Marco Antwerpen im ausführlichen Winterpausen-Interview: Der Trainer des 1. FC Kaiserslautern spricht über die neue Stärke seiner Mannschaft, die Rolle einzelner Spieler und mögliche Wintertransfers.
Der Betze brennt: Marco Antwerpen, die letzte Partie des Jahres ist gespielt. Nach dem 1:1 in Braunschweig überwintert der FCK auf Tabellenrang 6, mit direktem Anschluss zu den Aufstiegsplätzen. Am 3. Januar ist schon wieder Trainingsbeginn, und am 15. Januar geht's in der Liga weiter, im nächsten Spitzenspiel zuhause gegen Meppen. Wie viel Weihnachtsfrieden können Sie sich denn erlauben?
Marco Antwerpen (50): Ich werde schon ein paar Tage freimachen, bleibe aber für Sport-Geschäftsführer Thomas Hengen jederzeit erreichbar. Für den Fall, dass es das eine oder andere zu besprechen gibt.
Der Betze brennt: Gehen wir das abgelaufene Halbjahr nochmal in Ruhe durch. Die Runde begann zunächst mal nicht gut. Nur ein Sieg in den ersten sieben Spielen, aber vier Niederlagen, alle auswärts, alle ohne eigenes Tor ...
Antwerpen: Ja, den Start haben wir in den Sand gesetzt. Aber auch da waren nicht alle Spiele schlecht, manchmal haben nur die Ergebnisse nicht gestimmt. Wenn ich allein an das Spiel in Meppen (0:1-Niederlage am 2. Spieltag; Anm. d. Red.) denke, da hätten wir nach der ersten Halbzeit auch 2:0 oder 3:0 führen können.
"Keine Ausreden: Wenn ein Spieler ausfällt, springt ein anderer in die Bresche"
Der Betze brennt: Das Meppen-Spiel endete jedoch 0:1, und danach haben Sie direkt die Charakterfrage gestellt. Sie sagten, manche Spieler, die schon länger hier wären, sollten endlich mal anfangen darüber nachzudenken, wie sie in eine Saison starten.
Antwerpen: Ich wollte damit an einzelne Spieler appellieren, mal nicht nur über die Ziele nachzudenken, die wir uns mit der Mannschaft setzen, sondern auch mal über ihre eigenen. Sich zu fragen, auf was lasse ich mich eigentlich ein, wenn ich Spieler des 1. FC Kaiserslautern bin. Ob ich überhaupt dem Druck hier gewachsen bin, auch dem aus dem Umfeld.
Der Betze brennt: Es gäbe auch andere Erklärungsansätze für den schlechten Start. Zum Beispiel den, dass Sie in den ersten vier Partien jedes Mal aufs Neue auf der Position des tiefen Aufbauspielers wechseln mussten. Erst verletzte sich Marlon Ritter, dann Felix Götze, dann Hikmet Ciftci. Wie hätte das Team da zu Stabilität finden sollen?
Antwerpen: Mit solchen Erklärungen wollen wir uns aber nicht abgeben. Wir wollen keine Ausreden suchen. Wenn Spieler ausfallen, müssen wir das hinnehmen, und andere müssen in die Bresche springen. Und wir haben die Spieler, die das können. Gerade in den letzten Wochen haben wir ja auch bewiesen, dass wir das können, als wir jeweils Philipp Hercher, Felix Götze, René Klingenburg, Boris Tomiak, Kevin Kraus oder andere mal ersetzen mussten.
Der Betze brennt: Einer erwies sich direkt vom Start weg als Volltreffer: Matheo Raab. Andererseits: Avdo Spahic hatte eine ingesamt gute Saison auf dem Betzenberg gespielt und sicherlich damit gerechnet, die Nummer Eins zu bleiben. Wie schwer war es, ihm klarzumachen, dass er trotz guter Leistungen nun erst einmal auf die Bank muss?
Antwerpen: Ach, damit muss ich als Trainer doch jeden Spieltag umgehen. Ich muss ständig Spielern wehtun, die gut gearbeitet haben, aber dennoch keinen Platz in der Startelf bekommen können. Den Spielern muss eben klar sein, dass dies immer nur Momentaufnahmen sind. Jeder kann mit guten Trainingsleistungen jederzeit wieder in Stammelf rutschen. Was die Torhüter-Position angeht: Wir haben den Sommer genutzt, uns beide in aller Ruhe anzuschauen und dabei den Eindruck gewonnen, dass Matheo zum Zeitpunkt des Saisonstarts der stabilere war. Und dass er Dinge mit auf den Weg bringt, die wir gebrauchen können.
