Taktik-Nachlese zum Spiel HSV-FCK

Die DBB-Analyse: Einfach nur klasse

Die DBB-Analyse: Einfach nur klasse


Mit dem 1:1 beim Hamburger SV darf der 1. FC Kaiserslautern der Liste seiner glorreichen Unentschieden ein weiteres hinzufügen. Es gab zwar nur zwei Tore zu sehen, dafür aber die bislang stärkste Saisonleistung über 90 Minuten.

Dieses Spiel lässt sich wie kaum ein anderes in mehrere Abschnitte gliedern, von denen jeder einzelne seine besondere Eigenheiten aufweist:

Phase I dauerte vom Anpfiff bis zum Führungstreffer der Hamburger in der 24. Minute. Lautern demonstrierte, wie sich eine Partie auch ohne Ball kontrollieren lässt. 84 Prozent Ballbesitz verzeichneten die Gastgeber in diesem Zeitraum - und was machten sie daraus? Grad mal gar nix.

Die erste große Torchance des Spiels kreierte der FCK: Langer Ball auf Terrence Boyd, der abgewehrt, aber noch in Gegners Hälfte zurückerobert wird. Philipp Klement marschiert durch den Zehnerraum, passt halbrechts auf Marlon Ritter. Der flankt auf Boyd, der frei aus sieben Metern keinen wuchtigen Kopfball hinbekommt. Links war Hendrick Zuck eingelaufen und hätte mit seinem starken Fuß abziehen können, hätte Klement ihn statt Ritter angespielt. Aber wäre das tatsächlich die bessere Option gewesen? Müßig zu diskutieren.

FCK erstmals mit Dreierkette vom Start weg: HSV ist ratlos

Den größten Teil der hanseatischen Ratlosigkeit dürfte die Formationsänderung bewirkt haben, die Dirk Schuster in seiner Startelf vorgenommen hatte. Erstmals in dieser Saison begannen die Roten Teufel in einem 3-4-1-2. Robin Bormuth komplettierte die Dreierkette um die etatmäßigen Innenverteidiger Kevin Kraus und Boris Tomiak.

Wobei die Anordnung zeigte, welchem Flügel des Gegners Schuster den größeren Respekt entgegenbrachte. Mit Boris Tomiak übernahm sein schnellster Innenverteidiger die linke Seite, um Hamburgs Rechtsaußen Bakery Jatta zu stoppen. Erik Durm und Zuck besetzten die Außenbahnen, sodass Kapitän Jean Zimmer auf der Bank Platz nehmen musste. Klement agierte auf der Zehn und Kenny Redondo rückte zu Boyd in den Sturm auf. Dort bildete er mit diesem im Spiel gegen den Ball noch vor der Mittellinie einen zweiten Störfaktor, der die Hamburger ziemlich nervte.

Dennoch: HSV hat eine erste Gelegenheit - und trifft prompt

Doch wie es halt so geht im Fußball: Irgendwann kamen die Gastgeber dann doch zu einer ersten Gelegenheit - und nutzten diese direkt. Eingeleitet wurde sie durch einen Flankenwechsel auf den linken Flügel, wo Sonny Kittel sich wesentlich besser in Szene setzte als Jatta auf der Gegenseite. Er schlenzte vom Strafraumeck halbhoch auf den langen Pfosten, Andreas Luthe wehrte das Leder ab, aber HSV-Mittelstürmer Robert Glatzel vor die Füße, der vollstreckte. Zumindest nach offizieller Darstellung. Strenggenommen war’s ein Eigentor, weil Glatzels mehr gestolperter als geschossener Ball wahrscheinlich nicht einmal ins Netz gegangen wäre, hätte Luthe ihn nicht noch einmal mit der Hacke abgefälscht.

Und wer hat Schuld? Luthe - weil er den Ball nicht festhalten konnte? Eher schon Durm, der Kittel zu viel Raum zum Flanken ließ. Also wieder mal ein individueller Fehler, mit dem sich der bis dato vorbildlich konzentriert arbeitende Defensivverbund um den Lohn seiner Mühe brachte? Auch wenn es in Spielanalysen nicht gerne gesehen ist: Manchmal darf man auch einfach nur von Pech reden.

