War für mich als Wahlberliner gestern schön, die Mannschaft und ihr taktisches Verhalten mal wieder im Stadion sehen zu können (keine Ironie!).
Positiv:
- die Jungs haben sich gestern nach einem Raketenstart der Hertha (ich wusste, dass nach Hertha-Union die Chancen auf eine "schläfrige" Hertha-Truppe gering sind, aber das war in den ersten 10min das beste Pressing, das bisher eine Mannschaft gg. uns gespielt hat - die Herthaner um mich rum waren selbst alle ziemlich überrascht) defensiv "reingebissen"; von der Ramos-Chance nach 7min bis zu Baumjohanns Platzverweis haben wir die Hertha genauso abgemeldet wie die uns; Baumjohann hat gerade nach hinten seine Seite super mit dicht gemacht, war dabei für mich sogar stärker, weil Gedankenschneller, als Fortounis auf der anderen Seite; wer Kostas wiederum vorwirft, er stoppe den Ball 5m weit, der sollte vielleicht fairerweise dazu sagen, dass er in der ersten Halbzeit bei Hertha-Ballbesitz konsequent seine Gegenspieler angelaufen ist und dabei ein paar Mal grandios die Spieleröffnung der Hertha-IV antizipiert hat - dass er nach dem "Fuß rein stellen" dabei keinen 2. Ball bekommen hat kann man bei diesen scharfen Flachpässen des Gegners auch anders als mit Unvermögen erklären...; auf jeden Fall hat sich da was getan, unsere OMs sind kein Sicherheitsrisiko für die Abwehr mehr - auch das kann man zur Kenntnis nehmen.
- Torrejon! Unglaublich stark. Wie der dem derzeit besten Stürmer der Liga (Ramos ist in Topform) Paroli geboten hat, klasse. Gestern hat er (nicht das erste Mal) gezeigt, warum er aktuell unser Abwehrchef ist - die solide Leistung von Dome Heintz hat Torrejon nochmal um längen getoppt; der (wieselflinke) Ramos war mindestens 3x schon ein paar Meter weg - wie Marc den noch geholt hat! Fair! Das war großes Tennis.
- taktisch war das defensiv mitunter großartig (Ronny im Kollektiv abgemeldet), auch im Kontrast zur Hertha; Hertha war uns physisch insgesamt klar überlegen (typische Luhukay-Mannschaft, dass der Ronny "mitschleppt" ist schon das höchste der Gefühle), entsprechend haben sie ein sehr aggressives Pressing gespielt, unser Ballführender wurde immer direkt attakiert. Das können wir physisch gar nicht in gleicher Weise spielen; umso mehr war ich (positiv) überrascht, wie wir nach den turbulenten ersten Minuten auf unsere Weise der Hertha den Schneid abgekauft haben: Der Ballführende Herthaner wurde konsequent gedoppelt, die Tatsache, dass Hoffer, Baumjohann, Fortounis (und hier tut's weh: gestern auch Köhler) allein in der Regel für einen physisch starken, halbwegs ballsicheren Angreifer kein Hindernis darstellen haben wir grandios darüber aufgefangen, dass immer 2 Mann die Passwege des Ballführenden Herthaners zugestellt haben. Was wir ab Minute 8 geleistet haben, war nicht nur unglaublich laufaufwändig und kraftraubend - was mich am meisten überrascht hat: Es war defensiv nahezu perfekt organisiert! Bis zur ominösen 68. gab es bei uns nur einmal mit 10 Mann Anfang der 2. Halbzeit (auf unserer linken Seite) eine Situation, in der wir uns durch Stellungsfehler in Unterzahl gebracht haben. Sonst haben wir das Kunststück vollbracht, durchgängig zu doppeln - ohne das Lücken entstanden wären. Das hat in der Hinrunde so konstant nicht ein einziges Mal geklappt. Aber mir geht es bei diesem Hinweis gar nicht darum, dass es tatsächlich auch den ein oder anderen Fortschritt in unserem Spiel gibt; mir geht es vielmehr darum, ein inhaltliches Beispiel dafür zu bringen, wie hier im Forum seit dem Duisburg-Spiel alle Dämme gebrochen sind (tut echt weh das zuzugeben: die Diskussionen auf tm.de sind aktuell interessanter und geistreicher, als das was hier los ist - auch wenn ich mich bei dem Shice-Laden sicher nie anmelden werde). Da wird Seitenweise in 2-Zeilern wiederholt, dass unser Trainer taktisch ne Null sei und keinen Plan hätte, bis es allein durch die schiere Masse dieser Beiträge hier zu so etwas wie einem (bis auf wenige Ausnahmen) unwidersprochenen Grundpfeiler der Diskussion wird. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich hab auch meine Probleme (besser gesagt: unerfüllten Wünsche) in Bezug auf den Fußball den wir spielen. Aber das heißt nicht, dass ich nicht erstmal versuchen kann, zu verstehen was der Ansatz unseres Trainers sein könnte. Oder etwas offensiver formuliert: All die, die hier lauthals krakelen wir hätten überhaupt kein System, sollten sich vielleicht mal für eine Sekunde damit beschäftigen, wie sie damit bei denen rüberkommen, die das System sehen (und ich geh soweit, warum soll man sich als vernünftiger Mensch immer die Hände hinter den Rücken binden: sehen können)
Negativ:
Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch sehr viel zu kritisieren.
