Taktik-Nachlese zum Spiel FCK-MSV

Die DBB-Analyse: Ein Nachmittag für die Geschichte(n)

Die DBB-Analyse: Ein Nachmittag für die Geschichte(n)


5:1 gegen den MSV Duisburg. Da wurde den Fans des 1. FC Kaiserslautern selbst bei Minusgraden und Schneetreiben warm ums Herz. Am Ende fügten sich Personalwechsel, Stil- und Formationsanpassungen zu einem fast perfekten Ganzen.

Was an bemerkenswerten Zahlen, Daten und Fakten bescherte dieses Ergebnis denn nun eigentlich genau? Dass es der höchste Heimsieg in der nunmehr vierjährigen Drittliga-Geschichte des FCK, dürfte auch Anhängern mit weniger starkem Gedächtnis dämmern - das 6:0 gegen Havelse in der Vorrunde schossen die Lautrer bekanntlich auswärts in Hannover heraus. Und der höchste Heimsieg egal in welcher Liga war es seit? Seit dem 27. November 2010. Damals schlugen die Roten Teufel in der Bundesliga den FC Schalke 04 mit 5:0. Daran erinnert sich nicht nur Manuel Neuer bis heute.

Und wann hat die letzten Male ein Spieler im FCK-Dress auf dem Betzenberg drei Tore in einer Partie geschossen? In der Bundesliga gelang dieses Kunststück Halil Altintop in der Abstiegssaison 2005/06 gleich dreimal: Beim 5:3 gegen den MSV Duisburg, beim 3:3 gegen Borussia Dortmund und beim 3:2 gegen den VfL Wolfsburg. Zwei Jahre zuvor hieß einer der letzten Dreifach-Torschützen im Oberhaus Miroslav Klose - beim 4:2 gegen Hertha BSC in der Saison 2003/04. In der 2. Bundesliga schaffte es ein gewisser Osayamen Osawe nach seinem Ausflug nach Paris gegen den VfL Bochum 2016/17 sowie eine Saison später Sebastian Andersson gegen die SpVgg Fürth (jeweils 3:0).

Boyd: Mittelstürmer-Tore wie aus dem Lehrbuch

Damit hat sich Terrence Boyd nicht einmal drei Monate nach seinem Wechsel zum FCK bereits in namhafte Gesellschaft begeben. Und da heute und morgen in allen Nachbetrachtungen Loblieder auf ihn und seinen Dreierpack angestimmt werden, halten wir unseres kurz und knackig und stellen es gleich voran: Ja, einen Strafraumstürmer von dieser Qualität hatte der FCK schon lange nicht mehr.

Lehrbuchmäßig vor allem seine Bewegungabläufe vor dem 1:0 und vor dem 5:0. Vor dem 1:0 geht er konsequent auf den kurzen Pfosten und erreicht Philipp Herchers Hereingabe im entscheidenden Moment vor den in unmittelbarer Nähe postierten, danach entsprechend verduzt schauenden Gegenspielern. Den Abschlusstreffer markiert er in Gerd-Müller-Manier aus der Drehung, wobei er dem Ball gerade so viel Fahrt gibt, dass er entspannt ins lange Eck rollen kann.

Als Sahnehäubchen zwei Reminiszenzen an die Fußball-Geschichte

Dazu durften die 28.105 Zuschauer - nochmal fürs Protokoll: Wir bewegen uns hier in der 3. Liga - zwei Szenen erleben, die Erinnerungen an zwei ganz große Momente der Fußball-Geschichte weckten. In der 11. Minute versuchte sich Marlon Ritter an einer Neuauflage des Skorpion-Kicks, mit dem Fritz Walter 1956 in Aue sein legendäres Jahrhundert-Tor erzielte. Ritter scheiterte knapp, aber ehrenwert. Und in der 86. Minute glückte Duisburgs Kolja Pusch eine Doublette des nicht minder legendären Lothar-Emmerich-Treffers bei der WM-Partie 1966 gegen Spanien - wobei der fast schon unmögliche spitze Winkel bei "Emmas" Kunstschuss halt noch einen Tick spitzer war.

