Ist das noch Fußball - oder Psycho-Drama? Den 1. FC Magdeburg plagt ein "Heimspiel-Komplex", den 1. FC Kaiserslautern ein "Topteam-Komplex". Dennoch könnte es ein Top-Spiel werden. Wenn beide auf solcherlei Psycho-Gedöns einfach nur pfeifen.
So lief's seit dem Hinspiel: Auf dem Betzenberg verloren die Gäste nach einer 2:1-Führung Falko Michel (24), der Gelb-Rot sah. Darauf mussten sie über 50 Minuten Spielzeit in Unterzahl bestreiten, kassierten aber nur noch den Ausgleichstreffer durch Ragnar Ache. Womit das Team von Christian Titz zufrieden sein konnte, denn die beiden Partien zuvor waren verloren gegangen. Und das nach einem starken Saisonstart mit vier Siegen und vier Unentschieden. Kurios dabei: Die Erfolge wurden ausnahmslos auswärts gefeiert. Noch kurioser: Diese Eigenart bewahrte sich das Team bis in den Februar. Mit permanenten Auswärts-Dreiern hielt es sich in der Spitzengruppe der Liga, zuhause aber gelang der erste Sieg erst am 22. Spieltag - ausgerechnet gegen Tabellenführer Köln, der gleich mit 3:0 abgefertigt wurde. Nach einem weiteren 4:1 über Darmstadt schien der Heimfluch endlich besiegt. Aber: Vor drei Wochen setzte es wieder ein schmerzhaftes 0:3 gegen Hamburger SV. Auch die Auswärtsspiele davor und danach vermochten die Mitteldeutschen nicht zu gewinnen: 1:1 in Fürth, 0:0 bei Hannover. Drei Spiele ohne Sieg also. Zeigt damit der Trend im Kampf um die Aufstiegsplätze nach unten? Christian Titz lässt sich von solchen Zuschreibungen ebenso wenig beeindrucken wie sein Kollege Markus Anfang vom angeblichen "Topteam-Komplex" seiner Roten Teufel. Ergebnisse sind das eine, die gezeigten Leistungen das andere. Und die können schwanken, sowohl in Partien, die am Ende gut ausgingen, als auch in solchen, in denen man tatsächlich nichts mitnimmt. Das klare 4:1 gegen Darmstadt etwa spielte der FCM erst nach einer schwachen ersten Hälfte heraus. Beim 0:3 gegen den HSV stimmte die Grundeinstellung eigentlich, bis der Fehlerteufel selbst von erfahrenen Cracks wie Silas Gnaka (26) Besitz nahm. Beim torlosen Remis zuletzt in Hannover präsentierte sich der FCM "spielerisch als eine der stärksten Mannschaften der Liga", dem lediglich die Effizienz vor dem Tor gefehlt habe - so nahm es jedenfalls Offensivkraft Baris Atik (30) wahr.
Das hat sich geändert: An der Spielidee zunächst mal nichts, was bei Christian Titz ja nicht anders zu erwarten ist. Grundformation ist ein 3-4-3 geblieben. Das Vierer-Mittelfeld ist meist flach angeordnet, das heißt: Zuletzt verschob es sich öfter zur Raute. Taktik-Historiker erinnern sich: 3-4-3 mit Raute, das war einst Johan Cruyffs Ideal für seinen "Total Voetbal". Gravierender aber sind die personellen Verschiebungen, die sich im Lauf der Runde ergaben. Die betrifft vor allem die Besetzung der Flügelpositionen. In der Vergangenheit trieben Tempodribbler wie Jason Ceka (25), Tatsuya Ito oder Sirlord Conteh die FCK-Verteidiger bisweilen an den Rand der Verzweiflung. Conteh und Ito sind nicht mehr da, Ceka ist in der Versenkung verschwunden, in der Winterpause war er gerüchteweise mal in Lautern im Gespräch. Nun zählen die "Wyscout"-Statistiken Xavier Amaechi (24) und Livan Burcu (20) zu den Top 5 unter den Dribbelkönigen der Liga. Zu denen übrigens auch ein gewisser Aaron Opoku gerechnet wird, der aber nur noch selten Gelegenheit bekommt, seine Qualitäten unter Beweis zu stellen. Amaechi und Burcu stehen jedoch selten gemeinsam auf dem Platz. Als Flügelspieler profiliert hat sich ebenfalls Alexander Nollenberger (27), der kürzlich seinen Vertrag verlängert hat. Er kann aber auch weiter zurückgezogen spielen. Atik ist ebenfalls noch da, kommt allerdings nicht mehr auf die Trefferquote seiner Drittligazeiten. Mohammed El Hankouri (27) , mit sechs Treffern und fünf Assists einer der besten Scorer, stand nach Problemen mit der Leiste zuletzt nicht mehr im Kader.