- dass Köhler gestern defensiv ein Totalausfall war - und nach vorne bestenfalls den Ball nach missglücktem Dribbling verloren hat - schmerzte echt; ich hatte mir Ariel von Beginn an gewünscht, war aber auch nach Köhlers Nominierung null nervös; doch der scheint grad vollkommen außer Form
- dass Flo eben letztlich doch wieder der war, der unser taktisch anspruchsvolles Defensivspiel für die entscheidende Millisekunde nicht überblicken konnte; ich weiß nicht, wie weit Riedel ist - aber nachdem mit Löwe (der auch gestern hinten wieder gezeigt hat, dass er taktisch schon dem ein oder anderen großen Lehrer zuhören durfte) die Baustelle hinten links mit nem Volltreffer geschlossen ist müssen wir wohl im Auge behalten, ob Flo das Niveau seiner 3 - für unsere Verhältnisse - bärenstarken Kollegen halten kann; jede Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied... reiß Dich am Riemen Flo, einen Dick in Topform brauchen wir dringend!
- Let's speak about the elefant in the room: Die Mannschaft spielt nach vorne entweder zögerlich und verunsichert oder überhastet und unsauber, dazwischen gibt's nix. Klar, für einen großen Teil der Beteiligten hier läuft diese Beboachtung unter "is doch nix Neues, so war die ganze Hinrunde". Dem möchte ich widersprechen. Okay, wir haben in der Hinrunde kein Spiel über 90min im Griff gehabt, das berühmte "Dominanz-Problem". Aber wir wussten, wie man einen Angriff aufbaut. Wir haben pro Spiel mehrmals den Beweis angetreten, dass wenn wir etwas Platz und einen lichten Moment haben schöne Angriffe ausgespielt werden. Das was aktuell nach vorne geht ist für mich deutlich
schlechter als in der Hinrunde. Nun muss man berücksichtigen, dass die geforderte Stabilität in der Defensive gewonnen wurde, aber: F*ck it. In besseren Tagen dieser Saison hieß es hier immer warnend "die Defensive gewinnt Meisterschaften". Ich bin kein Freund von dem Spruch. Unter MK haben wir gesehen, dass mit einer funktionierenden Defensive allein nichtmal der Klassenerhalt sicher ist. Von daher: Lieber wieder jede Woche ein Gegentor, dafür aber die nötigen Tore und Punkte. Und mMn war gestern im Stadion relativ klar zu sehen, wo's hakt: Das Mittelfeld arbeitet jetzt geschlossen nach hinten; damit wir bei Gegenstößen Anspielstationen haben stehen jetzt 2 Stürmer vorne rum; Ergebnis: Die Lücke zwischen Mittelfeld und Angriff ist viiiiiiiel zu groß, gestern kam noch hinzu, dass wir durch die Doppelsechs das zentrale offensive Mittelfeld grundsätzlich nicht besetzt haben (Köhler war diesmal konsequent ein 6er). Baumjohann und Fortounis waren auf den Halbpositionen die ärmsten Säue - immer nur mit 3 Optionen: Rückpass / riskanter Steilpass in die Spitze / Antritt und Doppelpassversuch. Gegen die Berliner Doppelsechs war für letzteres praktisch nie Platz, weshalb die wiederholten Versuche immer in "blinden" weil vom Gegner zugestellten Pässen endeten. Und dass (zumindest bis zum Platzverweis) vorne 2 Stürmer sich die Füße in den Bauch stehen bringt in so einer Spielsituation einfach mal gar nix. Ich weiß, hier glaubt man lieber, dass Foda beim Erwerb der Trainerlizenz geschlafen hat, aber die Wahrheit ist mMn so einfach wie (für die meisten hier) schmerzhaft: 4-4-2 sucks. Ich halte von der Raute eh nicht viel (weil Defensiv zu wacklig, Karls tolles Stellungsspiel hin oder her); gestern haben wir (zum Glück) mal erzwungernermaßen 4-4-2 mit Doppelsechs in Reinform gespielt (Köhler war - den gebrauchten Tag mal außen vor - taktisch disziplinierter als in den Spielen zuvor) - und gesehen, dass unser Defensivverbund bei zwei 6ern und disziplinierten Außen ne Macht ist. Defensiv die beste Leistung der Saison, auch und gerade in Unterzahl. Allein das schreit für mich: Killt die Raute! Nur ist das 4-2-2-2 auch keine Lösung - ohne zentrale Anspielstation im OM ist jeder Versuch eines geordneten Kurzpassspiels zum Scheitern verurteilt. Und
