Charakter, Kampfgeist, Willensstärke - wurde das nicht bei fast jedem Transfer der letzten Jahre hervorgehoben? Will man einen Sickinger oder Kraus, die gestern mit die schlechteste Leistung im FCK-Trikot gezeigt haben, den unbedingten Willen zum Sieg absprechen? Ich denke, damit macht man es sich zu einfach.
Das Spiel gestern wurde im Kopf verloren, da sind wir uns wohl alle einig. Von Anfang an ängstlich gegen einen selbst verunsicherten Gegner aufgetreten, leichte Ballverluste und zögerliche Offensivaktionen auf beiden Seiten, zwei Mannschaften mit dem Rücken zur Wand und niemand will den entscheidenden Fehler machen oder einen Elfer verursachen und dann kommen solche Slapstick-Tore wie das 2:3 raus, wo der hochmotivierte 20-jährige Einwechselspieler von Meppen in seinem zweiten Profifußballspiel mit freundlichem Begleitschutz der halben FCK-Mannschaft aus perfekter Position abschließen kann.
Da kann man einerseits sagen, das zeugt von fehlender Mentalität, fehlender Galligkeit in den Zweikämpfen, mit der andere Drittligisten ihre spielerischen Limits ausgleichen können. Aber was kannst Du da als Trainer anderes machen als immer wieder Zweikämpfe zu üben, den Spielern Halbzeit-Predigten über Kampf und Aggressivität halten und sie dann gegebenfalls auszuwechseln oder draußen zu lassen, wenn es Alternativen gibt. Alternativen, die auch mit dem Druck umgehen können, der bei uns auf dem Kessel ist, wenn wir als Aufstiegsaspirant nach sechs Spieltagen noch keinen Sieg haben. Wo gegen den vermeintlich leichteren Gegner und als Geschenk für den verletzten Kameraden ein Sieg her MUSS. Das schafft seit Jahren kein Trainer oder Mannschaftspsychologe, dass unser Team Wege findet, mit diesem Druck umzugehen.
Daraus kann man schließen, dass es am Recruiting liegt, Trainer und Verantwortliche kommen und gehen, nur der Sportdirektor bleibt so hartnäckig wie der Misserfolg, deshalb muss es da eine Verbindung geben. Aber letztlich ist das auch nur die Suche nach einem Sündenbock, denn ob ein Spieler diese "Mentalität" auch unter unseren Voraussetzungen immer zu 100% bringen kann, egal was ihm aus der englischen Woche noch in Knochen und Kopf steckt, das kann der beste Sportdirektor nicht bei jeder Verpflichtung garantieren. Mit Pourié ist ein richtiges Mentalitätsmonster verpflichtet worden, aber wenn Du vier oder fünf solche Alphas in die Mannschaft holst, zerfetzen die sich irgendwann gegenseitig.
Die Neuverpflichtungen für diese Saison sahen in den letzten Spielen noch mit am besten aus (Redondo nehme ich mal heraus nach der pomadigen Leistung gestern). Pourie, Ritter, Rieder und Hanslik waren gestern nicht das Problem. Die Schwachstellen waren die rechte Seite, auf der Schad schmerzlich gefehlt hat und ein überforderter Hercher ohne Spielpraxis Abstimmungsprobleme mit seinen Mitspielern hatte und gedanklich oft zu spät kam. Und die Innenverteidigung, die den Gegenspielern viel zu zögerlich entgegengetreten ist und oft unkonzentriert wirkte. Auf diese wichtige, gerade in der dritten Liga spielentscheidende Position kannst Du auch keine Jugendspieler aus der zweiten Mannschaft setzen, die dann verheizt werden, Hainault wiederum ist zu langsam und ebenfalls nicht eingespielt. Winkler wird im nächsten Spiel auflaufen und hoffentlich wieder bei 100% sein, ansonsten sehe ich hier ein großes Problem und da muss man den Vorwurf definitiv an Notzon und Schommers richten, die statt einem weiteren offensiven Mittelfeldspieler lieber noch einen gestandenen Innenverteidiger verpflichtet hätten. Dass Sickinger diese Position nicht kann, sehen wir schon seit mindestens einer Saison und dass sich Winkler oder Kraus verletzten können, war auch nicht unvorhersehbar. Schon als Röser verpflichtet wurde, haben etliche Fans gesehen, dass ein weiterer Innenverteidiger eigentlich viel wichtiger gewesen wäre. Dann hat man Hloušek geholt, der nominell Innenverteidigung kann, aber mit seinen Flanken im Aufbauspiel viel zu wichtig ist, um ihn von der Außenbahn wegzunehmen. Rieder und Ciftci beides Sechser, die damit noch weniger Erfahrung haben als Sickinger und gleichzeitig mit diesem konkurrieren. Sickinger hat nach den Leistungen der letzten Spiele keinen Platz in der Startelf verdient, aber den Kapitän kannst Du auch schlecht auf der Bank lassen. Letztlich ist er mit dieser Rolle doch überfordert und man sollte die Binde lieber einem seiner mental stärkeren Konkurrenten geben.
Für mich ist klar, bei aller berechtigten Kritik an Notzon, auch wenn man den Sportdirektor austauscht, werden wir nicht plötzlich in die Bundesliga durchmarschieren. Neuzugänge werden nicht nur von einer Person entschieden, der Mann arbeitet jetzt mit dem vierten Trainergespann in zwei Jahren zusammen. Ob die Sportdirektoren der Konkurrenz da bessere Entscheidungen getroffen hätten, wage ich zu bezweifeln. Stellt euch mal vor, wir hätten auf der Position einen Henke...
