Taktik-Nachlese zum Spiel Hertha-FCK

Die DBB-Analyse: Viele kleine Fehler = großer Mist

Die DBB-Analyse: Viele kleine Fehler = großer Mist


Für den "Matchball" bei Hertha BSC entwickelt der 1. FC Kaiserslautern längst nicht die Schlag­kraft wie in der Vorwoche gegen Magdeburg - und kassiert eine voll­kom­men ver­dien­te Niederlage. Lag es an der geänderten Aufstellung und Taktik? Wir meinen: nein.

Gut, dass Friedhelm Funkel mit seinem Team zuletzt zwei überzeugende Siege hintereinander eingefahren hat. Sonst würde die Kritik im Umfeld jetzt wieder deutlich lauter werden. Und über allem wohl die Frage stehen: Wieso hat er vor diesem Spiel so viel umgestellt? Drei Wechsel in der Startelf? Und doch wieder Vierer- statt Dreierkette, wo doch nach der Umstellung auf Dreierkette zuletzt zweimal gewonnen wurde?

Fakt ist: Funkels Matchplan war auch diesmal absolut nachvollziehbar, so wie fast alle, die dieser Trainer mit seinem Team bislang entwarf. Angesichts der stark besetzten Flügel des Gegners besetzte er die Außenbahnen doppelt, und das lässt sich mit einer Vierer-Abwehrkette nunmal am besten einrichten. Und für die rechte Seite nominierte der Coach mit Ben Zolinski und Jean Zimmer zwei Spieler, die auch den defensiven Part beherrschen - wohl mit Blick darauf, dass bei Hertha der wohl beste Linksaußen der Liga aufläuft: Fabian Reese.

Der erste Wechsel - und schon fehlt was vom Matchplan

Leider musste Zolinski nach 31 Minuten verletzt raus. Für ihn kam Aaron Opoku, der seine Qualitäten im Spiel nach vorne hat - so er sie denn zeigt, was in dieser Partie allerdings nicht der Fall sein sollte. Und was die Abwehrarbeit anging: Reese kam von da an noch besser ins Spiel. Womit von Funkels Matchplan bereits ein großes Eck abgerissen war.

"Noch besser", weil Reese auch davor schon nicht so ganz auszuschalten war. Er hatte bereits den Führungstreffer der Gastgeber in der 19. Minute vorbereitet. Seine Flanke hätte anschließend im Strafraum allerdings gleich mehrmals durchgreifend verteidigt werden können, erst von Tymo Puchacz, dann von Jan Elvedi. Elvedis finale Attacke gegen Haris Tabakovic, die zum Elfmeterpfiff und zum nunmehr 22. Saisontreffer des Hertha-Torjägers führte, ist da fast schon zu entschuldigen, die war einfach nur unglücklich.

Und immer wieder stresst Herthas linker Flügel

Nach Zolinskis Auswechslung aber war's nicht nur Reese, der sich über die linke Seite der Berliner in Szene setzte. Auch die beiden anderen Treffer wurden über diesen Flügel vorbereitet, dazu etliche weitere gute Toraktionen, unter anderem eine sogenannte "Hundertprozentige" in der 35. Minute. Und ein Innenpfostentreffer in der 61. Minute.

Signifikant vor allem das zweite Gegentor unmittelbar vor dem Pausenpfiff, was den Trainer besonders wütend machte. Da war hinterher öfter zu hören, Soldo hätte Jeremy Dudziak härter bedrängen müssen, um diesen an seinem zweifellos topeleganten Heber zu hindern. Ist leichter gesagt, als es das "harte Bedrängen" im Strafraum tatsächlich ist.

Fakt ist vielmehr: Dudziak löst vor diesem Treffer noch in der eigenen Hälfte von seiner Linksverteidiger-Postion- und Opoku trabt einfach nicht hinterher. Unterwegs kommt es sogar noch zu einem Einwurf-Break, den die Berliner aber kurz halten - Leute! Wie oft sollen wir es denn noch sagen? Konzentriert euch auf Einwürfe! Reese bringt Dudziak erneut ins Spiel, und der darf weiter Richtung Tor joggen.

Dabei haben vor Wochenfrist, beim 4:1-Sieg gegen Magdeburg, Kenny Redondo und Daniel Hanslik vorbildlich vorexerziert, wie man auch als Offensivkraft hinter aufrückenden gegnerischen Abwehrspielern herjagt. Opoku hat da anscheinend nicht aufgepasst.

Doch, es ist so banal, wie Zimmer sagt

Die Ausführungen bis hierhin deuten es hoffentlich schon an: Nein, es war keine falsche Aufstellung, kein falscher "Matchplan", der zu dieser vollkommen verdienten Niederlage führte - es ist tatsächlich so banal, wie Kapitän Jean Zimmer es nach dem Spiel formulierte: Seine Mannschaft verlor, "weil wir zu viele einfache Fehler gemacht haben".