dass Kurzpassspiel ein vielversprechender Weg ist, um diese fürchterliche Liga zu verlassen hat das Spiel gestern mMn gezeigt wie kein anderes. Zwischen Minute 10 und dem Platzverweis hat sich das Spiel zu 90% maximal 15-20m in der jeweiligen Hälfte bzw. auf 30-40m um den Mittelkreis begrenzt; in dieser Liga wird grad gespielt wie in der Serie A in den 90ern. Da gibt es nur 2 Wege raus: a) Man setzt auf Physis und ein paar Brecher, die über Standards etc. diese Anti-Spiele entscheiden; dann hat man aber den Kader voller Spieler, die in Liga 1 nicht zu gebrauchen sind (viel Spaß nächste Saison, liebe Hertha

) oder b) man entwickelt die Spielkultur, um auf diesem begrenzten Raum durchstoßen zu können. mMn waren wir in der Hinrunde in Sachen b) auf einem guten Weg. Die Systemumstellung hat uns nicht weitergebracht. Gestern hat sich die Doppelsechs defensiv mMn klar als "weapon of choice" durchgesetzt; wenn man dann spielen will, braucht man eine lückenlose Kette bis nach vorne - und dafür mMn einen zentralen Aufbauspieler. Da verzichte ich gerne auf den (ohne funktionierendes Aufbauspiel vollkommen unnützen) zweiten Stürmer.
Fazit:
mMn gab's gestern Licht (hinten) und Schatten (vorne). Und eine ganz interessante Studie darin, wo wir stark und schwach sind. Das hat Lehrgeld gekostet - und tat weh. Aber wenn man diese Lektion gut analysiert und die richtigen Schlüsse daraus zieht, dann bietet sich die Chance, tatsächlich einen substantiellen Schritt nach vorne zu machen.
Für mich ergibt sich aus einer solchen Analyse eine klare Systempräferenz (Knackpunkt bleibt, dass Käptn Bunjaku dann mit Mo um einen Platz kämpfen muss - mMn das kleinere Übel gegenüber Offensivleistungen wie gestern):
-----------Sippel----------
Dick---Torrejon--Heintz--Löwe
(Riedel)
-----Karl----Borysiuk------
Fortounis-Baumjohann-Köhler (Drazan)
--------Idrissou (Bunjaku)------
mMn eine fast optimale Aufstellung mit unserem Kader; einziger Nachteil: Fortounis ist kein "klassischer" Außen; daher könnte ich mir auch alternativ eine Taktik mit zwei 6ern, einer 8 als Zentrale und zwei verkappten 10ern vorstellen:
-----------Sippel-----------
Dick---Torrejon--Heintz--Löwe
(Riedel)
-----Karl----Borysiuk--------
---------Köhler-------------
--Fortounis-----Baumjohann--
--------Idrissou (Bunjaku)----
Let's face it: Das 4-4-2 mit Raute hilft uns vielleicht noch gg. den ein oder anderen schwächeren Gegner (so lange der unserer 6 nicht wie Union, Aalen, 60 oder die Hertha die Sch*iße aus dem Leib presst). Wenn wir ein System etablieren wollen, dass uns gegen Gegner vom gestrigen Kaliber (Relegation!) weiterhilft, dann wird es höchste Zeit, mit der in veränderter Besetzung (Karl, Löwe) nun grandiosen Defensive zum 4-5-1 zurückzukehren.
Dann können wir Offensivautomatismen einspielen - im 4-4-2 wird das ein harter Ritt. Wenn wir das hinbekommen, dann ist das Lehrgeld der letzten Spiele gut investiert. Denn eine Rückkehr ist eben nicht das Gleiche, wie wenn man einfach bei etwas geblieben wäre. Wenn wir auf dem Umweg übers 4-4-2 das Verteidigen als Kollektiv gelernt haben, dann war's das Wert - auch wenn's im 4-5-1 weitergehen sollte. Dialektik n shit.