Interview mit Westkurven-Vorsänger Sascha Kempf, Teil 1/2

„Ein Vorsänger ist nur so gut wie seine Kurve“

„Ein Vorsänger ist nur so gut wie seine Kurve“


Sascha Kempf ist das bekannteste Gesicht der Westkurve: Seit zehn Jahren ist er der Vorsänger der FCK-Fans. Im ersten Part des zweiteiligen Interviews mit „Der Betze brennt“ spricht er über seine Anfangszeiten auf dem Podest, die Entwicklung im letzten Jahrzehnt und seine persönlichen Höhe- und Tiefpunkte in dieser Zeit.

Der Betze brennt: Hallo Sascha, Du stehst jetzt seit zehn Jahren auf dem Vorsängerpodest. Erinnerst Du Dich noch an Deinen ersten Einsatz am Megaphon?

Kempf: Daran erinnere ich mich ganz genau, das war am 6. März 2004 beim Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt. Damals war noch die „Generation Luzifer“ die einzige größere Ultragruppe in Kaiserslautern. Die Stimmung war nicht besonders gut, das Spiel lief auch ziemlich träge, wie schon die ganze Saison - der FCK grutzte mal wieder mitten im Abstiegskampf herum. Kurz vor der Halbzeitpause hatte der damalige GL-Vorsänger Walluf einfach kein Bock mehr, was sich auch schon in den Wochen zuvor angedeutet hatte. Irgendjemand hat dann zu mir gesagt „Nimm du doch das Ding (das Megaphon; Anm. d. Red.) und probier es mal“. Dann habe ich das gemacht, eigentlich aus dem Nichts heraus, und es hat einfach zusammengepasst. In der 90. Minute haben wir noch 1:0 gewonnen und nach dem Spiel hat jeder gesagt, es war gut und ich soll weitermachen.

Der Betze brennt: Und jetzt feierst Du sozusagen Dein Jubiläum als Vorsänger. Zehn Jahre - hättest Du das damals gedacht?

Kempf: Im ersten Moment habe ich mir zwar keine großen Gedanken gemacht und es einfach mal ausprobiert. Aber mit der Zeit war für mich dann schon klar, dass ich die Sache jetzt auch durchziehe. Damals mit Anfang 20 war ich auch noch oft zum Groundhopping im Ausland unterwegs und die Eindrücke haben mich geprägt, dass dort eigentlich überall der Capo bzw. der Vorsänger mindestens 30 oder älter ist. Und es hat sicher auch etwas mit meiner persönlichen Einstellung zu tun: Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig.

„Was willsch' denn Du, Kaschper?“

Der Betze brennt: Wie ist es dann weiter gegangen?

Kempf: Am Anfang im Jahr 2004 war es noch etwas relativ neues, auch am Betze, mit dem Megaphon zwischen den Fans zu stehen. Damals habe ich noch in der alten Westkurve ganz oben zwischen Block 7 und Block 8 auf dem Trennzaun, der ja mittlerweile auch gar nicht mehr existiert, gesessen und hauptsächlich die Ultras angeheizt. Unser und mein Ziel war es aber, eine Entwicklung zu schaffen und mehr Leute zu erreichen. Dann habe ich eben Mut gefasst und bin auf diesem Zaun immer weiter nach unten gerutscht, von Heimspiel zu Heimspiel. Da gab es dann auch mal Anfeindungen: „Was willsch' denn Du, Kaschper?“ Einige von diesen Kritikern gehen heute noch auf den Betze, und wenn man dann mal über die damalige Zeit spricht, ist es für beide Seiten witzig (lacht). Es hat sich schon vieles verändert seit 2004.

Der Betze brennt: Wie reagierst Du auf solche Anfeindungen?

Kempf: Im Stadion kommt das heute eigentlich kaum noch vor, da bekomme ich fast nur Lob und konstruktives Feedback. Kritischer wird es schon eher im Internet. Damals in den Anfangszeiten kam noch dazu, dass viele Leute grundsätzlich skeptisch sind, wenn es etwas neues gibt. Da sind wir dann auch mal die Fanregionen abgefahren, haben uns vorgestellt und versucht, die Leute einzubinden: Was ist Ultrá, warum haben wir ein Megaphon, welche Ziele wollen wir erreichen? Dass es dann irgendwann für den Vorsänger sogar ein Podest oder eine Anlage geben würde, habe ich damals natürlich noch nicht geahnt.

„Ein Alleinstellungsmerkmal der Westkurve“

Der Betze brennt: Der Vorsänger und das Megaphon werden gerne kritisiert, aber es gibt auch viele Rituale, die ohne einen „Dirigenten“ nicht möglich wären. Von Dir wurden zum Beispiel 2006 beim Auswärtsspiel in Mainz die Taschentücher beim „Schönen Gruß und auf Wiedersehen“ eingeführt, die längst zu einem ganz großen Markenzeichen der FCK-Fans geworden sind.