Gewinner und Verlierer: Keine Frage, Mittelstürmer Martijn Kaars (26) ist der große Volltreffer, den Sportchef Otmar Schork in dieser Saison landete. 16 Treffer hat der Niederländer bislang auf dem Konto, damit konkurriert er gemeinsam mit Ragnar Ache und HSV-Goalgetter Davie Selke um die Torjägerkrone. Ebenso prächtig Fuß gefasst haben der Lautrer Aufstiegsheld Philipp Hercher (29), der schon sechs Buden erzielt hat, und der aus Wiesbaden geholte Marcus Mathisen (29) (, der in der Abwehrreihe neben dem Franzosen Jean Hugonet (25) gesetzt ist. Dritter im Bunde ist meist Daniel Heber (30). Der in der Winterpause verpflichtete Patric Pfeiffer (25) hingegen kam erst zu einem Startelf-Einsatz - ein wenig überraschend, allerdings plagt er sich auch mit einer Adduktorenverletzung herum. In Darmstadt galt er einst als der beste Innenverteidiger der Zweiten Liga. Auch der langjährige Stammspieler Connor Krempicki (30) ist in der Kaderhierarchie nach hinten gerutscht. Für ihn bevorzugte Titz zuletzt den offensiveren Abu-Bekir El-Zein (22) im zentralen Mittelfeld neben Gnaka. Mehr versprochen hat man sich in Magdeburg sicher von der Grazer Leihgabe Bryan Teixeira (24). Der Stürmer wurde bislang fast nur eingewechselt, zuletzt kam er gar nicht mehr zum Einsatz.
Zahlenspiele: Ja, ja, ja - der 1. FC Magdeburg stellt die zweitschwächste Heimmannschaft der Liga und hat zuletzt drei Spiele gar nicht mehr gewonnen. Wer sich anhand solcher Zahlen zurechtkonstruiert, für den FCK müsste da "auf jeden Fall" was zu holen sein, er sei vielleicht sogar Favorit, ist selbst schuld. Kein anderes Team betont so sehr den Ballbesitz wie der FCM - im Schnitt beansprucht es das Leder 57 Prozent der Spielzeit für sich, vier Prozentpunkte mehr als die in diesem Ranking Zweiplatzierten aus Hamburg und Gelsenkirchen. Es weist die drittstärkste Passquote auf - 85,9 Prozent Präzision -, und ist nach wie vor Spitze im Spielen sogenannter "smarter", also linienüberwindender Pässe. Es zieht die meisten Sprints an und startet nach Paderborn die meisten "intensiven" Läufe in der Liga. Verantwortlich dafür zeichnet sich in erster Linie Kaars, der beide Rankings in diesen Bereichen anführt. Mit 53 bislang erzielten Treffer stellen die Magdeburger die zweitstärkste Offensive der Liga. Das sollten genug Daten sein, um die Hintermannschaft des FCK in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen. Wo und wie dieser Gegner schlagen ist? Aus der Luft. 13-mal schon haben die Magdeburger Gegentreffer per Kopf kassiert.
Fazit: Magdeburger "Heimkomplex" versus Lautrer "Topteam"-Komplex. Wären beide nicht vielleicht gut beraten, am Sonntag noch einen Psychotherapeuten mit auf die Bank zu setzen? Wir halten es lieber mit dem gesunden Menschenverstand: "Komplexe" werden erst dann zu einem wirklichen Problem, wenn die Betroffenen beginnen, selbst daran glauben. Für den FCK wird es darum gehen, sich nicht wieder Schwächephasen zu erlauben wie die erste Viertelstunde beim 3:5 in Paderborn. Lieber wach sein und in den entscheidenden Momenten zuschlagen, wie jüngst beim 3:1 gegen Düsseldorf - immerhin ebenfalls ein Topteam, wenn auch ersatzgeschwächt. Wenn die Anfang-Elf die Partie gegen das spielstarke Titz-Team lange offen hält, kann es sein, dass am Ende wieder ein Spieler mit einer überragenden spezifischen Qualität entscheidet. Stichwort Kopfball, Stichwort Ache. Aber auch Magdeburg hat Kicker in seinen Reihen, die ein solches Spiel mit einer einzelnen Aktion auf die Seite ihres Teams ziehen können. Stichwort Sprintstärke, Stichwort Kaars.
Quelle: Der Betze brennt
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