Und die führten auch zum dritten Gegentreffer. Beim Versuch, das Spiel aus der Abwehr aufzubauen, wird erst Tobias Raschl an der Mittellinie gestört, der Ball landet dennoch wieder in der hinteren Linie bei Elvedi, doch der passt Reese in die Beine. Worauf dieser einmal mehr dem Lob gerecht wird, mit dem wir ihn eingangs bedachten.

Apropos Hanslik: Der fiel aus, weil er kurzfristig erkrankt war. Ist zwar müßig, wäre aber dennoch interessant zu wissen, wen Funkel draußen gelassen hätte, hätte Hanslik spielen können. Vielleicht abermals Marlon Ritter? Der sorgte mit seinem fulminanten Freistoßtreffer zum zwischenzeitlichen 1:1 in der 39. Minute für das einzige fußballerische Glanzlicht auf Lautrer Seite an diesem insgesamt schwachen Tag.

Soldo überraschende Nominierung - eine Ansage an Aremu?

Für den gesperrten Filip Kaloc hatte Funkel Nikola Soldo auf der Sechs nominiert. Überraschend, zumindest für Außenstehende. Soldo habe sich die Chance mit ungebrochen guten Trainingsleistungen trotz permanenter Nichtberücksichtigung verdient, erklärte der Coach hinterher.

Ein schönes Zuckerl für die Kölner Leihgabe, gleichzeitig aber ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Afeez Aremu. Der durfte erst kurz vor Schluss für ein paar Minuten ran. Dass nicht der fest verpflichtete Profi, der noch eine Zukunft beim FCK hat, mehr Zeit bekommt, sich endlich zu integrieren, sondern der Leihspieler, der den Verein Ende Mai verlässt, lässt sich auch als Statement interpretieren.

Touré fehlt - mit ihm wären's vielleicht ein paar Fehler weniger

Der dritte Name, der gegenüber dem erfolgreichen Magdeburg-Spiel nicht mehr in der Startelf auftauchte, ist der Almamy Tourés. Die einzige Trainer-Entscheidung, an der sich vielleicht ein bisschen kritteln ließ. Mit Touré wäre das Aufbauspiel aus der Abwehr womöglich ein bisschen präziser gelaufen, und die vielen kleinen Fehler hätten sich ein wenig minimiert.

Stattdessen potenzierten sich diese, wie könnte es anders sein, wieder mal in der zweiten Hälfte. Was sich auch statistisch belegen lässt. Der FCK leistete sich im ersten Durchgang 54 Ballverluste, im zweiten 73.

"Wenn Gegner Ecke, dann klingelt?" Diesmal nicht

Die Hertha bremste ihren Gast, der in Hälfte zwei über weite Phasen durchaus noch ordentlich mitspielte, aber auch mit einer einfachen Neuordnung ihres Spiels aus. Zum einen verhinderte sie fortan weitgehend Eckbälle und Freistöße in Tornähe.

Womit der Lautrer Kernkompetenz in Sachen Torerzielung der Zahn gezogen war. Ritters Freistoßtreffer eingerechnet, haben sie nun 22 ihrer nunmehr 64 Saisontreffer nach ruhenden Bällen erzielt. Auch in der ersten Hälfte dieser Partie waren sie in erster Linie durch Ecken gefährlich.

Hertha-Coach Pal Dardai war dies bewusst, auch, dass sein Team bei Standardsituationen wackelt, wie er es nach dem Spiel auf seine unnachahmliche Art erklärt: "Wenn Gegner Ecke, dann klingelt." Diesmal aber nicht, worüber er sehr froh war. Die zwei Ecken, die der FCK in der zweiten Hälfte noch schlagen durfte, waren dann auch die brisantesten Offensivaktionen der Gäste in diesem Durchgang.

Und: Der Berliner Trainer zog den Mannschaftsverbund einfach nach hinten.

Was auch diese "Wyscout"-Visualisierung der durchschnittlichen Aufstellungslinien über 90 Minuten verdeutlicht.

Quote gewonnener Zweikämpfe Hertha-FCK

Warum auch nicht? Mit einer 2:1-Führung im Rücken darf sich auch eine Heimmannschaft aufs Kontern verlegen. Und aus einer tiefen Position heraus lässt sich viel gewinnen. Die Herthaner starteten etliche vielversprechende Angriffe nach Balleroberungen vor dem eigenen Sechzehner, meist vorgetragen über die Flügel, vorzugsweise den linken.

