In der ersten Länderspielpause hatte der 1. FC Kaiserslautern sieben Punkte auf dem Konto. Seither sind nur zwei hinzugekommen. Die Stimmung ist mies: Geht's mit Anfang bereits dem Ende entgegen? Wir versuchen wieder mal zu differenzieren.
Keine Frage: In den vergangenen vier Wochen waren die Betze-Buben gegen den Hamburger SV am ehesten dran an einem Sieg. Nur ein paar Sekunden trennten sie von einem 2:1-Erfolg, ehe der eingewechselte Davie Selke doch noch für Gleichstand sorgte. Ein Erfolg in dieser Phase der Saison, gegen einen erklärten Aufstiegskandidaten, hätte der Pfälzer Seele sicher gut getan. Hätte selbstsicherer gemacht auf dem Weg in die fußballerische Neuausrichtung, die der FCK unter Trainer Markus Anfang anstrebt.
Könnte man sagen. Mit ein wenig Einfühlungsvermögen und Wohlwollen.
Weniger mitfühlend könnte man aber auch sagen: Der HSV war an diesem Abend keine Spitzenmannschaft. Leistete sich zu viele einfache Fehlpässe. Und gestattete, als er zurücklag, den Hausherren etliche Möglichkeiten, Konterangriffe zu starten, die diese aber nicht zu Ende zu spielen vermochten.
Da aber die Gäste dann doch noch den Ausgleich schossen, durften sie hinterher ihre starken Einwechselspieler feiern, die sie gegen Ende in die Schlacht geworfen hatten. Und auf FCK-Seite wurde der Ärger über die verlorenen beide Punkte mit der Erkenntnis weggewischt, dass es unterm Strich ja ein geiles Spiel vor einer Gala-Kulisse war.
Drei Treffer in vier Wochen, zwei davon nach Standards
Und immerhin waren ja zwei Treffer geglückt. Der erste im Anschluss an einen Freistoß, den Marlon Ritter und Aaron Opoku ausführten. Sie passten mit einer im Training eingeübten Variante auf den linken Flügel zu Erik Wekesser, dessen Flanke Ragnar Ache verwertete. Den zweiten, vorbereitet von Opoku, vollstreckt von Richmond Tachie, leitete Boris Tomiak ein. Der HSV hatte zuvor einen Passversuch von Opoku auf Ache abgewehrt, Tomiak aber holte sich das Leder direkt zurück. Das Resultat erfolgreichen Gegenpressings also.
Könnte man sagen. Mit ein wenig Wohlwollen. Ohne dagegen: Ganz schön dusselig vom HSV-Abwehrspieler, nach einer Balleroberung einen so riskanten Aufbaupass zu versuchen. Genauso dusselig, wie Wekesser vor dem ersten Treffer so vollkommen frei stehen zu lassen.
Halten wir außerdem fest: Mit Standards waren die Betze-Buben auch unter ihren diversen Trainern der vergangenen Saison öfter mal erfolgreich. Auch Umschaltaktionen, ob nun nach frühem Gegenpressing oder aus der Tiefe heraus, beherrschten sie stets besser, als sich Torchancen über Passstationen zu erspielen. Der dritte Treffer der vergangenen vier Spielrunden, Ragnar Aches Kopfball bei der 1:3-Niederlage in Hannover, fiel übrigens ebenfalls nach einer Standardsituation, nämlich einer Ecke von Wekesser.
Es geht nicht nur um Ballbesitz
Nichts Neues also, was die Art betrifft, Tore zu erzielen. Nichts, was auf einen neuen Fußballstil hindeutet, der am Betzenberg Einzug halten soll. Auch sonst entsprach die Spielanlage des FCK gegen den HSV eher dem, was bis zum vergangenen Jahr als "Schusterball" zunächst gefeiert, später verpönt wurde. Von 65 Ballbesitzen im offenen Spiel, die die Lautrer an diesem Abend verzeichneten, dauerten 42 weniger als zehn Sekunden. Am Ende lag der Ballbesitzanteil bei 37 Prozent.
