Hall of Game: 1. FC Kaiserslautern – Bor. Mönchengladbach 3:2 (1997/98)

Festung Betzenberg!

Festung Betzenberg!

Foto: Imago/Pressefoto Baumann

Eine seiner legendärsten Aufholjagden erlebte der Betzenberg zweifellos am 24. April 1998: Es ging um nicht weniger als die Deutsche Meisterschaft und der 1. FC Kaiserslautern lag kurz vor dem Halbzeitpfiff mit 0:2 gegen die fast schon als Absteiger feststehende Borussia Mönchengladbach hinten. Auf das, was dann folgte, blickt DBB-Gastautor attacke pfalz in seiner „Hall of Game“ zurück...

Die Saison 1997/98 hält sehr viele aufregende Fußballtage für FCK-Nostalgiker bereit. Doch gibt es wohl kein Spiel des Meisterstücks, von dem soviel abhing, wie von diesem legendären Flutlicht-Fight am 32. Spieltag. Beide Seiten hatten rein gar nichts zu verschenken: Für die Gladbacher, die traditionell gut bei uns aussahen und sowas wie der Angstgegner der Roten Teufel waren, ging es gegen den ersten Abstieg der Vereinsgeschichte. Und für den FCK um die Verteidigung des minimalen Punktepolsters gegenüber dem FC Bayern auf Tabellenplatz 2. Dieses war in den Wochen zuvor von neun Punkten auf einen zusammengeschrumpft, so dass selbst ein Unentschieden zu einer Wachablösung durch die Bazis führen konnte.

Aus dem Süden kamen dieser Tage unentwegt Verbalattacken, die den teuflischen Husarenritt vom Zweitligist zum Deutschen Meister noch verhindern sollten. Aufgrund der Ergebnisse der Spieltage 28 bis 31, die dem FCK insgesamt nur drei Punkte einbrachten, spitzte sich die Situation tatsächlich mehr und mehr zu. Die Zweifel am Durchhaltevermögen der Pfälzer waren in ganz Fußballdeutschland spürbar und auch die FCK-Fans alterten in diesen Wochen um Jahre. Oft wankte unser Team im Saisonendspurt, fiel aber nie! Hart erkämpfte Punkte beim wohl ungerechtesten Unentschieden der Menschheitsgeschichte zu Hause gegen Dortmund (und einem bayrischen (Un)Parteiischen namens Wolfgang Stark) oder in Rostock, wo die Tabellenführung gefühlt minütlich zwischen Lautern und Bayern wechselte, ließen – zumindest für den neutralen Beobachter – keine Wünsche im Meisterschaftsrennen offen. Der Weg für einen großen Flutlichtfreitag auf dem Betzenberg, an dem die Roten Teufel in dieser Saison schon so viele Male vorgelegt hatten, war geebnet.

Die Borussia um Ex-FCK-Trainer Friedel Rausch und Spielmacher Stefan Effenberg zeigte sich von Beginn an mindestens auf Augenhöhe und schaffte es durch forsches Auftreten, den Tabellenführer zu überraschen. Folgerichtig gelang der „Elf vom Niederrhein“ die Führung durch Markus Hausweiler, der von einem „Nichtangriffspakt“ der FCK-Defensive profitierte (16.). Die Antwort der Betze-Buwe lautete Laufbereitschaft, gepaart mit kontrollierter Offensive. Marian Hristov köpfte knapp am Tor vorbei und Martin Wagner setzte einen, für ihn so typischen, Freistoß an die Latte. Trotzdem, Gladbach war über weite Strecken der ersten Halbzeit das bessere Team, welches durch Cleverness und Zielstrebigkeit zu überzeugen wusste. Durch einen Pass in die Tiefe wurde unsere Defensive dann auch, zum wiederholten Male, überlistet und der spätere Lautrer Jörgen Pettersson traf zum 0:2 (43.). Schockzustand bei allen FCK'lern! Sollte diese geile Saison doch noch zum Fiasko werden?!

