Nach der ersten Wut gestern hab ich ein wenig beruhigt und versucht, meine Gedanken zu ordnen. Ich schreibs mal auf, auch, wenn es etwas länger geworden ist. Wem's zu lang ist, einfach weiter blättern.
Ein Lehrstück aus dem demokratischen Tollhaus: Die Innenminister stehen unter dem Druck der Medien, nachdem sie zu erlären hatten, warum über Jahre ausländische Mitbürger ermordert wurden und der ihnen unterstellten Polizei nichts besseres einfiel, als abzuwiegeln und die Toten als "Döneropfer" zu verhöhnen. Da könnte der Eindruck nahe liegen, dass der gesamte Sicherheitsapparat von innen her verfault ist.. Doch da naht auch schon die Rettung für die diskreditierten Polit-Sheriffs. Die Medien haben ein neues Sujet der Skandalisierung gefunden: Fußball-Krieg. Zutaten: Martialisch aussehende Fans, Bengalorauch, Ausschreitungen. Das liefert Bilder, macht Auflage, bringt Klicks. Das ist noch viel schlagzeilenträchtiger als die ollen Rechtsradikalen weit hinten im Osten. Also powern die Medien, insbesondere diejenigen, deren Eigentümern es schon länger ein Dorn im Auge ist, dass die Fußballfans in den Kurven politischer werden und Forderungen stellen: Murdoch, Springer, Sport1. Das mediale Feuer wird also angefacht. Damit geraten die Innenminister zwar erneut unter Druck, aber diesmal bietet sich, anders als bei den Neonazis, auch eine Chance: Man könnte sich als starker Mann positionieren und damit ablenken. Also greifen die Innenminister nach der lockenden Beute Fußball, zunächst nur einer, dann ist kein Halten mehr, jeder will, nein, muss was dazu sagen. Keiner will die Chance zur Profilierung den anderen Parteien überlassen., Leider ist keiner wirklich sachkundig, man schwadroniert, übertrifft sich gegenseitig an Drohungen, ein Wettlauf der Dummheit: Wegfall der Stehplätze, Beteiligung an den Kosten etc. Unvermeidliche Trittbrettfahrer sind Polizeifunktionäre, die auf dem Ticket der Politiker fahren und auf bessere Ausstattung und höhere Gehälter hoffen.
Die Fußballfunktionäre schlafen lange, bis sie aufwachen. Immerhin verstehen sie die Mechanismen, anders als die Fans, die die Urheber im Kreis der Funktionäre suchen. Die Fans schwanken zwischen Apathie ("wer nichts macht, der hat auch nichts zu befürchten"), Reduktion auf Pyro ("die Zeit dafür ist einfach vorbei") und Opposition ("jetzt reichts - macht unseren Fußball nicht kaputt"). Die Funktionäre dagegen sehen die Machtmechanismen und sie wissen, dass, wenn sie die ihnen von der Politik auferlegte Hausarbeit nicht machen, dies eine öffentliche Brüskierung der Innenminister darstellt, die diese nicht ungestraft hinnehmen können. Es droht das Schlimmste, was es in der Politik gibt: der Gesichtsverlust. Die Ablehnung des Papiers hätte entsprechend der Logik der Politik also zu einer harschen Reaktion der Innenminister führen MÜSSEN. Das Arsenal ist bekannt, siehe oben.
