Der 1. FC Kaiserslautern hat wieder einmal etwas geschafft, was ihm viele nicht mehr zugetraut hätten. DBB-Autor Gerrit lässt nochmal seinen Emotionen freien Lauf und resümiert, was man aus dieser Seuchen-Saison lernen kann.
Sonntag, 16. Mai 2021, circa 15:45 Uhr: Anspannung, Nervosität. Auf dem Sofa hält es mich schon lange nicht mehr. Ich tigere in meinem 1860-Trikot durch meine Wohnung, mag kaum hinsehen, was sich gerade im Grünwalder Stadion ereignet. Zweimal lagen die Löwen gegen die Bayern-Amateure zurück, zweimal sind sie per Elfmeter zurückgekommen. 1860 - nein wir, der FCK - braucht mindestens einen Punkt, damit uns ein Endspiel gegen Verl erspart bleibt. Meine Nerven. Wann ist endlich Schluss? Erinnerungen laufen vor meinem inneren Auge ab, als ich 2010 mit meinem Bruder das Spiel des FSV Frankfurt gegen den FC Augsburg auf dem Sofa verfolgt hatte. Auch da brauchten wir mindestens ein Unentschieden - allerdings um vorzeitig in die Bundesliga aufzusteigen. Wie sich die Zeiten doch geändert haben. 15:51 Uhr: Es ertönt ein Pfiff. Der vielleicht erlösendste seit ewigen Zeiten. Geschafft! Wir bleiben Drittligist. Wie traurig diese Erkenntnis eigentlich sein müsste, daran verschwende ich in diesen Sekunden keine Gedanken. Doch ich kann nicht verhindern, dass die Tränen in mir aufsteigen. Tränen der Freude, aber vor allem Tränen der Erleichterung. Der Ballast der letzten Monate, er war tonnenschwer. Das merke ich eigentlich erst in diesem Moment.
Donnerstag, 25. März 2021, 19:30 Uhr: Ich stehe mit meinem Auto auf dem Betzenberg, hinter der Osttribüne des Fritz-Walter-Stadions. Ich habe schon einen ausgedehnten Abendspaziergang durch Kaiserslautern hinter mir. Den Kopf frei kriegen, das war der Plan. Hat nicht geklappt. Vielleicht hätte ich nicht den neusten SWR-Podcast hören sollen, der sich unter anderem mit Horrorszenarien bis hin zum Abriss meines, unser aller Stadions beschäftigt hat. Es zog mich wie ein Magnet hoch auf den Betze und da war ich nicht allein. Zwei Männer drehten ebenfalls ihre Runden, sprachen und diskutierten offenkundig. Doch ich konnte und wollte mich nicht mit ihnen beschäftigten. Zu sehr kreisten meine eigenen Gedanken. Mein kleiner Neffe war gerade fünf Monate alt, ich hatte ihn natürlich direkt im Verein angemeldet. Wird er jemals unseren Block kennenlernen? Der FCK hatte fünf Tage zuvor in Magdeburg mit 0:1 verloren, mittlerweile sechs Punkte Rückstand auf das rettende Ufer, zwei Tage später nach einem Nachholspiel von Uerdingen waren es sogar sieben. Und auch wenn ich mir immer wieder sagte: "Der FCK wird nicht sterben. Wir haben noch ein Nachholspiel gegen Zwickau. Und wo soll der FCK überhaupt spielen, wenn nicht auf dem Betzenberg", bekam ich die Angst und Sorgen nicht gebannt. Jetzt war auch noch Länderspielpause. Quälend lange 14 Tage bis zum nächsten Heimspiel gegen Halle. Doch ich stellte mir auch die Frage: Was können wir alle tun? Wir FCK-Fans, wir Journalisten, jeder einzelne von uns, der nicht will, dass dieser Verein, der Teil unseres Lebens ist, zu Grunde geht. Mit diesen Gedanken ging ich an diesem Abend ins Bett.
