Nachdem sich der populistische Teil der Diskussionen um das Relegationsspiel Düsseldorf-Hertha langsam etwas gelegt hat, melden sich auch die vernünftigeren Stimmen vermehrt zu Wort. Hier ein paar neue Artikel zum nachdenken:
Skandalös ist, was man draus macht
ProFans erschrocken über Medienhysterie und populistische Forderungen hinsichtlich des Relegationsspiels Düsseldorf-Hertha BSC
Hamburg, 31. Mai 2012 – Mit Erschrecken haben die in der Fanorganisation ProFans zusammengeschlossenen Gruppen die mediale Diskussion zu den Geschehnissen während des Relegationsspieles zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC zur Kenntnis genommen. Sich in Superlativen ergehend wurde selbst in sonst seriösen Medien beispielsweise von einem „Skandalspiel“ berichtet, von „Chaos“ gar und „Tumulten“.
Fakt ist: Während des Spiels kam es auf beiden Seiten zum Einsatz von Bengalischen Feuern, die leider vom Gästeblock aus auch auf das Spielfeld geworfen wurden. Dies ist zu kritisieren und klar zu verurteilen. Kurz vor Ende des Spiels kam es außerdem zu einem verfrühten Platzsturm durch Düsseldorfer Fans, die allerdings schnell wieder vom Grün verschwunden waren, nachdem sie hier zu aufgefordert und auf ihren Fehler hingewiesen worden waren. Hieraus wurde ein „Skandalspiel“ herbeigeschrieben, von dem wohl jeder, der es nicht selbst gesehen hat, glauben musste, es ginge um Leben und Tod. Ging es ja offenbar auch. Jedenfalls, wenn man Herrn Schickhardt, von Hertha BSC Glauben schenkt, der von „Todesängsten“ seiner Spieler sprach und davon, dass man ein „Blutbad“ verhindert habe, indem man wieder auf den Platz kam.
ProFans ist schockiert, dass nicht einmal ein Jahr nachdem es in Ägypten zu mehr als 70 toten Fans kam, weil unter anderem Sicherheitskräfte in die Menge schossen, derartige Vokabeln im Zusammenhang mit einem Platzsturm verwendet (und von den Medien dankend verbreitet) werden, der nicht etwa aus Aggression, sondern aus Freude über den erneuten Aufstieg in die erste Bundesliga erfolgte, in der Fortuna Düsseldorf geschlagene 15 Jahre vergebens in der Tabelle gesucht wurde.
Unsachlich und übertrieben sind die Forderungen nach härteren Sanktionen aufgrund der „neuen Welle der Gewalt“. Die Polizei Düsseldorf vermeldete in ihrem Spielbericht keinen einzigen Verletzten und keine größeren Vorkommnisse vor, während und nach dem Spiel. Wo ist also die Gewalt, wenn nicht einmal die Ordnungshüter davon zu berichten wissen? Diese sind schließlich einer Verharmlosung von sicherheitsbeeinträchtigenden Vorfällen beim Fußball alles andere als verdächtig.
Es gab in Düsseldorf kein Skandalspiel, sondern ein vom Spielverlauf sehr emotionales, dramatisches Duell um den Aufstieg, das von einem Verein gewonnen wurde, dessen Fans seit 15 Jahren keinen Bundesligafußball gesehen und ihre Rückkehr irrtümlich zu früh gefeiert haben. Mehr nicht.
