebniseffizienz geleitet wird, hat eine sechsjährige Entwicklung zu ihrem vorläufigen Höhepunkt gebracht: vom Rumpelfußball zum Zukunftsfußball.
http://www.faz.net/s/RubAE3E0805439F480 ... ezial.htmlRoland Zorn "FAZ"Die verdiente 0:1-Niederlage gegen Europameister Spanien im Halbfinale von Durban als Scheitern zu bewerten, wäre indes unangemessen. Dafür hat das Team von Bundestrainer Joachim Löw im Laufe des Turniers viel zu oft die Massen daheim und am Kap begeistert.
Mit ihrem jugendfrischen, phantasievollen Erobererfußball hat diesmal die erste Fußballelf des Landes die Welt überrascht – vier Jahre, nachdem das gastfreundliche Land bei der WM 2006 die Entdeckung schlechthin war. Es hieß in der Republik am Kap Abschied zu nehmen von der zum Klischee geronnenen Vorstellung, die Deutschen könnten auf dem Fußballplatz ihre Aufgaben nur mit dem Ethos harter, disziplinierter, dafür leider auch unattraktiver, uninspirierter Arbeit lösen. In Südafrika setzte sich der Spieltrieb einer multikulturell grundierten Mannschaft durch, die ihre notwendigen Pflichten mit einer Kür für Genießer verband, die zuweilen atemraubend aufregend anmutete.
Sie haben so oder so diese oft zähe, manchmal gar langweilige WM mit ihrem mutigen, intelligenten Angriffsfußball erobert.
http://www.faz.net/s/RubAE3E0805439F480 ... ntent.htmlChristof Kneer "Süddeutsche Zeitung"Wer einen Blick auf die Turniere 2006, 2008 und 2010 wirft, erkennt hinter all der Partystimmung eine Linie, die nicht das Partyvolk, sondern die Experten beschäftigen dürfte. Wie kommt es, dass die deutsche Elf erst Lust & Laune, im entscheidenden Moment aber ein Gefühl von Ernüchterung und Entzauberung hinterlässt? Warum hört der Spaß immer im entscheidenden Moment auf? Die seriöse, planvolle Arbeit des Trainers Löw hat die Elf auf neue Höhen geführt, aber auf der höchsten Höhe ist die Luft noch zu dünn.
Es gibt keinen Zweifel an jenem Weg, den Löw mit seinem Team geht, aber wenn sich der Bundestrainer nun an die Inventur macht, wird er auch sich selbst ein paar konkrete Fragen stellen müssen. Wie kommt es, dass die Elf in entscheidenden Turnierspielen auf etwa anderthalb Torchancen kommt? Wie kommt es, dass im Mittelfeld nur Bastian Schweinsteiger die nötige Wettkampfhaltung und Wehrhaftigkeit entwickelt hat? Wie kommt es, dass nur der Gegner Gefahr aus Eck- und Freistößen zieht?
Fragen wie diese wird Löws akademisch veranlagte Crew nur beantworten können, wenn sie auch mal den Computer beiseite legt. Um auf der höchsten Stufe anzukommen, fehlt dem kopflastigen deutschen Spiel gelegentlich der Bauch. Es ist die Gefahr einer Elf, die so sehr nach Plan spielt: Wenn die Elf der Plan verlässt, wenn er nicht aufgeht oder der Gegner zu gut für den Plan ist - dann gelingt es der Internats-Generation nicht, die Ur-Instinkte dieser Sportart zu aktivieren. Die Hoffnung ist: Es gelingt ihr noch nicht.
http://www.sueddeutsche.de/sport/wm-nat ... h-1.972270Thomas Hummel "SZ"Deutschland war trotz des schwächlichen 0:1 im Halbfinale das Ereignis dieser Fußball-Weltmeisterschaft. Dass die Spanier die beste Mannschaft schicken, ahnte man vorher. Dass die Niederlande mit ihrer beachtlichen Offensivkraft und ein bisschen Glück gegen Brasilien das Endspiel erreichen, erschien möglich. Dass einige Mächte der Fußballwelt sich lächerlich machen (Frankreich), zu alt sind (Italien) oder sich selbst überschätzen (England, Argentinien), ist schon vergessen. Doch dieses aufregende, blühende Deutschland wird in Erinnerung bleiben.
