Rezension: Buch "Miro" von Ronald Reng

Vom Mythos, der ein "Mann des Betzenbergs" blieb

Vom Mythos, der ein "Mann des Betzenbergs" blieb


Ronald Reng, Deutschlands erfolgreichster Fußballautor, hat ein Buch über Miroslav Klose geschrieben, den erfolgreichsten WM-Torschützen der Geschichte. Wie alle Bücher Rengs ist "Miro" kein Sachbuch, sondern ein Entwicklungsroman, und er ist einmal mehr großartig geworden. Nebenbei löst er FCK-Fans die Frage auf, wie nah der Mann, der in der Pfalz groß wurde, im Herbst seiner Karriere tatsächlich dran war, noch einmal nach Lautern zurückzukehren. Gar nicht nämlich. Eric Scherer hat "Miro" für uns gelesen.

Was Reng am stillen Miro so fasziniert haben muss, wird bald klar: "Cristiano Ronaldo war mit elf allein ins Fußballinternat nach Lissabon gezogen, Tausende Kilometer von der Heimat entfernt, Lionel Messi hatte mit dreizehn seine gesamte Familie auf einen anderen Kontinent gebracht, damit er beim FC Barcelona spielen konnte." Schon als Jugendspieler wurden ihnen 4.000, 5.000 Euro im Monat ausgezahlt. Schon mit 16 standen ihnen Spielerberater zur Seite. Aber: "Der beste Torschütze aller Weltmeisterschaften wurde Miroslav Klose."

Der hatte das Fußball spielen mit sieben Jahren auf einem Bolzplatz in Kusel gelernt, im nicht gerade vornehmen Wohngebiet "Holler". Seine Eltern waren 1985, als der Eiserne Vorhang bereits Risse bekommen hatte, aus Polen in die Pfalz übergesiedelt. Zuvor hatte Miro die meiste Zeit seines Lebens in Frankreich verbracht, wo sein Vater Fußballprofi war. Nun muss er sich in der nächsten Fremde zurechtfinden.

Wie der FCK es beinahe verpasste, das Talent zum "Betze" zu holen

Mit elf Jahren trat er erstmals in einen Verein ein, in die SG Blaubach-Diedelkopf, die sich dank des ehrenamtlichen Engagements einiger weniger damals einen herausragenden Platz im Jugendfußball der Region geschaffen hatte. Mit 16 entdeckt Miro hinterm Fußballplatz in Blaubach ein Gestänge, das einem Galgen ähnelt. Ein ehemaliger Flutlichtmast, der provisorisch zum Kopfballpendel umgebaut wurde. An diesem bringt er sich die Kopfballtechnik bei, die später selbst den Größten der Zunft Bewunderung abnötigt. Mit der gleichen Akribie wird er sich nach und nach all seinen weitere Stärken erarbeiten.

Auf seiner ersten Station im Erwachsenen-Fußball, in Homburg, fällt er gar nicht mal durch Tore auf. Dennoch werden erste Bundesliga-Späher auf den Jungen mit dem außerordentlichen Bewegungsablauf aufmerksam, erst aus Bochum, dann aus Schalke. Miroslav Kloses Wunschverein, der 1. FC Kaiserslautern, hält sein Interesse jedoch lange zurück. Erst, als ein gewisser Michael Petry absagt, der als Wunschstürmer für die Zweite Mannschaft ausgeguckt ist, erhält Miro eine Chance am Betzenberg. Der Rest ist Geschichte, könnte man sagen.

Die Ideale lernt er von Fritz Walter: Bescheidenheit und Respekt

Autor Reng hat sich bis hierhin bereits 160 Seiten Zeit genommen, und keine davon ist zu viel. Sie hat viel über den Fußball in der Provinz erzählt und wie dieser insbesondere Miro Klose geprägt hat. Zu seinem weiteren charakterlichen Feinschliff trägt unter anderem die Begegnung mit Fritz Walter bei: Eine Fußballlegende, die nie abgehoben ist und auch auf dem Gipfel ihres Ruhms stets Bescheidenheit und Respekt vor anderen vorlebte. So will Miro auch werden, und so bleibt er auch, bis er im fortgeschrittenen Alter zu Lazio Rom wechselt. Dort schleppt er gemeinsam mit den Nachwuchsspielern die Bälle auf Trainingsplatz, eine von den Aktionen, für den die italienischen Journalisten zu einer Art Heiligen verklären.