Reagieren ist einfacher als Agieren - eigentlich nix Neues

Den Roten Teufeln hingegen fiel gegen den nun tief stehenden Gegner gar nichts mehr ein. Das ist im Grunde nichts Neues. Denn Reagieren ist nunmal einfacher als Agieren, das ist im Fußball selbst in höheren Klassen zu beobachten.

In dem Zusammenhang sei ein kleiner Exkurs gestattet: Dass etwa Borussia Dortmund in der Bundesliga nur auf Platz 5 steht, in der Champions League aber im Finale, ist zu einem guten Teil auch darauf zu führen. Im deutschen Oberhaus treffen die Schwarzgelben meist auf Gegner, die sich gegen sie lieber zurückziehen und sie zwingen, das Spiel zu machen, das bereitet ihnen Schwierigkeiten. In der europäischen Königsklasse dagegen begegnen sie vermehrt auf dominant auftretenden Kontrahenten, die ihnen das Umschaltspiel gestatten, das sie viel, viel besser beherrschen. Deutschlands führender Fußball-Nerd Tobias Escher hat dies unlängst in einem erhellenden Aufsatz für "11Freunde" aufgezeigt.

Ein bisschen was muss eine Mannschaft allerdings auch gegen tief stehende Deckungen bewegen können, gerade, wenn sie sich perspektivisch wieder weiter oben in der Tabelle orientieren will. Daran wird der FCK also weiterarbeiten müssen, sobald der Klassenverbleib eingetütet ist. Dank den Ergebnissen der Konkurrenz und Friedhelm Funkel, dem es gelungen ist, die notwendige Balance zwischen Offensive und Defensive, von der auch seine Vorgänger sprachen, wenigstens einigermaßen herzustellen.

Funkel bleibt - wohl eher nicht

Ob der Coach auch in der kommenden Saison die spielerische Weiterentwicklung der Mannschaft vorantreibt? Er habe seine Entscheidung bereits getroffen, möchte sie aber noch nicht bekanntgeben, ließ er nach dem Spiel im kleinen Kreis gegenüber den mitgereisten FCK-Journalisten von "dpa", "Rheinpfalz" und Der Betze brennt verlauten.

Auch wenn wir mit der Interpretation Funkelscher Worte manchmal falsch liegen: Würde er bleiben, wäre jetzt der ideale Zeitpunkt, es bekanntzugeben, vor dem finalen Spiel gegen Eintracht Braunschweig. Tut er aber nicht, also ist seine Entscheidung wohl gegen den FCK gefallen. Zumal er sein Statement auf der Pressekonferenz mit den Worten beschloss: "Beide Mannschaften werden sich vielleicht ohne die beiden, die jetzt hier oben sitzen, im nächsten Jahr oben stehen." Dass für Pal Dardai nach dieser Saison bei Hertha definitiv Schluss ist, war am Vormittag publik gemacht worden.

Den FCK-Verantwortlichen bleibt in diesem Fall nur zu wünschen, dass sie anstehende Personalentscheidungen im Kader erst nach der Verpflichtung eines neuen Trainers treffen und diese sorgfältig mit ihm abstimmen. Philipp Klement zum Beispiel wäre einer, mit dem sich tiefstehende Gegner bespielen ließen - wenn er die Taktgeberrolle so speziell interpretieren kann, wie sie ihm entspricht. Dazu aber braucht er einen Trainer, der seine Spielweise bewusst und mit Überzeugung unterstützt, so, wie es Steffen Baumgart in der Saison 2017/18 beim SC Paderborn getan hat.

Die Grafiken: Soldos ordentlicher Auftritt nach langer Pause

Zu den Grafiken. Über die xG-Timeline braucht man nicht viele Worte zu verlieren. Sie könnte auch noch eindeutiger für Hertha entsprechen.

xG-Timeline Hertha-FCK

Die Passmap des FCK: Wieder mal sehr linkslastig, die rechte Seite war, wie beschrieben, halt mehr defensiv mehr gefordert. Nikola Soldo war ordentlich im Spiel, fiel zwar nicht unbedingt positiv, aber auch nicht negativ auf. Muss man aber auch erstmal hinbekommen nach so langer Spielpause.

Passmap FCK

Die Passmap der Herthaner: Visualisiert nochmals ihr starkes Flügelspiel.

Passmap Hertha

Die Übersicht über die Duelle: Was für Krümelsucher. Zolinski war in 31 Minuten in mehr Duellen als Opoku in der restlichen Spielzeit. Und Opoku verlor sämtliche Duelle gegen seinen direkten Gegenspieler Dudziak. Irgendwie vielsagend.

Zweikampf-Duelle Hertha-FCK

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2023/24: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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