Damit genug der Schwärmerei - und zu den nüchtern-analytischen Betrachtungen. FCK-Trainer Marco Antwerpen hatte seine Startelf gegenüber der vorangegangen Partie auf drei Positionen geändert. Notwendig geworden waren nur zwei: Für den gesperrten Hendrick Zuck durfte der 20-jährige Neal Gibs erstmals in dieser Saison von Beginn an ran. Und für Kenny Redondo, den in der Ländespielpause muskuläre Probleme geplagt hatte, startete Daniel Hanslik.

Ciftci für Götze bedeutet: Aggressivität statt Feinmotorik

Feinmotoriker Felix Götze dagegen musste auf der Bank Platz nehmen, weil der Trainer den aggressiven Hikmet Ciftci vorzog. Dieser Wechsel wirkte sich am stilprägendsten aus, denn Ciftci gab dem FCK-Spiel genau das, was ihm in der zahnlosen ersten Hälfte in Freiburg gefehlt hatte: Biss nämlich. Ciftci eroberte immer wieder Bälle im hinteren Mittelfeld. Die anschließenden Umschaltsituationen von der Sechser-Position leitete er vielleicht nicht ganz so filigran an wie Marlon Ritter, der diesmal ein wenig weiter vorne agieren durfte. Insgesamt aber sorgte er für deutliches Plus an Effizienz, das auch im Rest des Saisonfinales entscheidend werden könnte.

Ein wenig an der Grundordnung gemodelt hatte der Coach ebenfalls. Wenn der FCK gegen den Ball mit drei Mann in vorderster Linie attackierte, nahm Mike Wunderlich diesmal nicht die linke, sondern die zentrale Position ein, Boyd und Hanslik drängten nach außen. Das wirkte sich nur selten nachhaltig aus, dann nämlich, wenn Wunderlich, mit 35 Lenzen nicht mehr der Schnellste, in der Mitte hätte durchstarten müssen. Dafür brillierte der Routinier umso mit smarten Bällen aus dem Zehner-Raum - oder pendelte elegant in die Halbpositionen.

Die Schokoladenseite: Vier von fünf Treffern über rechts

So bereitete er Ritters Fritz-Walter-Gedächtniseinlage im schönen Zusammenspiel mit diesem vor. Und er legte Ritter den Treffer zum 3:0 auf, mit feinem Pass von der rechten Seite in den Rückraum. Zuvor hatte sich Wunderlich höchstselbst den Ball erobert, indem er einen unsauberen Ball von MSV-Keeper Leo Weinkauf erlief, den wiederum der emsige Hanslik unter Druck gesetzt hatte. Es lässt sich herauslesen: Da griff ein Rädchen ins andere.

Apropos rechte Seite: Über die Schokoladenseite des FCK wurden diesmal vier der fünf Treffer eingeleitet. Für die ersten beiden Vorbereitungen zeichnete einmal mehr der angestammte Flügelmann Hercher verantwortlich. Besonders effektvoll war sein Einsatz vor dem zweiten Treffer, als er sich einen zweiten Ball nach einer Wunderlich-Freistoßflanke sicherte, danach auf dem Weg in den Strafraum und an die Grundlinie gleich zwei Duisburger zu Slalomstangen degradierte. Boyds Drehschuss wiederum zum 5:0 bereitete Hanslik über die rechte Seite vor.

Gibs mit starken Startelf-Debüt: Gerne wieder

Lediglich bei Alex Winklers Kopfballtreffer zum 4:0 kam der Ball von der anderen Seite - nach einer Ecke von Wunderlich. Und bei allem Lob für die rechten Flügel darf der Startelfdebütant gegenüber nicht vergessen werden. Auch Neal Gibs gab dem FCK-Spiel eine ungewohnte Prägung, denn im Gegensatz zu Aufbauspieler Zuck nutzt der gebürtige Landstuhler die linke Außenbahn lieber zum Marschieren. Dabei behauptete er gekonnt den Ball und fügte sich auch ohne Probleme ins Passspiel ein.