Ist vielleicht aber auch dem Umstand geschuldet, dass der FCK in dieser Partie über 60 Minuten in Führung lag, der HSV also gezwungen war, die Initiative zu übernehmen.
Könnte man sagen.
Aber: Beim 3:4 gegen Hertha BSC verzeichneten die Roten Teufel unterm Strich ebenfalls nur unter 41 Prozent Ballbesitz. Und da mussten die Gäste nur sechs Minuten einem Rückstand hinterherrennen, zwischen Opokus 2:1 und Derry Scherhants 2:2.
Was ein weiterer Beleg dafür ist, auf was wir auch schon vor fünf Wochen in unserem ersten Zwischenzeugnis hinwiesen: Markus Anfangs Fußballvision einfach mit "Ballbesitzfußball" zu beschreiben, wie es oft getan wird, ist zu simpel. Ja, zunächst mal soll gepflegt aufgebaut werden. Die Absicht wird bereits erkennbar, wenn die Feldspieler vor Abstößen ihre 4-3-3-Formation über die volle Spielfeldbreite auseinanderziehen, um so viele Passräume wie möglich entstehen zu lassen.
Ein Problem bleibt Krahls Passspiel
Ein Problem dabei stellt nach wie vor Julian Krahls Passqualität dar. Seine langen Abschläge sind zu oft ungenau, landen bisweilen sogar im Aus. Seine kurzen Zuspiele sorgen auf den Rängen immer wieder für Herzinfarktmomente. Bei "Sofascore" wird Krahls Passquote mit 74 Prozent angegeben. Zum Vergleich: Krahls fast gleichaltriger Torwartkollege Tjark Ernst, dessen Trainer Christian Fiél ebenfalls gepflegten Fußball propagiert, kommt auf 86 Prozent.
Nach den ersten Aufbaupässen aber sollen die Spieler selbst entscheiden, wie und wann sie den Weg in die Tiefe suchen. Das kann gegen früh attackierende Gegner sehr schnell gehen. Gegen tief positionierte Teams dagegen soll mit Ballstafetten nach Lücken in der gegnerischen Abwehr gesucht werden.
Schlag nach bei Pep: Positionsspiel im 3-2-2-3
Dazu formiert sich das Team in einem 3-2-2-3, wobei im hinteren Quintett die Kontersicherung Priorität hat und das vordere die fünf Bahnen bis zur Torauslinie besetzt. So war es auch schon in den ersten Spielen phasenweise zu sehen, beim 0:0 in Regensburg aber so dauerhaft wie noch nie zuvor. "Positionsspiel" also, wie es schon seit Jahren im spanischen Fußball exerziert wird.
Apropos: Markus Anfang mag ein wenig amüsiert gewirkt haben, als wir ihn in unserem ersten Interview mal mit einem Pep Guardiola-Zitat konfrontierten. Doch nicht nur diese Form des Positionsspiels, sondern auch diverse Äußerungen des FCK-Trainers deuteten schon öfter darauf hin, dass er sich mit spanischer Fußballlehre befasst. Etwa, wenn er davon spricht, dass seine Spieler auf dem Feld selbst entscheiden sollen, mit welcher Spielanlage sie sich "am wohlsten fühlen" - das klingt nach Waldorfschule, geht aber in die Richtung, die auch Meistertrainer wie Guardiola oder Xabi Alonso einschlagen. Initiative, Intuition und Improvisationstalent der Spieler fordern und fördern, statt nach alter deutscher Art auf Befehl und Gehorsam zu setzen.
Warum dieses "Positionsspiel" in Regensburg zu nichts führte, haben wir bereits in unserer Taktik-Analyse seinerzeit dargestellt: Im Offensivquintett war zu wenig Bewegung, um Unordnung in der gegnerischen Abwehr zu schaffen, dem Passspiel fehlte es an Tempo und Schärfe.