In den Tagen nach dem Relegationsspiel waren die Vorkommnisse das Thema der Stunde. Das Aufgreifen der Medien ist verständlich, der größte Teil der Umsetzung allerdings scharf zu kritisieren. „Seit dem großen Medienaufschrei Rund um das Pokalsspiel Dortmund-Dresden im Herbst letzten Jahres, hatten wir gehofft mit dem Fankongress in Berlin und den Bemühungen um einen effektiven Dialog auf einem anderen Weg zu sein“ sagt Jakob Falk von ProFans. Doch solche Bemühungen werden torpediert, wenn sich außenstehende Prominente und populistische Scharfmacher in Fernsehshows mit ihren Kommentaren und unsachgemäßen Forderungen in Szene setzen. Abgesehen davon, dass die berichtenden Formate sich leider wenig professionell präsentierten, wurde inhaltlich wieder einmal alles vermischt, was es zu vermischen gibt. Die feiernden Fortunafans mit auf den Platz fliegenden Fackeln, mit dem gewalttätigen Angriff von Anhängern des Oberligisten BFC Dynamo auf Fans aus Kaiserslautern oder gar völlig zusammenhangslosen Bildern polnischer Fußballausschreitungen. Das ist enttäuschend, aber auch nicht wirklich neu. Wirklich schlimm ist es, wenn durch solche Einflussnahme eine eigentlich sachliche Debatte wieder verunsachlicht und zurückgeworfen wird. ProFans hat bewusst an keiner der vergangenenTV- Sendungen und keinem dieser Interviews teilgenommen. Wir fordern die Medien auf, im Sinne aller, die an einer lebendigen, von positiver Energie nur so strotzenden Fankultur interessiert sind, differenziert und weniger druckausübend zu berichten. Wenn es nachhaltige Erfolge geben soll, ist es nötig, dass alle wirklich Beteiligten – die Verbände, Vereine, Fanprojekte und Fans – in Ruhe ihre bereits begonnene Arbeit fortführen können. Der Ruf nach schnellen und harten Sanktionen behindert die bereits stattfindenden Bemühungen und sorgt mit seinem bedrohenden Charakter sogar für mehr Eskalationspotential als für eine von allen Seiten gewünschte Bewegung hin auf eine Lösung der bestehenden Probleme.
Hinsichtlich der utopisch erscheinenden Forderungen nach neuen restriktiven Maßnahmen, die von Nacktscannern, über riesige Blockvorhänge bis hin zu Fußfesseln reichen, mahnt ProFans die Verantwortlichen, endlich nach Alternativen zu diesem System zu suchen. „Das über Jahre immer stärkere Anziehen der Repressionsschraube hat nachweislich nicht zu den erhofften Erfolgen geführt“ so Philipp Markhardt, Pressesprecher von ProFans.
Es ist an der Zeit über Möglichkeiten nachzudenken, wie den Fanszenen mehr Freiraum zum Ausleben ihrer Fankultur geschaffen werden kann. Nur so ist es denkbar, dass Fans mehr dazu bereit sind Verantwortung zu übernehmen. Durch Materialverbote, zahllose repressive Einschränkungen und nun sogar angedachte utopische unmenschliche Maßnahmen wird den Fans immer mehr die Möglichkeit genommen selbst Verantwortung zu übernehmen. Ist es also verwunderlich, dass Fans unter diesen Voraussetzungen teilweise auch immer wieder bewusst unverantwortlich – in den Augen der Verantwortlichen – handeln?
Quelle: http://www.profans.de/allgemein/skandal ... raus-macht
"Viele Forderungen sind schlichter Populismus"
Strengere Kontrollen, Abschaffung von Stehplätzen - auf ihrer aktuellen Konferenz erörtern die Innenminister, wie Gewalt im Fußball eingedämmt werden kann. Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte, hält im Interview mit tagesschau.de viele Forderungen für einen "Ausdruck von Hilflosigkeit".
tagesschau.de: Nach dem chaotischen Relegationsspiel in Düsseldorf ist die Debatte um Gewalt im Fußball neu entbrannt. Hat der deutsche Fußball ein Sicherheitsproblem?
