westline hat geschrieben:Über Pyro
Wenn sich der Derby-Rauch verzogen hat...Von Carsten Schulte
Münster - Jetzt hat's also wieder geraucht im Preußenstadion. Über Monate war Ruhe, lediglich auswärts fackelten die Preußenfans gelegentlich. Eine Art selbstauferlegte Beschränkung, die aber zum Derby aufgehoben wurde. Und jetzt?Nähme man das Thema wie es ist, bräuchte es kein weiteres Wort. Die Grenzen zwischen Recht und Selbstverständnis sind so klar, dass eine Diskussion an keinem Punkt mehr neue Erkenntnisse bringt. Es sind immer nur die gleichen Argumente zu immer neuen Anlässen. Insofern stellt sich die Frage: Muss man das Thema jedesmal wieder anfassen?
Es ist ja eigentlich witzlos. Rauch und Bengalos gehören für viele Ultras zum Support wie die schicken Choreos, über die alle immer erfreut sprechen und die gemeint sind, wenn von "friedlichen Fußballfesten" die Rede ist. Man kann über diese Tatsache unterschiedlicher Meinung sein, es ändert aber nichts an ihrem Bestand.
Was soll also die weitere Auseinandersetzung damit? Das ist, als wollte man einem Kohlkopf ausreden, beim Kochen zu müffeln.
Die Schöne und das BiestAls Dekoration und belebendes Element sind die Ultras immer gern gesehen von "neutralen" Fans, von Medien und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB). So eine schmucke und farbenprächtige Kurve wie am Samstag im Derby gegen Osnabrück: Schwarz-weiß-grüne Fahnen, dazu die Stadtfarben Münsters - toll. Wunderschön. Was für eine jovle Arbeit. Applaus, Applaus.
Bis dann der erste Rauchtopf alles in Qualm taucht. Und zwischendrin etwas brennt. Das ist dann die böse Seite. Jetzt sind es Chaoten. Das sind diese Leute, über die bei Fernsehübertragungen die Reporter seufzend raunen "Das sind jetzt natürlich Bilder, die wir nicht sehen wollen im Fußball..."
Es sind natürlich noch immer die selben Fans, die vorher Stunden und Stunden auf die bunten Choreos verwandt haben. Die jetzt aber diese böse Fratze zeigen und den Fußball, den alle anderen wirklich lieben, zerstören.
Es ist schwierig, in diesem Spannungsfeld die Logik nicht aus den Augen zu verlieren.
Verboten. Trotzdem.
Es ist im Grunde auch unergiebig, über die Sache zu sprechen. In allen Stadien Deutschlands sehen die Hausordnungen ein Verbot von Pyrotechnik vor. Recht und Gesetz schlagen eigenen Willen. Der DFB hat keine Lust, über eine Aufweichung zu diskutieren. Die Polizei schon gar nicht. Für beide bleibt es dabei: Wer zündelt, ist ein Straftäter. Das Problem: Es interessiert einfach keinen dieser "Täter". Das ist die Macht des Faktischen: Verboten, aber trotzdem.
Das emotionale Argument, dem eigenen Verein zu schaden, wird nicht verfangen. In den Augen vieler Ultras (vielleicht sogar "normaler" Fans?) rinnt das Geld den Vereinen doch ohnehin an ganz anderen Stellen durch die Finger. Verglichen mit Abfindungen für entlassene Trainer oder Sportdirektoren sind die DFB-Strafen für Pyrotechnik fast lächerlich gering. Und ausgerechnet in diesem Lichte sollen Strafen über 5.000 Euro oder mehr eine Abschreckung darstellen?
Man kann, so einfach ist das, dieses Thema nicht zufriedenstellend beenden. Da kann der DFB noch so drastische Strafen aussprechen, kann ganze Fanszenen aussperren, kann Geisterspiele veranlassen - das ist im Grunde alles nur ein lächerlicher Versuch, einen Stein mit Luftballons zu zerstören. Kein einziger Bengalo wird weniger gezündelt, nur weil da in Frankfurt ein Verband mit Geldstrafen oder Blocksperren droht. Ein interner Bewusstseinswandel durch äußeren Druck? Das kennzeichnet doch den ganzen Widersinn überhaupt.
Das einzige Szenario, das dadurch verstärkt wird, ist eine noch stärkere Reaktanz in der Ultra-Szene. Wir gegen die - das ist doch ohnehin schon das festgemauerte Bild in den Köpfen der Kurve.
(...)
Vereine sind machtlosAlso einfach alle machen lassen? Nun ja, welche Optionen gäbe es denn sonst? Die Vereine, die von Polizei und DFB gerne in die Verantwortung gerufen werden - was sollen diese Vereine denn tun? Sie setzen um, was machbar und realistisch ist. Es ist aber glattwegs dumm, den Vereinen irgendeine Verantwortung aufzubürden für die menschliche Natur. Und was sonst als die menschliche Natur spielt sich da ab? Es gehört zum Prozess des Erwachsenwerdens dazu, sich zu reiben an Regeln und "Obrigkeiten". Das bedeutet nicht, dass es nicht immer wieder Ermahnungen und Strafen geben muss - aber sie wirken immer nur für einen Augenblick und im nächsten sind sie vergesssen. Einen nachhaltigen Lerneffekt wird es hier nicht geben und die Lage heute ist ein deutlicher Beleg dafür. Gäbe es einen Lerneffekt, wäre er zu sehen, so einfach ist das.
Und das bedeutet - so unbefriedigend das scheinen mag - eine ganz einfache Konsequenz. Es gibt Probleme, die sich nicht lösen lassen. Es gibt aber sehr wohl Probleme, die ihre Schärfe verlieren, wenn der Umgang mit ihnen entspannter wäre.
Deeskalieren. Abrüsten. Entkriminalisieren. Das scheint der einzig mögliche Weg zu sein.
Quelle und kompletter Text: http://www.westline.de/fussball/sc-preu ... 91,2158109