Kummt Senf druff

Mit dem Messer zwischen den Zähnen

Mit dem Messer zwischen den Zähnen

Foto: Eibner/Neis

Vier Wochen sind seit Markys letzter Kolumne vergangen. Vier Wochen, in denen sich beim 1. FC Kaiserslautern unfassbar viel getan hat. Der DBB-Kolumnist über ein neues Betze-Gefühl und ein altes Erfolgsrezept.

Zwischen Himmel und Hölle ist vieles vorstellbar - vor allem auf dem Betze. Wenn sie dort ein Ufo oder die Bundeslade mit den Zehn Geboten ausgraben würden, wenn jemand nachts die Weiße Frau im Westturm sehen würde, fast niemanden würde dies sonderlich überraschen. Aber diese News vor rund einer Woche, die haute selbst hartgesottene FCK-Fans vom Hocker:

Gute Nachrichten aus dem "Lazarett" gibt es nach "Rheinpfalz"-Informationen beim Fußball-Drittligisten 1. FC Kaiserslautern: Stürmer Lukas Spalvis (26) soll wie Dominik Schad (24) und Lukas Gottwalt (23) nächste Woche wieder ins Mannschaftstraining einsteigen.

Spalvis? Spalvis?? Waaaaas???

Für mich waren die Zeilen, die sich rasant in Foren, Sozialen Netzwerken und auch über Nachbarzäune verbreiteten, der endgültige Beweis, dass der Betze langsam wieder am Überschäumen ist. Nur dieses Mal in dem Sinne, der uns allen das Herz erwärmt, ja, der es zum Rasen, Hüpfen und Glühen bringt. Vor Kurzem sah es noch anders aus. Ganz anders.

Als ich meine DBB-Kolumne "Wie wir Lautern retten können" in diese Tasten tippte, hätte ich mir trotz meiner großen Fantasie nicht ausmalen können, was die nächsten vier Wochen bringen sollten. Gehofft, habe ich allerdings. Warum? Weil ich Euch kenne!

"Auf wen wollen wir warten, wenn der Fluch wir selbst sind?"

"Was kann jeder tun, damit der 1. FC Kaiserslautern den Klassenerhalt feiert?", hatte ich in meinem Text gefragt. Und mancher hatte mich zum Beispiel über Facebook gefragt, ob ich noch alle Tassen und Teller im Schrank habe oder gleich den Daumen gesenkt: "Nix! Dieser Verein ist nicht mehr zu retten" - oder: "Wir Fans haben darauf gar keinen Einfluss, den hat nur die Mannschaft." Und als kurz nach Erscheinen der Kolumne der FCK den Rücktritt von Aufsichtsrat Martin Weimer meldete, da musste ich auch schwer schlucken.

Zugegeben, mein Kolumnen-Vokabular war fast provokant positiv und konstruktiv. Es war gegen den Strich gebürstet. Es war meine ganz persönliche Antwort auf die Frage, was kann jeder tun.

Einer, der schon lange bei Der Betze brennt am Start ist, der User "scheiss fc köln", entgegnete mir in einem Forumsbeitrag: "Aber, wir haben doch schon alles gegeben. Wie können wir Lautern retten, wenn wir als Fans, Mitglieder, Freunde und Verwandte tief im Dispo sind? Und jetzt? Wir haben doch keinen Einfluss mehr. Da ist nichts mehr, an das man noch glauben kann. Wir alle gehen jeden Weg mit. Jeden! in der Hoffnung, dass uns jemand befreit. Aber das passiert nicht. Gegebenenfalls bleiben wir drin! Und dann?"

Ich schrieb ihm in Anlehnung an meine Kolumne: "Auf wen wollen wir warten, der uns befreit, wenn der Fluch wir selbst sind." Und weiter: "Allein, wenn man über den Satz 'Was kann jeder tun ...' nachdenkt , verändert sich etwas - in der Perspektive und man verlässt seine passive Rolle, kommt ins Handeln."

Was hat jeder von Euch getan? Unfassbar viel!

