Taktik-Nachlese zum Spiel FCK-FCSP

DBB-Analyse: Zu viele Böcke versauen Aches Traumdebüt

DBB-Analyse: Zu viele Böcke versauen Aches Traumdebüt


Offensiv verbesserungswürdig, defensiv recht ordentlich, am Ende aber ein paar Fehler zu viel - so ließe sich die 1:2-Auftaktniederlage des 1. FC Kaiserslautern gegen den FC St. Pauli wohlwollend erklären. Etwas mehr Kritik muss aber schon sein.

Die Diskussionen begannen schon eine halbe Stunde vor dem Spiel. Noch an den Drehkreuzen, wo die Fans in der Schlange standen und auf ihren Smartphones einen ersten Blick auf die Mannschaftsaufstellungen werfen durften. Der wegen Knieproblemen angeschlagene Terrence Boyd war nun doch nicht in die Startelf nominiert worden, schaffte es nicht mal in den Kader. Neuzugang Ragnar Ache startete nur auf der Bank, dagegen durfte Tyger Lobinger von Beginn an ran. Das war nicht das, was die Mehrheit sich erhofft hatte, aber auch nicht so überraschend. Boyd nach Verletzung und Ache nach seinem Transfer hatten nur wenige Trainingseinheiten mit der Mannschaft absolviert, Lobinger dagegen hatte in fast allen Vorbereitungsspielen den Mittelstürmer gegeben und dabei auch mit Toren überzeugt.

Auch Kevin Kraus, obwohl nach seiner Sprunggelenk-OP schon länger wieder im Training, saß nur auf der Bank. Mit Boris Tomiak und Jan Elvedi waren nur zwei gelernte Innenverteidiger in der Startelf auszumachen. Dann würde Schuster nun wohl doch wieder mit Viererkette beginnen, so die einhellige Meinung.

Überraschung: Niehues zentrales Kettenglied in der Abwehr

Doch siehe da: Wieder mal überraschte der FCK-Trainer. Er behielt die bevorzugte Startformation der finalen Testspiele, das 3-4-3, bei und zog Sechser Julian Niehues als zentralen Mann in die Dreier-Abwehr zurück. Eine für ihn ungewohnte Rolle, die ihm aber Freude bereitete, wie er nach dem Spiel in diversen Interviews verriet. Lässt sich als Zeichen des Vertrauens werten, das der Coach mittlerweile in die taktische Flexibilität seiner Jungs hat. Ob Niehues dieses rechtfertigte? Unterm Strich ja - außer in der Situation, die zum Führungstreffer der Gäste führte.

Bis zu diesem allerdings waren bereits 51 Minuten gespielt, in denen ein typisches Auftaktspiel zu sehen war. Zwei Mannschaften, die sich hochkonzentriert gegen den Ball verschoben, nach vorne aber nicht allzu viel riskierten, um nicht den ersten Fehler zu machen und in Rückstand zu geraten. 22 Spieler, die sich allesamt als gelehrige Schüler profilieren wollten: Sie hatten brav ihre Hausaufgaben gemacht, folgten exakt den Anweisungen ihrer Lehrmeister. Und waren vor allem um gute Betragensnoten bemüht. Keiner wollte als frech oder vorlaut auffallen.

Außer vielleicht die Sankt Paulianer Elias Saad und Marcel Hartel. Die sorgten nach zwölf Minuten für eine erste Torszene, als sie sich schön über die linke Seite in die Mitte kombinierten und Hartel von der 16-Meter-Linie abzog. FCK-Keeper Andreas Luthe parierte. Und in Minute 40 strich ein Saad-Kopfball aus sieben Metern nur haarscharf am langen Eck vorbei. Geflankt hatte der rechte Schienenspieler Manolis Saliakas.

Und Lautern?

Lauterns Offensivspiel: Langholz ins Angriffsdrittel

Verzeichnete am Ende den meisten Daten-Anbietern zufolge einen Ballbesitzanteil von 50 Prozent, bundesliga.de hat nur 47 Prozent analysiert, aber egal: Für eine Mannschaft, die "Schusterball" spielt, sieht das eigentlich nach hohen Spielanteilen aus. Doch die Werte trügen. Der Ball lief die meiste Zeit nur durch die hinteren Zonen. Das Angriffsdrittel wurde fast nur über den langen Ball angepeilt. In der Hoffnung, dass einer der beiden Flügelspieler, Kenny Redondo und Aaron Opoku, im rechten Moment in die Tiefe startet und das Leder vor seinem Gegenspieler erreicht. Redondo gelang dies exakt einmal, und das bereits in der sechsten Minute. Er spielte anschließend sogar Innenverteidiger Jakov Medic aus, seine Flanke aber wurde von Schlussmann Nikola Vasilj locker abgefischt.
Oder aber Lobinger sollte den langen Ball prallen lassen oder auf seine Nebenleute weiterleiten. In diesen Disziplinen hat der 24-Jährige zwar sichtlich Fortschritte gemacht, doch erreicht er längst noch nicht die Wirkung eines Terrence Boyd an guten Tagen. Dafür arbeitete er konzentriert nach hinten mit, folgte etwa auch Eric Smith, dem Mittelmann der Hamburger Dreierkette, wenn dieser sich nach vorne schob.