Schnell wird den Funktionären klar, dass der finale Kotau nicht zu vermeiden ist, dass Papier, nein, irgendein Papier muss beschlossen werden, und zwar innerhalb der Frist. Also, und da kommt der Druck der Fußballfans durch Schweigen in den Stadien den Funktionären ganz Recht, entschärft man das Papier bis zur Inhaltsleere, nimmt Regeln auf, die schon lange gelten, baut eine Hülle, die vor Relativierungen und Kann-Bestimmungen nur so strotzt. Die Innenminister sehen die Proteste in den Stadien, die Trendwende in den Leitmedien und ihnen wird klar, dass sie entweder das seiner Inhalte weitgehend beraubte Papier bekommen oder gar nichts; da nimmt man lieber den Spatz in der Hand und schaurt bei den Maßnahmen nicht so genau hin. Immerhin kann man so vor die Wähler treten und behaupten, man habe durch Druck auf den Fußball den bräsigen Funktionären Beine gemacht und die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Fußball in den Griff gekriegt. Das Ganze ist am Ende nur noch ein Deal: Der Fußball ändert eigentlich nichts, die Innenminister stehen trotzdem nicht als Verlierer da. Und Rauball &Co bemühen sich, nicht mal groß verklausuliert, diesen Dealö den Fans nahezubringen: "Schaut her, wir mussten das so machen, wenn wir nein gesagt hätten, wären die Knute der Politik gekommen, so ändert sich fast nichts."
Derweil schwenkt die Presse um, zu durchsichtig, ja fast schon skandalös ist das politische Possenspiel, dass man einst selbst angeschoben und befeuert hat. Nun stellen auch die Herren Journalisten fest, dass Gewalt im Fußball selten ist und dass es eigentlich keinen Anlass für die Hysterie gibt. Man geißelt die unsachliche Diskussion. Die Verlogenheit der deutschen Medienlandschaft liegt wieder einmal bloß.
Und nun? Die Politik könnte zufrieden sein, aber sie wird keine Ruhe geben. Zu verlockend ist die Möglichkeit, sich auf Kosten des Fußballs zu profilieren. Die aktiven Fußballfans haben in der Bevölkerung - anders als die Säufer beim Oktoberfest übrigens - keinerlei Rückhalt oder Sympathien und werden auch künftig ausreichend Anlässe für Empörung liefern, in Farbe und frei Haus. Die Funtionärsriege vertritt ein Milliardengeschäft und ist damit nicht nur erpressbar, sondern auch zum Einknicken bereit, wie gerade erst gesehen. Zuviel Geld steht auf dem Spiel. Bei den nächsten Ausschreitungen, tatsächlichen oder nur behaupteten, wird der Ruf nach "Durchgreifen" und "Sitzplätzen" wieder kommen und da jeder Innenminister derjenige sein möchte, der als der große Aufräumer im deutschen Fußball gilt, wird sch die Herren Politiker überbieten in ihren Repressionsforderungen.
Die Fußballfunktionäre fühlen sich falsch verstanden, immerhin haben sie durch Taktieren und das Sicherheitspapier das Schlimmste verhindert. Der Impact dieses Papiers auf die Realität wird wohl auch minimal sein.
Die Presse freut sich daran, dass man erst die Politiker aufhetzen konnte, um sie dann für ihre Reaktion zu geißeln.
Und die Fans? Die sollen wohl jetzt happy sein, den entschärften Katalog als warnung nehmen und das Zündeln einstellen. Das Problem aber ist, dass das perfide Spiel der Politiker Risken und Nebenwirkungen hatte. Denn im Zuge der Diskussion fand eine breite Politisierung der Kurvenbesetzungen statt, er erfolgt eine Solidarisierung mit den ansonsten von den Kurven gar nicht so sehr geliebten zündelnden und singenden Ultras und durch die Annahme des Papiers hat man - losgelöst von dessen Inhalt ein Ohnmachts- und Wutgefühl bei Zehntausenden geschaffen, die sich unversehens verschaukelt und zum Business-Objekt degradiert sehen. Der Fußball-Wutbürger tobt.
Wohin das führt? Wenn ich realistisch bin, würde ich sagen, dass die Stehplätze in 5 Jahren weg sind und in 10 die Stimmung ähnlich wie in England ist. Der Fußball, wie ihn meine Generation erlebte, wird es nicht mehr geben. Aber ohne Friktionen und Kämpfe wird dieser Prozess nicht verlaufen, das ist nun auch klar.