Denn eines muss den jüngeren Lesern klar sein: Wäre die Meisterschaft noch verspielt worden, hätte dies – stimmungsmäßig – zu einer zweiten Abstiegssaison geführt. Der sensationelle Saisonverlauf des Aufsteigers hätte niemanden mehr interessiert, dazu war man dem Titel schon zu nahe und das Punktepolster schon zu groß. Aber dies ist alles Makulatur, denn unmittelbar nach dem zweiten Tiefpunkt schlug der FCK zurück! Entgegen aller Psychologie! Entgegen des Spielverlaufs! Entgegen des Saisonverlaufs! Entgegen eines saustarken Gegners! Entgegen der Stimmung im Stadion entfachte unsere Elf ein Feuerwerk der Willensstärke!

Die Brechstange wurde ausgepackt und führte umgehend zu tumultartigen Strafraumszenen, wie sie so typisch waren für diese Saison und diese Zeit. Hristov köpft an den Pfosten, Jürgen Rische und Andreas Buck springen knapp am Leder vorbei. Harry Koch setzt nach, wird aber von der aufopferungsvollen Fohlen-Abwehr geblockt. Schlag auf Schlag geht es ungebeugt weiter, Lautern marschiert... Herrliche Flanke von der rechten Schokoladenseite, Seitfallzieher Olaf Marschall, Uwe Kamps reißt noch die Fäuste hoch, Ciriaco Sforza und Wagner setzen unermüdlich nach, werden wieder abgeblockt, aus dem Gewühl kommt erneut „Ölaf“ Marschall zum Schuss: Toooor!Endlich! Erzwungen! Super Zeitpunkt (45.)!

In der Pause wechselt FCK-Trainer Otto Rehhagel den 20-jährigen Marco Reich ein, der in diesem Spiel die wohl wichtigste Aktion seiner Karriere haben sollte...

In der zweiten Halbzeit verstärkte der FCK, nun auf die Osttribüne zuspielend, den Druck weiter und schnürte Gladbach in dessen Hälfte förmlich ein. Es war ein für diese Zeit typisches Betze-Powerplay, das jedoch (zunächst) nicht zu großen Chancen führte. Natürlich wies der Spielstil unserer Elf seinerzeit Schwächen auf, doch eines konnte man in diesen Tagen immer bei den Spielern bewundern: Die klassischen Betze-Tugenden. Über den Kampf, die Kameradschaft, die Laufbereitschaft, die Arbeit zum Spiel! Klar, danach fand man auch viele spielerische Elemente: Die Schokoladenseite rechtsaußen mit Buck und Ratinho, Sforza der Ballverteiler, Kadlec der Aufbauspieler, Hristov und Wagner mit ihrer Klasse usw. Trotzdem war der entscheidende Meisterschaftsfaktor die Fähigkeit Otto Rehhagels, die Spieler immerfort dahingehend zu kitzeln, niemals aufzustecken. Er vermittelte ihnen eine Art Urvertrauen in die eigenen Stärken. Hinzu kam der Mythos, die Atmosphäre, für die wir Zuschauer im optimal ausgebauten Fritz-Walter-Stadion sorgten, und die sicher für einige Punkte verantwortlich zu machen ist. In den 1990er Jahren war unser Betze eine Festung, in der wir das Sagen hatten und sonst keiner! Gebrüll, Schlachtrufe, Gesang - in dieser Reihenfolge.

Eine Stunde lang rannten unsere Helden nun schon gegen diese starken Borussen an, die gut verteidigten und die weiterhin für schnelle Konter gut waren. Doch eines war damals sicher, mit Olaf Marschall muss man immer rechnen! Der Torriecher des zuvor oft verletzten Sachsen war einfach nicht zu verteidigen und ein Abstauber führte zum eminent wichtigen Ausgleich (61.). Das Stadion bebte, das Flutlicht strahlte, spätestens jetzt waren alle Anwesenden in der Hölle angekommen. Die Stimmung der letzten 30 Minuten ist schwer zu beschreiben. Am ehesten vergleichbar ist solch eine Schlacht der Emotionen vielleicht mit dem WM-Finale 2014. Jeder Angriff konnte den FCK nun zum fast sicheren Meister machen (wir hatten ja noch das Nachholspiel gegen Schlusslicht Bielefeld), jeder Gegenangriff aber auch zum Verlierer des Titelkampfes. Die Mannschaften holten alles aus sich heraus, man konnte „nimmi zugugge“. Beide Seiten wollten, doch sie kamen zu keinen nennenswerten Torraumszenen mehr.