Der Betze brennt: Zum Beispiel, dass er fußballerisch der stärkere ist - und in engen Situationen auch mal angespielt werden kann?
Antwerpen: Gar nicht mal. Auch Avdo ist recht stark am Ball. Matheo ist eher in der Strafraumbeherrschung einen Tacken weiter vorne. Im Grunde aber unterscheiden die beiden sich nur in Nuancen.
"Wir haben alles hinterfragt, sogar die Essenszeiten überdacht"
Der Betze brennt: Der Umschwung kam, wie schon in der vergangenen Saison, nach einer 0:1-Niederlage in Magdeburg. Damals wie heute nahmen sie einschneidende Veränderungen vor. Vor dem Saisonfinale damals hatten sie wegen einer Länderspielpause allerdings zwei Wochen Zeit zur Verfügung, nutzten eine davon zur "Willensschulung", die andere, um taktische Dinge einzustudieren. Diesmal hatten Sie nur eine Woche. Wie haben Sie diese genutzt?
Antwerpen: Wenn du auswärts hintereinander vier Spiele verlierst und auch zuhause zu wenig Tore schießt, kannst du so einfach nicht weitermachen. Also haben wir alles hinterfragt, aber nicht erst nach dem Spiel in Magdeburg, auch schon die Woche vorher nach dem ärgerlichen 1:1 zuhause gegen Zwickau. Was können wir Trainer ändern? Was die Mannschaft? Was kann der Mannschaftsrat tun? Wie trainieren wir, wann trainieren wir? Sogar die Essenszeiten haben wir überdacht. Wir sind wirklich in jedes Detail gegangen.
Der Betze brennt: Haben Sie Ihre Mannschaften schon öfter auf diese Art in Entscheidungsprozesse eingebunden oder ist das etwas, was Sie sich erst mit den Jahren aneigneten?
Antwerpen: Das kommt immer auf die Mannschaft an, die du gerade trainierst. So kannst du nicht mit jedem Team arbeiten. Aber bei dieser Truppe sind wir überzeugt, dass wir solche Wege gehen und Lösungen gemeinsam finden können.
Der Betze brennt: Sie sind dieses Jahr 50 geworden. Wie nehmen Sie selbst Ihre Entwicklung als Trainer wahr? Im März haben wir mit Kalli Feldkamp gesprochen, der erzählte uns, dass er sich nach seiner Wahrnehmung zwischen dem 45. und dem 55. Lebensjahr als Persönlichkeit entscheidend weiterentwickelte und auch daher in seiner zweiten Amtszeit beim FCK in der Lage war, den Deutschen Meistertitel zu holen, der ihm zehn Jahre zuvor verwehrt geblieben wahr. Nach dieser Rechnung hätten Sie nun also den halben Weg zum Meistertrainer hinter sich ...
Antwerpen: Um das mal klarzustellen: Auch ich bin schon Meister geworden. Und aufgestiegen. Bei Kalli Feldkamp reden wir aber vom Titel des Deutschen Meisters, das ist ein ziemlicher Unterschied zu den Ligen, in denen ich gespielt und gearbeitet habe … (lacht) Aber Spaß beiseite. Natürlich entwickelt man sich auch selbst mit den Jahren weiter, vor allem wird man ruhiger. Im Grunde geht es doch aber immer darum, darauf zu schauen, was ist das Beste für die Mannschaft. Die Spieler sind der Schlüssel. Ich als Trainer bin nicht das wichtigste Element - und nehme mich gerne zurück.
"Nicht die taktische Formation ist entscheidend, sondern die Intensität des Spiels"
Der Betze brennt: Parallel zu dieser Zäsur kam am 8. Spieltag das Derby gegen Waldhof Mannheim. Ein 0:0, das die Mannschaft über eine Halbzeit lang mit neun Mann gegen elf hielt. Ein großer moralischer Sieg, ohne Frage. Wie sehr hat dieses überwältigende emotionale Erlebnis die Mannschaft gepusht?
Antwerpen: Das war natürlich sehr, sehr wichtig. In der Halbzeit in die Kabine zu kommen, in diese Gesichter sehen zu dürfen, die fest entschlossen waren, gleich wieder rauszugehen und es dem Gegner so schwer wie möglich zu machen - das war ein Genuss, kann ich Ihnen sagen. Das hat die Mannschaft nochmals stärker zusammenwachsen lassen, und ich denke auch, seitdem vertrauen sich die Spieler untereinander noch mehr. Aber bei aller Emotion war es ebenso wichtig, etwas mitzunehmen. Wir hätten mit der gleichen Leistung kurz vor Schluss auch noch einen Treffer kassieren können. Unsere Fans hätten uns dann bestimmt mit Applaus in die Kabine verabschiedet, aber das Derby wäre dennoch verloren gewesen.