Erst recht, wenn man an den finalen Gegentreffer beim 4:4 gegen Magdeburg denkt, wo ein von Luthe abgewehrter Ball von Tomiaks Rücken ins eigene Netz abprallte. Ein gewisser Gerry Ehrmann behauptete am Samstag in der Zeitung mit den großen Buchstaben, der bislang so gut positionierte Aufsteiger aus Kaiserslautern hätte bislang sogar "mehr Pech als Glück" gehabt. Der Mann hat einfach nur recht.

Hier schon mal die Timeline der Ballbesitzverteilung über 90 Minuten, entnommen bei "Wyscout". Sie zeigt, wie dominant der HSV in der Anfangsphase war, ohne ernsthaft was draus machen zu können.

Ballbesitz in Prozent

Bis zur Pause kam die rechte Seite besser ins Spiel

Phase II nahm den Rest der ersten Hälfte in Anspruch. Der FCK änderte nach dem Rückstand an seiner Spielanlage nichts Grundlegendes. Die Rothosen hatten immer noch zwischen 59 und 65 Prozent Ballbesitz, aber die Roten Teufel pressten nun intensiver und verzeichneten pro Minute ebenso viele Balleroberungen wie die Norddeutschen. Und sie machten mehr draus, insbesondere über die rechte Seite.

Höhepunkt war ohne Frage kurz vor der Pause die Chance Redondos, die Tomiak, Ritter und Durm mit einem Flankenlauf einleiteten. Redondos aus halbrechter Position abgefeuerter Schuss nahm seinen Weg jedoch zwischen dem langen Pfosten und den Füßen des freistehenden Boyd hindurch. Zuvor schon war Boyd ein Drehschuss verunglückt, den Zuck mit Direktabnahme und Ritter mit einem gut getimten Flankenwechsel vorbereitet hatten.

Zum Beleg hier die Wyscout-Timelines der Pressingintensität und der Balleroberungen pro Minute.

Pressingintensität

Balleroberungen pro Minute

So geht’s auch: Tief stehen und trotzdem gefährlich sein

Phase III markiert die erste Viertelstunde der zweiten Halbzeit, die vielleicht kurioseste des ganzen Spiels. Denn die Schuster-Jungen standen trotz Rückstand plötzlich so tief, wie sie das ganze Spiel hindurch nicht mehr stehen würden. Operierten fast nur noch mit langen Bällen, hatten in diesem Abschnitt aber ihre besten Torchancen des ganzen Spiels. Einmal durch Boyd, der einen Stolperer von Rechtsverteidiger Moritz Heyer zum Ballgewinn nutzte und allein auf HSV-Keeper Matheo Raab zulief.

Der Ball ging jedoch am langen Pfosten vorbei. Weil Raab ihn abgefälscht hatte. Ecke gab es aber dennoch nicht, weil Raab "nicht ganz fair" war und auf Schiri-Nachfrage leugnete, das Leder noch erwischt zu haben, wie er später verschämt lächelnd vor der TV-Kamera einräumte.

Apropos Raab: Der einstige Lautrer Aufstiegsheld durfte sein erstes Zweitliga-Spiel im Tor des HSV bestreiten, nachdem Stammkeeper Daniel Heuer Fernandes kurzfristig erkrankte. Und er machte seine Sache gut, bewies vor allem, dass er ein ebenso gut mitspielender Torsteher ist wie die etatmäßige Nummer 1.

Zum Beleg hier die Timeline, die belegt, wie sich die Aufstellungslinien über 90 Minuten verschoben.

Durchschnittliche Aufstellungslinie

Hamburgs Albtraum: Sie nannten ihn El Luthe

Phase IV dauerte von der 60. bis 80. Minute und lässt sich am besten mit "Die große Zeit des Andi Luthe" betiteln. Der HSV hatte zwar immer noch mehr Ballbesitz, kam nun aber vorzugsweise über Umschaltsituationen zu Chancen. Und immer wieder hieß die Endstation Luthe. Ob bei einem 16-Meter-Rohr von Laszlo Benes, einem Schuss Glatzels aus halblinker Position oder einer Einschussgelegenheit, die sich der eingewechselte Ransford-Yeboah Königsdörffer auf der gegenüberliegenden Seite erlief. Und einer weiteren Kopfballchance Glatzels, die Luthe gerade noch mit flachen Hand von der Torlinie schlagen konnte.

