Interview mit Westkurven-Vorsänger Sascha Kempf, Teil 2/2

„Kein Mensch will jemandem seinen Platz wegnehmen“

„Kein Mensch will jemandem seinen Platz wegnehmen“


Im zweiten Teil des großen Vorsänger-Interviews sprechen wir mit Sascha Kempf darüber, wie man ein Spiel auf einem Podest vor 15.000 Fans erlebt und wie die nähere Zukunft der Westkurve aussieht: Zur Verbesserung der Betze-Atmosphäre ist ein neues Stimmungszentrum direkt hinter dem Tor geplant.

Der Betze brennt: Sascha, wie nimmst Du das Spiel wahr? Du stehst meistens mit dem Rücken zum Spielfeld und trotzdem hat man das Gefühl, dass Du wie wir alle mit dabei bist. Hast Du Augen nach hinten oder wie machst Du das?

Sascha Kempf (30): Bei Heimspielen bekomme ich dank dem Vorsängerpodest eigentlich ziemlich viel vom Spiel mit. Selbst wenn ich mit dem Rücken zum Rasen stehe, sehe ich in den Augen der Fans, was gerade abgeht - und drehe mich dann um, wenn es brenzlig wird. Auch wenn ich natürlich nicht jeden einzelnen Spielzug mitbekomme, aber länger als 20, 30 Sekunden am Stück bin ich eigentlich nie mit dem Blick vom Spielfeld weg.

„Ich habe meine fünf, sechs Fixpunkte in der Kurve“

Der Betze brennt: Wenn die Westkurve ausverkauft ist, bist Du für bis zu 15.000 Fans verantwortlich. Wie organisierst Du bei so viel Input die Stimmung?

Kempf: Ich habe immer meine fünf, sechs Fixpunkte, wo ich hinschaue und die Stimmung aufnehme. Da sind auch die älteren FCK'ler dabei, die für die viel zitierte „Old School“-Stimmung stehen, zu denen über Jahre hinweg die Kontakte gewachsen sind. Und natürlich die Ultras, zu denen ich ja auch selbst immer noch gehöre. Das ist auch ein Grund dafür, warum es in letzter Zeit stimmungsmäßig nicht so gut gelaufen ist: Durch die räumliche Entfernung zwischen Ultras und Vorsänger konnte ich die Reaktionen nicht mehr so gut aufnehmen und auch andere Schlachtrufe nicht mehr ideal zu den Ultras weitergeben.

Der Betze brennt: Und was ist, wenn mal aus einer ungewohnten Ecke etwas angestimmt wird?

Kempf: Ganz bestimmt überhöre ich auch mal einen Gesang. Das ist dann aber hundertprozentig keine böse Absicht von mir, sondern liegt an dem eingeschränkten Sichtfeld, das man als Einzelner vor einer Tribüne mit zehn-, fünfzehntausend Menschen hat. Manchmal werden auch zwei, drei Schlachtrufe gleichzeitig angestimmt und ich muss mich dann für einen entscheiden.

Der Betze brennt: Wir FCK-Fans tun uns in letzter Zeit schwer mit kreativen Fangesängen. Früher hatten wir doch für jeden Spieler, für jede Situation ein eigenes Lied. Würdest Du da zustimmen?

Kempf: Von außen betrachtet würde ich da auf jeden Fall zustimmen. Aber es gibt genug Leute, in der Ultraszene und darüber hinaus, die sich ständig Gedanken über neue Lieder machen. Ich selbst denke mir beim Autofahren oft: „Aus dem Lied da im Radio, da könnte man doch einen Fangesang draus machen.“ Aber wann integriert man solche neuen Schlachtrufe? Das geht fast nur, wenn es auch sportlich läuft. Auch übrigens bei anderen Vereinen, ich nenne da mal Borussia Dortmund als Beispiel. Es ist schwer, wenn es sportlich nicht läuft, wenn es vielleicht auch noch Diskussionen über die Ultras gibt, die ich natürlich auch für viele Leute irgendwie repräsentiere. Und bei den Fußballspielern kommt heutzutage noch dazu, dass die meist schon wieder den Verein wechseln, ehe sich überhaupt ein Lied entwickeln kann, das dann auch authentisch ist.

„Das Stimmungszentrum entwickelte sich anders als erhofft“

Der Betze brennt: Zum Saisonauftakt übernächste Woche startet der nächste größere Versuch, das Betze-Feeling zu verbessern: Die Ultras ziehen von ihren Blöcken 7.2/8.2/9.2 um nach unten, direkt hinters Tor. Warum ist das Stimmungszentrum oben aus Deiner Sicht gescheitert?

