Kummt Senf druff

Die WM beginnt: Fußballherz, was willst Du mehr!?

Die WM beginnt: Fußballherz, was willst Du mehr!?

Foto: Stadionwelt

Dieser Tage standen zwei junge Burschen vor ihrem herausgeputzten Auto und brachten eine Deutschland-Fahne an. Auch die zugehörigen Schals lagen schon drapiert im schmucken Fahrzeug. Im Vorbeigehen sagten sie ungefragt zu mir, dass jetzt endlich der Fußball losginge: „Toll, nicht wahr?“ Ich erwiderte „klar“ und fragte sie, wann sie zuletzt in einem Stadion gewesen seien. Antwort: „Noch nie.“

Diese kleine Anekdote beschreibt meine zwiespältigen Gefühle in Bezug auf die Weltmeisterschaft in Südafrika, die am Freitag beginnt, sehr gut. Sicher ist es schön für den Fußball an sich, wenn eine WM ansteht, aber ein „Fan-Dasein“ definiert sich für mich irgendwie anders als oben beschrieben. Ein Fan ist für mich derjenige, der immer mit seinem Team mitfiebert. Auch bei -5 Grad Celsius im Winter. Oder in der 2. Liga. Und zwar am besten im Stadion, und nicht nur mal alle vier Jahre vor dem Fernseher. Und dann noch im Sommer, das kann jeder. Solche Phänomene irritieren mich doch sehr. Auch, bei allem Respekt dem weiblichen Geschlecht gegenüber, die vielen Damen, die vorgeben, über Nacht auf einmal Fußballfans geworden zu sein, im Biergarten dann aber den echten Fans (die natürlich auch weiblich sein können) die Sicht nehmen. Die zwar ihre Handtäschchen und Goldkettchen präsentieren, aber noch nie etwas von Abseits gehört haben. Vom passiven schon gar nicht - und plötzlich die größten „Deutschlandfans“ sind.

Vertreter dieser Gattung saßen 2006 in Gelsenkirchen beim WM-Spiel USA gegen Tschechien neben mir, ich war tief erschüttert über so viel Ahnungslosigkeit. Dabei kann der Fußball doch so einfach sein. Das Ganze gilt selbstverständlich auch für eine beträchtliche Anzahl männlicher „Fans“, die in diesen Tagen die Überhand gewinnen über die echten Fußballfreunde, die wahren Liebhaber des runden Leders. Die sich viel zu laut über einen vermeintlichen Fehlpass von diesem „Schweini“ (blond) aufregen, der im Übrigen gar nicht mehr so genannt werden will, obwohl der Pass von Gomez (dunkelhaarig) kam. Vielleicht bin ich aber auch einfach schon zu lange dabei und kann nicht mehr jeden Mist ertragen.

Dennoch ertappe ich mich dabei, wie ich beginne, den Spielplan zu studieren. Wann spielt die deutsche Mannschaft eigentlich zum ersten Mal? Am Sonntagabend gegen Australien. Nun gut, da habe ich nichts anderes vor, also werde ich es mir anschauen. Ein Spiel meines 1. FC Kaiserslautern würde ich niemals verpassen. Meistens bin ich im Stadion dabei, falls mal ausnahmsweise nicht, dann aber definitiv vor dem TV-Gerät. Bei der WM hingegen werde ich einige Spiele versäumen, obwohl die Veranstaltung unter sportlichen Aspekten natürlich sehr interessant ist. Erreicht Fernando Torres nach seiner Meniskus-OP rechtzeitig seine Form? Findet Defensiv-Spezialist Fabio Capello in England endlich einen richtigen Torwart oder wenigstens einen Spieler, der einen entscheidenden Elfmeter versenken kann? Was machen eigentlich Cristiano Ronaldo und Lionel Messi? Und wie hat Südafrikas Rekord-Nationalspieler Aaron Mokoena den Abstieg seines FC Portsmouth verkraftet?

Interessant wird auch zu sehen sein, wer am Ende den Titel holt. Glaubt man den Vertretern von der Elfenbeinküste, aus Ghana, Kamerun, Südafrika oder Nigeria, dann werden sie Weltmeister. Und zwar alle. Vermutlich auch noch gleichzeitig. Die Algerier scheinen Weicheier zu sein, sie rechnen als einzige afrikanische Mannschaft nicht mit dem Titel. Vielleicht sind sie aber einfach nur Realisten? Und was macht eigentlich Nordkorea? Die aus dem „Schurkenstaat“. Die Spieler können ja nichts für ihren Diktator, ich bin mal gespannt, was sie drauf haben. Die Italiener werden sich ungern an sie erinnern, verloren sie doch 1966 bei der WM in England sensationell gegen diesen Außenseiter.

