Spielbericht: 1. FC Kaiserslautern - FC St. Pauli 4:1

Fortounis bringt Kosta Glück

Fortounis bringt Kosta Glück


Kosta Runjaic hat mit Kostas Fortounis den Sieg gegen St.Pauli eingewechselt. Zur Pause hatte es Pfiffe gegeben. In der Westkurve blieb Kempfs Podest verwaist. Markys Bericht zu einem alles andere als gewöhnlichen Heimspiel.

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Fortuna ist nach der römischen Mythologie die Göttin des Glücks. Ihre griechische Entsprechung Tyche wird auch als Göttin des Schicksals, der glücklichen (oder bösen) Fügung und des Zufalls bezeichnet. Sie erhöht und erniedrigt und führt launenhaft den Wechsel der Geschichte herbei. Ihre Attribute sind Füllhorn, Ruder, Flügel und ein Steuerruder auf einer Kugel oder einem Rad.

Kostas Fortounis ist ein griechischer Fußballer, der im Juni 2011 auf den Betzenberg nach Kaiserslautern wechselte. Damals war er 18 Jahre alt. Der FCK hatte gerade eine glorreiche Rückkehr in die Bundesliga gefeiert. Musste allerdings Abgänge wie Lakic und Moravek verkraften. Letzteren sollte Fortounis ersetzen. Vorstand Stefan Kuntz gab dem auch von Wolfsburg und Bergamo umworbenen Griechen einen Vierjahresvertrag.

Der blutjunge Mann fand sich auf seiner ersten Auslandsstation in einem falsch zusammengestellten Gebilde wieder, das nur unzureichend als Mannschaft bezeichnet werden konnte. Er fand keine funktionierenden Strukturen vor. Sein Trainer Marco Kurz war schon im Winter mit seinem Latein am Ende und Fortounis der Vereinskrise nicht gewachsen: Unvergessen, wie er gegen Stuttgart zwei Mal hintereinander vor dem fast leeren Tor Shechter den Ball und die Verantwortung zuschob. Mit Krassimir Balakov kam 2012 ein neuer Trainer: Er stellte Fortounis auf die 10, sein bestes Spiel machte dieser in Berlin - allerdings quittierte der FCK da auch den Abstieg. Unter Franco Foda unternahm Fortounis einen neuen Anlauf, schoss seine ersten Tore, gefiel. Doch eine Verletzung auf einer Länderspielreise bremste ihn aus. Im Dezember 2012 lieferte der Grieche gegen Aalen eine gruselige, unverschämte Vorstellung ab - Stefan Kuntz sprach im Winter von Sprach- und Kommunikationsproblemen. Die Gerüchteküche brachte Fortounis mit Dortmund in Verbindung. Spätestens in der Sommerpause schien der Nationalspieler keine Rolle mehr in Kaiserslautern zu spielen, ein Wechsel nur eine Frage der Zeit. Doch dazu kam es nicht, warum auch immer. Foda setzte auf Fortounis bei nur einem Spiel, in Aalen. Für den Trainer war es das Ende, für Fortounis womöglich der Neuanfang.

Zwei Monate später, am Samstag 2. November, nach dem Sieg gegen den FC St. Pauli, hielt auf dem Betze keiner mehr hinter dem Berg, wer „Man of the Match“ war. Stürmische „For­tou­nis­ For­tou­nis­ For­tou­nis“-Sprechchöre wehten durch das Fritz-­Walter-­Stadion. Als die Mannschaft vor der Westkurve einbog, schubste Jan Simunek den Mann mit der Nummer 28 vor die Fans. Nur schüchtern, mit dem Blick auf den Boden, trat dieser dem ungewohnten Rampenlicht und der tausendfachen Wertschätzung entgegen. Trainer Kosta Runjaic hatte mit Fortounis zur Pause den Sieg eingewechselt, ja um in der Mythologie zu bleiben: Den Wechsel der Geschichte herbeigeführt. Eine glückliche Fügung durch den Mann mit dem Steuerrad auf der Kugel und den Flügeln.