Höhepunkt war aber natürlich der gehaltene Elfmeter von Kittel in der 81. Minute. Den hatte Schiedsrichter Robert Hartmann nach Konsultation des Videoassistenten gepfiffen, nachdem Julian Niehues Ludovit Reis zu Fall gebracht hatte. Luthe ahnte, dass Kittel halbhoch würde schießen wollen, hatte aber nicht geraten, sondern sich einfach gut vorbereitet, wie er später im Interview verriet. Er wusste, dass Kittel diese Seite bevorzugt, "normalerweise schießt er aber höher, deswegen bin ich auch hoch abgesprungen."

Ein 2:0 zu diesem Zeitpunkt hätte die Partie wohl entschieden. So aber blieb der FCK im Spiel - und markierte nur 53 Sekunden später den Ausgleich.

Der Ausgleich: Der Joker trifft

Bei Phase V kann man nun darüber streiten, ob diese nicht vielleicht schon in der 76. Minute mit der Einwechslung Aaron Opokus begann. Der kam für Durm und besetzte zunächst mal dessen rechte Außenbahn. Zehn Minuten später, als Schuster Zimmer für Redondo brachte, rückte der Debütant in den Sturm auf und gab Kostproben seiner enormen Schnelligkeit. Unmittelbar nach seiner Einwechslung aber fügte er sich erstmal mit einer präzisen Rechtsflanke auf Tyger Lobinger ein, der bereits in der 65. Minute für Boyd gekommen war. Der Joker erwischte den Ball jedoch nicht richtig.

Dafür war er in der 82. Minute zur Stelle. Nach einer flachen Flanke von Redondo, der sich auf der linke Seite gegen Heyer durchgesetzt hatte.

Überhaupt ist es auffallend, wie dieser Tabellenführer sich über seine Außenverteidiger knacken lässt - und dass, obwohl er mit nunmehr sieben Gegentreffern immer noch die beste Abwehr der Liga stellt.

Hier mal eine Wyscout-Grafik, die die Gefährlichkeit der Angriffe über die Flügel dokumentiert. Sie spricht klar für Lautern. Obwohl der HSV auf dem Papier mit einem 4-3-3 mit echtem Außenstürmer agierte, der FCK dagegen in einem 3-4-1-2 mit nur einfach besetzten Außenbahnen.

Angriffe über die Flügel und Gefährlichkeit

In den Minuten nach dem Ausgleich sah es dann sogar noch ein paar Minuten aus, als würden die Gastgeber nach diesem Wirkungstreffer taumeln und die Gäste noch einmal die Oberhand gewinnen.

Bei aller Freude: Gegen Regensburg muss mal wieder ein Sieg her

Phase VI bildet die Nachspielzeit. Wegen diverser Unterbrechungen gab es am Ende noch sieben Minuten obendrauf. In diesen berappelten sich die Hamburger nochmal und die Lautrer standen vielleicht einen Tick zu tief. Das aber ist nun Meckern auf hohem Niveau. Insgesamt war es ein klasse Spiel von beiden Seiten.

Für die Männer in Rot war es nunmehr das siebte Unentschieden im elften Spiel. Und das sechste in Folge. Vier davon - das 4:4 gegen Magdeburg, das 3:3 gegen Darmstadt, das 2:2 in Heidenheim und nun dieses - dürfen als höchst ehrenwert für den Aufsteiger angesehen werden. Es muss aber auch gesagt werden: Sechs Remis in Serie bedeuten auch sechs Spiele ohne Sieg. Diese Serie darf gegen Jahn Regensburg kommenden Sonntag gerne beendet werden.

Das xG-Ergebnis: Der Elfer macht es krasser, als es war

Zu den übrigen Grafiken. "Wyscout" und "11tegen11" nennen ein xGoals-Resultat von 2.94 : 1.12 zugunsten des HSV. "Bundesliga.de" hat mit Opta-Daten ein 2.54 : 1.79 errechnet. Das klingt zurecht freundlicher, auch wenn Kittels Elfmeterchance sicher hoch bewertet werden muss. Lautern hat innerhalb des Strafraums aber immerhin genauso viele Torschüsse abgegeben wie die Gastgeber. Und das mit insgesamt nur 29 Prozent Ballbesitz.

xG-Dynamik HSV-FCK

Die Positions- und Passgrafik: Nur kleine Spots diesmal, die belegen den wenigen Ballbesitz. Positionsverteilung und Vernetzung sehen dennoch ordentlich aus.

Passmap FCK

Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik der Hamburger: Interessant: die Flügelstürmer spielen ihren Mittelstürmer eher selten an. Der bekommt seine Unterstützung meist aus dem Dreier-Mittelfeld.

Passmap HSV

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2022/23: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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