Porträt: Der neue Cheftrainer des 1. FC Kaiserslautern

Dirk Schuster: Warten auf das nächste Wunder

Dirk Schuster: Warten auf das nächste Wunder

Foto: Imago Images

Dirk Schuster also. Ein Name, der die Fans des 1. FC Kaiserslautern erstmal frem­deln lässt. Und bis zum ersten Relegationsspiel am 20. Mai bleibt nicht viel Zeit, mit ihm warm zu werden. Wir stellen Euch den neuen Cheftrainer im DBB-Porträt näher vor.

Dirk Schuster? Als Trainer nachhaltig in Erinnerung geblieben ist der heute 54-Jährige nach wie vor mit der Erfolgsgeschichte, die er mit Darmstadt 98 zwischen 2013 und 2016 schrieb. Der gebürtige Chemnitzer und langjährige Aktive des Karlsruher SC übernahm den Verein im Dezember 2012. In der Saison 2013/14 stieg er mit ihm in die 2. Bundesliga auf - und schaffte in der darauffolgenden Spielzeit den Durchmarsch in die Bundesliga. Als Tabellenzweiter.

FCK-Fans ist, wie vieles im Zusammenhang mit Dirk Schuster, diese Zeit eher unangenehm in Erinnerung. Es war die Runde, in der die Lautrer mit "Coach Kosta" Runjaic an den letzten Spieltagen von Rang 2 auf Rang 4 zurückfielen und nach der sie nie wieder von der Bundesliga träumen durften.

Der Underdog, dem kein Respekt zuteil wurde

Aber zurück zu Schuster: Die Rocky-Story vom Underdog, der sich gegen alle Widerstände nach oben boxt, war damit noch nicht zu Ende. Im ersten Bundesliga-Jahr schafften die Lilien den Klassenverbleib, was ihnen, dem Klub mit geringstem Budget, absolut niemand zugetraut hatte. Und Schuster wechselte - nun bereit für den berühmten "nächsten Schritt" - zum bereits etablierten Bundesligisten FC Augsburg.

Doch selbst aus dieser Zeit ist der ehemalige Nationalspieler nicht nur als Lichtgestalt in Erinnerung. Der Fußball, für den er stand, sorgte bei Freunden des schönen Spiels für Hohn und Spott, wenn nicht gar für Empörung. Der FC Bayern wurde in diesem Jahr von einem gewissen Pep Guardiola trainiert, dem Hohepriester des schwindelerregenden Kurzpassspiels, der sich zuvor beim FC Barcelona den Ruf des bedeutendsten Fußballmodernisierers der Neuzeit erworben hatte.

Das Darmstädter Fußballwunder: Hoch und weit

Die Berichterstatter aller Medien hatten sich gerade in ihnen bis dato vollkommen unbekannte Fußballbeschreibungsvokabeln wie Dreiecksvermaschung, Positionsspiel und "One-Touch-Football" verliebt, da ließ dieser Schuster in Darmstadt einen Fußball spielen, der primitiver nicht sein konnte: Der Ball wurde hoch und weit nach vorne gedroschen, wo ein gewisser Sandro Wagner lauerte, der ihn entweder ablegte, meist auf einen gewissen Marcel Heller, oder ihn irgendwie selber reinmachte. Sandro Wagner, der Stürmer, der zuvor schon unter anderem als Leihgabe beim FCK so richtig gar nichts gerissen hatte.

Oder aber, die Darmstädter verzichteten ganz auf das bisschen, was sich aus dem Spiel heraus versuchen ließ, und setzten ausschließlich auf ruhende Bälle. Über 40 Prozent ihrer Treffer erzielten sie aus Standardsituationen. Aber: Sie hatten Erfolg. Schafften im ersten Bundesliga-Jahr Rang 14, im Grunde gegen jede Chance. Doch wer sich so dem damals angesagtem schönen Spiel verweigerte, dem wurde nicht einmal der Respekt vor dem Underdog zuteil.

Keine Frage: Dirk Schuster kann Aufstieg - und Relegation

Geschenkt. Der 1. FC Kaiserslautern startet in ein paar Tagen in die Relegationsspiele gegen Dynamo Dresden. Zum ersten Mal seit sieben Jahren ist ein Aufstieg wieder greifbar. Da braucht es, gerade nach der Niederlagenserie und den Turbulenzen der vergangenen Tage, Hoffnungsanker. Welche in dieser Geschichte bis hierhin zu finden sind?

