Im Blickpunkt: Autorenlesung mit Andreas Buck

"Wir leben den Traum und niemand weckt uns auf"

"Wir leben den Traum und niemand weckt uns auf"

Foto: Imago Images

Meisterspieler Andreas Buck stellt am Mittwoch im FCK-Museum seine Biographie "Turbo" vor. Wer live dabei sein möchte, kann sich noch per E-Mail anmelden. Zur Einstimmung veröffentlichen wir einen exklusiven Kapitel-Auszug aus dem Buch. Wir schreiben das Jahr 1997...

Im Juli 1997 sitze ich in der Kabine des Fritz-Walter-Stadions. Die Arena des 1. FC Kaiserslautern thront über der kleinen Stadt wie eine Ritterburg aus dem falschen Jahrhundert. Auf dem Trainingsplatz nebenan starten wir in die Saisonvorbereitung. Die Spieler trudeln ein, tauschen Sprüche aus, lachen. Die Euphorie des Aufstiegs vom Mai ist ihnen noch anzumerken. Auch ich bin voller Vorfreude. Brenne darauf, mich zu zeigen. Mit 29 bin ich wieder der Neue. Aber ich bin kein Unbekannter. Oft haben wir gegeneinander gespielt. Man kennt mich.

Otto Rehhagel kommt und gibt mir die Hand. "Andreas", sagt er feierlich, "Sie haben eine große Aufgabe vor sich. Sie müssen sich hier mit unserem Publikumsliebling messen!" Er deutet auf den kleinen Brasilianer Ratinho. Der hat in den letzten Spielen der Vorsaison ziemlich aufgedreht. Aber da war Lautern schon aufgestiegen, ein Team auf der Ehrenrunde. Mal schossen sie fünf Tore, mal sieben. Ein Spiel ging 7:6 aus, wie beim Tennis. Eine große Gaudi. Und Ratinho, das Mäuschen, mittendrin.

Aus Konkurrenten werden Kameraden: "Bucke" und das "Mäuschen"

Ich sehe, wie er zu mir herüber kommt. "Bucke", sagt der kleine Mann mit dem Kindergesicht. Er spricht in einem seltsamen Kauderwelsch. "Trainer sagt, wir musse mache Duell auf rechte Seite. Gehe wir raus, haue ich dich um!" Eine Pause entsteht. Dann fängt Ratinho schallend an zu lachen, schlägt mir mit der flachen Hand auf den Rücken und watschelt mit seinen Kickschuhen in der Hand aus der Kabine.

Ich bleibe missmutig zurück. Streiche mir über die Haarstoppeln. Neuerdings rasiere ich mir die Haare auf drei Millimeter. Ein Gag aus den letzten Wochen in Stuttgart. Langsam binde ich mir die Schuhe. Frage mich, was hier läuft. Ich dachte, ich war Rehhagels Wunschspieler. Schlecht gelaunt gehe ich im Stadion zum Pressefoto mit den anderen Neuzugängen. Die Fotografen fordern uns zum Lächeln auf. Ich kneife die Lippen zusammen.

Der Rest des Teams spielt schon jahrelang zusammen. Einige haben schon 1991 mit dem FCK die deutsche Meisterschaft gewonnen. Die beiden Tschechen Miro Kadlec und Pavel Kuka sind vor einem Jahr in England Vize-Europameister geworden. Der beinharte dänische Nationalspieler Michael Schjönberg bildet zusammen mit dem Franken Harry Koch die Innenverteidigung. Zentral im Mittelfeld spielt der Schweizer Nationalspieler Ciriaco Sforza. Über sieben Millionen Mark hat der FCK für ihn an Inter Mailand überwiesen. Nach monatelangem Poker. Nur Tage vor dem ersten Bundesligaspiel stößt Sforza zum Kader. Ein letztes Puzzlestück.

Der beste Aufsteiger aller Zeiten: Die Traumreise beginnt im Pub

Am ersten Spieltag müssen wir gleich beim übermächtigen FC Bayern München antreten. Da ist kein Raum für Nervenflattern. Rehhagel will Ballack auf die Tribüne setzen. Aber Brehme schreitet ein. Der Weltmeister verzichtet für seinen jungen Rivalen. Lässt sein Ego einmal Ego sein. Und erspart Ballack die Demütigung in seinem ersten Bundesligaspiel.

