Taktik-Nachlese zum Spiel FCK-SVB

Die DBB-Analyse: Der Teufel beißt auf Granit

Die DBB-Analyse: Der Teufel beißt auf Granit


0:1 verliert der 1. FC Kaiserslautern das DFB-Pokal-Finale gegen Bayer Leverkusen. Weil er den Deutschen Meister trotz Überzahl nicht in Verlegenheit bringen kann. Das Ergebnis mag ärgern, das Erlebnis freut umso mehr.

Bleiben wir ehrlich: Der Bauch wollte dran glauben, der Verstand vermochte es niemals ernsthaft. Zu denken, "Neverlosen" sei wieder zu "Vizekusen" mutiert, weil die Rekordserie von 51 Partien ohne Niederlage in Serie am vergangenen Mittwoch im Europa League-Finale gegen Atalanta Bergamo zu Ende gegangen war, war doch reichlich naiv. Oder?

Wenn da nicht diese Momente gewesen wären ...

Diesen einen, einzigartigen emotionalen vor dem Anpfiff etwa: Als sich in dieser unglaublichen Choreo der Rote Teufel in der Lautrer Fankurve erhob und sich immer größer und mächtiger Richtung Stadiondach erhob - da dürfte selbst der siegesbewussteste Leverkusener für ein paar Augenblicke gedacht habe: Mit denen sollten wir uns besser nicht anlegen.

Ja, wenn da ein Treffer für Lautern gefallen wäre ...

Und dann die ersten Minuten des Spiels. Kenny Redondo startet einen ersten Sprint über die linke Seite, Odilon Kossounou foult und sieht Gelb. Zwei Minuten später zieht Daniel Hanslik mittig vorm Strafraum ab, Bayer-Schlussmann Lukas Hradecky pariert. Ja, schon klar, ein Lautrer Treffer gerade in der Anfangsphase, wer weiß.

Kurz vor der Pause. Kossounou ist gerade mit Gelb-Rot vom Platz geflogen. Der Zweitligist kombiniert sich tatsächlich mal mit präzisem Passspiel in den gegnerischen Strafraum, Tobias Raschl zieht von halbrechts ab und sein Schuss streift haarscharf am langen Pfosten vorbei. Ja, schon klar, ein Lautrer Treffer gerade so kurz vor der Pause, wer weiß.

Die 62. Minute. Der eingewechselte Ragnar Ache nimmt ein flaches Zuspiel von Tymo Puchacz auf, bringt sich aus 18 Metern in Schussposition, zieht ab. Hradecky taucht neben den rechten Pfosten ab verhindert so den Einschlag. Ja, schon klar, ein FCK-Treffer eine halbe Stunde vor Schluss, und dann noch in Überzahl, wer weiß.

Mehr Risiko? Nicht gegen solche Gegner

Doch abgesehen von diesen Schnuppermomenten roch es in diesen insgesamt 96 Minuten gar nicht so sehr nach Sensation. Ob die Pfälzer spätestens ab Mitte der zweiten Halbzeit hätten mehr riskieren müssen? Noch weiter nach vorn schieben, vielleicht sogar versuchen, so etwas wie ein "Powerplay" gegen die dezimierte Leverkusener Elf aufzuziehen? Ein paar selbsternannte Trainerfüchse werden es wohl so sehen.

Wir sagen: Nicht gegen diesen Gegner, der Tiefenläufer wie Florian Wirtz und Jeremie Frimpong in seinen Reihen hat und zur Pause noch einen Amine Adli nachschiebt. Die erspielten sich bei ihren Tempogegenstößen selbst gegen nur verhalten aufrückende Pfälzer die häufigeren und besseren Einschussgelegenheiten, und das bis zum Schlusspfiff.

Die Spielanlage des FCK war im Prinzip okay. Sie haben es ja versucht. Schoben in Hälfte zwei durchaus ein wenig nach vorne, wie auch die "Wyscout"-Visualisierung verdeutlicht:

Durchschnittliche Aufstellungslinie Leverkusen-FCK

Und sie hatten für FCK-Verhältnisse horrend viel Ballbesitz, bis zu 70 Prozent phasenweise, wie diese Grafik zeigt:

Ballbesitz Leverkusen FCK

Das Problem war: Im Angriffsdrittel gelangen ihnen zu wenig präzise Zuspiele. Tymo Puchacz zog sich im Lauf des Spiels gegen den Irrwisch Frimpong zwar ein wenig besser aus der Affäre, nachdem dieser ihn in der Anfangsphase einige Male sattgemacht hatte. Von den gefürchteten Flanken des Polen auf Ache aber kam keine an, so dass die Leverkusener Innenverteidiger auch den Neuner nicht fürchten mussten. Marlon Ritter und Kenny Redondo boten sich zwischen den Linien zwar eifrig an, doch die Anspiele in die engen Räume waren nicht genau genug oder schlecht getimt.