Der Betze brennt: So wichtig Emotion und Leidenschaft sind, ein paar Dinge wurden danach auch mit dem Verstand neu geregelt. Sie bevorzugen beispielsweise wieder die Dreier-/Fünferkette statt der Viererkette als Grundordnung, nicht durchgehend, aber meistens.
Antwerpen: Solche Debatten um die beste Formation können wir doch endlos führen. Ich gebe nur zu bedenken: Unsere höchste Saisonniederlage kassierten wir bei Viktoria Berlin (0:4 am 3. Spieltag; Anm. d. Red.), und da spielten wir auch mit Dreierkette, in einem 3-4-3-System. Darauf kommt es also nicht wirklich an. Was sich nach Magdeburg geändert hat, war, dass wir unsere Spiele mit einer ganz anderen Intensität führen, beispielsweise was Ballkontrolle, Passgenauigkeit und Umschaltmomente angeht. Das ist entscheidend.
Der Betze brennt: Es fällt aber auch auf, dass die Mannschaft nicht mehr so hoch steht wie zuvor und nicht mehr so ins Angriffspressing geht. Dennoch spielt sie jetzt effektiver - und trifft öfter. Wie erklärt sich das?
Antwerpen: Bei hohem Pressing haben die Abwehrspieler immer das Gefühl, hinter sich sehr viel Raum verteidigen zu müssen. Da haben wir sie eben mal gefragt: Wollt ihr das überhaupt? Das war ein weiteres der vielen Details, die wir besprochen haben. Jetzt sagen wir: Wir gehen auch mal in Phasen, in denen wir dem Gegner den Ball lassen und ihn in bestimmte Zonen locken, ehe wir versuchen, uns den Ball zu holen. So sind wir noch variabler geworden. Wir variieren die Höhe unseres Pressings situativ. Wir pressen aber auch nach wie vor immer mal sehr hoch. Denken Sie an die Szene vor zwei Wochen gegen Viktoria Köln, wo wir uns quasi im gegnerischen Strafraum den Ball holen und Daniel Hanslik nur den Pfosten trifft.
"... dann haben wir die Spieler gefragt: Wollt ihr das überhaupt?"
Der Betze brennt: Bei einigen Spielern wurde auch ein deutlicher Leistungsschub sichtbar, nachdem ihre Positionen der neuen Grundordnung angepasst waren. Philipp Hercher und Hendrick Zuck beispielsweise sind als sogenannte Schienenspieler wesentlicher stärker als zuvor, wo sie als Außenverteidiger in der Viererkette zum Einsatz kamen.
Antwerpen: Natürlich haben wir uns bei unserer Generalinventur ebenso mit der Frage befasst: Spielt wirklich jeder auf seiner idealen Position? Das betraf etwa auch Felix Götze, der als Mittelmann in der Dreierkette, wie etwa in Berlin, immer sehr offensiv agierte. Da haben wir ihn auf die Sechs, später auf die Acht gestellt, wo er viel laufen muss, aber mit weniger Risiko nach vorne spielen kann.
Der Betze brennt: Ein anderer, der nach der Zäsur viel besser ins Spiel kam, ist Mike Wunderlich. Der rutschte von der Zehn auf die Acht.
Antwerpen: Wir hatten in den ersten Saisonspielen festgestellt, dass die Gegner ihn oft in Manndeckung nahmen, wenn er auf der Zehn spielte, manchmal sogar bis an den eigenen Strafraum verfolgten. Auf der Acht kann er sich dem nun besser entziehen. Er steht tiefer, ist variabler und mittlerweile arbeitet er auch gut gegen den Ball. Andererseits: Wenn du nach so vielen Jahren als absoluter Führungsspieler bei Viktoria Köln den Verein wechselst, kannst du dort nicht vom ersten Tag an ebenfalls gleich Führungsspieler sein. Mike hat eine gewisse Zeit gebraucht, bis er seine neuen Mitspieler kennengelernt hatte. Jetzt ist er voll integriert.
Der Betze brennt: Nicolas Sessa wurde bislang immer als typischer Zehner angesehen, war in Aalen seinerzeit auch schon als beweglicher Mittelstürmer im Einsatz. Sie bringen ihn auf der Acht, manchmal auch auf der Sechs. Sehen Sie ihn anders als Ihre Trainerkollegen?
Antwerpen: Er kann nach wie vor noch auf der Zehn spielen. Aber als Profi musst du auch mal die Position annehmen, die sich dir anbietet. Auf der Zehn haben wir gegenwärtig René Klingenburg und Kenny Redondo. Zuletzt wurde für Nicolas Sessa eben auf der Achter-Position was frei, die wesentlich laufintensiver ist.