Pfiffe zur Pause

Denn nach 45 Minuten war erstaunliches passiert: Der zahlreich erschienene FCK-­Anhang (35.330 Zuschauer, darunter etwa 2.000 in Sankt-Pauli-­Farben) hatte seine Mannschaft mit einem unüberhörbaren Pfeifkonzert in die Kabine geschickt. Die ersten Unmutsäußerungen in der Runjaic-­Neuzeit. Die FCK-­Fans verwöhnt, ob des starken Starts unter dem frischen Coach? Ungeduldig und undankbar? Wohl kaum.

Die rote Elf - in der sich wieder Zoller und Jenssen wiederfanden - hatte schnell das 1:0 erzielt, mit einem simplen, aber einstudierten Spielzug, den man am Samstag nicht zum ersten Mal sah -­ der den Spähern aus Hamburg, aber verborgen geblieben ist. Einwurfflanke Florian Dick, Kopfballverlängerung Mo Idrissou, Ballannahme­ und erfolgreicher Torabschluss Simon Zoller. In der Folge hätten Idrissou, nach genialer Vorlage von Karim Matmour, und eben dieser Matmour, nach katastrophalem Ballverlust eines Paulianers, das Spiel schon nach 17 Minuten entscheiden müssen. Dem Hamburger Keeper Tschauner wurden dabei später sensationelle Reflexe attestiert, aber die FCK-­Angreifer haben ihm überhaupt erst die Chance gegeben, den Ball zu berühren. Hannes Bongartz, der einst gefürchtete Spargeltarzan vom Betze, sagte in der Halbzeitanalyse bei Sky, dass ihm in dieser Szenen die Galligkeit gefehlt habe, der Wille, den Ball unbedingt zu versenken, die Gier auf das Tor. Bei Matmour war schon bei seinem zögerlichen Gang in den Strafraum zu sehen, dass da nie und nimmer ein Treffer herausspringt. Schon nach den Kräftemessen mit Karlsruhe und Bochum drehten sich die Fan­-Diskussionen vor allem um dieses eine Thema: Warum kriegt der FCK den Ball nicht in den Kasten? Ist es Arroganz? Leichtfertigkeit? Dummheit? Pech?

Und wie schon im vergangenen, bitteren Heimspiel gegen Karlsruhe wurde das wohl größte Manko im FCK-­Spiel unter Runjaic böse bestraft: St. Pauli machte durch Mittelfeldmann Kalla den Ausgleich. Der FCK verschob in der Rückwärtsbewegung schlecht. Die linke FCK-­Seite um Chris Löwe und (vor allem) Marcel Gaus verlor Kalla aus den Augen. Marc Torrejon, sprang der Ball zuvor so unglücklich vom Bein ab, dass dieser für Bartels wie auf dem Präsentierteller lag. Das Fritz­-Walter-­Stadion verdunkelte sich nun zusehends, was nicht nur am Wetter lag. Frust und Wut über den „Täglich-­grüßt­-das-Murmeltier“-­Effekt auf den Tribünen, Unsicherheit und Schock auf dem Platz. St. Pauli, das von Anfang hoch und mutig verteidigte, läuferisch, aber auch spielerisch (Rzatkowski) Ausrufezeichen setzte, schien auf die Siegesstraße einzubiegen.

Das dann zum Halbzeitpfiff einsetzende Tribünen­-Gewitter sollte die Mannschaft auch im Nachhinein entsprechend einordnen: Das Pfälzer Publikum ist hoch emotional - im Guten wie im Schlechten. Und jeder Fan merkt, dass dieses Jahr mehr drin ist. Und jeder will (nur), dass für das große Ziel alles getan wird. Als St. Pauli nach dem Pausentee zur Westkurve einlief, gab es wieder (und viel lautere) Pfiffe und Applaus für die zurückkehrenden Männer in Rot. Um jedes Missverständnis auszuräumen. Ein klares Zeichen.

