Taktik-Nachlese zum Spiel FCK-Hannover

Die DBB-Analyse: Diesmal ohne Last Minute-Punch

Die DBB-Analyse: Diesmal ohne Last Minute-Punch


So eine Nullnummer kann ganz schön aufregend sein. Hannover 96 hat den 1. FC Kai­sers­lau­tern auf dem Betze über weite Phasen gut im Griff - und hätte am Ende ums Haar doch noch den Kürzeren gezogen.

17:24 Torschüsse. 9:15 nach Abschlüssen innerhalb des Strafraums. 4:4 nach sogenannten Großchancen. 1,31 : 2,65 nach "expected goals" laut Wyscout, 1,95 : 2,29 laut Opta. Und trotzdem stand's am Ende 0:0. FCK-Trainer Markus Anfang meinte hinterher, dies sei kein "klassisches" 0:0 gewesen. Kann man so sagen. Man könnte es auch ein "eher zufälliges" 0:0 nennen. Dann aber könnte man sich nicht darüber freuen, dass es für die Roten Teufel das zweite "zu null" in Folge war.

96-Coach André Breitenreiter sah sogar ein "begeisterndes" 0:0 und fragte sich, ob es das mit solchen Statistiken überhaupt schonmal gegeben habe. Auch das kann man so sehen. Emotional packend war's auf jeden Fall angesichts der stattlichen Anzahl von Aufregern vor beiden Toren und daher gute Fußball-Unterhaltung. In der Analyse aber wollen wir ein wenig nüchterner bleiben. Und aus FCK-Sicht urteilen: Es war ein Spiel, das über einige Phasen zeigte, wie gut sich die Anfangself über den Saisonverlauf entwickelt. Das in anderen Phasen - und das waren sogar die länger andauernden - aber ebenso offenbarte, weshalb man sich noch damit zurückhalten sollte, die Allgemeinheit an seinen Aufstiegsphantasien teilhaben zu lassen. So, wie es FCK-Investor Axel Kemmler vergangene Woche in der "Rheinpfalz" glaubte, es tun zu müssen.

Der FCK - ein Topteam? Ja, aber davon gibt's viele

Ja, der FCK mag in dieser Saison in dieser Zweiten Liga ein "Topteam" darstellen. Das sollte aber nur tun, wer ebenso anerkennt, dass die Zahl der "Topteams" in dieser Klasse bis mindestens Rang 8 hinunterreicht. Denn auf diesem dümpelt Hannover 96 derzeit. Und deren Team präsentierte sich an diesem Samstagnachmittag phasenweise sogar noch einen Ticken "topper" als der FCK. Was an einen fantastischen Satz des legendären Fußball-Rhetorikers Berti Vogts erinnert: "Die Breite an der Spitze ist dichter geworden." Und wer da am Ende die Nase vorn hat, werden wohl die berühmten Kleinigkeiten entscheiden.

Positiv aus Lautrer Sicht festzuhalten ist, was Keeper Julian Krahl in seinem differenzierten und daher treffenden Statement nach dem Spiel auf den Punkt brachte. In der Hinrunde holte der FCK aus seinen Partien gegen Hertha BSC, Hannover 96 und den Hamburger SV gerade mal einen Punkt. Jetzt sind es derer schon vier, und das HSV-Spiel steht noch aus. Und dass diese Zahlen nicht nur auf dem Papier schön aussehen, sondern auch durch gutes Spiel auf dem Rasen zustande kamen, bewiesen die Roten Teufel zumindest in der Anfangsphase dieser Partie. Sie nutzten das nun wieder plane, weil neu ausgerollte Grün für besonnenes, kontrolliertes Aufbauspiel. Und hatten die ersten beiden guten Chancen.

Erst Yokota, dann Ritter - aber dann war's das Pfälzer Herrlichkeit

Die allerdings weniger Resultat präzisen Kombinationsspiels waren, sondern, indem die Lautrer eine andere Qualität offenbarten, die sich unter Trainer Anfang angeeignet haben. Sie rücken eng zusammenstehend und gut positioniert weit auf, so dass sie auch im Angriffsdrittel den Ball sofort wieder zurückerobern können, wenn er verloren geht.

Schon nach drei Minuten kam Daisuke Yokota mittig am Sechzehner frei zum Schuss, brachte aber nur einen halbgaren Schlenzer zustande. Zuvor war die Pass-Stafette seiner Mitspieler bereits zweimal von Hannoveranern unterbrochen worden, doch schafften diese es nicht, den Ball wenigstens zur Mittellinie abzuwehren. Sofort war wieder ein Betze-Bub zur Stelle. Ragnar Ache war es schließlich, der Yokota das Leder servierte.

Sieben Minuten später die zweite gute Gelegenheit: Marlon Ritter lief im Angriffsdrittel in einen zu kurzen Rückpass von Marcel Halstenberg, kam halbrechts in der Box zum Abschluss, aber Ron-Robert Zieler parierte. Ja, das war ein ziemlicher Bock des erfahrenen Halstenberg, aber solche Fehler wollen auch provoziert werden.