Kempf: Ich war vor zwei Jahren auch ein Befürworter vom Umzug nach oben, aber ich hatte mir das ganz anders vorgestellt: Die Ultragruppen sollten nicht so in die Länge gezogen, sondern geballt auf einem Haufen stehen, so wie es jetzt auch hinterm Tor sein soll. Und zusammen mit anderen Fans. Das hatte sich oben leider ganz anders entwickelt als erhofft. Da darf man auch ruhig mal selbstkritisch sein: In den letzten Jahren ist von der Ultraszene viel verbockt und Kredit verspielt worden. Es waren auch einfach zu viele Themen, um die sich die Ultras kümmerten, teilweise kümmern mussten, da war irgendwann der Pegel erreicht.

Der Betze brennt: Und deshalb soll es nun wieder nach unten gehen, genauer gesagt direkt hinters Tor, zwischen den Aufgängen der Blöcke 8.1 und 9.1. Aber liegt es wirklich nur am Standort, ob die Stimmung gut oder schlecht ist?

Kempf: Natürlich nicht. Der Standort der Ultras ist nur einer von ganz vielen Gründen für eine gute oder schlechte Stimmung in der Westkurve. Aber unwichtig ist er eben auch nicht, beispielsweise hatte ich ja schon den Kontakt vom Vorsänger zu den aktiven Fans erwähnt, der im letzten Jahr verloren gegangen war.

Der Betze brennt: Was erwartest Du Dir vom neuen Stimmungszentrum?

Kempf: Erstmal erwarte ich mir auch ein bisschen Akzeptanz von den Leuten, die schon dort stehen. Kein Mensch will jemandem seinen Platz wegnehmen! Die Westkurve ist groß genug für uns alle und niemand soll verdrängt werden. Aber auch die Ultras müssen sich ständig hinterfragen - was übrigens auch jetzt schon gemacht wird - was zum Beispiel das Thema Fahnen schwenken angeht oder die Einbindung der Trommler. Wir wollen schließlich auch dort akzeptiert werden, wo wir unsere neue Heimat gemeinsam mit anderen FCK-Fans suchen. Mittelfristig erhoffe ich mir, dass das Stimmungszentrum eine Traube wird, die immer weiter nach außen wächst, bis irgendwann wieder die ganze Westkurve mitmacht.

Der Betze brennt: Wie sollte sich die Westkurven-Stimmung generell entwickeln?

Kempf: Die einen finden die englische Stimmung geil, die anderen möchten mehr in Richtung südländisch gehen - aber der Betze sollte immer der Betze bleiben, mit Inspirationen aus allen Fankulturen, so wie es auch schon immer war.

„Zurück kommen zum 'Gemeinsam für den FCK'“

Der Betze brennt: Noch mal ganz konkret gefragt, weil es dazu auch im Internet große Diskussionen gab: Die Ultras sollen im neuen Stimmungszentrum also nicht ihr eigenes Ding machen, sondern gemeinsam mit der ganzen Westkurve durchstarten?

Kempf: Ganz genau so ist es. Mein Gedankengang war sogar bewusst, direkt hinters Tor zu gehen, um auch die Ultras wieder mehr an die übrigen Fans ranzuführen. Der Umzug nach oben hat die Ultras eigentlich ein bisschen aus der Kurve rausgezogen, der Kontakt zum harten Kern in den unteren Blöcken fehlte. Jetzt wollen wir wieder zurück kommen zum „Gemeinsam für den FCK“ und das ist auch die Zielsetzung, an der wir uns messen lassen müssen.

Der Betze brennt: Genau daran zweifelten ja viele Fans, als vor kurzem die Ankündigung kam, dass die Ultras den zweiten großen Umzug innerhalb von zwei Jahren planen.

Kempf: Auch da war sicher die Kommunikation nicht ideal, wobei die ja aktuell noch läuft und längst nicht abgeschlossen ist. An dieser Stelle möchte ich auch nochmals alle interessierten Fans zur Diskussionsrunde beim Stadionfest einladen (siehe zugehörige Meldung auf „Der Betze brennt“). Es gab aber auch Irrtümer seitens der Kritiker: Der Blockumzug etwa ging ganz normal über die Bühne. Wir haben gegen Ende der letzten Saison beim FCK-Kartenservice angefragt, ob es möglich wäre in den unteren Teil der Westkurve umzuziehen und Dauerkarten in diesen Bereich umschreiben zu lassen. Uns wurde die Rückmeldung gegeben, dass das davon abhängig ist, wie viele Kündigungen in diesem Bereich eingehen und dass sich normal um eine Umschreibung beworben werden müsse, was wir darauf hin umsetzten. Leider lief das alles sehr kurzfristig, sowohl szeneintern, wo die erste Idee auch erst im April aufkam, als auch extern mit der öffentlichen Ankündigung in der Sommerpause. Diese Kritik müssen wir uns gefallen lassen.