Der 1. August 1997 ist ein heißer, wolkenloser Samstag. Ich bin wegen einer Magen-Darm-Grippe in Kaiserslautern geblieben. Schaue das Spiel in einem Irish Pub. Gar nicht so leicht, eine Kneipe zu finden, die Premiere abonniert hat und das Topspiel überträgt. Ich sitze im Dunkel des Schankraums und trinke Mineralwasser. Die Kneipe ist voller Fans. Keiner scheint mich zu erkennen. Mein Konkurrent Ratinho liefert auf rechts ein grandioses Spiel ab. Zehn Minuten vor dem Ende köpft Michael Schjönberg eine Ecke von Sforza zum sensationellen 1:0-Sieg ins Tor von Oliver Kahn. Ballack sitzt 90 Minuten auf der Bank. Ich bezahle und lasse die Leute feiern.

Es ist ein Spätsommer, in dem vieles möglich scheint. Gerade hat Jan Ullrich als erster Deutscher die Tour de France gewonnen. Schumi fährt im roten Ferrari gegen den Kanadier Jacques Villeneuve um die WM. Und wir starten als Aufsteiger richtig durch. Gewinnen ein Spiel nach dem anderen. Spielen uns in einen nie geahnten Rausch. Von 17 Spielen in der Hinrunde gewinnen wir zwölf. Der beste Aufsteiger aller Zeiten.

Und ich? Bin mittendrin in der großen Party. Spiele wieder. Von Anfang an. Vier Tage nach dem Sieg in München steht das Heimspiel gegen Hertha BSC an. Die Berliner sind zusammen mit uns in die Bundesliga aufgestiegen. Diesmal sind wir der Favorit, müssen das Spiel machen. Aber es läuft nicht. In der Pause wechselt Rehhagel mich ein. Statt Ratinho oder Buck heißt es plötzlich: Ratinho und Buck. Ich spiele Rechtsaußen, Ratinho soll mich von Halbrechts aus mit präzisen Bällen füttern. Wenn der Ball im richtigen Moment kommt, bin ich nicht zu stoppen. Kann unbedrängt flanken. Es funktioniert. Und wie. Wir gewinnen. Und spielen Betze-Fußball vom Feinsten. Begeistern die Fans in der zweiten Hälfte mit einem schnellen Angriff nach dem nächsten.

"Wir stehen da oben als Erster und wissen auch nicht warum"

Es ist ein simples Rezept: Schnelle Sprints bis an die Grundlinie und dann Flanken in die Mitte. Dort hat Otto seine Kopfballspezialisten platziert. Olaf Marschall, Marian Hristov. Seine langen Kerls, wie er sie gerne nennt. So hat die deutsche Nationalelf in den Achtzigern zwei WM-Endspiele erreicht. So war Rehhagel in Bremen erfolgreich. Und auch wir gewinnen und gewinnen. Bleiben Tabellenführer, Woche für Woche. Ende September sitzt unser Linksaußen Martin Wagner im ZDF-Sportstudio und sagt: "Wir stehen da oben als Erster und wissen auch nicht warum."

Die Stimmung ist bestens, wie bei jedem Tabellenführer, und das Training meist locker. Normalerweise schmeißt Otto nach dem Aufwärmen einfach einen Ball in die Mitte, teilt zwei Teams ein und lässt eine Stunde frei spielen. So einen lockeren Rahmen habe ich in meiner ganzen Profilaufbahn noch nicht erlebt. Aber was für Trainingsspiele das sind! Wie wir es uns geben. Kein Fußballspieler verliert gerne, aber diese Truppe hasst es mehr als alles. Egal wann und wo. Rauf und runter geht es. Ohne Pause. Und wenn Michael Schjönbergs Team zurückliegt, springt man lieber schon einen Meter früher ab. So holen wir uns die nötige Wettkampfhärte ganz nebenbei.

Der Kader ist von Otto perfekt zusammengestellt. Wir alle wissen, wie das Spiel gespielt wird. Und wir haben alle etwas zu beweisen. Genau wie Rehhagel selber, den die Bayern nach einem Dreivierteljahr weggeschickt haben. Genau wie Sforza, der in München und Mailand nicht glücklich wurde. Genau wie ich, der Aussortierte aus Stuttgart. Unsere Egos haben alle einen Knacks. Wir haben Ruhe. Trainieren. Spielen. Gewinnen. Und ziehen abends mit der halben Mannschaft durch Kaiserslautern.

Helden ziehen durch die Lautrer Nacht: "Dass wir das noch erleben dürfen"

Wie eine Bezirksligatruppe geht es durch die Nacht. Der Weltmeister Arm in Arm mit dem Ersatzspieler. Zu zehnt gehen wir beim Italiener essen. Ziehen dann weiter in die Markthalle in der Innenstadt. Mischen uns unter die feiernden Fans. Lassen uns gerne noch eine Runde ausgeben. Lautern ist klein. Wir sind die Sensation der Bundesliga. Die Helden der Stadt. Da ist genug Ruhm für jeden von uns dabei.

