Taktik-Nachlese zum Spiel Hertha-FCK

Die DBB-Analyse: Spiel, Satz und Sirch

Die DBB-Analyse: Spiel, Satz und Sirch


Die Roten Teufel gewinnen ihr viertes Spiel in Folge. Mit wenigen Tor-Aktionen, aber viel leidenschaftlichem Kampf. Und diesmal bleiben sie nach ihrem Führungstreffer so gefestigt, wie sie es bei den 1:0-Spezialisten aus Köln kennengelernt haben.

Oft beginnen wir Analysen dieser Art mit der Schilderung einer Szene, die wir als "symptomatisch fürs Spiel" erkannt haben. Diesmal entscheiden wir uns für eine, die sich erst nach dem Schlusspfiff ereignete. Hertha-Trainer Christian Fiél ist von den "Sky"-Kollegen zum Interview gebeten worden und soll über die Kniffe in seiner Formation sprechen, mit denen er den Gegner im ersten Drittel der Partie überraschte. Schon da folgt der zerknirschte Coach eher unwillig, weil diese sich aufs Ergebnis ja kaum auswirkten.

Als er gefragt wird, ob beim spielentscheidenden Gegentreffer bei seinem Team etwas mit der "Restverteidigung" nicht gestimmt habe, reagiert der gebeutelte Übungsleiter erst recht fassungslos: Was es denn mit Restverteidigung zu tun habe, wenn Mihal Karbownik ins Leere grätscht, als er Marlon Ritters Querpass auf Luca Sirch bremsen will. Denn am Boden liegend konnte der Pole erst recht nicht mehr verhindern, dass der Lautrer in aller Seelenruhe den Ball erst an- und dann Maß nahm, um aus 18 Metern sauber einzulochen.

Ein reines "Fehlerspiel"? Ja - und nein

Ja, so lässt sich diese Partie durchaus betrachten. Als eines dieser berühmten "Fehlerspiele". Nahezu alle Aufreger ereigneten sich nach mehr oder weniger schweren individuellen Fehlleistungen. In der erste Hälfte brachten zwei frühe Ballverluste von Leon Robinson und Erik Wekesser die Hertha in gute Schusspositionen, die Julian Krahl vereiteln konnte. In Hälfte zwei ermöglichte Karbowniks Bock Sirch den Fangschuss. Hertha-Keeper Marius Gersbeck war machtlos.

Überhaupt hatten die Torwächter in dieser Partie mehr Schüsse von außerhalb des Strafraums zu parieren als von innerhalb. Und auch die xGoals-Ergebnisse deuten darauf hin, dass vor den Toren nicht allzu viel los war: "Wyscout" hat 0,99 : 0,70 xGoals ermittelt, die mit "Opta"-Daten arbeitenden Medien beschreiben ein 1,01 : 1,16 zugunsten der Roten Teufel.

Hertha hat "alles reingehauen"? Lautern ebenso

Und doch täuschen die Zahlen. Vor allem der eminent starke Fabian Reese sorgte in seinem ersten Startelf-Einsatz seit neun Monaten immer wieder für gefährliche Hereingaben über die linke Seite. Doch in die schob sich am Ende stets ein Lautrer Abwehrbein, drum kam es zu keinem Ausschlag in der xG-Timeline.

Dagegen waren die Offensivaktionen des FCK, zugegeben, recht spärlich gesät. In Hälfte eins zwei Torschüsse von Ragnar Ache, der beide Male von Ritter durchs Zentrum angespielt wurde. In Hälfte zwei außer Sirchs Treffer noch ein weiterer Distanzschuss Daisuke Yokotas, den Gersbeck nur abklatschen konnte. Dazu zwei halbgare Versuche von Sirch und Kaloc. Das war's.

Und doch wäre es zu billig zu behaupten, dass am Ende allein das Glück entschied, welches einer Mannschaft, die oben steht, nunmal hold ist, während es sich von einer, die Richtung Tabellenende taumelt, zunehmend abwendet. Ja, die Hertha hat aufopferungsvoll gekämpft, um die siebte (!) Heimniederlage der Saison abzuwenden. Aber die Männer in Rot hielten mit der gleichen Hingabe dagegen.