Dirk Schuster kann Aufstieg. Bewiesenermaßen. Und er kann Relegation. Bewiesenermaßen. Die Spiele gegen Arminia Bielefeld im Mai 2014 sind in und um Darmstadt Legende. Als Tabellendritter der 3. Liga unterlagen die Lilien zuerst zuhause 1:3, danach siegten sie beim Tabellen-16. der 2. Bundesliga 4:2, nach Verlängerung. Überhaupt waren die Darmstädter unter Schuster seinerzeit unerhört stark in der Fremde. Das besagte erste Bundesligajahr schlossen sie als viertbestes Auswärtsteam ab.

Und ab jetzt bitte keine Klischees mehr

Und, ganz wichtig: Das Spiel "Langer Ball - Zweiter Ball" ist keinesfalls charakteristisch für den Trainer Dirk Schuster. Er hat seinerzeit so spielen lassen, weil er keine andere Möglichkeit sah, sich mit seiner spielerisch limitierten Mannschaft in der Klasse zu behaupten. Er wird sogar regelrecht sauer, wenn man ihn immer noch mit diesem "Klischee" verbindet.

Der gebürtige Chemnitzer hat 2007 die Lizenz zum Fußballlehrer an der Hennes-Weisweiler-Akademie als Jahrgangsbester erworben, verfügt also durchaus auch über das theoretische Rüstzeug, "modernen" Fußball spielen zu lassen. Dass er dessen Elemente sogar anschaulich vermitteln kann, beweist er unter anderem in den Sportclips, die bei "Sky Sport" von ihm zu finden sind. Hier erklärt er zum Beispiel, wie die Spieler von Hertha BSC hätten richtig anlaufen müssen, hätten sie ihr Derby gegen Union gewinnen wollen: Dirk Schuster an der Taktiktafel über Anlaufverhalten.

Schuster ist somit nicht in der Ecke des Hoch-Weit-Verfechters zu verorten, sondern eher in der des fußballerischen Pragmatikers. Er hat keine bestimmte "Vision" von Vollgas-, Ballbesitzfußball oder was auch immer, sondern lässt das spielen, was er mit dem ihm zur Verfügung stehenden Personal für angezeigt hält. In diesem Punkt ähnelt er Marco Antwerpen durchaus.

Karriereschritt Augsburg endet mit blauem Auge

Leider muss diese Geschichte aber weitererzählt werden. Und da muss gesagt werden: Ein zweites Wunder wie das lilienblaue hat Dirk Schuster seither nicht mehr geschaffen. Sein nächster Karriereschritt beim FC Augsburg endete nach nur 16 Partien, offiziell begründet mit "sportlich unterschiedlicher Auffassung". Inoffiziell machten Geschichten um irgendwelche Exzesse und ein "blaues Auge" Schusters die Runde, von dem nie ganz geklärt wurde, wo er sich dieses zugezogen hatte. Kurz zuvor war er zum "Fußballtrainer des Jahres" und zum "Kicker-Trainer des Jahres" gewählt worden.

In einem "Sport1"-Interview äußert sich Schuster zu dieser Zeit distanzierter - und differenzierter: "Weil ich mit meinem Trainer-Team zu schlecht vorbereitet war", antwortet er auf die Frage, warum es in Augsburg damals nicht geklappt hat. "Es war ein Hoppla-Hopp-Wechsel von Darmstadt nach Augsburg, was eigentlich auf dem Papier her gepasst hat und der nächste Step hätte sein können. Ich habe mich zu wenig mit den Strukturen beschäftigt und bin ab und an in Kompetenzbereiche reingeschlittert, wo sich der eine oder andere auf den Schlips getreten gefühlt hat, durchaus zurecht." Nach Hoffnungsschimmern suchende FCK-Fans dürfen also notieren: Der Mann kann offenbar auch Selbstkritik.

