Taktik-Nachlese zum Spiel FCK-1860

Die DBB-Analyse: Ciftci bringt den Stilwechsel

Die DBB-Analyse: Ciftci bringt den Stilwechsel


Wie befreiend doch so ein Führungstreffer sein kann. Der erste Saisonsieg des 1. FC Kaiserslautern bestätigt diese alte Erkenntnis, zeigt aber auch, wie vorteilhaft sich verletzungsbedingte Wechsel manchmal auswirken können.

Die Äußerungen von Trainer Marco Antwerpen im Vorfeld hatten es angedeutet: Nach dem peinlichen 0:4 bei Viktoria Berlin würde es personelle Änderungen im Team geben - und vermutlich auch einen "Systemwechsel". Dass er Punkt eins konsequent umsetzte, machte der Blick auf den Spielberichtsbogen deutlich. Die Startelf gegen 1860 München war gegenüber Berlin auf fünf Positionen verändert.

Und der "Systemwechsel" - war damit nun eine neue Grundordnung gemeint oder eine andere Spielanlage als die zuletzt praktizierte? Es dauerte einige Minuten, bis sich auch darauf die Antwort geben ließ: Beides. Der FCK legte sein Spiel um einiges zurückhaltender an als in den jüngsten Partien. Auf Angriffspressing wurde verzichtet. Der einzige Stürmer, Muhammed Kiprit, begann die gegnerischen Verteidiger erst kurz vor der Mittellinie anzulaufen, wo er Abspiele in Richtung Außenlinie zu provozieren versuchte. Dort wurden die Löwen dann energischer und gemeinschaftlicher attackiert.

Das klingt zunächst mal weder unterhaltsam noch originell und erinnert an die Art, die die Roten Teufel im vergangenen Jahr unter dem glücklosen Jeff Saibene praktizierten. Wie sich jedoch schnell zeigte, war sie mit ungleich mehr Leben gefüllt als damals. Und dafür zeichnen nun mal Menschen verantwortlich, keine Systeme.

Hikmet Ciftci: Der richtige Mann zur richtigen Zeit

Die DBB-Community und auch die "Rheinpfalz" bewerteten nach diesem überzeugenden 3:0-Sieg zwar unisono Matheo Raab, Jean Zimmer und René Klingenburg mit den Bestnoten des Tages, am nachhaltigsten für den Stilwechsel der Elf verantwortlich zeichnete jedoch ein anderer: Hikmet Ciftci. Es war der erste Einsatz des 23-Jährigen seit dem 20. März. Danach war er offiziell wegen Verletzungen ausgefallen oder quälte sich mit welchen herum. Allerdings schien auch die Chemie zwischen ihm und dem Trainer nicht so ganz zu stimmen, spätestens als Ciftci im Sommer einen Transfer in die Türkei anstrebte, der aber nicht zustande kam.

Jetzt rückte er für Felix Götze ins Team, der sich in Berlin vergangenen Sonntag eine Schädelverletzung zuzog und nun auf unbestimmte Zeit nicht mehr zur Verfügung steht. Doch so tragisch der Ausfall des großen Hoffnungsträgers für Kaiserslautern ist: Mit Ciftci kam der richtige Mann zur richtigen Zeit in die verunsicherte Mannschaft. Auch das ist Fußball.

Denn Ciftci interpretierte die Götze-Rolle lautstärker und aggressiver, als es der Edeltechniker zuletzt getan hatte. Er legte weniger wert auf spielerische Lösungen, wie sie etwa auch Marlon Ritter in vergleichbarer Rolle im Auftaktspiel gegen Eintracht Braunschweig bevorzugte. Ciftci klärte auch mal unschön - und drosch lange Bälle, bei denen es ihm nicht unbedingt auf Präzision ankam.

