Ich pack es mal hier rein. Geht zwar um Red Bull im Fußball allgemein und nicht nur um Leipzig, passt aber denke ich trotzdem. Ein Lesetipp über ein gescheitertes Projekt des Dosenmülls in Ghana. Mit recht interessanten Passagen:
„Entwicklungshilfe“ auf verlorenem Boden
Fussball: Wie Red Bull eine Soccer Academy in Ghana eröffnete und wieder schließen musste
VON MIRKO WEBER
Felix Adjei ist Fußballer, 24 Jahre alt, Ghanaer und läuft für den österreichischen Klub FC Liefering auf. Das alles klingt unspektakulär, doch Adjei ist eine Besonderheit: Der junge Mann ist ein Produkt des gescheiterten Systems „Red Bull Ghana“.Der FC Liefering ist das Farmteam von RB Salzburg. Hier kann man für RB Spieler parken, ausprobieren oder ältere Modelle warten, pflegen und womöglich wieder fit machen für den Betrieb in Salzburg, Leipzig, New York. Überall eben, wohin sich der Konzern von Dietrich Mateschitz fußballstrategisch und marketingtechnisch orientiert hat. Es kann gut sein, dass Felix Adjei, prinzipiell ein Mann fürs Mittelfeld, schnell und 1,84 Meter groß, in Salzburg noch einmal richtig Anschluss findet. Es kann aber auch sein, dass er noch einmal ganz woanders aufläuft, irgendwo sonst in Europa, in der Zweiten oder Dritten Liga – Polen, Finnland, Belgien, wer weiß. Das Interessante jedenfalls ist, dass es sich bei ihm um ein einzigartiges Überbleibsel handelt: Er ist der einzige Spieler, der es je von „Red Bull Ghana“ und der dortigen Fußballakademie in Sogakope in die Welt gebracht hat. Wenn auch eben momentan nur bis zum FC Liefering.
Es wäre nun eine Möglichkeit gewesen, die Geschichte von Felix Adjei ad personam zu erzählen. Aber da Adjei nun wirklich nur ganz wenigen Trainern, Scouts und Spielerverkäufern bekannt sein dürfte, würde ein solches Buch, wie gut geschrieben auch immer, kaum großes Interesse wecken. Der Salzburger Soziologe Martin Kainz hat sich für etwas ganz anderes, viel Besseres entscheiden. Er erklärt in einer wissenschaftlichen Abhandlung, die enorm gut lesbar, ja richtiggehend spannend geworden ist, die Hintergründe des Systems „Red Bull Ghana“, und warum die Systematik scheitert.
Das nämlich ist der Hintergrund: Im Jahr 2007 übernimmt Red Bull in Ghana die Soccer School of Lavanttal. Ein Österreicher beerbt einen Österreicher. Lavanttal ist zwei Jahre zuvor gegründet worden und gehörte dem noch heute amtierenden Präsidenten des Fußballvereins Wolfsberger FC, zugleich Inhaber der Firma RZ Pellets. Ausgebildet werden ungefähr 35 Nachwuchsfußballer zwischen 16 und 23 Jahren. Geboten werden Schule, Training und Hilfe zur Selbsthilfe. Die sportliche Leitung der Akademie übernimmt der Ghanaer Richard Padmore, der in der österreichischen Bundesliga bei SK Sturm Graz gespielt hat. Er verantwortet ein Sozialprojekt. Als Red Bull einsteigt – aber das ist nicht allen am Anfang ausreichend klar – wird das „soziale Leistungsprinzip“ implantiert. Es ist die erste firmeneigene Akademie außerhalb von Europa. Für den Energy-Drink-Konzern öffnet sich ein weites soziales Feld. Ein zu weites. Das für afrikanische Verhältnisse strukturstarke Ghana (demokratisch regiert auf der Grundlage eines vorkolonialistischen Rechtssystems) stützt sich auf besondere Techniken des Verhandelns, die den Österreichern fremd bleiben. Im Kern geht es um den Satz, dass „am Ende des Tages das Land der Gemeinschaft gehört“. Diese Aussage ist vor allem dort bindend, wo sich die Akademie befindet. Sie bedeutet, dass der, der nimmt, auch eine Bringschuld hat. Red Bull allerdings will mit seinen europäischen Mitarbeitern lediglich Profis marktkonform kneten und ist nicht an Einmischungen der Einheimischen interessiert. Die Kommunikation zwischen Nehmern und Gebern funktioniert kaum. Außer Felix Adjei bringen die Österreicher keinen Spieler heim. Sie bringen aber auch den ghanaischen Fußball nicht weiter, und so scheitert nicht nur ein Geschäftsmodell, als Red Bull 2013 die Pforten der Akademie schließt. Keine weiteren Kommentare.
Martin Kainz geht den Verhältnissen in vielen Einzelgesprächen und mit Akribie auf den Grund und entlarvt nebenbei und ohne je zu eifern eine Spielart von Neo-Kolonialismus im Fußball, die etwas Beschämendes hat. Dies ist ein Buch der Aufklärung über die Ware Fußball jenseits aller branchenüblichen Tendenz zur Produktverklärung.
LESETIPP
Martin Kainz: Red Bull Ghana. Eine Akademie auf verlorenem Boden. Lit-Verlag, Münster/Berlin. 176 Seiten. 19,90 Euro.
Quelle
Ausgabe Die Rheinpfalz - Speyerer Rundschau - Nr. 65
Datum Mittwoch, den 18. März 2015
Seite 10