Kempf: Genau! Das Spiel haben wir ja gewonnen damals an Fastnachtssamstag, unser erster und leider bis heute einziger Sieg in Mainz. Kurz vor dem Ende des Spiels haben wir uns mit „Uiuiui-Auauau“ über den Karnevalsverein lustig gemacht und einige Fans packten dafür die Taschentücher aus. Das habe ich dann aufgegriffen für's „Schönen Gruß und auf Wiedersehen“, was ja schon seit Jahrzehnten ein Gassenhauer in der Westkurve ist, und es wurde danach immer größer.

Der Betze brennt: ... und einzigartig in Deutschland.

Kempf: Das ist auf jeden Fall ein Alleinstellungsmerkmal, auf das wir stolz sein können. Da müssen wir auch wieder hin, zu mehr solchen Sachen, die individuell sind und auf den Betze passen. Es ist aber auch ein gutes Beispiel für meine grundsätzliche Philosophie: Jeder gute Vorsänger ist nur so gut wie seine Kurve. Die meisten Ideen kommen gar nicht von mir, sondern aus der Kurve heraus.

Der Betze brennt: Was auch immer brachial gut rüberkommt, ist das von den Ultras so genannte „Bumm Bumm Klatsch“, also das langsame Einklatschen hin zum „Kaaaiiiserslautern“ aus zigtausend Kehlen.

Kempf: Wahrscheinlich der FCK-Schlachtruf schlechthin. Das Einklatschen dazu haben wir ungefähr 2005 eingeführt, auch hier erst im kleineren Kreis und dann bis hinauf zur ganzen Westkurve. Ohne Koordination über die Megaphonanlage wäre dieses Ritual, das wir ja immer kurz nach Anpfiff durchführen, gar nicht oder nur viel schwieriger machbar.

Der Betze brennt: Drittes Beispiel: „You'll never walk alone“ ohne Stadionlautsprecher.

Kempf: Da gab es mal eine Diskussion mit Horst Schömbs (FCK-Stadionsprecher; Anm. d. Red.), aus der sich das entwickelt hatte. Das haben wir dann einfach probiert und es klappte schnell recht gut. Mittlerweile ist das übrigens sogar als fester Punkt im Stadionprogramm festgehalten, immer wenn der „Unzerstörbar“-Schal auf der Anzeigetafel eingeblendet wird, macht das Radio Pause und wir können ungestört singen.

Höhepunkte und Tiefpunkte

Der Betze brennt: Kommen wir von vor dem Spiel zu nach dem Spiel: Bei Dir auf dem Podest waren auch schon viele FCK-Spieler, sei es Martin Amedick nach dem Aufstieg, Denis Linsmayer oder Jimmy Hoffer zum trommeln, oder auch Mathias Abel, um sich von den Fans zu verabschieden. Wie ist das so?

Kempf: Das ist schon geil, wenn ein Spieler da hoch kommt. Bei Jimmy Hoffer war ich nicht oben, der hat ja weder trommeln noch singen gekonnt (lacht). Eigentlich hatten die Fans da auch Willi (Orban) gefordert und nicht Jimmy (Hoffer). Andere kommen hoch und wollen unbedingt trommeln, wie Denis Linsmayer. Und als Martin Amedick nach dem Aufstieg unsere Lieder angestimmt hat, war das natürlich eines der Highlights überhaupt. In erster Linie denke ich dabei aber nicht an mich, sondern erhoffe ich mir dadurch mehr Identifikation zwischen Mannschaft und Fans, was in letzter Zeit ja leider eher kritisch war.

Der Betze brennt: Ein Abend, den man herausheben kann, war sicher auch das Pokal-Heimspiel gegen Leverkusen 2009. Woher kommt Dein gutes Gefühl für solche Momente? Gehst Du vorher alles durch und hast vielleicht schon ein paar Lieder im Kopf, oder geschieht das alles spontan?

Kempf: Da spielt mittlerweile auch die Erfahrung eine große Rolle. Ich sprechen nach dem Spiel immer wieder mit verschiedenen Leuten, gerade auch mit denen, die die alten Zeiten schon miterlebt haben, und nicht nur, aber natürlich auch, mit den Ultras. Was hat den Betze früher ausgemacht, was können wir davon in die Neuzeit übertragen, und was ist vor allem auch wichtig zu übertragen? Bei solchen Top-Spielen wie gegen Leverkusen oder auch 2010 gegen Bayern läuft aber eigentlich alles von selbst. Ich mache mir eher Gedanken bei Spielen, in denen es um „nichts“ geht oder wo nur 20.000 Zuschauer erwartet werden. Da ist es viel schwieriger, die Fans zu motivieren.

Der Betze brennt: Es gab aber sicher auch Tiefpunkte in den letzten zehn Jahren. Etwa den letzten Spieltag 2007, als es im Heimspiel gegen Köln einen Stimmungsboykott der Ultras gab, der total in die Hose ging.

Kempf: Ja, ich erinnere mich. Damals war wie so oft der Informationsfluss nicht gut, da muss die Ultraszene auch heute noch dazu lernen. Der Boykott war ganz kurzfristig: Weil der Verein kritische Spruchbänder erst erlaubt und dann verboten hatte, wollten die Ultras schweigen, und der Rest der Kurve wusste nicht warum. Da hatten sich die Leute gerade mit dem Megaphon identifiziert nach vier, fünf Jahren, und dann lief plötzlich nichts mehr. Aber daraus wurde auch gelernt und ich zum Beispiel würde das heute so nicht mehr unterstützen. Ich sehe mich als Vorsänger der ganzen Westkurve und nicht nur der Ultras.