Als die Uhr dann auf die 91. Minute hüpfte, kam auf der halblinken Außenbahn Marco Reich nochmal an den Ball. Nun zeigte der Youngster ein Dribbling, für das er – zumindest bei den FCK-Fans – bekannt war. Er schaute auf den Ball, lief auf seinen Gegenspieler zu, schaute auf, legte sich die Kugel schnell auf den starken rechten Fuß und flankte. Der Ball schien minutenlang in der Luft zu stehen, genau wie sein Abnehmer, der „Fußballgott“ Marschall persönlich. Der Mann mit dem Nasenpflaster schraubte sich in typischer Manier nach oben und köpfte das Leder mit einer Bogenlampe vom Elfmeterpunkt in die Maschen. Toooooooooooooooor! In der allerneunzigsten Minute! Otto rastet aus, die 38.000 rasten aus, die Spieler begraben, begleitetet von ohrenbetäubendem Jubel nicht nur aus der völlig überfüllten Westkurve, den Siegtorschützen unter sich. Unglaublich, einfach unglaublich! Dieses Spiel noch zu gewinnen ist das Meisterstück! Alle Anwesenden, ach was, alle FCK'ler der Welt spüren nun: Uns kriegt keiner mehr! Scheiß auf die Bayern! Wer solch ein Spiel dreht, der wird Deutscher Meister!

Auch das steht für den Zeitgeist, denn selbstverständlich waren wir noch nicht durch, die Krönung erfolgte erst acht Tage später. Doch das Gefühl, das uns dieser Abend bescherte, war wichtiger als schnöde Rechenspiele. Die Stimmung nach dem Abpfiff wird am besten durch Otto Rehhagels entfesselten Feierlauf nach dem Siegtor repräsentiert. Wenn man den Kontext nicht kennen würde, hätte man „König Otto“, der eine Woche später tatsächlich mit aufgesetzter Krone auf der Anzeigetafel prangt, aufgrund dieser Bilder in die Nervenheilanstalt einweisen müssen. Auf den Sitzplätzen geschah gleichzeitig ein Drama: Ein FCK-Fan erlitt in der turbulenten Nachspielzeit einen Herzinfarkt, an dem er wenig später verstarb.

Fünf Tage später führte ein offener Schlagabtausch in Bielefeld nur zu einem 2:2-Unentschieden. Rische rettete in einem nicht minder spannenden Spiel in der 87. Minute wenigstens einen Punkt, so dass am 2. Mai 1998 in der heimischen Bastion Betzenberg schon der Titel klar gemacht werden konnte. Großer Dank gilt diesbezüglich dem MSV Duisburg, der gegen den Tabellenzweiten aus München ein Unentschieden herausholte und der somit die einzige zu Hause errungene Meisterschaft des FCK (wir siegten problemlos mit 4:0 gegen den VfL Wolfsburg) ermöglichte. Wer dabei war, wird dieses Wochenende im Stadion und in der Stadt nie mehr vergessen. In Meistertrance versunken platzte Kaiserslautern aus allen Nähten.

Zum Abschluss dieser grandiosen Saison stellten die FCK-Fans ihre Reiselust nochmals unter Beweis und feierten in Hamburg mit 30.000 Fans die Übergabe der Meisterschale - somit sind wir der Verein, der auf Platz 1 und 2 der am meisten mitgereisten Fans in Deutschland steht. Die Wochen und Monate vom Frühling 1998 sind deutsche Fußballgeschichte, ein Märchen, ein Unikum. Etwas unwiederholbares war dem gallischen Dorf damals gelungen. Mit Stolz blicken wir auf diese Zeit zurück.

Die Helden des Gladbach-Spiels waren:

Reinke - Kadlec - Koch (46. Reich), Schjönberg - Wagner, Roos (46. Ballack), Sforza, Hristov, Buck (79. Kuka) - Rische, Marschall

Die Highlights des Spiels hat außerdem FCK-Fan Australautern in seinem grandiosen YouTube-Kanal dokumentiert:

Quelle: Der Betze brennt | Autor: attacke pfalz

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