Am Betzenberg lernt er raue Umgangsformen im Training, aber auch kameradschaftliche Herzlichkeit kennen. Zu den ehemaligen Lautrer Mitspielern, die Reng für dieses Buch interviewt hat, zählen Vratislav Lokvenc, Roger Lutz und Andreas Reinke. Dazu Olaf Marschall, den Miro schon als Betzenberg-Besucher in der Westkurve bewundert hat und von dem er die Rückennummer 11 übernommen hat, der langjährige Jugendtrainer Ernst Diehl sowie die FCK-vertrauten Journalisten Horst Konzok und Tobias Schächter, letzterer zugleich auch Kloses Mitspieler bei den Lautrer Amateuren.

Klose erinnert sich: "Konstante Unordnung, irres Tempo - das war der Betze!"

Durch diese Wegbegleiter und vor allem durch die Erinnerungen von Miroslav Klose selbst kann der Leser tief in die Entwicklung des heutigen Weltstars eintauchen. Stellvertretend hier einige unkommentierte Textauszüge aus dem Buch mit Bezug auf Miros Zeit mit dem FCK:

Über Kloses erste Betzenberg-Besuche als Kind: "Die Kinder hörten die Gesänge nicht nur, sie spürten sie im Körper. Miroslav saugte die Schlachtrufe auf. Auf die Frage, ob er sich noch an die Lieder erinnere, fängt er siebenundzwanzig Jahre später in seinem Wohnzimmer spontan an zu summen. 'Auf dem Betze ist immer was los - Fußball, Stimmung, Tore, grandios!'"

Über Kloses Anfangszeiten beim FCK: "Miroslav setzte sich auf eine Gymnastikmatte, um zunächst die Muskeln zu dehnen, bevor er an den Kraftmaschinen loslegte. Er war noch beim Stretching, als Torwarttrainer Gerry Ehrmann, Torwart Georg Koch und Flügelspieler Martin Wagner hereinkamen. Unter ihren Trainingsshirts zeichneten sich fest Oberarme und Brust ab. 'Na, du Wichsmaus', begrüßte ihn Gerry, freundlich wie immer. Miroslav war fünf Minuten im Kraftraum gewesen und tat, als wäre er gerade fertig mit seinem Training. Betont beiläufig ging er aus dem Raum. Nur innerlich, da rannte er."

Über Kloses erste Spiele als FCK-Profi: "Gegen Schalke verwandelte die Elf im November 2000 einen 0:2-Rückstand in einen 3:2-Sieg, und ein solches Spiel reichte auch Miroslav Klose, um all die biederen Partien zuvor und danach zu verdrängen; ein solches Erlebnis ließ ihn glauben, Samstage auf dem Betzenberg seien so: 'Da war immer Action, gefühlt zwei Torchancen pro Minute. Egal, wie es in der 88. Minute stand, du hattest als Spieler das Gefühl: wir gewinnen! Ein Eckball, und das Stadion explodierte, die Westkurve schrie: 'Jetzt geht’s los, jetzt geht’s los!' Alles war so schnell auf dem Platz, der Eckball vergebens, aber schon wieder Einwurf, sofort war der Ball von den Balljungen da, wurde eingeworfen, ich hatte als Spieler immer das Gefühl: Das Spiel war konstant in Unordnung, das Tempo war irre, die Zeit verflog so schnell. Das war der Betze.'"

So entsteht, anders als in Mario Baslers fast zeitgleich erschienen "Supertyp"-Werk, ein wesentlich differenziertes Bild vom FCK nach der Jahrtausendwende. In diesem wird auch klar, dass es zu Kloses Abgang im Jahr 2004 keine Alternative gab, nicht zuletzt, weil der damalige Vorstandsvorsitzende René C. Jäggi Kloses Transferrechte ein Jahr zuvor für fünf Millionen Euro an "Lotto Rheinland-Pfalz" verpfändet hatte. Das Geld musst ja wieder reingeholt werden, ehe der Vertrag offiziell auslief.

In Bremen wird er Superstar, in München Opfer van Gaals

Klose wechselt zu Werder Bremen, wo er endgültig zum Starstürmer aufsteigt und unter anderem den Umgang mit einem perfekt und einem weniger für passenden "Zehner" lernt, mit dem Franzosen Johan Micoud und anschließend dem Brasilianer Diego. Gegen seinen Wechsel zu Bayern München sträubt er sich zunächst - "Ich bin doch Kaiserslautern-Fan" - erliegt dann jedoch der Überzeugungskraft des Rekordmeisters, vor allem der eines Uli Hoeneß. In Luca Toni, dessen Grußformel "Ciao, Campione" zur rituellen Grußformel zwischen beiden wird, findet er einen weiteren Freund fürs Leben.