Das war's dann aber auch mit Pfälzer Herrlichkeit für lange, lange Zeit. Sie kontrollierten das Spiel zwar noch eine Weile, wirklich Verwirrung zu stiften vermochten sie aber nur noch, wenn sich Luca Sirch aus seiner zentralen Position in der Dreier-Kette löste und nach vorne preschte. Da bekamen die Gastgeber Probleme zu entscheiden, wer nun wen übernehmen soll.

Oh, wie ist das schön: Ache darf mal wieder köpfen

Positiv festzuhalten wäre noch: In der 37. Minute durfte der beste Kopfballstürmer der Liga endlich mal wieder nach einer Flanke aus dem Spiel heraus zeigen, was er eigentlich am besten kann. Ache gewann nach Erik Wekessers Flugball von links den Luftkampf gegen den bekanntermaßen nicht gerade kopfballschwachen Boris Tomiak, setzte das Leder aber knapp neben den Kasten.

Nach ruhenden Bällen kam Ache gar nicht zu Potte. Überhaupt haben die Pfälzer ziemlich abgebaut, was deren Gefährlichkeit angeht. Sie holten im gesamten Spiel nur zwei Ecken heraus, die beide zu nichts führten. Von den Freistoßflanken wurde nur eine wirklich gefährlich. Die aber hätte ihnen in der Nachspielzeit fast noch den Sieg beschert. Doch der aufgerückte Maxi Bauer köpfte Ritters Flugball knapp über die Torlatte.

Hannover dagegen durfte neun Ecken treten, und eine davon köpfte Halstenberg aus drei Metern gegen Krahls auf der Torlinie postierten Fuß. Nach 74 Minuten hätte spätestens das der Führungstreffer für die Gäste sein müssen. Schon in Minute 60 hatte sich Rabbi Matondo eine vergleichbar gute Gelegenheit geboten, als er nach einer Rechtsflanke von Jannik Dehm am langen Eck völlig freistehend zum Kopfball kam, aber vergeigte. Überhaupt enttäuschte der Winterneuzugang, auf den wir in unserem Gegner-Check so ehrfürchtig hingewiesen hatten.

Gindorf leitet Hannovers Chancenflut ein

Sein Gegenüber auf der rechten Seite war wesentlich gefährlicher. Lars Gindorf war anstelle des kurzfristig erkrankten Jannik Rochelt ins Team gerückt, es war sein erster Startelf-Einsatz in dieser Saison. Schon in der erster Hälfe traf Gindorf nur die Latte. In der 49. Minute erlief er eine Freistoßflanke von Enzo Leopold und zwang Krahl mit einem Volleyschuss zur Parade.

Fünf Minuten später kam Tomiak nach einem fast identischen Freistoß frei zum Kopfball, Krahl musste abermals parieren. In dieser Phase schien das Chancenplus für die Gäste geradezu beängstigende Ausmaße anzunehmen.

Markus Anfang wies hinterher darauf hin, dass diese Freistoß-Aktionen, wären sie im Netz geendet, womöglich vom VAR kassiert worden wären. Dass mag auf Tomiaks Chance zutreffen. Gindorf allerdings stand nicht im Abseits, als er in den Flugball lief. Der eine oder andere seiner Mitspieler schon, aber ob der VAR passives Abseits erkannt hätte? War schon besser, dass Krahl zur Stelle war.

Breitenreiter vs. Anfang: Vom Ansatz her ähnlich

Neidlos anerkannt werden muss: Ab Mitte der ersten Halbzeit und dann bereits wieder kurz nach Wiederanpfiff waren die Niedersachsen im Fritz-Walter-Stadion ganz schön am Drücker. Interessant zu sehen dabei: Das Breitenreiter'sche Fußballideal unterscheidet sich kaum vom Anfang'schen Spielkontrolle erlangen mit besonnenem Passspiel, Balleroberungen erzielen durch hohes, geordnetes Aufrücken.

In dieser Druckphase boten sich den Gastgebern zwar auch Umschaltmomente, die aber wurden meist schon in der Einleitung verspielt. Mal gelang den Innenverteidigern Bauer oder Jan Elvedi der öffnende Pass nicht, oder aber Yokota blieb stecken. Für den Japaner gilt weiterhin: Er setzt sich in dieser Rückrunde längst nicht mehr so unwiderstehlich durch, wie er es in der Hinrunde noch tat. Was nur zum Teil daran liegt, dass die Gegner sich nun besser auf ihn eingestellt haben und ihm kaum noch Luft lassen. In manchen Szenen hatte er diese durchaus, und fehlte es dennoch an Präzision.