Der Betze brennt: Aufgeblüht ist nunmehr auch Daniel Hanslik. Als beweglicher Stürmer, der Räume schafft und gar nicht mal selbst immer treffen muss. Bevorzugen Sie diese Art Spitze gegenüber dem klassischen Mittelstürmer, beziehungsweise der sogenannten "Kante", die in Teilen des Umfelds ständig gefordert wird?
Antwerpen: Ich halte es für sehr wichtig, einen beweglichen Stürmer zu haben. Daniel brauchte seine Zeit, um sich daran zu gewöhnen, jetzt einzige Spitze zu sein, denn das hatte er zuvor noch nie gespielt. Er agiert mit hoher Laufbereitschaft gut gegen den Ball und ist auch im Abschluss sauber und clever - dass er wie in Dortmund eine Torchance auslässt, kommt halt mal vor. Was die sogenannte Kante angeht: Wenn du so eine hast, brauchst du entsprechende Leute auf den Flügeln, die sie mit Flanken füttern.
"Die zusammengewachsene Truppe kann ein enormes Faustpfand sein"
Der Betze brennt: Offensive Flügelspieler hatten Sie aber in der Hinrunde kaum im Aufgebot ... Heißt das, bevor eine Kante kommt, müsste auch da erstmal nachgebessert werden?
Antwerpen: Wir haben durchaus auch offensive Flügelspieler im Kader. Nur sind Marius Kleinsorge und Jean Zimmer durch viele Verletzungen zurückgeworfen worden, Simon Stehle und Anil Gözütok sind längerfristig verletzt. Als Trainer musst du die Spieler aufstellen, die in der besten körperlichen Verfassung sind - und für diese eine Grundordnung finden, die ihre Fähigkeiten am besten zur Geltung bringt.
Der Betze brennt: Jetzt steht die Winter-Transferperiode an. Es ist klar, dass Sie über ungelegte Eier nicht reden wollen, daher setzen wir mal anders an: Nächsten Sommer laufen 16 Spielerverträge aus. Damit der Umbruch nicht zu heftig ausfällt, könnte es eine Überlegung wert sein, bereits in diesem Winter wenigstens drei, vier Spieler abzugeben und zwei, drei neue zu holen, die dann als schon integrierte Kräfte in die neue Saison gehen könnten. Andererseits: Es läuft gerade gut, zu viel Personalbewegung könnte auch Unruhe heraufbeschwören. Wie stehen Sie zu diesem Dilemma?
Antwerpen: Im Prinzip deuten Sie es richtig an: Mit einer zusammengewachsenen Truppe, die das volle Vertrauen der sportlichen Leitung spürt, ins neue Jahr zu starten, kann ein enormes Faustpfand sein. Von daher müssen wir sehr sensibel vorgehen, wenn wir was tun. Wenn wir einen holen, muss das jemand sein, der charakterlich passt und unser Leistungsniveau anhebt.
Der Betze brennt: Es gibt aber auch Profis, die zuletzt nur noch in der U21 zum Einsatz kamen und wohl kaum noch eine Zukunft am Betzenberg sehen. Zeichnen sich da Abgänge ab?
Antwerpen: Bis jetzt ist noch keiner auf uns zugekommen, um uns mitzuteilen, dass er uns verlassen will. Ich finde, in solchen Angelegenheiten sollte die Initiative von den Spielern ausgehen. Bis dahin gilt für uns: Vertrag ist Vertrag.
"Ich kann mir gut vorstellen, längerfristig FCK-Trainer zu bleiben"
Der Betze brennt: Apropos: Wie sieht es mit Ihrem eigenen Arbeitspapier aus? Das läuft ebenfalls kommenden Sommer aus. Letzte Saison verlängerte sich Ihr Vertrag automatisch nach dem geschafften Klassenerhalt. Gibt es diesmal wieder irgendwelche Klauseln, etwa für den Aufstiegsfall? Oder wann wäre ansonsten aus Ihrer Sicht ein geeigneter Zeitpunkt, um Gespräche über eine Vertragsverlängerung zu führen?
Antwerpen: Klauseln gibt es keine, und ob und wann Gespräche stattfinden sollen, müssen Sie Thomas Hengen fragen. Ich für meinen Teil kann nur sagen, dass ich mich hier sehr wohl fühle und mir gut vorstellen kann, längerfristig Trainer des 1. FC Kaiserslautern zu bleiben.
Der Betze brennt: Vielen Dank für das interessante Gespräch. Wir wünschen Ihnen besinnliche Feiertage und freuen uns auf das neue Jahr beim FCK.
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer, Thomas Hilmes
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