Wenn man zurückblickt ist es fast schon ein Wunder das wir überlebt haben.
Wir fuhren als Kinder in Autos ohne Kindersitz, nicht angeschnallt und ohne Airbags.
Unsere Zimmer waren mit Cadmium und bleihaltiger Farbe gestrichen.
Wir konnten die Medizinfläschchen ohne Mühe öffnen, ganz zu schweigen von Reinigungsmitteln.
Wir tranken Wasser aus Hähnen, oder sogar aus dem Bach.
Wir fuhren Fahrrad ohne Helm.
Wir schraubten unsere Rollschuhe auseinander, sägten ein Brett durch und bauten uns ein Skateboard zusammen. Damit gings dann zum steilsten Hügel im Dorf. Bremsen und Angst kannten wir nicht.
Wir bauten uns Floße und damit ging es über den Baggersee, ersoffen ist keiner.
Zum spielen gingen wir morgens aus dem Haus, waren den ganzen Tag "verschollen" und kamen erst abends wieder. Handys gab es nicht.
Wir rauchten Lianen, weil es cool war.
Wir sind auf die höchsten Bäume geklettert.
Eine Aufsichtpflicht gab es nicht.
Wir schnitten uns, brachen uns Knochen und schlugen uns Zähne ein.
Wir aßen Brote mit dick Butter drauf und wurden trotzdem nicht dick.
Wir hatten 3 Fernsehprogramme und unter der Woche war um 24 Uhr Sendeschluß.
Wir tranken mit unseren Freunden aus einer Flasche und haben es überlebt.
Ja, wir hatten Freunde!
Wir trafen sie auf der Straße, einfach so. Oder latschten einfach zu ihnen nach Hause und klingelten. Manchmal mußten wir gar nicht klingeln, die Tür stand offen und wir latschten einfach rein. Wir brauchten keinen "Termin" und auch keine Eltern fragen. Niemand mußte uns hinbringen oder abholen.
Wir bauten Steinschleudern, aus Ästen Schwerter und spielten Krieg. Als Bandenzeichen haben wir uns ein kleines Hakenkreuz auf den Arm gemalt und wurden nicht angezeigt.
Wir aßen Würmer und aus Erfahrung kann ich sagen, daß sie im Magen nicht weiter leben.
Wir haben Fußball gespielt, überall wo Platz war. Es durfte nur der mitspielen der auch gut genug war. Die die nicht mitspielen durften, mußten mit der Enttäuschung klar kommen. Jeder wollte damals Briegel, Hellström oder Toppmöller sein, niemand ein Beckenbauer oder Müller.
Manche schüler waren nicht so schlau wie andere. sie fielen durch Prüfungen und blieben sitzen. Das führte damals nicht zu emotionalen Elternabenden oder gar zur Änderung der Leistungsbewertung.
Wir haben viel Scheiß gemacht und mußten mit den Konsequenzen leben. Hatten wir mal etwas gröberes angestellt, holten uns unsere Eltern nicht gleich aus dem Schlamassel. Ganz im Gegenteil, sie waren oft der gleichen Meinung als die Polizei. Sowas aber auch.
Später fuhren wir mit unseren Mofas Samstags 80 Kilometer zum Betze. Für Sprit und Eintrittskarte gaben wir unser ganzes Taschengeld aus. Ein Karte für die Westkurve zu haben, war das Größte. Noch Größer war es aber wenn uns einer in den 8er Block geschleust hat. Denn da standen für uns die Allergrößten. Ehrfürchtig standen wir da und saugten die Atmosphäre auf, trauten uns kaum mit zu schreien. Bis dann einer mit einer Kutte an uns auf die Schulter klopfte und sagte: "Kumm Kläner, kreisch mit". Wir hatten selbstgestrickte rot-weiße Schals und Mützen an.
Gegen Barcelona haben wir Bengalos gezündet, aber niemand ist verbrannt. Wir standen mitten in Rauchbomben. Wir wurden mit Bier gegossen. Nach einem Tor lagen wir 6 Stufen tiefer. Wir weinten nach dem 3:1 gegen Barcelona. Wir überlebten Auswärtsfahrten nach Mannheim oder Homburg.
Ja, wir haben alles überlebt und wir sind Helden!