Der Betze brennt: Die Ultras werden ja sowieso gerne ins Zentrum der Kritik gerückt, manchmal zu Recht, manchmal zu Unrecht...

Kempf: Wie viele Leute haben sich schon in der Ultraszene geirrt! Von wegen die tragen nur schwarze Klamotten, die wollen dem Verein nur schaden, und und und. Das ist auch eines der Hauptthemen, die ich mir persönlich für die neue Saison gesetzt habe: Wieder mehr Miteinander, mehr Respekt und weniger Missverständnisse. Und einfach mal was ausprobieren anstatt alles schon vorher zu zerreden - wenn es dann nicht klappt, startet man eben den nächsten Versuch. Wenn ein neues Lied scheiße war, dann lacht mal jeder und es wird in die Tonne gekloppt. Aber das nächste Lied passt dann und schlägt ein. Mehr Mut haben, mehr aus sich raus gehen!

„Ich bin im Stadion immer ansprechbar“

Der Betze brennt: Seit 2011 bist Du auch als gewählter Fanvertreter tätig. Eines Deiner Projekte, an denen Du seitdem arbeitest und das zu dieser Aussage passt, ist der „Dialog Stimmung“, eine öffentliche Diskussionsrunde zur Verbesserung der Stadionatmosphäre. Ist da zur neuen Saison wieder was geplant?

Kempf: Auf jeden Fall! Ich möchte auch mehr Interesse an Fan-Themen generell anregen. Ob die Flanke ordentlich auf dem Elfmeterpunkt landet, darauf haben wir keinen Einfluss, aber bei der Stimmung im Stadion können wir alle etwas bewegen. Und natürlich auch bei vielen Dingen, die über die 90 Minuten Fußball am Wochenende hinausgehen.

Der Betze brennt: Wann und wie kann man mit Dir und anderen interessierten Fans diskutieren?

Kempf: Die nächste Gelegenheit ist am Samstag beim Stadionfest. Der „Dialog Stimmung“ hat bis jetzt leider noch nicht so gut geklappt wie erhofft, hauptsächlich aus zeitlichen und organisatorischen Gründen. Aber auch in der neuen Saison möchte ich wieder entsprechende Veranstaltungen anbieten. Mir ist bewusst, dass nicht jeder an solchen Diskussionsrunden im Stadion teilnehmen kann oder auch manch einer einfach nicht für das Reden vor großem Publikum gemacht ist. Deshalb möchte ich auch im Internet und speziell hier auf „Der Betze brennt“ mehr Präsenz zeigen. Ich werde zwar nicht auf jeden Forumsbeitrag reagieren können, aber wir werden einen Weg finden, auch die konstruktiven Vorschläge aus dem Internet mit einfließen zu lassen.

Der Betze brennt: Zum Abschluss unseres Interviews noch eine personelle Frage: Wer sind eigentlich die weiteren Vorsänger, die neben Dir auf dem Zaun sitzen oder auch mal anstatt Dir, wenn Du verhindert bist?

Kempf: Das sind Niklas von Frenetic Youth, Phil von der Generation Luzifer und Hasemann vom Pfalz Inferno. Bei dieser Gelegenheit möchte ich an alle FCK-Fans appellieren: Bitte unterstützt auch unsere anderen Vorsänger so wie Ihr mich unterstützt, auch wenn vielleicht mal ein nicht so bekanntes Gesicht auf dem Zaun hockt. Ihr kennt unsere Namen, kommt auf uns zu, sprecht mit uns - wir haben alle ein gemeinsames Ziel, nämlich die Verbesserung der Stimmung.

Der Betze brennt: Dein Schlusswort: Was möchtest Du den FCK-Fans zehn Tage vor dem Start in die Saison 2014/15 mit auf den Weg geben?

Kempf: Kommt zur Diskussionsrunde beim Stadionfest, gebt mir hier im Forum konstruktives Feedback. Ich bin im Stadion immer ansprechbar und habe für die Zukunft auch schon einige Ideen. Egal ob Ultra, Kutte, Trommler, Fahnenschwenker oder Gelegenheitsbesucher, egal ob 16 oder 60 - wir sind alle FCK-Fans, wir wollen alle unseren Verein und unsere Kurve nach vorne bringen. Lasst uns gemeinsam das Heimspiel wieder zu dem machen, was es einmal war. Alles auf Anfang!

Der Betze brennt: Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Thomas, Marky

Weitere Links zum Thema:

- Zu Teil 1 des Interviews: „Ein Vorsänger ist nur so gut wie seine Kurve“

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