Und liebe Lautrer, was habt ihr alles seit der Länderspielpause und dem Magdeburg-Spiel bewegt. Verdammt viel. Unfassbar viel. Trotz Corona. Ihr habt Plakate gezeichnet, ihr seid sogar den Berg hoch, seid Spalier gestanden. Habt gesungen, geschrien, habt gefeuert und angefeuert. Ihr habt geschrieben, gemailt. Ihr habt zu Hause gehofft, gezittert, gebetet, gefiebert. Habt euch zur rot-weiß-roten Farbe bekannt. Habt andere mit- und aus ihrer Lethargie gerissen. Nein, lieber "scheiss fc köln", wir haben noch nicht alles gegeben. Wir sind uns gar nicht gewahr, wie viel wir eigentlich im Stande sind, für diesen Verein zu geben. Und der Betze ist für Emotionen schon immer extrem durchlässig.

Diese unerschöpfliche Energie zeigte sich in den letzten Zügen des Spiels gegen den Halleschen FC. Als Philipp Hercher in der 90. Minute das 3:1 markierte, da rollte ein Welle der Leidenschaft durch die Pfalz und weit darüber hinaus. Manche gestanden später allen Ernstes, sie hätten den Treffer wie eine Meisterschaft bejubelt. Ein paar Tage zuvor hatten nicht wenige noch für sich ausgeschlossen, jemals wieder vor Freude über den FCK auszuticken.

Ja, es war eine frische Energie am Berg zu spüren. Der FCK hatte wieder Seele eingehaucht bekommen - von symbolischen Transparenten, von virtuellen Gesten, von Fans vor Ort und von der Couch - und natürlich von der Mannschaft.

Spaß und Zuversicht

"Man hat heute gesehen, dass die Magie am Betzenberg wieder lebt", resümierte Marvin Pourie, der nach langer Torflaute wieder getroffen hatte. "Die Mannschaft hat heute den Weg vorgegeben und diesen wollen wir jetzt weitergehen. Das nächste Spiel ist am Mittwoch", gab der Trainer, Marco Antwerpen, zielgerichtet und zielstrebig zu Protokoll. Bemerkenswert war auch, was Winter-Neuzugang Felix Götze sagte: "Solche Spiele machen den Fußball aus. Die machen noch zehnmal mehr Spaß als die normalen Partien, weil einfach viele Emotionen dabei sind. Trotz des Platzverweises war ich mir sicher, dass wir das auch mit zehn Mann lösen können. Wir haben uns alle die ganze Zeit positiv zugesprochen und diesen Erfolg gemeinsam erkämpft." Freude, Zuversicht, Kameradschaft, Kampfgeist, Siegeswillen. Ganz neue Töne!

Nach der Magdeburg-Partie hatte Antwerpen die Trainingsintensität gesteigert, er hatte also bis zur Schmerzgrenze trainieren lassen. So was verbessert nicht nur die Fitness, sondern befreit auch den Kopf von dem ganzen Ballast, der sich seit Wochen und Monaten angesammelt hatte. Weil man sich auf eine Sache konzentrieren muss. Aufs Kicken. "Wir gehen jetzt jedes Spiel so an, als ob es ein Endspiel ist", sagte Philipp Hercher jüngst in der SWR-Sendung, die früher "Flutlicht" hieß. Darauf habe man sich beim FCK schon in der letzten Länderspielpause eingeschworen.

Endspiel-Atmosphäre bei WhatsApp

Wenn ich mir unseren 7.1er-WhatsApp-Chat angucke, dann sind es aber nicht nur die Spieler, die in Alles-oder-Nichts-Stimmung sind: Manche von uns hören Fanradio, manchen gucken die TV-Übertragungen, manche verfolgen einen Ticker oder nur den Chat. Es folgt Post auf Post. Es geht hin und her. Es regnet Emotions-Zeichen. Bei jedem "Scheiße" oder "verdammt" kriegt man schier ein Herzkasper. Ja, es reicht schon, wenn es einen Hinweiston gibt oder das Handy blinkt. Und das Schönste ist dieses erlösende "Jaaaaaaa!!!". Gegen Halle war alles noch eine Spur intensiver. Keine Vergangenheit, keine Zukunft, nur dieses Spiel. Kein Hadern, kein Unken, kein Verurteilen. Nur ein rote, virtuelle Wand. Beim Platzverweis hieß es: "Weiter, Lautern". Beim Ausgleich: "Dann schießen wir halt noch eins".

Für Kapitän Jean Zimmer war der Sieg - mit einem Mann weniger - "ein sehr, sehr wichtiges und brutales Zeichen". Brutal war auch, was dann gegen Zwickau (2:2) und auch in Lübeck (1:1) folgte.

