ExilDeiwl hat geschrieben:Lieber @ix35: vielleicht kann oder will sich ja gar nicht jeder so eine schwarz/weiß Meinung bilden oder sie äußern? Ich hab zwar heute noch nix zum Spiel und der Trainerfrage geschrieben, fühle mich aber indirekt angesprochen, weil ich selbst ziemlich hin- und hergerissen bin. Ich sehe das gestrge Spiel als gar nicht so schlecht an. Nur mit beschissenem Ausgang. Da hat Schuster endlich darauf reagiert, die Mannschaft von Beginn an offensiv spielen zu lassen. Dass es nicht gleich beim ersten Versuch so klappt, wie man sich das wünscht? Geschenkt. Wenn man dann weiter drüber nachdenkt: zwei Stürmer ohne echte Flügelzange? Und dann kommt die Flügelzange und Boyd, dem man noch am ehesten zutraut aus dem Nichts den Knallertreffer zu erzielen? Da kommen bei mir schon mächtig Fragezeichen auf.
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Sehr gute Beiträge von Dir. Vielen Dank dafür. Sie sind neben jenen von z.B. Hellboy und GerryTarzan79 (um nur einige zu nennen) auch eindrucksvoller Beleg dafür, dass die Aussage des ansonsten sehr geschätzten Users Ken07111978, dass es bei der Diskussion um Schuster nur schwarz und weiß gebe, zumindest in dieser Absolutheit für dieses Forum ganz sicher nicht zutrifft.
Mir geht es übrigens exakt genauso wie Dir, lieber ExilDeiwl. Ich bin in der Trainerfrage ebenso unentschlossen, hin- und hergerissen. Finde, es gibt gute Argumente pro Schuster und (inzwischen) auch gute Argumente contra Schuster. Nicht nur in diesem Thread wurden diese hinlänglich dargelegt und diskutiert. Manche Argumente von beiden Seiten finde ich überzeugend bzw. habe ich auch für mich so ausgemacht, andere Argumente teile ich nicht.
Aktuell befindet sich meine persönliche Pro/Contra-Waage ziemlich genau im Gleichgewicht, es kann aber schnell wieder in eine Richtung kippen. Seit der Verpflichtung von Schuster war diese schließlich fortwährend Schwankungen unterworfen.
Mit Bekanntgabe der Verpflichtung war ich eher gegen Schuster, aus der Emotion heraus, weil ich pro Antwerpen war und weil ich diese negativen Assoziationen bzgl. der Art und Weise des Fußballs, den Schuster in u.a. Darmstadt spielen ließ, hatte (also das, wofür sich gemeinhin – schon lange bevor er hier angeheuert hat übrigens – der Begriff „Schusterball“ etabliert hat).
Aber recht schnell ist es dann – schon vor den beiden Relegationsspielen – pro Schuster gekippt, weil zumindest ich schnell den Eindruck hatte, er hat einen Plan für die Relegationsspiele und ist Capretti taktisch und motivational haushoch überlegen.
Nach erfolgreicher Relegation und vor Start in die erste Zweitligasaison nach 4 Jahren war ich dann überzeugt davon, dass uns als Aufsteiger, der in die meisten Spiele als Außenseiter hineingeht, nichts Besseres passieren kann als Dirk Schuster. Er ist prädestiniert für widerstandsfähigen, defensiv stabilen, ekligen und kämpferischen Underdog-Fußball. Genau das brauchte es in unserer Situation. Pragmatismus und reine Ergebnisfixierung schlägt zwar gut anzuschauenden, aber ergebnistechnisch wenig erfolgreichen Offensivfußball. (Damit will ich nicht sagen, dass Offensivfußball nicht auch ergebnistechnisch erfolgreich sein kann, aber bezogen auf unseren Kader war mir evident, dass das Risiko damit baden zu gehen wesentlich höher war, als damit in der 2. Liga erfolgreich zu sein).
Der punktetechnisch erfolgreiche Saisonstart bestätigte das. Und zudem empfand ich den Fußball als gar nicht mal so unattraktiv. Ja, er war defensiv, stark gegnerorientiert und reaktiv, statt proaktiv und initiativ ausgerichtet, aber zumindest haben wir nicht nur mit hohen Bällen operiert, wie Schuster immer nachgesagt wurde. Klar war auch das ein wichtiges Stilmittel – gerade wenn man einen Zielspieler wie Boyd hat, ist es doch sinnvoll, dieses Stilmittel zumindest auch im Repertoire zu haben. Aber es gab auch die schön anzusehenden Umschaltmomente mit flachem vertikalen Kombinationsspiel. Und es gab eigentlich fast immer Kampf, Leidenschaft, Galligkeit, Mentalität. Und ja, zwischendurch gab es dann doch auch einige Spiele, in denen die hohen Bälle doch zu stark Überhand gewannen für meinen Geschmack. Aber es war nicht durchgängig so.
In dieser Phase war der Ausschlag meiner Waage dann fast komplett auf der Pro-Seite. Als dann ab dem 20. Spieltag die Ergebniskrise begann, bewegte sich da zunächst kaum etwas, auch wenn da im Forum schon die ersten Stimmen laut wurden, die Schuster zumindest zaghaft in Frage stellten und insbesondere den abwartenden, defensiven Ansatz mit Hauptfokus auf der konzentrierten Arbeit gegen den Ball bemängelten und für einen mutigeren, offensiveren, ballbesitzorientierteren, dominanteren Ansatz plädierten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber vollstes Verständnis für Schuster, dass er nicht in der ersten Ergebniskrise von 3-4 Spielen direkt den Ansatz, der uns überhaupt erst punktemäßig so überragende 19. Spieltage hat spielen lassen, über den Haufen wirft.