Fortounis-Festspiele

Und auch Runjaic reagierte, nahm Gaus vom Feld und brachte Fortounis. Wieder waren nur paar Minuten gespielt, als Dick, Idrissou und Zoller das 1:0 kopierten. Der FCK kann sich glücklich schätzen, diesen Simon „Stefan“ Zoller zu haben, der eiskalt und ruhig vor dem Tor handelt. Den schnellen Mann aus der Dritten Liga, an dem der FCK noch viel Spaß haben wird (Bongartz).

Mit dem 2:1 starteten die Fortounis-Festspiele: Er spielte auf der linken Außenbahn seinem Gegenspieler Nehrig förmlich einen Knoten in die Beine, so dass dieser mit Krämpfen ausgewechselt werden musste. Fortounis schlug Haken und dribbelte so rasant, dass bei seinen Ballliebkosungen (mindestens) die komplette Südtribüne stand. Der schmächtige, introvertierte Mann, dessen Interviews so rar sind, wie ein Lächeln auf seinen Lippen, wirkt wie ausgewechselt unter Trainer Runjaic. Auch optisch, was nicht nur am fehlenden Bart liegt. Es ist die aufrechte Körpersprache, die heraussticht: Brust raus, Kopf nach oben. Schon bei seinen Einwechslungen gegen die Löwen und Karlsruhe und vor allem in Bochum.

„Runjaic hat jeden einzelnen Mal am Schlafittchen gepackt und gezeigt, was er eigentlich für Stärken besitzt“, sagte Tobi Sippel jüngst. Auf Fortounis trifft das wohl am meisten zu. Der hoffnungslose Fall scheint beim Professor der Kommunikation und Sozialkompetenz, Kosta Runjaic, in den bestmöglichen Händen. Und endlich konnte Fortounis seinem Trainer auch etwas Zählbares zurückgeben. Das 3:1 war sein Tor - auch wenn im Spielbogen ein Eigentor von Gonther auftaucht. Und Fortounis feierte diese Befreiung mit einem wahren Gefühlsausbruch vor der Westkurve. Dass der Grieche noch nicht ganz über den Berg ist, zeigte aber eine kuriose Szene vor seiner Einwechslung: Er schickte sich an, mit dem Trikot von Olivier Occean aufs Feld zu gehen...

St. Pauli war mit dem dritten Tor der Roten Teufel geschlagen. Zuvor hätten sie eigentlich durch Gonther den Ausgleich machen müssen. Im Anschluss strich ein Hammer von Buchtmann gefährlich nahe am Kasten von Sippel vorbei. Mit dem 4:1 wurden die Hamburger unter Wert besiegt. Sie liefen unglaubliche 120,68 km - Borussia Dortmund kommt im Schnitt auf 118 km. Auch der FCK war mit 116,12 km weit überdurchschnittlich unterwegs, hatte einen deutlichen Zweikampfvorteil (54% wurden gewonnen). Überragender Spieler in beiden Wertungen: Markus Karl (dem allerdings auch wieder der ein oder andere fast folgenschwere Fehlpass unterlief und der schließlich den Endstand herstellte - Idrissous dritte Kopfballvorlage!). Auffällig in der Statistik und auf dem Feld auch Löwe, der 84-mal am Ball war (Dick 71, Jenssen 59) und die zweitmeisten Pässe (hinter Jenssen) spielte.

Kurve ohne Kempf

Abschließend noch ein Wort zur Stimmung: Die Westkurve musste diesmal ohne den erkrankten Vorsänger Sascha Kempf auskommen - auf diesem Weg „Gute Besserung!“ Und sie machte ihre Sache ordentlich. Die Gesänge waren zwar nicht so druckvoll und kanalisiert wie sonst, aber dafür ausdauernder und der Support spielbezogener. Was alte Hasen nach dem Spiel als Old­-School-­Atmosphäre bezeichneten. Man kann und muss das Rad nicht zurückdrehen, aber dieser Samstag hat gezeigt, dass beide Welten Vor- und Nachteile haben. Vielleicht schaffen wir es, die Kreativität und das Gefühl für den Moment von Kempf und dem Drang der Kurve nach Originalität und Eigenständigkeit zu vereinen.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Marky

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