Hohe fußballerische Ansprüche an sich stellen, ist das eine. Sie umsetzen können, das andere. Das veranschaulichte der 3:1-Sieg von Hannover 96 über den 1. FC Kaiserslautern recht eindrucksvoll.
Hinterher sagen zu müssen, dass seine Mannschaft die ersten 25 Minuten gar nicht im Spiel war, muss deprimierend sein für einen Trainer. Erst recht, wenn er in der Pressekonferenz vor der Partie noch erklärt hatte, dass das "Verteidigen am Mann" eines der zentralen Themen gewesen sei während seiner Trainingsarbeit in der Länderspielpause. Weil auch das Heimspiel unmittelbar davor mit 3:4 verloren worden war und es auch da mit dem "Verteidigen am Mann" nicht so geklappt hatte.
Und dann gestattet seine Mannschaft im darauffolgenden Auswärtsspiel schon unmittelbar nach dem Anpfiff dem Gegner eine beinahe "Hundertprozentige". Nur drei Minuten später bietet sie dem Gastgebern zentral aus sieben Metern eine Möglichkeit zum Einköpfen. Und nach nicht einmal sechs Minuten schnackelt's dann endgültig. In einem Moment, den Spielführer Daniel Hanslik - er trug die Kapitänsbinde, da Marlon Ritter (Oberschenkelprobleme) und Kenny Redondo (Zehverletzung) ausfielen - hinterher als "unerklärlich" bezeichnete, Und nach dem sich jeder, "der auf dem Platz stand, hinterfragen" müsse.
Damit gemeint hat er vermutlich, dass der 96er Hyun-Ju Lee nach einer zu kurz abgewehrten Ecke traf. Dergleichen nämlich pflegen die Lautrer normalerweise recht gut zu verteidigen.
Standards entscheiden - nur auf den ersten Blick
Allerdings: Auch die zuvor erwähnte Kopfballchance resultierte aus einem Eckstoß. Ebenso das 2:1 der Hannoveraner in der 72. Minute. Das dem 96er Max Christiansen zugeschrieben wurde, weil dessen Kopfball aufs Tor gezielt war, auch wenn der entscheidende Richtungswechsel danach von Lauterns Jannis Heuer kam. So ist die offizielle Regel, auch wenn im FCK-Lager anschließend mehrheitlich von einem "Eigentor" die Rede war.
Im übrigen fiel auch der zwischenzeitliche Ausgleichstreffer nach einer Ecke. Getreten hatte Erik Wekesser, Jan Elvedi geköpft, 96-Keeper Ron-Robert Zieler an die Latte abgewehrt, Ragnar Ache, wer sonst, das Leder mit der Stirn über die Linie gedrückt.
Was nach diesem Schnelldurchlauf zu dem Schluss verleiten könnte: Dieses Spiel wurde über Standardsituationen entschieden. Womit auch Markus Anfangs Einschätzung hinkäme, Hannovers 2:1, so kurz nach dem Ausgleich erzielt, sei spielentscheidend gewesen.
Und sich, im Subtext, diese Niederlage aus Lautrer Sicht vielleicht sogar als unglücklich bezeichnen ließe, weil quasi durch ein Eigentor besiegelt. Der dritte Treffer des eingewechselten Thaddäus Momuluh in der Nachspielzeit könnte dabei unbeachtet bleiben. Wie sich zuvor allerdings der ebenfalls eingewechselte Havard Nielsen gegen Dickson Abiama und Jan Elvedi durchsetzt, sollte ebenfalls nochmal mannschaftsintern besprochen werden - unter dem Gesichtspunkt "Verteidigen am Mann".
An dieser Niederlage war nichts unglücklich
Wer das Spiel jedoch über die volle Distanz betrachtet und genauer hingesehen hat, wird zugeben müssen: Dieses 1:3 war ganz und gar nicht unglücklich. Sondern nachvollziehbares Resultat eines Aufeinandertreffens zweier Mannschaften, die für Zweitliga-Verhältnisse fußballerisch gehobene Ansprüche an sich stellen möchten. Von denen die eine sich aber wesentlich weiter präsentierte, was deren Umsetzung angeht.
Wobei angemerkt werden darf, dass 96-Coach Stefan Leitl bereits im dritten Jahr in Hannover arbeitet, in Lautern aber Markus Anfang noch am selbigen steht. Spekulationen, ob ihm im permanent fiebrigen Klima des Betzenbergs ähnlich viel Zeit gegeben wird wie seinem Kollegen, ersparen wir uns.
Das "Verteidigen am Mann" ist jedoch nur ein Punkt, der am Auftritt der diesmal mintblauen Teufel zu bemängeln ist. In der erwähnten PK vor dieser Partie berichtete der FCK-Coach, das "Kettenverhalten" seiner Jungs sei ebenfalls Trainingsschwerpunkt während der Länderspielpause gewesen - "sowohl, wenn der Ball im Zentrum ist, als auch, wenn er sich auf dem Flügel befindet."
Verbesserungen im Kettenverhalten? Wo denn?
Dass dabei Verbesserungen erzielt wurden, war in Hannover ebenfalls nicht zu erkennen. Die 96er fanden in ihrem Angriffsdrittel immer wieder Anspielstationen, sowohl in der Mitte als auch auf den Außenpositionen. Während den Lautrern vor allem in der ersten Hälfte kaum Aktionen gelangen, die ins gegnerische Angriffsdrittel führten, und auch in Hälfte zwei wurde es nur in wenigen Phasen besser.
