Kummt Senf druff

Back to Glory: Lasst den Teufel langsam wachsen

Back to Glory: Lasst den Teufel langsam wachsen


Der 1. FC Kaiserslautern hat sein erstes Jahr in der 2. Bundesliga souverän gemeistert. Auch neben dem Platz ist der Stolz der Region zurückgekehrt. Ein zartes Pflänzchen, das behutsam gegossen werden sollte, findet DBB-Autor Gerrit.

Es war ein spezielles Saisonfinale auf dem Betzenberg im Mai 2023. Das Fritz-Walter-Stadion war nahezu ausverkauft, der Gegner mit Fortuna Düsseldorf ein attraktiver. Am Ende verloren die Roten Teufel deutlich mit 0:3 - die dritte Pleite in Serie. Nicht schön, ohne Zweifel. Und auch der Gesamtverlauf der Rückrunde konnte nicht zufrieden stellen. Doch egal welche Statistik, welchen Bericht, welche Warnungen einer angeblichen fehlenden Entwicklung der Mannschaft ich mir in diesen Tagen durchlas: Einfach nichts davon konnte meine innere Grundzufriedenheit und Gelassenheit vertreiben. Warum? Das ist nicht zu erklären, ohne einen Blick in die jüngere Vergangenheit zu werfen. Zu nervenaufreibend waren die Saisonfinals der vergangenen Jahre gewesen.

Mai 2021: Nach einem Jahr voller Tiefen mit Insolvenz und Fast-Abstieg in die Regionalliga - inklusive Abriss-Horrorszenarien rund um das Fritz-Walter-Stadion - schafften die Männer von Marco Antwerpen erst am vorletzten Spieltag den Klassenerhalt. Der ultimative Exodus war abgewendet. Mehr nicht, aber dennoch war das zwischenzeitlich kaum noch für möglich gehalten worden. In den letzten Saisonwochen wurde trotz Geisterspielen ein enormer Spirit rund um den FCK wiederbelebt. Ein Spirit, der die Entwicklung der darauffolgenden Monate erst möglich machen sollte. So lang's in Deutschland Fußball gibt, gibt’s eben auch den FCK!

Mehr als ein Jahr später. 24. Mai 2022, circa 17:00 Uhr: Schon den ganzen Tag laufe ich auf und ab. Die Nacht war kurz, an Schlaf war eigentlich nicht zu denken. Noch etwas mehr als drei Stunden bis zum Anpfiff des Relegations-Rückspiels bei Dynamo Dresden. Schaffen wir es? Kehren wir nach vier unendlich langen und so turbulenten Jahren in die 2. Bundesliga zurück? Oder verspielen wir am Ende alles und bringen uns um den verdienten Lohn? Ich fühle mich schon jetzt leer und kaputt. Der Druck, die Anspannung der vergangenen Wochen war immens. Und so bin ich zumindest um eine Gewissheit dankbar: Heute Abend ist es vorbei. Ganz gleich, wie es ausgeht. Ich sehne mich nach einem Stück dieser Normalität. Kurz vor 19:00 Uhr steige ich die Treppen zum Betzenberg hinauf, wo ein großes Public Viewing stattfindet. Wie oft habe ich diese Treppen nach Feierabend schon zur Entspannung genommen. An diesem Tag fühlt sich jede Stufe schwer wie Blei an und der Weg scheint unendlich lang zu sein. Fast sinnbildlich für den sportlichen Weg der Männer in Rot. Genauso fühlt sich dann das Spiel selbst an. Noch nie waren 90 Minuten so lang, noch nie gegnerische Standardsituationen und Ballbesitzphasen potentiell so beängstigend wie an diesem Tag. Doch dann kommen die 59. Minute und Daniel Hanslik. Urschreie pfälzischer Glückseligkeit werden ausgestoßen, die ich wahrscheinlich mein ganzes Leben nie vergessen werde. Bei Philipp Herchers 2:0 dagegen sinke ich in mich zusammen. Von jetzt auf gleich fällt all die Anspannung der letzten Zeit ab. Schlusspfiff. "We are the Champions" erklingt. Ein Moment, den ich mir immer und immer wieder herbeigesehnt habe. Im Aberglaube, den fast jeder Fußballfan pflegt, hatte ich den Song von "Queen" immer wieder weggedrückt, wenn er durch Zufall in meine Playlist gespült wurde. Ich wollte ihn erst hören, wenn der FCK wieder einen Grund zum Feiern hätte. Jetzt war es soweit. Lautre war widder do!

Auch neben dem Platz: Der Stolz einer ganzen Region ist zurück

Was folgte war ein einziger Freudentaumel. Nicht nur während des verlängerten Partywochenendes in der Altstadt nach dem Aufstieg. Die Vorfreude und die Sehnsucht der ganzen Pfalz auf die 2. Bundesliga war nahezu an jeder Straßenecke zu spüren. Bei der FCK-Generalprobe in Pirmasens sah ich auf dem Mannschaftsbus zum ersten Mal wieder das Bundesliga-Logo mit einer Zwei prangen. Früher wäre das für mich nichts besonderes gewesen - heute platze ich beinahe vor Freude und Stolz. Und dieser Stolz war der ganzen Stadt, nein der ganzen Region anzumerken. Lief man in den vorherigen Jahren durch die Fußgängerzone oder schaute sich auf den Fußballplätzen und Schulhöfen in und um Kaiserslautern um, sah man Kinder vor allem in Trikots des BVB oder gar der verhassten Bayern. Der FCK, der einstige Stolz der Pfalz, verschwand mehr und mehr von der Bildfläche. Und wenn er dann doch mal da war, dann erntete er nicht einmal mehr Spott oder Häme - viel schlimmer noch: Mitleid. Dies hatte sich seit der Aufstiegssaison geändert und nun, wo die Roten Teufel der Drittliga-Hölle endgültig wieder entkommen waren, war auch ein Stück Identität und Selbstbewusstsein der ansonsten so gebeutelten Region wieder hergestellt. Die Pfalz lebt eben den FCK, und der FCK lebt die Pfalz. Das ist keine Binse. Jeder, der aus dieser Region kommt oder hier lebt, spürt diese Realität tagtäglich.