Der Betze brennt: Trotzdem gab es 2012 im Rahmen der 12:12-Proteste nochmals einen Stimmungsboykott ...

Kempf: ... der aber auch von einer breiten Masse der Fans, in allen Stadien Deutschlands, mitgetragen wurde. Das war schon beeindruckend, und vorbildlich organisiert. Kritisch war da höchstens der anschließende Boykott über die kompletten 90 Minuten, nachdem die Vereine das umstrittene Sicherheitskonzept durchgewunken hatten. Dieses Spiel gegen Aalen war mit Sicherheit ein Tiefpunkt. Wobei ich da aber auch sagen muss, dass ich hinter dieser Aktion auch heute noch stehe, weil's für mich selbst richtig rübergekommen ist - ich habe mich da einfach verarscht gefühlt, nachdem unser Vorstand sein Versprechen gebrochen und das DFL-Papier unterschrieben hatte. Die Mehrheit der Stadionbesucher sah das genauso und hat auch diesen Protest unterstützt.

„Die Fans sind träge geworden“

Der Betze brennt: Was waren sonst noch Tiefpunkte für Dich?

Kempf: Da sind natürlich die Abstiege zu nennen, aber auch das häufige Schlechtreden von neuen Ideen. Manchmal kommen auch Vorwürfe, die so einfach nicht stimmen, wie etwa: „Wenn der Gegner nen Eckball hat, schreit der Hansel 'Auf geht’s Lautern schießt ein Tor'“. Das mache ich ganz sicher nicht. Aber das Spiel ist heute auch so schnell geworden, da kann man gar nicht mehr sofort auf alles reagieren. Natürlich ist es auch für mich ein Thema, die Emotionen aus der Kurve einfach mal laufen zu lassen, aber das hat in letzter Zeit auch nicht wirklich geklappt - leider. Es kommt fast nichts mehr aus der Kurve, es pfeift keiner mehr bei einem gegnerischen Eckball, kaum jemand brüllt der eigenen Mannschaft nach einem Fehlpass neuen Mut zu.

Der Betze brennt: Was sind die Gründe dafür?

Kempf: Das hat sicher mehrere Ursachen. Einige Fans denken vielleicht, wir hauen in der zweiten Liga jeden Gegner weg, aber diese Zeiten sind einfach vorbei. Die Leute sind auch insgesamt irgendwie träge geworden. Und natürlich fehlt die Euphorie auch aus den bekannten sportlichen Gründen.

Der Betze brennt: Wird die Kurve vielleicht auch durch den Vorsänger passiv?

Kempf: Das kann man sicher nicht abstreiten. Es hat sich eine Trägheit entwickelt und hier stellt sich die interessante Frage: Wie wäre es gekommen, wenn dies oder jenes anders gemacht worden wäre in den letzten zehn Jahren? Wie wäre die Stimmung heute ohne Megaphon, ohne Anlage oder ohne Ultras? Ich war ja in der letzten Rückrunde vier Heimspiele in Folge nicht da, und da bekam ich die Rückmeldung: Die Stimmung war in ein paar Details zwar anders, aber sie war unterm Strich nicht schlechter und nicht besser ohne Vorsänger.

Der Betze brennt: Wie können wir wieder mehr Leben in die Bude bringen?

Kempf: Dafür gibt es leider kein Patentrezept. Aber jeder FCK-Fan muss sich hinterfragen, ob er dem Erbe der Westkurve gerecht wird, so wie die Spieler dem Erbe Fritz Walters gerecht werden sollen. Wir müssen auch versuchen, die Jugend wieder anzuziehen, die uns gerade wegzubrechen droht aufgrund der sportlichen Situation. Auf den Tabellenplatz haben wir leider keinen direkten Einfluss. Aber dann brauchen wir, und das haben wir als Fans selbst in der Hand, wenigstens eine geile Kurve, wo die Leute sagen: „Da fahr' ich hin, in Lautern geht was ab!“

Der Betze brennt: Du hast es gerade angesprochen, in der vergangenen Rückrunde hast Du öfter arbeitsbedingt gefehlt. Wie sieht es für die neue Saison aus?

Kempf: Ich hatte in den letzten Monaten beruflich viel um die Ohren mit Weiterbildungen. Aber das ist jetzt alles geschafft und deswegen kann ich sagen: Nächste Saison bin ich wieder voll dabei!

Morgen im zweiten Teil des großen Interviews auf „Der Betze brennt“: Vorsänger Sascha Kempf über seine Wahrnehmung mit dem Rücken zum Spielfeld, den Umzug des Stimmungszentrums und die Zukunft der Westkurve.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Marky, Thomas

Weitere Links zum Thema:

- Zu Teil 2 des Interviews: „Kein Mensch will jemandem seinen Platz wegnehmen“

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