Wir waren schon am Abgrund: Grüße gehen raus an alle "Experten"
Schon einen Tag nach der Niederlage in Magdeburg hatte es mich hoch auf Deutschlands höchsten Fußballberg getrieben, auf dem die Mannschaft nachts zuvor noch Läufe nachholen musste, die sie in der Ottostadt so schändlich vermieden hatte. An diesem Sonntag war zudem die Spielereinfahrt zum Stadion mit einem Schloss verriegelt worden, "Zutritt nur nach Leistung" zierte das Tor. Wir waren alle am Boden. Und so hielt ich Ausschau, ob ich vielleicht irgendetwas erhaschen könnte, was mir wenigstens wieder etwas Hoffnung gab. Tatsächlich traf ich einen Spieler, der die gerade zu Ende gegangene Mannschaftssitzung verließ. Ich ging auf ihn zu und bat ihn um einen Moment. Ich sprach zu ihm als Fan. Ich versuchte ihm deutlich zu machen, was hier in dieser Stadt, in dieser Region gerade kaputt zu gehen droht. Dass ein Abstieg nicht einfach ein Abstieg wäre. Das meine Oma, wie so viele andere auch, geweint habe, obwohl sie mit Fußball eigentlich gar nicht viel am Hut hat. Dass der FCK das Leben vieler Menschen nicht nur bestimmt, sondern es ihr Leben ist. Dem Spieler war ehrliche Betroffenheit anzumerken, seine Worte, seine Selbstkritik und sein Versprechen, ab jetzt ein anderes Gesicht zeigen zu wollen, sie wirkten ehrlich und authentisch. Es machte mir wieder etwas Hoffnung.
Doch das Drumherum machte die Situation nicht einfacher. Am selben Tag gab der SWR einem gewissen Mario Basler die Plattform, auf den FCK einzudreschen. Er ließ kein gutes Haar an der Mannschaft, diskreditierte den zurückgekehrten Kapitän Jean Zimmer in einer Art und Weise, die selbst für Basler erbärmlich war. Ausgerechnet jener Basler, der den FCK zu Spielerzeiten ordentlich ausgenommen hatte, dem auf dem Feld quasi jeder Weg zu weit war, dieser Basler wollte den Profis nun Tipps in Sachen Kampfgeist geben. Auf DBB sagten wir damals schon unsere Meinung dazu. An dieser Stelle seien alle dieser "Experten" herzlich gegrüßt. So schnell werdet ihr den FCK eben doch nicht los. Und einen Job werdet ihr hier niemals bekommen. Auch nicht als Greenkeeper, um einen ehemaligen Münchner Fußballfunktionär zu zitieren.
Doch dieser Rundumschlag spornte auch an. Wieder fragte ich mich, was jeder von uns tun könnte, um die Situation zu verbessern. Wir tauschten uns mit anderen Fans aus, sprachen mit FCK-Verantwortlichen, veröffentlichten Kommentare und Kolumnen, suchten den Schulterschluss mit dem Verein. Jetzt war nicht die Zeit für eine Generalkritik, der Abstiegskampf musste in den Fokus. Doch genau in dieser Zeit tauchte der Brief des ehemaligen Sportdirektors Boris Notzon auf, die frisch (wieder-)gewählten Aufsichtsräte Bernhard Koblischek und Martin Weimer traten zurück. Ich dachte mir: Was ist bloß in Euch gefahren? Wir stehen am Abgrund und tun alles, den finalen Todesschritt noch selbst zu gehen. Wie sollte da noch eine Aufholjagd, eine sportliche Wende gelingen? Noch dazu ohne Fans, die seit Oktober 2020 den Betze nicht mehr von innen hatten sehen dürfen?
Ihr für uns und wir für Euch: In der Mannschaft macht es "Klick"
Schon vor dem Magdeburg-Spiel hatten die FCK-Fans sich aufgemacht und die Mannschaft mit Bannern und Plakaten aufgefordert, endlich alles zu geben. Auch im Hintergrund gab es so einige Gespräche und Treffen. Doch ab dem Heimspiel gegen den Halleschen FC am 4. März nahm das Ganze eine neue Dimension an. Das Motto der Fans: "Endspurt heißt Siege erzwingen!" Es prangte ab da wie andere Transparente gut sichtbar in der Westkurve. Das Stadion aber blieb natürlich menschenleer. Wirklich menschenleer? Mitnichten. Ab sofort versammelten sich mal ein paar dutzend, im Derby gegen Saarbrücken oder dem Kellerduell gegen Uerdingen mehrere hundert Fans vor dem Marathontor West und unterstützten ihre Mannschaft. Sie sahen nichts vom Spiel, schwitzten und litten vor Sorge, aber sie waren trotzdem da. Briefe und E-Mails wurden an die Mannschaft geschrieben, die Unterstützung, sie war gewaltig. Wärt ihr nicht gewesen, liebe Fan-Familie, diese Aufholjagd wäre so nicht möglich gewesen!