Allerdings ist diese Art des Spiels zu lernen und zu beherrschen das schwierigste Element im Fußball des 21. Jahrhunderts. Bayer Leverkusen etwa hat das Positionsspiel in der vergangenen Saison buchstäblich meisterlich zelebriert. Dabei sollte aber nicht vergessen werden: Meistercoach Alonso hatte dieses Team bereits im Oktober 2022 übernommen. Und den Rest der Saison 2022/23 genutzt, um es nach und nach auf dieses Niveau zu hieven.
Auch die Zweite Liga entwickelt sich weiter
Ob am Betzenberg einem Trainer jemals so viel Zeit gegeben wird? Solange ein solcher Fall nicht tatsächlich mal eintritt, wird dies eine Gretchenfrage bleiben. Ad acta legen sollten die FCK-Bosse diesen Anspruch auf keinen Fall. Denn auch wenn es immer mal heißt, mit der angestrebten Neuorientierung soll am Betze wieder der aktive, offensive "Betze-Fußball" etabliert werden, für den er einst stand: Eigentlich geht es darum, mit der Zeit zu gehen.
Denn auch die Zweite Liga entwickelt sich weiter. Lieber reagieren statt selbst agieren, auf Fehler des Gegners warten, schnelles "Umschaltspiel" statt "Ballbesitzfußball", weil man sich die Spieler dafür ja eh nicht leisten kann - die typischen Klischees, die der zweiten Klasse stets anhafteten, lösen sich immer mehr auf. Es gibt nicht mehr nur einen Tim Walter oder einen Christian Titz, die den fußballerischen "State of the Art" auch im Unterhaus anstreben, sondern mittlerweile auch einen Christian Fiél, Stefan Leitl, Daniel Thioune oder Lukas Kwasniok. Und mit Fabian Hürzeler und Marcel Rapp haben in diesem Sommer gleich zwei Übungsleiter demonstriert, wie man mit spielerisch reifen, harmonisch auftretenden Teams auch an wirtschaftlich stärker aufgestellten Konkurrenten vorbei die Aufstiegsränge erklimmt.
Genauso wichtig wie Ballbesitz: Das Pressing
Ebenso wichtige Elemente wie Positions- und Ballbesitzspiel sind jedoch Pressing, und, damit verbunden, "Gegenpressing" - ein Begriff, den angeblich Jürgen Klopp erfunden hat. Das direkte Zurückerobern eines verlorenen Balles innerhalb der ersten vier, fünf Sekunden, auch in vorderster Linie, gehört aber ebenso zur Guardiola-Schule, nur heißt es da anders.
Als Maßeinheit dafür werden bekanntlich die "Passes per defensive Action" (PPDA) herangezogen, also die Anzahl der Zuspiele, die ein Team einem Gegner gestattet, ehe es attackiert. Im Ligavergleich liegt der FCK da mit einem Wert von 9,12 erstaunlich gut, Rang 3 hinter Hannover und Hertha.
Aber: Um einen Gegner wirklich wirkungsvoll zu stressen und frühe Ballgewinne zu provozieren, bedarf es intensiver Laufarbeit. Weiterführende Auskünfte dazu kann unter anderem ein gewisser Frank Schmidt erteilen, wohnhaft in Heidenheim.Und an dieser Stelle beißt sich das PPDA-Ranking mit den Laufstatistiken, auf die wir zuletzt in unserer Taktik-Analyse zum 0:1 in Elversberg hingewiesen haben. Denn in diesen rangieren die Lautrer schon ewig auf hinteren Plätzen. Ob das nun "Kopfsache" ist oder ein Problem der Fitnesstrainer? Dies zu beurteilen, wollen wir uns nicht anmaßen.