Das 2:0 belegt: Rustikaler ist effektiver - öfter, als viele glauben

Wie effektiv diese rustikalere Spielweise sein kann, offenbarte sich nicht zuletzt in der 33. Minute. Ciftci jagte einen Freistoßball kurz vorm eigenen Strafraum weit über 50 Meter auf die rechte Abwehrseite der Löwen, wo der gedeckte Kenny Redondo kaum eine Chance hatte, das Leder zu behaupten. Dafür eroberte René Klingenburg die Kopfball-Abwehr der Münchner einsatzfreudig rund 40 Meter vorm gegnerischen Tor, passte auf Philipp Hercher, der auf Jean Zimmer weiterleitete, welcher wiederum Kiprit bediente. Und schon stand es 2:0 für Lautern.

Bereits der erste Treffer nach 27 Minuten war das Resultat einer frühen Balleroberung, die nicht durch beharrliches Anlaufen provoziert, sondern durch Abpassen des richtigen Moments erzielt wurde. Marvin Senger schnappte sich einen Einwurf der Löwen aus der Linksverteidiger-Position in der Nähe der gegnerischen Eckfahne. Der postwendend retournierte Ball landete bei Zimmer, der auf Klingenburg flankte, worauf dieser volley einschoss.

Soll das Phrasenschwein doch grunzen: Fußball ist Kopfsache

Ist es aufgefallen? Zimmer und Klingenburg, die Vielgescholtenen der verpatzten Auftaktspiele, spielten bei beiden Treffern tragende Rollen. Und verdienten sich ihre Bestnoten auch mit generell guter Leistung. Zimmer hätte ums Haar bereits in der fünften Minute den Führungstreffer für den FCK erzielt, erwischte fünf Meter vor dem Kasten von Sechzig-Keeper Marco Hiller den Ball aber nicht richtig. Redondo und - abermals - Klingenburg hatten vorbereitet.

Wobei angemerkt werden muss: Bis zum tatsächlichen Führungstreffer der Lautrer verzeichneten nicht nur die Gastgeber, sondern auch die Gäste zwei Großchancen - und insgesamt wirkte zunächst die Spielanlage der Löwen stimmiger. Hätten sie das 1:0 erzielt, es wäre wohl wieder ein trauriger Nachmittag für die Roten Teufel und ihren Anhang geworden. Stattdessen setzte Klingenburgs Volley die Glückshormone frei, die es für ansehnlichen Fußball nun einmal braucht. Und den boten die Seinen dann auch prompt. Da mag das Phrasenschwein grunzen, wie's will: Fußball ist und bleibt zu einem wesentlichen Teil Kopfsache.

Klare Ansagen verhindern Nervenflattern bei den Innenverteidigern

Aber zurück zu Ciftci. Nahezu alle aktuellen Spielberichte führen ihn als alleinigen Sechser in einer 4-1-4-1-Formation auf. Tatsächlich war der Deutsch-Türke gelegentlich auch gemeinsam mit Klingenburg als Doppel-Sechs, vor allem aber ständig auch zwischen den beiden Innenverteidigern präsent, praktizierte somit das Wechselspiel zwischen Vierer- und Dreierkette, mit dem auch Felix Götze in den finalen zehn Spielen der vergangenen Saison bestach. Mit weniger feinem Füßchen zwar, dafür aber mit klaren Ansagen an seine Nebenleute Senger und Boris Tomiak. Denen tat die deutliche Ansprache sichtlich gut, hatten doch auch ihre Nerven in Berlin empfindlich geflattert.

Wie wichtig Ciftci für seine Hintermannschaft war, zeigte sich in der 71. Minute. Denn da musste er mit einer Muskelverletzung raus, für ihn kam Julian Niehues. Und prompt tat sich für den Münchner Marcel Bär die größte Löwen-Chance der zweiten Hälfte auf. Er überlupfte den starken Raab, doch Tomiak vermochte vor der Torlinie gerade noch zu retten. An dieser Stelle hätte das Spiel durchaus nochmal kippen können.