Lautern war nicht nur glücklicher, sondern auch cooler

Ja, der Taktik-Tüftler Fiél hat in der Anfangsphase im Defensivverbund der Roten Teufel Verwirrung gestiftet, als er mit einer Formation aufwartete, mit der diese nicht als Erstes gerechnet hatten. Der etatmäßige Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny rückte weit nach vorn, so dass sich die Berliner in einem 3-4-3 mit breit aufgestellten Flügelstürmern präsentierten. Der FCK aber verstand darauf zu reagieren, bildete eine Viererkette, indem Sirch sich ins Mittelfeld vorschob und Wekesser sowie Jan Gyamerah zu echten Außenverteidigern mutierten.

Damit bekamen die Betze-Buben nicht nur die Flügel besser in den Griff, sondern standen auch dichter im Zentrum. Markus Anfang hat dies nach dem Spiel anschaulich ausgeführt. Wegen seiner Rot-Sperre wurde der FCK-Coach an der Seitenlinie zwar von seinem "Co" Florian Junge vertreten, zur Pressekonferenz aber durfte er wieder ans Mikro.

Und der Führungstreffer fiel nicht nur, weil die Gäste eben diesen einen Fehler zu nutzen verstanden, nachdem die Gastgeber zuvor aus drei vergleichbaren des Gegners kein Kapital zu schlagen wussten. Die Art, wie er vorbereitet wurde, zeugt von einer gewissen Coolness, die der Hertha an diesem Samstagabend - und wohl nicht nur an diesem Spieltag - abging.

Das 1:0: Forcierter Trab statt Turbo-Tempo

Die entscheidende Sequenz startet im Grunde schon mit einem Eckball der Hertha. Die Lautrer Hintermannschaft wehrt ein erstes Mal ab, doch ein erster Umschaltversuch misslingt. Die Berliner erobern den Ball sofort wieder. Doch auch ihr nächster Versuch, in die Spitze zu spielen, scheitert. Weil Maximilian Bauer den Ballführenden energisch bedrängt, so dass Jan Elvedi ans Leder kommt. Der spielt direkt und vertikal auf Wekesser. Der wiederum ins Zentrum auf Sirch, und der setzt Ritter auf der linken Seite ein. Das alles vollzieht sich nicht rasend schnell, sondern in einer Art forciertem Trab. Und dann erst kommt es zu dem Querpass, bei dem, zugegeben, sich Karbownik hätte besser anstellen müssen.

Auffallend auch: Beim 4:2-Auswärtssieg in Fürth und beim 2:1-Heimerfolg zuletzt gegen Münster kassierte der FCK Gegentreffer, als er nach einer Führung das Spiel eigentlich im Griff zu haben schien. Diesmal sah es nicht nur so aus. Nach Sirchs Führung blieb die Elf konzentriert und besonnen. Stand nicht nur hinten drin, sondern befreite sich immer wieder, schob sich nach vorne und hielt den Ball in den eigenen Reihen, um Zeit von der Uhr zu nehmen.

Ein Indiz für Reife? Mal gucken

Das sah fast so cool aus wie bei den 1:0-Spezialisten aus Köln, deren Qualitäten die Pfälzer zum Jahresausklang auf dem Betze leidvoll zu spüren bekamen. Und könnte eventuell ein Indiz dafür sein, dass die Mannschaft nun tatsächlich zu dem Top-Team reift, als das es das fragile Tabellenbild der Zweiten Liga sie zurzeit ausweist.

Als intensives Kampfspiel war's unterm Strich also spannend anzusehen, für Fußball-Ästheten allerdings kein Fest für die Augen. Dafür durften FCK-Fans nach dem Spiel nochmal die Ohren spitzen. Geschäftsführer Thomas Hengen benutzte im "Sky"-Interview das Wort "Upgrade", also Verbesserung - im Zusammenhang mit dem nicht unbedingt gewollten Abgang von Boris Tomiak, der die Leihe Maximilian Bauers nötig und möglich machte.