Das am Ende einigermaßen ausgeglichene Ballbesitzverhältnis von 51:49 täuscht da gewaltig. Die Feindaten zeichnen ein wesentlich aufschlussreicheres Bild. Die Niedersachsen überschritten bei Ballbesitz 66 Mal die Mittellinie, die Pfälzer nur 51 Mal. Den gegnerischen Strafraum erreichten sie 22 Mal, die Gäste nur 14 Mal. Und vor allem in der ersten Hälfte endeten etliche Lautrer Ballbesitze schon nach wenigen Sekunden, so dass niemals Ruhe in ihr Spiel einkehrte.
Ein verbesserter Tomiak genügt nicht
Erst ab der 39. Minute wurde er es etwas besser. Das Signal setzte Boris Tomiak, der einen gegnerischen Umschaltmoment an der Mittellinie stoppte, sofort zu Philipp Klement passte, in Gegners Strafraum durchstartete und ein Zuspiel Aaron Opokus aufnahm. Seinen Schuss wehrte Zieler jedoch ab. Worauf das Leder bei Ache landete, der er es nicht recht unter Kontrolle bekam, um einen satten Torschuss abzusetzen.
Überhaupt Tomiak: Diesmal für den erkrankten Jan Gyamerah wieder als Sechser aufgestellt, präsentierte er sich gegenüber dem 3:4 gegen Hertha zuletzt wieder deutlich verbessert. Gewann defensiv jeden Zweikampf - gegen Berlin dagegen waren es nur 72 Prozent. Und seine Passpräzision verbesserte sich gegenüber dem vorangegangen Heimspiel von 75 auf 86 Prozent.
Tomiaks Auftritt allein konnte die Schwächen im FCK-Spiel aber auch nicht kaschieren. Dessen Kernproblem war gar mal das Zweikampfverhalten seiner zentralen Abwehrspieler, auch wenn der Quasi-Eigentorschütze Heuer hinterher hart mit sich selbst ins Gericht ging. Das Defensivverhalten des Teams insgesamt stimmte nicht. Die einzelnen Mannschaftsteile standen zu weit auseinander und öffneten so dem Gegner immer wieder Räume.
Wechsel für mehr defensive Stabilität helfen nicht
Da half es auch nicht, dass Anfang diesmal, im Gegensatz zum Berlin-Spiel, nach dem 1:1 nicht auf Sieg gehen, sondern mehr Robustheit nach hinten herstellen wollte. Er brachte den wuchtigen Filip Kaloc für den filigranen Klement und Mittelfeldrenner Tobias Raschl für Linksaußen Opoku. Half nichts. Das 1:2 fiel dennoch.
Darauf, dass nun nach zwei Niederlagen in Folge mit insgesamt sieben Gegentoren vor der Partie am kommenden Samstag gegen Hamburger SV nun schon wieder gehörig Druck auf dem Kessel ist, müssen wir hier nicht ausführlicher eingehen. Das werden in den nächsten Tagen genug andere tun. Wir möchten Markus Anfang nur wünschen, dass er sich bis auf Weiteres weniger an seinen fußballerischen Idealvorstellungen orientiert als am Pragmatismus seines Vorgängers Friedhelm Funkel. Der ihm vor seiner Verpflichtung ja ein wichtiger Ratgeber gewesen sei, wie er bei seiner Vorstellung erzählte.
Wenigstens ein Lichtblick: Daisuke Yokota
Unsere üblichen Standard-Visualisierungen helfen diesmal nicht viel weiter. Die Wahrheit ist, wie schon besprochen, den Feindaten versteckt. Die xG-Timeline zum Beispiel weist ein 2,86 : 2,26 zugunsten Hannovers aus. Das klingt knapper, als es war. Der Lautrer Wert resultiert im Grunde nur aus zwei Chancen.
Die Passgrafik des Anfang-Teams zeigt: Die Spielanlage war diesmal wieder näher an einem symmetrischen 4-1-2-3 als zuletzt. Sie bildet allerdings, wohlgemerkt, nur die Formation bei Ballbesitz ab. Gegen den Ball sollte es zumindest hin und wieder wohl ein 5-4-1 sein. Dies allerdings wurde schlecht umgesetzt.
Zum Vergleich die Passmap der Hannoveraner: Wer die Nummer 23 ist, also der zentrale Dreh- und Angelpunkt im Aufbauspiel der 96er, müssen wir wohl niemandem mehr erklären, der hier regelmäßig liest. Oder doch? Also gut, dieses eine Mal noch: Marcel Halstenberg.
Und zu guter Letzt die Überkreuz-Übersicht über die Duelle. Da sei auf Debütant Daisuke Yokota aufmerksam gemacht: Der gewann am Flügel, wo er auf Hannovers Linksverteidiger Bartlomiej Wdowik traf, fast jedes Duell. Setzte er sich aber weniger stark durch, wenn es ihn in die Mitte zog, wo ihn Halstenberg oder Christiansen in Empfang nahmen. Unterm Strich aber einer der wenigen Lichtblicke im Spiel des FCK.
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer
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