Das Betze-Lied als Einschlaflied

Ich hatte mich nach dem 2:1 gegen den FSV ausgeklinkt und erst wieder aufs Handy geschaut, nachdem das Spiel aus sein musste. "2:2 in der Nachspielzeit: Nur Remis gegen Zwickau", prangte auf der DBB-Startseite. Dieser Satz hat mich fertig gemacht. Und ich konnte erst nach mehrstündigem Chat mit FCK-Freund Tobias wieder abschalten. "Nach vorne gucken, immer der Nase nach", sagte er mir. Mir half auch, was viele im DBB-Forum schrieben: Dass endlich wieder Emotionen auf dem Platz wären, eine Mannschaft, die leidenschaftlich kämpfe, die hinfalle, aber wieder aufstehe. Einer berichtete, er hätte seinem Kind nach dem Spiel das Betze-Lied zum Einschlafen gesungen, so stolz sei er heute auf seinen Verein. Während Trainer Antwerpen den Fokus schnell auf den Schiri lenkte, um gar nicht erst dunkle Gedanken beim Team aufkommen zu lassen, zeigten auch die FCK-Fans die digitalen Fäuste.

Es ging nach Lübeck. FCK-Anhänger vom Fanclub "Nordic Devils" hatten gegnerische Schmierereien auf dem Mannschaftsbus noch vor Anpfiff schnell verarztet. Was für ein starkes Zeichen! Trotzdem hatte ich echt Schiss vor der Reaktion der Mannschaft. Bislang folgte auf solche Nackenschläge wie gegen Zwickau nichts Gutes. Und die erste Halbzeit war Wasser auf meine innere Zwickmühle. Ich schrieb Kumpel Sebastian - wir lagen 0:1 zurück - jedenfalls keine allzu sonnigen Saisonprognosen. Doch in unserem gemeinsamen Chat stemmten sich einige dagegen: Vor allem Sven, der zwischenzeitliche so eine Distanz zur Mannschaft und zum Verein zu haben schien, wie Kaiserslautern von der Karibik entfernt ist. Aber seit jener englischen Woche ist er dermaßen heiß, dass er auf seinem geliebten Schwenkgrill eigentlich auf die Holzkohle verzichten kann. Antwerpen wechselte extrem offensiv. Hop oder top - und Daniel Hanslik kam, köpfte und traf. Nach dem Schlusspfiff hatte ich das Gefühl, dass ich die 90 Minuten kaum geatmet hatte. Und ich fühlte mich erschöpft. Endspiele verlangen einem alles ab - und es waren gleich drei in einer Woche.

Auch der SWR mobilisiert alles

Auf die Frage, was kann jeder tun, hatte auch der SWR am Sonntag nach Lübeck eine erstaunliche Antwort. Sport-Geschäftsführer Thomas Hengen war zu Gast. Und mittendrin lief eine sensationelle Reportage von Stefan Keber zum Saisonfinale 2008. Mit unglaublichen Bildern von der Mutter aller Endspiele gegen Köln - und Marcel Ziemer, der sagte, ohne die Fans hätten wir das niemals geschafft. Diese kamen auch zu Wort, von jung bis alt. Einem gestandenen Vater kamen die Tränen, als er an jenen Sonntag im Mai 2008 dachte. Was für eine tolle Sendung vom SWR, genau zur richtigen Zeit!

Rasenmähen und Betze-Feeling

Es folgte das Derby gegen Saarbrücken. Als ich Antwerpen in der Pressekonferenz grinsen sah und sagen hörte: Warum solle man nicht auch das zweite Derby gewinnen, entspannte ich mich und mich packte eine gewisse Vorfreude. In unserem Chat war ausgelassene Feier-Stimmung. Nachdem Anas Bakhat am Tor vorbei schob, schaltete ich mein Handy aus und mähte den Rasen. Nix außer dem lauten Motor hören und sehen ... Mein Nachbar Claus kam schließlich mit Gläsern und Bier um die Ecke, mein Nachbar Pascal trat mit Jubel-Faust aus seiner Haustür. Sie erlösten mich. Ich war happy über den FCK. Die Jubelbilder der Spieler am Zaun gingen um unsere Welt. Am späten Abend schickte mir FCK-Kollege Jan eine Sprachnachricht: Er könne sich gar nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal so dermaßen im Betzefeeling gewesen sei.