Festgestellt werden darf stattdessen: Zumindest phasenweise praktiziert die Anfang-Elf das Pressingspiel ordentlich - und hat damit auch schon Erfolge erzielt. Neben Tomiaks bereits erwähnter Balleroberung vor Tachies 2:0 gegen den HSV sind da noch zwei der drei Treffer beim 3:4 gegen Hertha zu nennen. Beim 2:1 erläuft Hanslik in vorderer Linie einen Pass des Berliner Innenverteidigers Linus Gechter, beim 3:3 erobert Filip Kaloc noch vor der Mittellinie den Ball und setzt direkt Opoku ein, dessen Flanke Tomiak im zweiten Anlauf verwertet.
Aber es müsste eben noch mehr Pressing sein. Schärfer, intensiver, ausdauernder.
Die erste Hälfte in Elversberg: Besser, als viele denken
Und auch wenn es der Mainstream aufgrund des Endergebnisses und der enttäuschenden zweiten Hälfte anders gesehen hat - wir bleiben dabei: Die erste Hälfte der Partie gegen Elversberg war durchaus ansehnlich. Auch, weil sie einiges von dem veranschaulichte, was den Anfang-Fußball ausmachen soll. So wurde der Gegner schon bei Einwürfen tief in der eigenen Hälfte zugestellt, der Ball vom eigenen Tor weggehalten, in dem die Abwehrreihe weit nach vorne schob, im Angriffsdrittel auch mal auf engem Raum über mehrere Stationen kombiniert.
Was natürlich ebenso stimmt: So richtig zwingende Chancen zum Führungstreffer gab's keine. Und warum in der zweiten Hälfte von alldem plötzlich gar nichts mehr zu sehen war? Darauf findet das Trainerteam hoffentlich in dieser Länderspielpause eine Antwort.
Verglichen mit dem 1:3 in Hannover, dem ersten Auswärtsauftritt der vergangenen vier Wochen in Hannover, markiert das Elversberg-Spiel jedenfalls durchaus eine Weiterentwicklung. Wenngleich es nicht sehr schwer war, diese zu bewerkstelligen. Denn an der Leine gelang den Pfälzern kaum was. Sie lagen schon nach sieben Minuten zurück, bekamen auch danach nie wirklich Zugriff, um auf den Ausgleich drängen zu können. Und als er Ache dann, natürlich nach einer Standardsituation, dennoch glückte, hatte dieses 1:1 nicht lange genug Bestand, als dass sich der Abwehrverbund durch diverse Wechsel hätte stabilisieren können. Die Hannoveraner fanden immer wieder Anspielstationen zwischen den Linien.
Was Hoffnung macht? Erstmal kein Regensburg mehr
Fazit: Ergebnistechnisch verlief die Phase zwischen erster und zweiter Länderspielpause deprimierend. Dass die Mannschaft sich fußballerisch weiterentwickelte, war dennoch zumindest in Ansätzen zu erkennen. Es bräuchte halt ein Erfolgserlebnis, das Selbstsicherheit und Vertrauen stärkt. Und Mannschaft wie Anhang den Glauben daran zurückgibt, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist.
Was Hoffnung macht für die nächsten Spiele gegen die drei in der Tabelle ganz oben stehenden Teams aus Paderborn, Düsseldorf und Magdeburg? Zunächst mal, dass in diesen Partien kein zweites Regensburg zu erwarten ist. Also keine Begegnung, in der verlangt ist, was die Roten Teufel zurzeit noch am wenigsten beherrschen. Bewegliches Positions- und schnelles Passspiel gegen einen tiefstehenden Gegner. Sondern Kontrahenten, die ebenfalls initiativ werden wollen und den Pfälzern so die Gelegenheit geben, wieder mehr auf die einfachen Elemente zu setzen, die sie besser beherrschen.
Womit also Spiele anstehen, die sich am ehesten mit denen gegen Hertha und den HSV vergleichen lassen. Und in denen war für den FCK tatsächlich mehr drin. Auch wenn es uncool ist, in solchen Analysen über Glück und Pech zu schwadronieren.
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer
Weitere Links zum Thema:
- Erkenntnisse aus der Anfangs-Phase (Der Betze brennt, 06.09.2024)