Nur wenn sich die Ergebniskrise fortsetzt sollte irgendwann halt dann doch der Zeitpunkt gekommen sein zu reflektieren, ob man den zwar 19 Spieltage lang extrem erfolgreichen, zuletzt aber auch schon mehrere Spiele nicht mehr erfolgreichen Ansatz weiterfahren möchte oder eben – gerade gegen verunsicherte, spielerisch auch nicht stärkere Gegner – tatsächlich mal offensiver, initiativer, mutiger auftreten sollte (z.B. Braunschweig). Da begann auch ich mich langsam über Schuster zu ärgern, war aber zunächst noch pro Schuster, wenn auch längst nicht mehr so deutlich wie zuvor. Die Verbannung von Klement aus der Startelf – gerade in Spielen, in denen eigentlich ein Umdenken zu einem spielerischeren Ansatz Not getan hätte – hat dann meine persönliche Schuster-Waage erstmals seit Verpflichtung wieder – wenn auch nur leicht – in die Contra-Richtung ausschlagen lassen. Ich hatte da dann auch wenig Hoffnung auf spielerische Entwicklung.
Allerdings habe ich diese in den letzten 4 Spielen gesehen, so dass die Waage wieder zurück ins Gleichgewicht bekommen ist, auch wenn es von den Ergebnissen her mit nur einem Punkt ja nochmal schlechter lief als zuvor. Aber wie haben viel von dem gesehen, was viele extreme Kritiker sehen wollten. Höheres Verteidigen, mutigeres Spiel, mehr Ballbesitz, teilweise regelrechte Dominanz mit Einbahnstraßenfußball (wobei das z.T. sicher auch den Spielständen geschuldet war, wo wir in Rückstand liegend kommen mussten und der Gegner abwarten konnte), gute Passquoten, mehr Abschlüsse, mehr Durchbrüche auf die Grundlinie oder in den Strafraum. Es sah bis ins letzte Drittel gut aus, teilweise sogar darüber hinaus, aber die allerletzten Zuspiele waren dann doch meist zu unpräzise oder wenn mal nicht, der Abschluss zu unkonzentriert. Aber wir waren in den 4 Spielen gefühlt öfter in potenziell gefährlichen Räumen als in der halben Hinrunde. Im letzten Spiel gesellte sich sogar noch Angriffspressing hinzu. Nicht über 90 Minuten, aber doch länger als das nur sehr sporadische, situative, was wir auch vorher immer mal einstreuten.
Natürlich liegt da noch Arbeit vor Mannschaft und Trainerteam, die gesehenen Ansätze für ein mutigeres, proaktiveres Spiel zu verfeinern, aber das ist doch auch klar, dass bei einer Umstellung der Spielphilosophie und taktischen Ausrichtung nicht von jetzt auf gleich alles reibungslos funktioniert.
Ich könnte kotzen, wenn nun diejenigen, die immer für einen mutigeren, offensiveren, dominanteren Ansatz agitierten, nun, da wir das offenbar versuchen Schritt für Schritt umsetzen, sich über ausbleibende Ergebnisse beschweren.
Vielleicht sollte man die Beurteilung Pro oder Contra Schuster aber nicht nur vergangenheits-, sondern auch zukunftsorientiert vornehmen.
Dann hängt es in meinen Augen davon ab, was wir nächstes Jahr realistischerweise als Saisonziel ausgeben und wie die finanziellen Möglichkeiten sein werden.
Wenn wir uns – z.B. weil wir in der Fernsehtabelle immer noch weit hinten liegen werden – keine großen Kaderverstärkungen leisten können und mit Rapp und de Préville und evtl. sogar Klement 2-3 unserer fußballerisch stärksten Spieler verlieren und unser Saisonziel daher wiederum „nur“ Klassenerhalt lautet, kann ich mir kaum eine bessere Lösung als Schuster vorstellen.
Wenn wir aber alle wichtigen Spieler halten und Geld in die Hand nehmen können (dank der Investoren?) für eine 3-5 richtig gute Verstärkungen mit klaren Startelfambitionen und dementsprechend unser Saisonziel (offiziell oder inoffiziell) sein wird, oben mitzuspielen und wir uns dazu auch spielerisch hin zu dominanterem, offensiveren, initiativeren entwickeln wollen, wäre hier Schuster nicht meine bevorzugte Wahl, trotz der ersten recht ansehnlichen Ansätze in den letzten 4 Spielen. Dazu gibt es sicher geeignetere Trainer. Da hielte ich – was eigenes Spiel durchbringen, koste es was es wolle vs. Spiel extrem stark am Gegner orientieren und ausrichten angeht - eine gesunde Mischung aus Tim Walter und Dirk Schuster für wünschenswert. Also die Akribie in der Gegneranalyse und –vorbereitung von Schuster kombiniert mit mehr Mut, die Stärken des Gegners zwar im Blick zu haben, aber dennoch nicht nur darauf zu setzen, diese zu eliminieren, sondern auch darauf, das eigene Spiel durchzubringen. Dazu gehören dann auch bessere offensive „Lösungsvorschläge“.