Bauer ist schon ein Volltreffer, Breithaupt könnte einer werden

Bauer für Tomiak - ein "Upgrade"? Das klingt ein wenig gemein gegenüber "Bobo", der dreieinhalb großartige Jahre beim FCK spielte und zum Leistungsträger avancierte, auch wenn die vergangene Hinrunde nicht seine stärkste war. Bauer mag nicht so viel Torgefährlichkeit ausstrahlen wie Tomiak, wenn er bei Eckbällen aufrückt, auch kein so sicherer Elfmeterschütze sein. Aber wenn er sich auf dem Leistungslevel einpendelt, den er in Berlin zeigte, stellt er als Abwehrstabilisator durchaus eine Verbesserung dar. 90 Prozent gewonnene Defensiv-Zweikämpfe weist "Wyscout" für Bauer aus, den gleichen Wert als Passquote. Wobei er Rück- und Seitwärtspässe mit 100 Prozent Präzision spielte, Vorwärtspässe immerhin noch mit 83 Prozent.

Von den fünf Neuzugängen der Winterpause scheint dieser sich also schon mal ein Volltreffer zu sein. Mit Tim Breithaupt hatte ein weiterer Gelegenheit, sich wenigstens für eine runde halbe Stunde vorzustellen. Breithaupt kam für Leon Robinson, der in der ersten Halbzeit zwei unglückliche Szenen hatte, sich danach aber reinhaute wie der Rest des Teams. Dennoch deutete Breithaupt an, dass er als künftiger Sechser Nummer 1 in Frage kommt: 92 Prozent Passquote, mit sechs Balleroberungen eine mehr als sein Vorgänger, und der stand doppelt so lange auf dem Platz.

Schwerstarbeit für Gyamerah - Ritter füttert lieber Ache

Zu den üblichen Visualisierungen. Die xG-Timeline haben wir schon erwähnt. Den Ausschlag kurz nach Spielbeginn hat ein Kopfball von Filip Kaloc bewirkt, der nach einer Yokota-Flanke am langen Eck hochstieg und auf Gersbeck köpfte. Sah eigentlich nicht wirklich gefährlich aus, war aber sehr tornah, daher die hohe Bewertung.

xG-Timeline Hertha-FCK

Die Positions- und Passgrafik des FCK. Nanu, ausgerechnet einer der besten taucht hier nicht auf? Sirch (Nr. 31) wird von Robinson (37) verdeckt. Durch die permanente Rotation, die dem Torschützen angeordnet wurde, landete sein Spot am Ende auf der zentralen Sechser-Position.

Passmap FCK

Die Passmap der Hertha: Ja, die Berliner hatten keinen wirklichen Mittelstürmer auf dem Platz. Auf dem Papier sollte es Scherhant (Nr. 39) sein. Dafür ging viel über die Flügel. Reese (11) überragend.

Passmap Hertha

Die Passkombinationen der Roten Teufel: Klar, dass sich die Abwehrspieler untereinander am meisten anspielen. Doch vor allem Bauer passt viel auf seine Vorderleute Kaloc, Robinson und Ritter. Und Ritter suchte öfter Ache als Yokota.

Passkombinationen Hertha-FCK

Nach diesem kampfbetonten Spiel bietet es sich an, wieder mal die Überkreuzübersicht über die Duelle zu zeigen. Wie zu erwarten, Bauer mit überragender Bilanz. Schwerstarbeit zu leisten hatte aber auch Jan Gyamerah gegen den enorm starken Reese. Die Grafik weist ein ehrbares Unentschieden für den Lautrer aus. Aber bleiben wir ehrlich: Jedes Mal, wenn Reese an ihm vorbeikam, wurde es gefährlich.

Zweikampf-Duelle Hertha-FCK

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2024/25: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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