Demut muss mehr sein als eine Floskel

Eine Schar von Schulkindern bei öffentlichen Trainings in den Sommerferien, lange Schlangen vor dem Einlass am Betze und ein über die Saison immer wieder rappelvolles Fritz-Walter-Stadion zeigen, wie groß das Interesse am FCK wieder geworden ist. Dieses Zusammenwachsen ist neben dem sportlichen Erfolg, den der FCK in den vergangenen zwei Jahren erlebt hat, mindestens genauso wichtig. Viel mehr noch: Das eine bedingt das andere. Ohne das emotionale Feuer, ohne den Schulterschluss zwischen Verein, Fans und Region, ohne den Glauben, am Betzenberg auch das Unmögliche möglich zu machen, kann der FCK nicht erfolgreich sein. Und umgekehrt entsteht dieses Feuer nur, wenn die Roten Teufel es auf dem Platz durch Wille, Kampf und Leistung entfachen. Daher war der Auftakt gegen Hannover 96, der in guter alter Betze-Manier in der Nachspielzeit gewonnen wurde, wahrscheinlich ein Grundbaustein der erfolgreichen Zweitliga-Saison. Es sollte zugleich der Auftakt einer ganzen Reihe von Nachspielzeit-Ekstasen und Aufholjagden sein. Ob ein 3:1 nach 0:1-Rückstand in Fürth oder das fast schon legendäre 2:2 gegen Heidenheim, bei dem der spätere Zweitliga-Meister noch in der zweiten Minute der Nachspielzeit die Chance auf eine 3:0-Führung liegen ließ und schließlich die Brutalität des Betzenbergs erleben musste. Der Betze hat durch diese Erlebnisse ein Stück seiner DNA zurückerlangt und damit eine ganze Generation an Fans mit dem FCK-Virus geimpft, die den Verein nie wieder loslassen werden.

Allein unter diesem Gesichtspunkt ist die Leistung des Aufsteigers, von Thomas Hengen, der das Team zusammengestellt, und Dirk Schuster, der es geformt hat, nicht hoch genug anzuerkennen. Und sie wird auch nicht von einer punktemäßig mauen Rückrunde geschmälert. Ohne Zweifel: Eine Ergebniskrise, insbesondere in den letzten zehn Spielen der Saison darf nicht weggeredet werden. Aus ihr müssen jetzt die richtigen Schlüsse gezogen werden. Deswegen aber einen Trainer in Frage zu stellen, dessen Aufsteiger selbst in der schwachen Rückrundentabelle noch über dem Strich steht, ist mir insbesondere aufgrund der jüngsten FCK-Vergangenheit unbegreiflich.

Haben wir vergessen, wo wir herkommen? Haben wir vergessen, wie knapp wir der absoluten Höllenfahrt entkommen sind? Und haben wir wirklich schon vergessen, was wir uns vor der Spielzeit vorgenommen haben? Wer das Wort Demut in den Mund nimmt, der muss es auch in schwierigen Phasen mit Leben füllen. Stattdessen verfiel eine Minderheit schon nach den Niederlagen gegen St. Pauli und Paderborn in erste Panik. Was wäre da erst gewesen, wenn der FCK - für einen Aufsteiger ein wenig überraschendes Szenario - wirklich einmal auf einem Abstiegsplatz gestanden hätte? Und was wird sein, wenn dies vielleicht in der kommenden Saison einmal der Fall sein sollte? Aber in Traditionsvereinen wie dem FCK regieren eben oftmals die Extreme, es gibt dann nur zwei Bewertungen: Schwarz oder Weiß. Und im Grunde macht dies ja auch die Strahlkraft aus, die im Positiven vom Fritz-Walter-Klub ausgeht, und um die uns fast ganz Fußball-Deutschland beneidet.

Wir sollten nicht vergessen, uns zu freuen

Dennoch sollten wir in diesen Tagen auch nicht vergessen, uns zu freuen. Uns zu freuen, dass wir schon in wenigen Wochen in die neue Zweitliga-Saison starten. Uns zu freuen, dass der FCK wieder die Massen begeistert, und dankbar zu sein, dass es den FCK in der Form wieder gibt, wie wir ihn alle lieben. Als kleiner David, mit dem niemand rechnet, der den großen Goliath ärgert und schließlich sogar zu Fall bringt. Und der endlich nicht mehr bemitleidet wird. Denn nicht erst seit Wilhelm Busch wissen wir: "Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung." Doch dieses Pflänzchen ist gerade erst wieder zum Leben erwacht. Wir müssen es sachte gießen und düngen, aber dürfen es nicht direkt wieder überfordern. Gelingt uns das, dann ist die Fahrt der Unzerstörbar noch lange nicht am Ende.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Gerrit Schnabel

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