Und in der Mannschaft legte das offenbar einen Schalter um. Nicht nur, dass sie das Heimspiel gegen Halle gewann. Sie ließ sich auch auf einmal von Rückschlägen nicht mehr K.o. schlagen. Als in der 61. Minute Kenny Redondo völlig unnötig Gelb-Rot sah und nur zwei Minuten später Terrence Boyd für den HFC ausglich, da erlebte auch ich auf der Pressetribüne keine schönen Minuten. Wir haben als Journalisten das Privileg, in kleiner Anzahl auch bei den Geisterspielen dabei sein zu dürfen, dafür sind wir sehr dankbar, aber schön ist das auch nicht immer. Wieder war da die Angst, denn dieses Heimspiel musste doch - wie noch so viele der zehn verbleibenden Partien - unbedingt gewonnen werden. Die Roten Teufel bissen, sie kämpften und sie gingen wieder in Führung. Die verbleibenden zehn Minuten konnte ich kaum aufs Spielfeld sehen, so groß war meine Anspannung. Nicht unbedingt förderlich, wenn man über das Geschehen auf dem Platz berichten soll. Doch der leidende Fan in mir, er hatte die Oberhand gewonnen. Als Philipp Hercher in der 90. Minute dann den 3:1-Schlusspunkt markierte, brachen bei mir, bei den stimmgewaltigen Mitarbeitern, Funktionären, Investoren und Spielerfamilien auf der Tribüne, und natürlich auch den Fans vor dem Stadion alle Dämme. Ein erster Schritt war geschafft. Wir lebten noch. Mehr nicht.
Dem Trainer-Team gebührt Dank: Lautern ist Kampf bis zur letzten Sekunde
Und weitere Rückschläge sollten nicht ausbleiben. Gegen Zwickau und Duisburg kassierte der FCK jeweils in der Nachspielzeit den Ausgleich und brachte sich somit um wichtige Siege. Am 34. Spieltag stand dann das Heimspiel gegen Liga-Schlusslicht Unterhaching an. Ein Spiel, das (wieder einmal) unbedingt gewonnen werden musste. Zugleich hätten die Lautrer erstmals seit Monaten wieder auf einen Nichtabstiegsplatz springen können. Und sie spielten Haching phasenweise an die Wand. Doch es fehlten Tore. Zig Möglichkeiten wurden versemmelt. Es war schier zum verrückt werden. Und als gut zehn Minuten vor dem Ende tatsächlich der Hachinger Ausgleich fiel, war wieder mehr als ein Kommentar im Internet zu lesen, in dem der Forist sich sicher war: "Jetzt steigen wir ab." Also doch? Sollte der Schlussspurt nur ein Zwischenhoch ohne Happy End gewesen sein? Wieder kreisten meine Gedanken, wieder konnte ich kaum aufs Feld sehen. Doch damit sollte ich nicht allein sein.
Denn diese Gemütslage teilte auch Trainer Marco Antwerpen, als es in der 83. Minute Elfmeter für den FCK gab und Marvin Pourié zum Punkt schritt. Jener Pourié, der zuvor bestimmt ein halbes dutzend Chancen liegen gelassen hatte. Antwerpen stand auf und verschwand im Spielertunnel, er konnte sich diesen Elfer nicht geben. Auch mich hielt es nicht auf meinem Platz, ich ging auf die Treppe zu einem Journalistenkollegen, kehrte dem Feld den Rücken zu, drehte mich wieder um, um mit den Händen vor dem Gesicht dann doch hinzuschauen. Tor! 3:2 für den FCK! Und diesmal sollte auch kein Last-Minute-Nackenschlag mehr folgen. Wir waren (vorerst) auf einen Nichtabstiegsplatz geklettert. Nach der Partie saß Co-Trainer Frank Döpper wenige Meter von der Eckfahne entfernt auf dem Boden, rauchte und gönnte sich ein Kaltgetränk. Mit ihm und Chef Antwerpen war nicht nur die Emotionalität an den Betzenberg zurückgekehrt, sie schafften es auch, diese endlich in eine zuvor so leblose Mannschaft zu übertragen. Und dieser Funke sprang über auf die Fans - so wie es schon immer gewesen war. Kämpfte die Mannschaft, gab sie alles für das rote Trikot, dann kannte auch die Westkurve kein Halten mehr. Antwerpen und Döpper stellten das wieder her.