Natürlich: Die Frage nach dem Kräfte-Abbau bleibt

Die leidige Kettendiskussion soll ebenfalls kurz Erwähnung finden. Ja, Friedhelm Funkel hatte auf dem Papier wieder eine Vierer-Abwehrkette formiert, was regelmäßig Kritik laut werden lässt. Die aber agierte variabler, als es so eine starre Darstellung zu vermitteln vermag. Rechtsverteidiger Ben Zolinski schob sich auch mal nach innen und der vor ihm postierte Jean Zimmer zurück, so dass eine Fünferkette entstand. Der Stein der Weisen, um Gegenspieler dieses Kalibers aus dem Spiel zu nehmen, war aber auch damit nicht gefunden.

Allerdings ließen Kraft und Konzentration Mitte der zweiten Hälfte nach. Wie schon in viel zu vielen Partien dieser Saison, auch wenn man den Roten Teufeln diesmal nicht vorwerfen kann, die Begegnung in der Schlussphase vergeigt zu haben. Dieses Phänomen aufzuarbeiten, sollte nun Gegenstand der "schonungslosen Analyse" sein, die Geschäftsführer Thomas Hengen für die nächsten Tage geplant hat.

Bergamo war gestern - Xhaka gibt wieder den Takt vor

Auch die hinteren Reihen wollten in dieser zweiten Hälfte im Prinzip das Richtige. Ruhe bewahren, sich den dezimierten Gegner zurechtlegen, ihn müde laufen lassen. So, wie es der Deutsche Meister in der ersten Hälfte im Spiel Elf gegen Elf vorexerziert hatte. Hier aber zeigte sich, dass die heutigen Preise auf dem Transfermarkt zwar irrational sind, aber doch eine gewisse Aussagekraft haben. Da spielte eine Mannschaft mit einem Kader-Gesamtwert von rund 20 Millionen Euro gegen eine, die roundabout 600 Millionen Euro schwer ist.

Zur Ehrenrettung des FCK darf da festgehalten werden: Die Leverkusener konnten es gar nicht mal 30-mal so gut. Aber halt doch um einiges besser.

Aus der Mitte heraus getaktet wurden sie von dem Mann, der vergangenen Mittwoch gegen Bergamo einen "gebrauchten Tag" erwischt hatte, beziehungsweise durch aggressives Pressing des Gegners aus seinem Rhythmus gebracht worden war: Granit Xhaka. Spätestens, nachdem der Schweizer in der 17. Minute mit einem fantastischen Hinterhaltsgeschoss das Tor des Tages erzielt hatte, war er mental wieder vollkommen hergestellt - und Chef unterm Bayer-Kreuz.

Ihm kongenial zur Seite stand Robert Andrich. Die beiden bilden übrigens eine "Doppelsechs", die das Bleiben und Marschieren wirklich paritätisch praktiziert. Die meisten zentralen Mittelfeldduos werden zwar auch als Doppelsechsen bezeichnet, sind aber Sechser-Achter-Kombis.

Von wegen Tod am Bayerkreuz: Hut ab, FCK!

Ordnen wir also die Endorphin-Ausschüttungen, die die besagten Schnuppermomente verursacht haben, realistisch ein. Denken wir lieber daran, welche Erwartungen die sogenannte Fachpresse an dieses Pokalfinale hatte. Erinnert sei nur an diese "Bitte um Milde", die "11 Freunde" für den 1. FC Kaiserslautern forderten, da sie ihn "zum Tode am Bayerkreuz" verurteilt sahen. Insofern haben sich die Roten Teufel sehr, sehr achtbar aus der Affäre gezogen. So ein 0:1 hat halt immer seine Augenblicke, in denen es auch anders hätte laufen können.

Und sein Anhang darf sich mit Glücksgefühlen an diesen Pokaltag zurückerinnern. Nicht nur an das Spiel, sondern auch an das Bild, das die Bundeshauptstadt schon seit Freitag geboten hatte, als ihre Innenstadt in Rot und Weiß erstrahlte. An die Fangesänge, die schon seit dem Vormittag den Hauptbahnhof erfüllten. Und an den Augenblick, in dem sich in der Fankurve der Rote Teufel in den Himmel über Berlin erhob.

xG-Grafik ernüchtert - doch wer will schon nüchtern bleiben?

Zu den Grafiken: Die xG-Timeline bestätigt es noch einmal in unangenehmer Nüchternheit - am Leverkusener Sieg gibt es im Grunde nichts zu rütteln. Doch wer will schon nüchtern bleiben in so einer rauschenden Nacht?

xG-Timeline Leverkusen-FCK

Die Positions- und Passgrafik des FCK: Die kräftigen Linien zwischen den Abwehrspielern veranschaulichen es - vor allem in der zweiten Hälfte haben sie versucht, sich den Gegner zurechtzulegen. Sie konnten's nur nicht so richtig.

Passmap FCK

Die Passmap der Leverkusener: Zeigt sehr schön die zentrale Rolle der paritätisch besetzten Doppelsechs.

Passmap Leverkusen

Und die Überkeuzübersicht der Duelle. Lauterns Innnenverteidiger können es also auch gegen Top-Stürmer, Puchacz allerdings hatte so seine Schaff mit Frimpong. Achtbar Zimmer und Hanslik. Auch Ache hat im Prinzip ordentlich geackert, bekam aber keine Zuspiele, um mehr als einmal torgefährlich zu werden.

Zweikampf-Duelle Leverkusen-FCK

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2023/24: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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