Dabei hatte noch nie eine deutsche WM-Delegation mit so viel Unbill zu kämpfen gehabt wie vor diesem Turnier. Rolfes, Adler, Ballack, Träsch, Westermann verletzten sich, Hitzlsperger geriet total außer Form, Podolski und Klose reisten verunsichert an. Die Lage schien aussichtslos - und genau das nutzte Joachim Löw für sein Meisterwerk.
http://www.sueddeutsche.de/sport/wm-joa ... t-1.972008Nochmal Thomas Hummel "SZ"Die Frage, ob ein Thomas Müller auf dem Spielfeld der Partie eine andere Wendung hätte geben können, waberte durch die Katakomben in Durban. Die mit Abstand meist genannte Antwort war: ja.
Manager Bierhoff bemängelte, die Mannschaft habe "gerade in der ersten Halbzeit Nervosität und Unsicherheit gezeigt". Thomas Müller war noch nie nervös oder unsicher. "Wir hatten nicht diese Lust und die Frische, unsere Konter zu fahren" beklagte Miroslav Klose. Niemand spielte lustvoller und frischer bei dieser WM als Thomas Müller. Torwart Manuel Neuer kritisierte: "Das Umschalten haben wir heute nicht so gut gemacht." Thomas Müller war der schnellste Umschalter in ganz Afrika.
http://www.sueddeutsche.de/sport/wm-spa ... t-1.971742
Johannes Aumüller "SZ"
Dabei bedeutete dieses Turnier in Südafrika wahrscheinlich die einschneidenste und positivste Zäsur in der Geschichte der Nationalelf. Innerhalb von knapp vier Wochen haben Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller & Co. die Wahrnehmung eines Landes verändert. So bald gibt es keine Vergleiche mehr zwischen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und Panzern, stattdessen nur viel Respekt, Anerkennung und sogar Sympathie - selbst bei englischen Fans. Wäre der Begriff Sommermärchen nicht vergeben für jenes vielumjubelte, aber mindestens ebenso sehr verklärte Heim-Turnier vor vier Jahren - er böte sich nun an.
Die deutsche Mannschaft hat bei dieser WM drei Mal (gegen Australien, England und Argentinien) vorzüglichen und drei Mal (gegen Serbien, Ghana und Spanien) immer noch sehr anständigen Fußball gezeigt. Sie hat dabei die Verbindung mit den sogenannten deutschen Tugenden gekappt, sie ist nicht raubeinig, grobschlächtig und rumpelfüßlig aufgetreten, sondern filigran, intelligent und voller feinem Esprit. Bisweilen hat sie sogar gezaubert. Und wenn jemand vor dem Halbfinale behauptet hatte, bislang sei Deutschland die spielerisch überzeugendste Mannschaft gewesen, konnte niemand ernsthaft widersprechen.
http://www.sueddeutsche.de/sport/wm-deu ... t-1.971733Jens Weinreich "Spiegel Online"Nur: Zur Dialektik des Fußballs gehört ganz einfach das Prinzip von Wirkung und Gegenwirkung. Die Spanier waren nicht bereit zuzulassen, was England und Argentinien zuließen. Andersherum: Die Deutschen waren kaum einmal in der Lage, in Spaniens Abwehrblock, der in den vergangenen Spielen einige Schwächen offenbarte, Unheil anzurichten. Deutschland konnte nicht wirkungsvoll kombinieren, vielleicht weil diesmal der Mut fehlte, aber auch weil die Spanier das verhinderten.
Die Südeuropäer hatten Respekt vor den Deutschen, das war in den ersten Minuten deutlich zu beobachten, doch dann zogen sie ein Pressing ungeahnter Qualität auf, weit in der gegnerischen Hälfte. Damit ließen sie das deutsche Spiel nicht zur Entfaltung kommen und provozierten lange Pässe, die im Nirgendwo landeten oder vom zentralen Abwehrblock abgefangen wurden.
Natürlich ließen die Spanier den Ball wieder minutenlang zirkulieren. Die Passsicherheit war größer als in allen Spielen zuvor, wenngleich es die Deutschen ihrerseits zu verhindern wussten, dass Andrés Iniesta und Xavi ihre gefürchteten Bälle in die Lücken setzten. Das war, alles in allem, Abwehrarbeit auf hohem Niveau - aber eben nicht gut genug für die Spanier.
http://www.spiegel.de/sport/fussball/0, ... 03,00.html
"Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden." (Nick Hornby, "Fever Pitch") #Unzerstörbar