"Nochmal überleben wir das nicht": Die richtigen Schlüsse ziehen
Dieses Auf und Ab der Emotionen, es macht unseren FCK doch einfach aus. Himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Dazwischen gibt es nicht viel. Das nahm ich auch in sämtlichen WhatsApp-Gruppen wahr, sei es im Fanclub oder unserer "Block 9.2-Clique". Wie oft wurde sich da schon gewünscht, diese masochistisch artige Liebe zum Verein irgendwie loswerden zu können, nur um im gleichen Atemzug wieder festzustellen, dass wir uns ein Leben ohne FCK schlicht nicht vorstellen können. Irgendwann beschloss ein Kumpel das, was sich wohl auch die Mannschaft verinnerlicht haben musste: "Arschbacken zusammenkneifen und immer an die Mannschaft glauben. Keine Zweifel zulassen. Wir sind der FCK. Mer paggen des!" Und wir haben es geschafft! Wir alle zusammen. Als Familie FCK. Was wieder einmal beweist, dass diese Wucht, diese Lawine der Emotion, die der Verein lostreten kann, nur gelingt, wenn sich der Klub, aber auch wir Fans als Einheit präsentieren. Ihr für uns und wir für Euch eben. "Nochmal überleben wir das nicht." Das war eine der ersten von dutzenden Nachrichten, die ich nach Abpfiff des 2:2 unserer Löwen-Freunde gegen die Bayern-Amateure bekam. Und ich finde, sie trifft den Nagel auf den Kopf. Wie Jean Zimmer richtig sagte: Wir sind in dieser Saison alle um Jahre gealtert. Unser Nervenkostüm ist schon lange im Eimer. Nochmal so eine Saison, das wäre nicht auszuhalten. Aber auch der Verein sollte es tunlichst vermeiden, denn so eine Aufholjagd die gelingt eben auch nicht "alle Gebot" wie man in der Pfalz zu sagen pflegt.
Nichtsdestotrotz: Auf eben jene Aufholjagd kann jeder von uns stolz sein. Natürlich auch die Spieler, auf die in diesem Jahr so viel eingeprasselt ist. Und schon bricht sich wieder dieses Gefühl der Vorfreude in mir Bahn. Vorfreude auf die neue Saison, Hoffnung auf bessere Zeiten, Beten für ein endlich wieder gut gefülltes Fritz-Walter-Stadion. Der FCK-Fan ist eben unverbesserlich. Aber: Es darf auch nicht vergessen werden, dass dies die schlechteste Saison der Vereinsgeschichte war. Der Aufstieg war das Ziel, am Ende stand fast der Sturz in die Tiefen des Amateurfußballs. Jetzt darf die Führung um Thomas Hengen nicht den Fehler machen zu glauben, durch den gelungenen Endspurts liefe die kommende Saison quasi von selbst. Spieler, die einfach nicht funktionierten, müssen aussortiert, die FCK-Mentalität wieder zentraler Bestandteil der Kaderplanung werden. Und Fehler der Vergangenheit müssen aufgearbeitet und aus ihnen gelernt werden. Wenn Trainerdiskussionen, Gremienrücktritte und Investoren-Debatten auch die Sommerpause und die kommende Spielzeit bestimmen, ist eine erfolgreiche Saison nahezu ausgeschlossen. Die neue alte Form der Geschlossenheit muss intensiviert werden. Die Baustellen bleiben groß. Aber was möglich ist, hat jetzt auch der hinterste "Experte" wieder gesehen.
Vielleicht besuche ich heute Abend nochmal den Betzenberg und lasse meine Gedanken kreisen. Diesmal ohne Angst. Sondern mit der Gewissheit: Solang's in Deutschland Fußball gibt, gibt es auch den FCK!
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Gerrit Schnabel