Er erlebt allerdings auch die schwierigste Zeit seiner Karriere: Trainer Louis van Gaal, dessen genialische Art, Fußball zu denken, Reng nie in Frage stellt, ist der Überzeugung, dass der Mittelstürmer auf den ersten Pfosten zu gehen hat, immer. Was Kloses geradezu einzigartig erfolgreicher Art, in einen Kopfball zu gehen, vollkommen zuwider läuft.

In Rom wird er zum Erlöser, bei der WM 2014 zum Mythos

Entnervt zieht Klose 2011 nach Rom weiter, zu Lazio, wo er endgültig gottähnlichen Status erreicht, als er im Derby gegen AS Rom in der Nachspielzeit den Siegtreffer erzielt. Und wo er genauso lange spielt, wie er am Betzenberg gespielt hat. Und wo es so klingt, wenn ein Sportjournalist an seiner Tastatur ausflippt:

"Mythos Miro, Marsmensch, stratosphärisch, einzigartig und unnachahmlich, eine angenehme Anomalie in diesem kranken Fußball, charismatischer, bescheidener Champion, ruhig, nie vorlaut, Vorbildprofi. Immenser, ewiger, fantastischer Klose. Klosissimo!"

Das dramaturgische Gerüst dieses Tatsachenromans bilden die vier Weltmeisterschaften, die Klose bestritt, mit dem WM-Sieg 2014 als Höhepunkt. Noch gekonnter als dieser Kniff ist die Idee, Miro in diesen Kapiteln einen Antagonisten an die Seite zu stellen: Zu allen vier Turnieren schildert Reng auch die jeweiligen Befindlichkeiten Ronaldos, des brasilianischen Wunderstürmers dieser Jahre. Am Ende löst Klose ihn als WM-Rekordtorschütze ab, während Ronaldo nur noch als Twitterer das Turnier verfolgt. Im allerletzten Kapitel begegnen sich die beiden sogar persönlich.

Dass Rom seine letzte Karrierestation sein wird, ist Miro eigentlich schon früh im Jahr 2016 klar. Wieso hätte er sich nach dieser Zeit noch einmal eine Herausforderung wie Kaiserslautern suchen und eine Enttäuschung riskieren sollen? Dass er auch nur kurzzeitig über eine Rückkehr in die Pfalz als Fußballer nachgedacht hat, wird im Buch erst gar nicht thematisiert. Die vielerorts kolportierte Wandersage, er habe seine Kinder bereits in Kusel zur Schule angemeldet gehabt, darf somit endgültig als Hirngespinst abgetan werden.

Rückkehr auf den Betzenberg? Wenn, dann als Trainer

Mittlerweile ist Klose als Jugendtrainer beim FC Bayern tätig, und Uli Hoeneß traut ihm durchaus zu, eine "große" Karriere als Coach in Angriff zu nehmen. Wer weiß, vielleicht kehrt er ja in dieser Eigenschaft eines Tages auf den Betzenberg zurück.

Im Herzen Pfälzer geblieben ist er ohnehin. Daran hat auch Ronald Reng keine Zweifel, wenn er die unerschüttlichen Nehmerqualitäten des damals 36-Jährigen in den Partien der WM 2014 beschreibt:

"Er war mit den Jahren ein Mann des neuen deutschen Fußballs geworden, ein Vertreter des feinen Spiels. Doch kann ein Mensch seine Prägung jemals ganz verlieren? Miroslav Klose, der späte Kombinationsstürmer, war auch immer noch ein Mann des Betzenbergs, des Kämpfens, des Grätschens; des klaglosen Einsteckens."

Diesen Spirit gibt Miro Klose auch an seine Söhnen weiter, den Zwillingen Luan und Noah. An einer Stelle des Buchs spielt er ihnen das Video vor, in dem er sein allererstes Fernsehinterview überhaupt gibt, in der SWR-Sendung "Treffpunkt Betze". Luan und Noah lachen lange und laut, als er darin den Satz sagt, den der Hesse Reng in gelungener pfälzischer Schriftsprache wiedergibt:

"Es war schunn immer mei Traum gewess, mal do owwe uff em Betze se spiele."

Miroslav Kloses Biographie "Miro", erschienen im Piper Verlag, umfasst 452 Seiten und ist für 22,00 Euro (Hörbuch: 16,99 Euro) u.a. bei Amazon erhältlich.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Kohlmeyer

Weitere Links zum Thema:

- "Miro" von Ronald Reng: "Es war schunn immer mei Traum gewess..." (Block 4.2)

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