An der gab es bei Tim Breithaupts Startelf-Debüt nichts zu meckern, zumindest auf dem Papier nicht. 13 Bälle erobert, sieben davon in der gegnerischen Hälfte. Okay, auch drei Bälle verloren. Aber 92 Prozent Passquote. Von den Zuspielen nach vorne kamen jedoch nur 67 Prozent an. Da geht sicher noch mehr. In so eine zentrale Mittelfeldrolle wächst man eben nicht von heute auf morgen rein.

Der Sirch-Heuer-Move: Kein Tor diesmal, dennoch wichtig

Apropos: Markus Anfang wiederholte seinen Move aus dem Heimspiel gegen Münster, brachte in der zweiten Hälfte Innenverteidiger Jannis Heuer für Filip Kaloc und zog Sirch nach vorne. Auch wenn Sirch diesmal nicht den Siegtreffer erzielte, ergab die Umstellung Sinn. Denn Kaloc war nicht gut im Spiel. Nur 21 Ballkontakte in 70 Minuten, das ist zu wenig für einen zentralen Mittelfeldspieler.

Unterm Strich bleibt die Erinnerung an ein Spiel mit extrem wechselnden Phasen. Das belegt ein abschließender Blick auf zwei Grafiken. Einmal eine Wyscout-Visualisierung der Ballbesitz-Entwicklung über den gesamten Spielverlauf:

Ballbesitz FCK-Hannover

Da ist schön zu sehen, wie stark der FCK anfing und wie sehr ihm anschließend das Heft aus der Hand genommen wurde.

Interessant auch die Verschiebungen der Aufstellungslinien übers Spiel:

Durchschnittliche Aufstellungslinien FCK-Hannover

Die Lautrer standen also nur in der Anfangsphase auf ihrer gewohnten Höhe, danach drängten sie die Gäste weitgehend zurück. Im Durchschnitt standen sie sogar runde zehn Meter höher.

Weshalb ihnen die Betze-Buben mit zunehmender Spieldauer immer mehr Respekt entgegenbrachten? Das mag an den Großchancen der 96er gelegen haben, von denen sich eine an die andere reihte. Nach dem Schlusspfiff verzeichneten die Roten Teufel von diesen zwar genauso viele, vier nämlich, aber zwei davon boten sich ihnen erst in der Nachspielzeit. Neben Bauers Kopfball war da noch ein Schuss Wekessers nach Ritter-Flanke. Zieler war schon geschlagen, als 96-Innenverteidiger Phil Neumann hauchdünn auf der Linie rettete.

Schon wieder ein FCK-Sieg per Last Minute-Punch? Diesmal wär's einfach zu schön gewesen, um wahr zu werden. Zumal er den Lautrern die Tabellenführung beschert hätte. War aber vielleicht besser. Hätten sie zu diesem Zeitpunkt der Saison den Gipfel erklommen, wären noch mehr verfrühte Aufstiegsfantasien hochgekommen.

Gyamerah wird als Passspieler immer wichtiger

Ergänzend noch die gewohnten Grafiken. Die xG-Timeline zeigt: Auch wenn es nach Großchancen pari endete. Bei den Hannoveranern ist die Qualität der Chancen nochmal einen Ticken höher zu bewerten.

xG-Timeline FCK-Hannover

Die Positions- und Passgrafik des FCK: Robinsons Spot (Nr. 37) deckt den Aches (9) zu. Das hat nichts zu bedeuten, Robinson war nur ein paar Minuten auf dem Feld. Der Spielaufbau lief einigermaßen gleichmäßig über beide Seiten. Und wie schon in den Wochen zuvor ist einmal mehr zu sehen: Die FCK-Formation als 3-4-3-Schema darzustellen, wie es oft gemacht wird, ist falsch. Kaloc (26) ist eindeutig mehr halblinks im vorderen Mittelfeld zu finden als Ritter (7).

Passmap FCK

Zum Vergleich die Passmap von 96: Halstenberg (Nr. 23) ist auch noch nach seiner Versetzung zum linken Verteidiger wichtigster Aufbauspieler seines Teams. Aber eben nicht mehr ganz so dominierend wie als linkes Glied einer Dreier-Abwehrkette. Und Tresoldi (9) würde sich sicher freuen, wenn ihn Leopold (8) ein bisschen öfter anspielt.

Passmap Hannover

Zum Schluss noch der Überblick über die Passkombinationen. Interessant: Der rechte Außenbahnspieler Jan Gyamerah war als Passspieler gefragter als der zentrale Mittelfeldspieler Breithaupt. Das kann als Beleg dafür dienen, dass Gyamerah nach einer Hinrunde, in der ihn Verletzungen immer wieder zurückwarfen, nun langsam in die variable Rolle hineinwächst, die ihm im Anfang-Spiel zugedacht ist: Eben nicht nur die Seitenlinie rauf- und runterwieseln, sondern auch mal in die Zentrale ziehen, den Sechser unterstützen.

Passkombinationen FCK-Hannover

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2024/25: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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