Einziger Lichtblick in Hälfte Eins: Zucks Schussversuche

Bezeichnend, dass die beste Lautrer Tor-Aktion in der ersten Hälfte zustande kam, als die Roten Teufel endlich einmal spielerisch ins Angriffsdrittel vordrangen. Der rechte Schienenspieler Erik Durm, Neuzugang Tobias Raschl und Opoku hatten sich auf der rechten Seite auf engem Raum gut durchkombiniert und gedribbelt. Am langen Eck kam Hendrick Zuck an den Ball. Ein Schussversuch mit links, einer mit rechts, beide wurden abgeblockt. Auf Szenen, die für Emotionen sorgten, mussten die 44.079 Zuschauer dann bis zur zweiten Hälfte warten.

Das 0:1: Viele individuelle Fehler auf einmal

Zunächst der angesprochene Führungstreffer der Gäste in der 51. Minute. Wie konnte Saad in der Spielfeldmitte auf einmal so frei stehen, den Ball zunächst an Luthe vorbei- und dann ins Tor schieben?

"Unser rechter Schienenspieler (Erik Durm, Anm. d. Red.) hebt das Abseits auf und Luthe zieht nicht durch", analysierte Trainer Schuster hinterher. Stimmt beides. Zu ergänzen aber wäre noch: Jackson Irvine darf in zentraler Mittelfeldposition, bereits in der Lautrer Hälfte spielend, das Leder unbedrängt annehmen und in die Tiefe chippen - warum attackiert ihn dabei niemand? Und wieso war Jan Elvedi, der ansonsten ein starkes Debüt im FCK-Trikot gab, in dieser Situation zentraler Abwehrspieler, statt auf seiner zugedachten Position halbrechts Saad zu bewachen und mit ihm in die Mitte zu ziehen? Wenn Niehues nach vorne gerückt war, hätte doch erst recht einer Irvine auf den Füßen stehen müssen ... Da muss schon eher über Kollektivversagen geredet werden als über die Fehler Einzelner.

Nach dem Rückstand Angriffspressing - geht doch

Nach dem Rückstand aber gab’s endlich einen anderen FCK zu sehen. Einen, der auf einmal Angriffspressing praktizierte und dies sogar ordentlich. Was die nächste Frage aufwirft. Wäre das nicht, situativ wenigstens, auch mal möglich gewesen, solange es noch 0:0 stand? Bei allem Respekt vor der besten Zweitliga-Mannschaft der vergangenen Rückrunde, bei allem Verständnis für Risikominimierung, die in einem solchen Auftaktspiel ratsam ist. Man kann doch nicht über 90 Minuten hinweg hoffen wollen, dass der Gegner den ersten Fehler macht. Man kann auch mal versuchen, ihn zu einem solchen zu provozieren, erst recht in einem Heimspiel vor einer solchen Kulisse.

Jedenfalls rollte das Spiel nun mal für ein paar Minuten Richtung Sankt-Pauli-Tor. Hoffnungsträger Ache kam für Lobinger - und schlug schon drei Minuten später zu. Mit dem Kopf, mit dem er sich bekanntlich am eindrucksvollsten in Szene zu setzen versteht. Mit dem hatte er die Szene auch eingeleitet, als er einen langen Luthe-Ball in den Lauf Redondos verlängerte und dieser Opoku auf der rechten Seite einsetzte. Die Diskussion, ob Redondos anschließender Flanken-Schuss auf Ache tatsächlich so gemeint oder ihm lediglich der Ball über den Schlappen gerutscht war, ersparen wir uns lieber. Hauptsache 1:1, und das Betze-Publikum entdeckte nun seinen Glauben wieder. An die "Comebacker der Liga", die vergangene Saison so oft für Furore sorgten.
Doch nach nur elf Minuten wurde der Anhang kalt abgeduscht, ehe er so richtig heißlaufen konnte.