Rückkehr nach Darmstadt: Geschichte wiederholt sich nicht

Im Dezember 2017 kehrte er zu Darmstadt 98 zurück und sicherte seinem alten Verein in der verbleibenden Saison den Klassenerhalt, unter anderem wieder zum Leidwesen des FCK. Mehr Wunder war zunächst auch nicht verlangt. Diesmal aber scheiterte der Versuch, sich nach gelungenem Start weiter nach vorne zu entwickeln. Nach nur einem Sieg in zehn Spielen wurde Schuster im Februar 2019 freigestellt. Aus dieser Zeit zog er die Erkenntnis: "Ich würde generell nicht mehr zu einem Klub gehen, bei dem ich schon war. Weil man immer mit der ersten Amtszeit verglichen wird. Und es wird nie eine Kopie des alten Erfolgs geben."

Im September 2019 wurde Schuster von Erzgebirge Aue angeheuert, musste also eine Mannschaft übernehmen, an deren Personalplanung und Saisonvorbereitung er nicht beteiligt war. Er schloss die Saison mit einem 7. Platz ab, für Auer Ansprüche also sehr ordentlich. Die Saison darauf endete auf Rang 12. Für Schuster war jedoch schon nach 32 Spieltagen Schluss, nach einem spektakulären 3:8 gegen den SC Paderborn. "Da muss man die Hintergründe kennen", erklärt der Trainer im "Sport1"-Interview. "Wir bekamen in der Winterpause keinen Neuzugang, hatten immer wieder Corona-Probleme und haben mit dem kleinen Kader fast die komplette Runde durchgespielt. Als die Rettung geschafft war, fiel bei den Jungs einiges an Spannung ab - was menschlich ist. Die Spieler waren überspielt und müde. Es ist jedoch so, dass das Team unter meiner Leitung nie in den Dunstkreis der Abstiegsränge kam."

Schuster kickte einst mit Hengen: Rührt daher die Verbindung?

Verbindungen zum 1. FC Kaiserslautern? Als Aktiver des Karlsruher SC spielte der überaus giftige Linksverteidiger eine Saison lang mit Thomas Hengen zusammen, dem momentan alleinigen FCK-Geschäftsführer. Ob der Draht, der ihn zum FCK führte, aus dieser Zeit herrührt? Kontakt hat es wohl schon länger gegeben. Beim mittlerweile legendären Derby gegen Waldhof Mannheim in der Hinrunde soll Schuster im Stadion und bereits als Nachfolger für Antwerpen ausgeguckt gewesen sein - für den Fall, dass dieser das Spiel verloren hätte und damals schon entlassen worden wäre. Die Partie endete bekanntlich mit einem 0:0, das die Roten Teufel in doppelter Unterzahl erkämpften und den Grundstein legte für die Wende, die nach dem verpatzten Saisonstart eintrat. Auch einige Jahre zuvor war Schuster schonmal als FCK-Trainer im Gespräch.

Ein paar gute Sprüche fürs Poesiealbum hat Dirk Schuster auch schon abgeliefert. "Meine Kabinenansprache ist so intim wie Sex", hat ihn die "Augsburger Allgemeine" mal zitiert. Im Fritz-Walter-Klub gut ankommen dürfte auch seine Antwort auf die Frage, ob er lieber ein großes Talent oder einen großen Charakter verpflichten würde: "Wenn ich wählen dürfte, würde der Charakter den Ausschlag geben."

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Abwarten

Schön ist auch: "Mich nervt, dass es keine echte Fan-Nähe mehr gibt. Viele Stadien sind steril geworden, die Teams schotten sich ab. So kann richtiger Fan-Kontakt seitens der Spieler gar nicht mehr entstehen." Na, wenn solche Sätze nicht einfach nur Eigen-PR sind, sondern er sie wirklich lebt, könnten er und der FCK-Anhang ja am Beginn einer wunderbaren Freundschaft stehen.

Was Schuster in den wenigen Tagen bis zum ersten Relegationsspiel der Mannschaft auf den Weg geben kann? Da können wir leider nur abwarten. Was für ein Resümee sich aus diesen Zeilen ziehen lässt?

Vielleicht: Der FCK bekommt einen Coach, der einst als große deutsche Trainerhoffnung gehandelt wurde, der bislang aber auf ein erstes Wunder kein zweites folgen lassen konnte. Und der hoffentlich entsprechend heiß ist, nicht als One-Hit-Wonder in die Fußballgeschichte einzugehen. Keine schlechte Voraussetzung eigentlich, um es mal beim 1. FC Kaiserslautern zu versuchen. Wunder waren schließlich mal Lautrer Kernkompetenz.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Chronologie im DBB-Forum: Marco Antwerpen entlassen, Dirk Schuster übernimmt

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