Der 1. FC Kaiserslautern hat am Samstagabend den Betze zum Brennen gebracht. DBB-Autor Marky über alte Helden in neuen Zeiten und einen Verein, der zu sich selbst findet.
Horst Schömbs macht den Job schon 30 Jahre. Aber am Samstagabend kam er beim Vorlesen der Startaufstellung des 1. FC Kaiserslautern dann doch einmal ins Stocken. Und mit ihm der Großteil des Stadions. Denn es ging um den Kapitän dieses Spiels. Nicht Jean Zimmer oder Marlon Ritter, wie zuvor, auch nicht Boris Tomiak. Sondern Kenny Redondo.
Meine erste Reaktion im Block war: "Was? Wer ist heute Captain? Redondo? Gibt's nicht". Und das war alles andere als abschätzig gemeint. Denn ich habe mich schon länger in meinem FCK-Freundeskreis als Fan des Deutsch-Spaniers geoutet. Sein Sprint und sein erfolgreicher Abschluss in der Drittliga-Saison im Ludwigspark haben mich angefacht. Seitdem er mit der Pike, wieder gegen Saarbrücken, vor der Westkurve zum 3:1 getroffen hat, bin ich Feuer und Flamme. Und dann gibt es noch zwei Tore, die für mich "insane" sind: Ein Kopfball in diesem unvergleichlichen Betze-Comeback-Spiel gegen Darmstadt 98 zum 1:2 und zur Krönung ein Flugkopfball nach Ritter-Flanke zum zwischenzeitlichen 3:2 nach gnadenlos geilem Spielzug.
Kenny ist der Mann für die Eskalation. Und immer wieder denke ich dann: "Was? Was zur Hölle war das denn gerade?"
Bei meinen FCK-Kumpels stand ich lange mit meiner Meinung über den Prinzen (nicht Ragnar) alleine da. "Der Redondo kann nur schnell rennen. Wie der Roadrunner", schallt es mir dann entgegen. Seine Kritiker sagen auch, dass ihm die Konstanz fehle und er deswegen immer wieder zwischen Ersatzbank und Startelf pendele. Und doch getraut sich dieser 1,80 große Mann immer wieder Sachen, die eigentlich nicht zu seinen Stärken gehören. Wie die Kopfbälle gegen Darmstadt. Und das, obwohl er jetzt nicht mit ausgeprägtem Selbstwertgefühl daherkommt. Er sei eher ein vorsichtiger, sensibler Typ, sagte Redondo einmal in einem Podcast des SWR. Ich habe in diesem Zusammenhang neulich diese wunderbar passenden Sätze gelesen (in einem Tagebuch für Kinder von Dominik Spenst): "Was ist eigentlich Mut? Wenn du etwas tust, das du für richtig und wichtig hältst, obwohl du Angst davor hast." Und: "Mut ist nicht, keine Angst zu haben, sondern es trotz der Angst zu tun."
Wegen dieser Eigenschaften ist Kenny mein Lieblingsspieler.
Berüchtigt ist Redondo auch wegen seines Spiderman-Jubels. Er macht ihn für seinen ältesten Sohn, der ein großer Fan der Reihe ist. "Superhelden sind stark, sie haben aber auch ihre Schwächen. Das macht ihnen jedoch gar nichts aus. Warum? Weil sie wissen, dass jede Schwäche in eine Stärke umgewandelt werden kann." (Quelle: das oben erwähnte Tagebuch)
Redondo war auch schon da, als der FCK gerade so den Sturz in die Regionalliga verhindern konnte. Diese Zeit habe ihm gezeigt, was man mit Willen und Mentalität alles erreichen kann, nicht nur im Fußball, sagte er in einem Gespräch mit der "Rheinpfalz".
Vor der Saison wurde Redondo in den Mannschaftsrat gewählt. Er hatte es dem Team so vorgeschlagen, dass er darauf Bock hätte und gerne für die Mannschaft sprechen möchte. Es sei keine leichte Aufgabe, aber eine wichtige.
2020 kam der gebürtige Münchner von der SpVgg Fürth auf den Betze. Am 4. Mai 2024 führte er die Roten Teufel gegen Magdeburg nun als Kapitän aufs Feld. Als Redondo in der 64. Minute ausgewechselt wurde, stand er sehr nahe an der Südtribüne und ging dort vom Feld. Stefan Kersthold fragte den Torschützen des 3:0 im SWR später augenzwinkernd, ob er die lange Runde gewählt habe, um sich feiern zu lassen. Redondo antwortete fast genervt: "Was heißt feiern ...". Er habe den Fans etwas zurückgeben wollen.
Die Südtribüne stand geschlossen auf. Redondo bedankte sich für die Wertschätzung, guckte fast scheu hoch in die Ränge, klatschte und schaute dann wieder nach unten. Ich stellte mir schon vor, wie ihn die rund 15.000 auf unserer gigantischen Stehplatz-Tribüne mit Sprechchören feiern würden. Doch Vorsänger Justin und Co. verpassten den Moment und stimmten ein anderes Feier-Lied an. Womöglich, weil es sich hinter ihrem Rücken abspielte. Und irgendwie hat es auch gepasst. Weil Redondo eben kein Star ist und auch keiner sein will. Beklatscht wurde er im Westen trotzdem tausendfach - und auch die Nordtribüne erhob sich.
Einer, der das Rampenlicht scheut, ist auch Daniel Hanslik. Der FCK-Stürmer sagte im Nachgang des 4:1-Sieges, dass man manchmal auch durch Leidenschaft und Wille spielstarke Mannschaften niederringen müsse. Er hob explizit die Laufarbeit von Kaloc und Raschl und Redondo hervor. Letzterer sei 70 Minuten wie ein Irrer angelaufen - vergleicht hierzu bitte die Heatmap in Eric Scherers vorzüglicher DBB-Analyse. Demnach veranstaltete Redondo seine "Hetzjagden" fast überall auf dem Platz.
Hanslik selbst konnte zwei Tore beisteuern. "Man sieht ab und zu, dass ich doch noch ein wenig Torinstinkt habe", sagte der sympathische 27-Jährige, der in der Hinrunde eher als Blocker im Mittelfeld eingesetzt wurde, in gewohnter Bescheidenheit. Dabei konnte Hanslik schon überlebenswichtige Tore für den FCK erzielen: zum Beispiel 2021 im Abstiegskampf und ein Jahr drauf das 1:0 im Aufstiegsendspiel in Dresden.
In der Pressekonferenz vor dem Spiel hob FCK-Trainer Friedhelm Funkel Bemerkenswertes hervor: "Redondo, Hanslik, Zolinski - die haben FCK-Blut in ihren Adern, sie geben alles für diesen Verein! Filip Kaloc ist genauso. Das ist ein typischer Betze-Spieler. Du brauchst hier Spieler, die den Betze-Mythos leben, so wie früher Werner Melzer, der jetzt 70 wurde, oder 'Wolle' Wolf!"
Und ein wenig schien es so, als ob Funkel uns da allen ins Gewissen reden würde.
In einer Saison, in der sich der ganze Verein, Manager, Trainer, Mannschaft, Fans, auf einer Art Selbstfindungs-Trip befindet, Antworten auf diese Fragen sucht: Was wollen wir und wer oder was wollen wir sein?
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Marc Bartl
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