Eine Weltmeisterschaft hat eben doch mehr zu bieten als alle vier Tage ein Spiel der deutschen Elf, mit millionenfachem Public Viewing, mit schwarz-rot-goldenen Irokesen und Vuvuzelas. Neben den sportlichen Auftritten der vielen Weltstars ist auch das Drumherum interessant: Wie wird sich Gastgeber Südafrika präsentieren? Was wird man am Rande der Spiele über exotische Länder wie Honduras, Neuseeland oder eben Nordkorea erfahren? Und welche Eindrücke werden die Fankurven bringen, in denen Menschen aus England, Argentinien, Ghana oder Südkorea völlig verschiedene, aber dennoch allesamt sehenswerte Bilder abliefern werden? In der Berichterstattung wird dies alles aber eine etwas ausführlichere Randnotiz bleiben, zu groß sind die Schlagzeilen über Jogis Jungs zu erwarten. Und selbst beim gemütlichen Fußballgucken mit Freunden wird irgendjemand mindestens einen mitbringen, der eben sich eben nur alle zwei Jahre für Fußball interessiert. Des Events wegen.

Ich sehe die ganze Veranstaltung also etwas differenziert. Vieles ist mir zu sehr durchorganisiert, zu sehr professionalisiert. Zu wenig Raum für Kreativität, selbst in Afrika. Ich erinnere mich 28 Jahre zurück. Damals war ich im spanischen Sevilla, um mir das Halbfinalspiel Deutschland gegen Frankreich anzuschauen, das später als eines der besten Spiele aller Zeiten in die WM-Geschichte einging. Ein paar Stunden vor dem Spiel waren wir noch im Mannschaftshotel und klopften Hans-Peter Briegel auf seinem Weg zum Bus auf die Schulter - heute undenkbar. Fast alles ist hermetisch abgeriegelt, die Distanz zum Fan ist gewachsen. Früher war zwar nicht automatisch alles besser, aber doch manches anders. Individueller, persönlicher, vielleicht sogar menschlicher?

Die Eröffnungs- und Schlussfeier werde ich mir nicht antun. So sehr sich die Gastgeber bemühen werden um eine gelungene Show, die es vermutlich auch wird. Bei der Schlussfeier wird wohl wieder mal von der „besten WM aller Zeiten“ gesprochen. Wenn ich aber in die feisten Gesichter der FIFA-Funktionäre schauen müsste, würde mir übel. Solange der größte Feind des Fußballs deren Boss ist, kann nichts wirklich besser werden. Ich kenne einige Fans, die für ihre Vereinsmannschaften durch dick und dünn gehen, solche Ereignisse wie Welt- und Europameisterschaften aber komplett ablehnen. Blatter und Co. sollten sich mal fragen, warum das so ist. Aber solange der Event stimmt, und damit der finanzielle Erlös, werden sie das nicht tun.

Ich verstehe diese kritischen Fans, liebe aber den Fußball doch zu sehr, um eine Fußball-WM an mir vorbeiziehen zu lassen. So werde ich mir ein lauschiges Plätzchen suchen, wo ich mir die Spiele, die ich wirklich sehen möchte, ganz in Ruhe anschauen kann, mit ein paar richtig guten Freunden. Fernab von allem Public Viewing- und Fanmeilen-Gedöns. Darauf freue ich mich durchaus. Was wird die deutsche Mannschaft wohl erreichen? Alles scheint möglich: Ein vorzeitiges Scheitern in einer tückischen Vorrundengruppe genauso wie der Einzug ins Halbfinale. Oder sogar noch mehr? Lassen wir uns überraschen.

Hoffen wir auf ein paar schöne Spiele mit einem Finale, in dem nun wirklich nicht schon wieder Brasilien oder Italien stehen müssen. Und irgendwann beginnt das richtige Fußball-Leben ja dann auch wieder. Mitte August, wenn die nächste Bundesliga-Saison startet. Mit dem FCK. Dann wird am Ende des Sommers doch noch alles gut.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Altmeister

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