Die Jungen wie Marco Reich können ihr Glück kaum fassen. In ihrem ersten Jahr spielen sie gleich um die Meisterschaft mit. Und wir Älteren hauen uns nach dem dritten Wodka-Lemon auf die Schultern, schauen uns in die glänzenden Augen und denken: Dass wir das noch erleben dürfen.

"Alle erwarten, dass wir verlieren" - Doch die Schale geht nach Lautern

Wir leben den Traum und niemand weckt uns auf. Anfang Dezember schlagen wir die Bayern im Rückspiel auf dem Betzenberg. Fahren Mitte Februar nach Stuttgart. Alle erwarten, dass wir verlieren. Aber auf Vorlage von Ratinho lege ich Marian Hristov den Siegtreffer auf. München verliert gleichzeitig in Berlin. Unser Vorsprung auf den FC Bayern wächst.

Drei Spieltage vor Schluss kommt Borussia Mönchengladbach zu uns ins Fritz-Walter-Stadion. Kurz vor der Pause liegen wir 0:2 hinten. Wieder steht alles auf dem Spiel. Nach 90 Minuten haben wir immerhin ein 2:2 geschafft. Nachspielzeit. Ein letzter Angriff. Marco Reich schlägt von links noch eine Flanke in den Strafraum. Olaf Marschall köpft sich den Ball an die eigene Schulter. In hohem Bogen fällt der Ball zum 3:2 in den Torwinkel. Zwei Spiele später sind wir wirklich Meister.

Vor dem bedeutungslosen Spiel in Hamburg überreicht Egidius Braun, der Präsident des Deutschen Fußball-Bunds, unserem Kapitän Ciriaco Sforza die silberne Meisterschale. Mit einem Jubelschrei stemmt Ciri die Schale nach oben.

Noch ein letztes Mal etwas Fußball-Romantik

"Ein Bundesliga-Aufsteiger, der Meister wird", sagt Otto Rehhagel nach dem Spiel in Hamburg, "das wird es nie wieder geben." Aber erst in den folgenden 20 Jahren ist klar geworden, wie recht er hatte. Die großen Clubs sind seit 1998 noch viel größer geworden, unerreichbar im Grunde für den Rest der Liga. Während wir noch feiern, werden dafür die Weichen gestellt. Eine Geschichte wie meine wird sich nicht wiederholen. Mit zwei verschiedenen Teams Meister zu werden, ohne je beim Dauermeister Bayern München gespielt zu haben, das haben überhaupt nur zwölf Spieler geschafft. Seit 2009 gar keiner mehr. Wie auch? Seit 2012 sind ja immer nur die Bayern Meister geworden.

Bevor der Fußball sich in der großen, weiten Welt verlor, kam er 1998 noch einmal bei sich an. Im kleinen Kaiserslautern in der wirtschaftlich schon abgehängten Pfälzer Provinz. Noch ein letztes Mal war so etwas wie Romantik möglich. Ein Triumph wie aus Fritz Walters Zeiten.

Die Sonne scheint. Das Bier fließt. Wir haken uns ein, schunkeln auf dem Rathausbalkon und blinzeln ins Licht des Erfolgs. Wir sind deutscher Meister. Im kommenden Jahr werden wir Champions League spielen. Und ich spiele mit.

Die Lesung von Andreas Buck und Johannes Ehrmann findet am Mittwoch, den 30. September 2020 im FCK-Museum des Fritz-Walter-Stadions statt und beginnt um 19:00 Uhr. Aufgrund der Hygienemaßnahmen im Zusammenhang mit der anhaltenden Coronavirus-Pandemie ist die Teilnehmerzahl limitiert. Anmeldungen können per E-Mail unter Angabe des Namens, der Anschrift und der Telefonnummer an museum@fck.de gesendet werden. Der Eintritt kostet 5,- Euro.

Update, 30.09.2020: Die heutige Autorenlesung wurde krankheitsbedingt abgesagt, über einen eventuellen Nachholtermin informiert der FCK später.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Johannes Ehrmann, Andreas Buck

Weitere Links zum Thema:

- Interview | Daum und Otto, Champions League und Betze-Drama (Der Betze brennt)
- Rezension | Buck, Buck, Buck: Im "Turbo" durch drei Fußball-Dekaden (Der Betze brennt)

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