Erinnerungen an Gerry und den Hass

Dieses neue, alte Gefühl bleibt auch den gegnerischen Trainern nicht verborgen. Saarbrücken-Coach Lukas Kwasniok sagte vor dem Spiel, er erwarte einen FCK mit dem "Messer zwischen den Zähnen". Ein Satz, der mich an Gerry Ehrmann erinnerte. Gerry hatte einmal, ich glaube, es war 2007, gesagt, dass der Hass fehle. "Hass wäre einem fast lieber. Manchmal hat man den Eindruck, als ob es den Leuten grad egal ist, was passiert." Seit damals gab es im Stadion und auch in den Foren immer wieder die lautstarke und durchaus augenzwinkernde Parole "Mehr Hass". Hass ist ein hartes, ein schlimmes Wort. Doch, wo es so viel Liebe gibt, wie auf dem Betze, da gibt es auch Hass, wie es Milan Sasic einmal ausdrückte.

Woher kommt das mit dem "Hass"? Lautern war seit jeher ein Underdog. Von der Qualität der Kader oft nicht konkurrenzfähig. Auswärts gab's traditionell nix zu holen. Aber am Betze, da schufen wir uns eine Welt mit eigenen Gesetzen. Eine Hölle, in der die gegnerischen (Super-)Waffen nutzlos blieben. Diese besondere Form der Emotion wurde von Generation zu Generation weitergetragen. Sie war ein Erfolgsgarant, sie sicherte uns das Überleben in der Beletage. Den Hass und die Emotionen ließen wir aber stets im Stadion auf unserem Steh- oder Sitzplatz zurück. Nach Verlassen des Berges waren wir wieder ganz normale Menschen. Das hat uns immer von Randalebrüdern anderer Vereine unterschieden.

Es ist erstaunlich, dass das alte Erfolgsrezept in 2021 auch ohne Zuschauer Wirkung zeigt. Es ist (wieder) ein besonderer Geist in diesem Stadion, ja, im ganzen Verein, der dem Gegner Respekt einflößt. So sagte Unterhaching-Kapitän Markus Schwabl vor dem Lautern-Spiel sinngemäß, wenn man jetzt ohne nötige Einstellung zum Betze fahren würde, werde es zweistellig. Es wurden dann allerdings nur drei Tore.

Wir übertreiben wieder - wie schön!

Um das Spielfeld herum ist es im Verein erstaunlich ruhig geworden. Im sehr hörenswerten, aktuellen FCK-Podcast des SWR wird ein Satz von Thomas Hengen aus dem Jahr 2002 eingespielt. Er sagt: "Ruhe kriegst du nur rein, wenn du sportlichen Erfolg hast. Natürlich kann man sagen, da oben, da gibt es nur Theater, aber letztendlich, wenn ich auf dem Platz stehe, dann kann doch passieren, was will. (...) Auf dem Platz weiß jeder, was er zu tun hat."

Diese Sätze sind auch fast 20 Jahre später wahr. In einem Verein, der so mit Haut und Haaren gelebt und geliebt wird, wird es immer hoch hergehen. Vor allem, wenn das Ventil fehlt, der Betze, der Fußballplatz. Und eine Mannschaft auf dem Platz steht, die keine ist, die den Sinn dieses Sports und Spiels nicht (mehr) versteht und ein Trainer, der nicht fähig ist, das zu ändern. Ja, dann schlägt das ewige Pendel des FCK um in den pechschwarzen Bereich. Jetzt schwingt es wieder, weil der Verein mit positiver Energie geradezu geflutet wird. Selbst der Mannschaftsbus trägt jetzt wieder rot. Ich habe in meiner "Wie wir Lautern retten können"-Kolumne geschrieben: Der FCK sei seit den frühen 1990ern eine einzige Übertreibung. Auch im Moment ist das wieder so. Es scheint nur noch gute Nachrichten vom Berg zu geben, wirklich alles scheint möglich: Selbst, dass Lukas Spalvis in der Nachspielzeit gegen Verl den Treffer erzielt, der uns die Klasse hält.

Vier Spiele noch - Vier Endspiele - Drama pur - völlig verrückt - vergesst das Messer zwischen den Zähnen nicht!

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Marc Bartl

Weitere Links zum Thema:

- Kolumne: Wie wir Lautern retten können (Der Betze brennt, 31.03.2021)

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