Michael Gabriel: Ja, das ist offensichtlich. Aber gerade beim Düsseldorfer Spiel wurden mehrere Dinge miteinander vermengt, die zwingend auseinandergehalten werden müssen. Der Platzsturm der Düsseldorfer Zuschauer, die 15 Jahre auf den Aufstieg warten mussten und ihre Ungeduld nicht mehr zurückhalten konnten, wird als das große Problem gesehen, was falsch ist. Das größere Problem für den Fußball - mit Blick auf dieses Spiel - stellt sicher der Versuch der Ultras von Hertha dar, durch das koordinierte und gezielte Werfen von Bengalischen Feuern auf den Platz einen Spielabbruch zu provozieren.
tagesschau.de: Was beabsichtigten Ihrer Meinung nach die Hertha-Anhänger?
Gabriel: Das Gravierende daran ist, dass es keine unkontrollierte Emotion, sondern dass es geplant war. Über diese Aktion wird eine Entwicklung sichtbarer, die darauf verweist, dass innerhalb der Ultras zunehmend weniger Rücksicht auf den Sport und die Unversehrtheit des Sports genommen wird. Dies zeigten auch die Vorfälle beim Karlsruher Relegationsspiel am Tag vorher, wo nach dem Abstieg des KSC versucht wurde, die Geschäftsräume und auch die Kabinen zu attackieren. ...
Quelle: http://www.tagesschau.de/inland/stadion110.html
Sicherheitswahn und Adrenalinsucht, Machtkämpfe und Geldmacherei
Gebt den Zuschauern eine bedruckte Klatsche aus Faltpappe in die Hand, dazu eine Bratwurst für 2,80 Euro und einen Becher alkoholarmes Bier für 3,90 Euro. Biete ihm Mousepads und Schlüsselanhänger zum Kauf und an und lulle ihn mit softem Unterhaltungsprogramm vor dem Spiel und während der Pause ein. Dazu ein Gewinnspiel auf dem Rasen und fertig ist die saubere, friedliche Fußballwelt. Wirklich? Das soll das Angebot für junge Leute sein, die im sonstigen Alltag für jeden Spaß zu haben sind?! Absurd! Wer das glaubt, lebt in einer fernen Traumwelt.
Es ist kein Wunder, dass die langsam aber sicher in die Jahre kommenden Studiogäste in all den Talkshows die heutige Fußballwelt nicht mehr verstehen. Es darf nicht wahr sein, die heranwachsende Generation macht einfach ihr eigenes Ding, organisiert sich über soziale Netzwerke und lebt ein pralles, adrenalingeschwängertes Leben aus. Da feiern tausende Fußballfans bzw. Ultras in den Kurven, Blöcken und Gegengeraden sich selbst, organisieren Fanmärsche durch eigene und fremde Städte und haben vor allen Ding eines: Verdammt viel Spaß.
JenaKein Wunder, dass solch ein Ausleben dem alteingesessenen System von Verband und TV-Landschaft Angst und Schrecken bereitet. Schließlich soll nicht das bunte Treiben der Ultras im Fokus stehen, sondern das Geschehen auf dem grünen Rasen. Da gerät etwas aus dem Ruder – zumindest aus Sicht vieler Funktionäre und Fernsehmacher. In abertausenden Foren-Threads und Facebook-Beiträgen werden nicht allein die Tore der Mannschaften gefeiert, sondern die Aktionen auf den Rängen des letzten Spieltages. Choreographien, Märsche, Transparente, Sprechchöre, Gesänge – ja und auch Pyrotechnik-Einlagen. Ausschreitungen, Krawalle und körperliche Gewalt? Die wenigsten Fußballfans bzw. Ultras bejubeln in all den Foren Aktionen, bei denen es mächtig scheppert. Wer das behauptet, wirft einfach alles in eine Schublade. Und das ganz bewusst.
SüdtribüneDie Spirale drehte sich immer weiter. Und wir reden nicht von einer Gewaltspirale, wie immer so hübsch in zahlreichen Medien berichtet wird. Nein, viel eher verwenden die Menschen ihren eigenen Kopf, tauschen sich über soziale Netzwerke aus und reflektieren das Gesamtgeschehen viel mehr, als es vielleicht noch in den 70er und 80er Jahren üblich war. ...
Quelle: http://www.turus.net/sport/6848-fussbal ... herei.html