Schad überzeugt als Linksverteidiger

Und noch ein anderer verletzungsbedingter Wechsel wirkte sich vorteilhaft aufs Lautrer Spiel aus. Dominik Schad übernahm für Hendrick Zuck die linke Verteidigerposition, und war dank seiner Schnelligkeit ein idealer Gegenspieler für Merveille Biankadi, später für Stefan Lex. Könnte sein, dass es für Stammverteidiger Zuck nun schwer wird, in die Startelf zurückzukehren, jedenfalls auf der defensiven Position.

Dieses Spiel gäbe noch einige Geschichten mehr her, die sich ausführlicher erzählen ließ. Die von Keeper Matheo Raab etwa, der gegen Münchens Offensivspieler Keanu Staude, Marcel Bär und Sascha Mölders gleich mehrmals parierte. Oder die von Muhammed Kiprit, der zum ersten Mal von Beginn an durfte und das erste Stürmertor des FCK in dieser Saison markierte.

Wunderlich trifft per Freistoß - und freut sich wie ein Jungspund

Oder die von Mike Wunderlich, dem einstigen Freistoßkönig der 3. Liga, der in der zweiten Hälfte weiter daran arbeitete, endlich auch mal im FCK-Dress einen Treffer nach einem ruhenden Ball zu erzielen. Und der ausgerechnet aus der ungünstigsten Position von allen Erfolg hatte. In der 87. Minute, als er aus der Linksaußen-Position aufs kurze Eck zwirbelte. Wobei Hiller allerdings ein wenig ungewollte Schützenhilfe leisten musste.

Die Ausgelassenheit, mit der Wunderlich seinen Treffer bejubelte, belegt aber auch: Als Profikicker im 36. Lebensjahr mag man extrem erfahren sein, gefühlskalt macht so viel Routine aber nicht.

Die Wende zum Besseren? Nicht reden - gewinnen!

Und nun? Den Spruch von der Leistung, auf der man aufbauen kann, sollten sich alle Beteiligten tunlichst verkneifen. Der zieht nur den nächsten Rückschlag nach sich, das lässt fast schon empirisch belegen. Sagen wir also: In diesem Spiel zeigte der FCK vieles, was nach den verkorksten Auftaktpartien die Wende zum Besseren einleiten könnte. So man es im nächsten Spiel wiederholt. Am Dienstag, 19:00 Uhr, in Halle.

Leider stockt auch heute die Zulieferung der xG-Plots - und im Gegensatz zum Berlin-Spiel wären sie diesmal auch wirklich präsent. Wir bleiben dran und versuchen nachzuliefern.

Ergänzung, 24.08.2021: Die xG-Grafiken zum Spiel gegen 1860

Auch die xG-Timeline weist einen verdienten Erfolg der Lautrer aus. Zimmers vergebene Großchance zu Beginn hätte sich aber auch rächen können, ebenso, dass Redondo nicht schon nach 59 Minuten nicht das 3:0 besorgte. Dass Sander Ijtsma hier beim Zählen durcheinander gekommen ist, sei ihm verziehen. Das 2:0 und das 3:0 fielen natürlich nicht vor dem 1:0.

xG-Plot FCK-1860

Die Positions- und Passgrafik. Man mag es kaum glauben. So wenig Passlinien zwischen haben wir eigentlich noch nie gesehen. Haben sich tatsächlich so wenige Spieler den Ball öfter als drei Mal zugespielt? Erst dann nämlich werden Linien eingezeichnet. Zu erkennen ist aber der Stilwechsel zu mehr vertikalerem Spiel. Dass der linke Offensivspieler im Durchschnitt weiter vorne annimmt als Mittelstürmer, scheint zum typischen Merkmal bei Lautern zu werden. Auffallend auch, dass Rechtsverteidiger Hercher weiter vorne angespielt wurde als Linksverteidiger Schad.

Passmap FCK

Weshalb? Dazu lässt die Positions- und Passgrafik der Münchner zumindest eine Vermutung zu. Schad wurde auf seiner Seite mehr in die Defensive gedrängt als sein Gegenüber. Über die nämlich trugen die Löwen wesentlich mehr Angriffe nach vorne.

Passmap 1860

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2021/22: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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