Der Elfer: Raschls Fehler, aber die Elf stand insgesamt zu tief

Raschl attackiert Hartel im Strafraum zu ungestüm, trifft dessen Fuß, nachdem dieser eine Zehntelsekunde zuvor den Ball an ihm vorbeigelegt hat. Es gibt nicht einmal Proteste, als Schiedsrichter Robert Schröder Elfmeter pfeift, und der verzichtet sogar auf eine Überprüfung durch den VAR. Raschl hat zu viel riskiert, Luthe vor dem 0:1 zu wenig - könnte man sagen.
Doch auch hier muss wieder das Kollektiv kritisiert werden: Der FCK hat sich nach dem Ausgleichstreffer erneut viel zu weit zurückgezogen. Wiederholt durfte der letzte Mann der Gäste Angriffe seines Teams in der gegnerischen Hälfte aufbauen, ohne dass ihn jemand bedrängte.

Die "Comebacker der Liga" machen weiter Pause

Und was war nun mit den "Comebackern der Liga" los? Nicht viel, zumal auch die Wechsel nicht fruchteten: Mit Opoku ging der Flügelspieler, der sich am besten auf engem Raum durchzusetzen vermochte - Philipp Hercher, schon öfter als erfolgreicher Joker gekommen, blieb diesmal ohne Wirkung. Ebenso Ben Zolinski, der Redondo ersetzte.
Für Betrieb auf der linken Seite sorgte dagegen Tymoteusz Puchacz, der nach 61 Minuten für Zuck gekommen war. Er versuchte einen Torschuss von halblinks, der drüber ging, beackerte die Außenlinie, flankte ordentlich und offenbarte zudem auch Qualitäten im Dribbling. Ebenfalls ein Hoffnungsträger für die kommenden Wochen.

Für Raschl kam nach 77 Minuten Philipp Klement. Trotz seines Fehlers, der zum Elfer führte, hat der 23-Jährige ein ordentliches Debüt am Betzenberg abgeliefert - warum musste er gehen und nicht sein Nebenmann Marlon Ritter, dem bis dato kaum etwas gelungen war?

Ache - schon auf dem Weg zum Publikumsliebling

Die einzige Ausgleichschance in der Schlussphase bot sich Ache, der nach einer Kopfball-Vorlage Zolinskis halblinks in den Strafraum eindrang, den Ball an dem herausstürzenden Vasilj aber nicht vorbei bekam. Kurz darauf hatte der neue Neuner noch einen spektakulären Auftritt, der aber - ob nun kurioser- oder bezeichnenderweise - rückwärts gerichtet war. Über den halben Platz verfolgte er als einziger Roter den allein auf Luthe zulaufenden Einwechselspieler Danel Sinani. Und schaffte es tatsächlich noch, diesen vor dem Abschluss abzugrätschen. Dabei tat sich Ache auch noch weh, auch wenn er sich wohl nicht schwerer verletzter. Noch ein, zwei solche Aktionen, und das Betze-Publikum hat einen neuen Liebling.

Unterm Strich bleibt eine Auftaktniederlage, die sich durch einige Faktoren mehr erklären lässt als nur durch individuelle Fehler in entscheidenden Situationen.

St. Pauli dominierte im zentralen Mittelfeld

Dazu auch noch ein bisschen Statistik. Die Schuster-Elf verzeichnete eine Passquote von 82 Prozent, St. Pauli 83 Prozent. Das sieht ausgeglichen aus und ist für den FCK im Vergleich zur Vorsaison ein richtig guter Wert. Aber: Bei Lautern wird der Wert durch die Abwehrspieler in die Höhe getrieben, die sich den Ball meist unbedrängt zuschieben durften. Der Vergleich der zentralen Mittelfeldspieler, deren Pässe für ein Spiel wesentlich prägender sind, fällt anders aus.

Raschl brachte 71 Prozent seiner Pässe an den Mann, Ritter nur 68 Prozent. Ihnen gegenüber standen Hartel mit 74 Prozent und Irvine mit 86 Prozent Ballpräzision. Auch bei den Torschüssen insgesamt (17:10) hatten die Kiezkicker die Nase vorn, ebenso bei denen, die innerhalb des Strafraums abgegeben wurden (10:8) und die nun einmal erfolgversprechender sind. Dass auch der xGoals-Wert für die Gäste spricht (1,40 : 2,40) ist dagegen weniger signifikant, da allein die Elfmeter-Chance einen Sprung um rund 0,75 Einheiten bewirkt.

Und noch zwei ganz simple, aber für das "Betze-Gen" doch fundamentale Werte: Das FCK-Team ist 112,65 Kilometer gelaufen, der Gegner fast sieben Kilometer mehr (119,14). Und die Roten Teufel haben nur 46 Prozent der Zweikämpfe gewonnen, in der Luft sogar nur 43 Prozent.

Sowohl "Wyscout" also auch "11tegen11" lassen sich zum Saisonstart noch Zeit mit der Anlieferung von Grafiken. Wir werden diese baldmöglichst nachtragen. Einfach morgen nochmal vorbeischauen.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2023/24: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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