Kurz: Da ist einer herangereift, den Antwerpen im Saisonfinale gerne wieder bringen kann. Allerdings bevorzugt Gibs den Ball den rechten Fuß und neigt daher dazu, in die Mitte zu drängen, wenn er links spielt. Als Außenbahnspieler dürfte seine Zukunft wohl eher auf der anderen Seite liegen.

So fügten sich Einzelleistungen, Personalwechsel, Formations- und Stilanpassungen zu einem nahezu perfekten Fußballnachmittag. Entscheidend aber war am Ende die konzentrierte Leistung über 90 Minuten, die in den letzten Wochen vermisst worden war.

90 Minuten volle Pulle: Drei typische Szenen

Dazu ein paar Schilderungen exemplarischer Szenen.

Ende der ersten Hälfte ergrätscht sich Ciftci im Angriffsdrittel den Ball, der daraufhin auf Wunderlich zurollt. Ciftci erkennt jedoch sofort, dass ein Abseitspfiff folgen wird, wenn Wunderlich diesen annimmt, also setzt er selbst hinter dem Leder her - und erwischt es gerade noch an der Seitenauslinie. Wunderlich, der die Situation ebenfalls sofort erfasst hatte, hatte ihm Platz gemacht.

Beim Stand von 5:0 verliert Gibs in Nähe der Mittellinie den Ball, doch Hanslik jagt sofort hinter dem Leder her, als wäre ihm mit Vertragsauflösung gedroht worden, wenn er es nicht direkt wieder zurückholt. Was ihm, innerhalb von handgestoppten vier Sekunden, auch gelingt. Und dann nochmal Wunderlich, wie er sich trotz des klaren Spielstands geradezu verzweifelt bemüht, sich auch noch selbst in die Torschützenliste einzutragen - und er sich sichtbar ärgert, weil es ihm nicht gelingen will.

Das ist die Art von Ehrgeiz, mit dem sich der direkter Aufstiegsplatz verteidigen lassen müsste. Was da noch schiefgehen kann? Ganz einfach: Dass der FCK am Ende von dem Glück verlassen wird, das die Braunschweiger an diesem Samstagnachmittag hatten - bei ihrem späten Siegtreffer gegen den Tabellenletzten Havelse.

Ergänzung, 04.04.: Die xG-Grafiken: Ciftci, der Dreh- und Angelpunkt

Die Timeline der expected Goals präsentiert sich wie erwartet klar zugunsten den FCK. Leider lässt sich anhand der Visualisierung nicht exakt beziffern, wie niedrig der xG-Wert für Kolja Puschs Torschuss ist. Lothar Emmerichs Treffer, bei dem der Winkel noch spitzer, wurde seinerzeit mit 0,02 bewertet, also mit einer Trefferwahrscheinlichkeit von zwei Prozent. Die aber dennoch greifen können, wie die Spanier damals feststellen durften.

xG-Plot FCK-MSV

Die Position- und Passgrafik: Ist der Spot, der Hikmet Ciftci darstellt, nicht eine wahre Pracht? Und in nahezu alle Richtungen gehen Pfeile von ihm weg - auch nach hinten. Der Rückpass wiederum ist nicht so Marlon Ritters Ding, wenn er auf dieser Position spielt.

Passmap FCK

Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik der Duisburger. Schön auf dem Platz verteilt haben sie sich ja. Mit Niklas Stierlin und Marlon Frey standen übrigens auch zwei Ex-Lautrer als Zebras auf dem Platz. Frey ist erst vor kurzem zum zentralen Mann der Dreier-Abwehrkette umgeschult worden. Zuvor war er vornehmlich auf der Sechser-Position unterwegs, auch in der Saison 2016/17, als Lautern ihn von Bayer Leverkusen ausgeliehen hatte. Da wurde er dem Talent, das ihm nachgesagt worden war, nicht so ganz gerecht. Stierlin spielte in der Jugend auf dem Betze.

Passmap MSV

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2021/22: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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