Taktik-Nachlese zum Spiel FCK-FCM

Die DBB-Analyse: Spektakel und Mirakel

Die DBB-Analyse: Spektakel und Mirakel


Was für ein Spiel! 4:4 trennen sich der 1. FC Kaiserslautern und der 1. FC Magdeburg. Vor großen Rätseln standen nicht nur die Abwehrreihen, sondern auch die Schiedsrichter. Inklusive VAR. Auch nach der Analyse bleiben Fragen.

Lässt sich ein solches Fußballdrama tatsächlich "nüchtern" betrachten, also ohne Emotionen? Und wenn ja, wie sollte es denn dann aus FCK-Sicht bewertet werden? Als "ärgerliches" Unentschieden, weil die Roten Teufel aus einem 1:3 ein 4:3 gemacht hatten, am Ende aber doch zwei Punkte abgeben mussten, wegen eines Eigentors, das eigentlich gar nicht zählen durfte?

Oder sollte man den Mahner und Skeptiker geben? Und darauf verweisen, dass man sich von diesen nun elf Punkten nach sechs Spielen keinesfalls blenden lassen sollte, da man angesichts dieser Defensivleistung mit vier Gegentreffern aus dieser Partie noch gut bedient ist - zumal es schon vergangene Woche beim 3:1-Auswärtssieg in Fürth eigentlich schon mindestens vier Mal hätte einschlagen müssen?

Ist doch beides Quatsch. Was treibt denn den geneigten Fußballfan eigentlich am Wochenende ins Stadion? Doch die Hoffnung, ein Spiel zu erleben, das ihn nicht nur emotional packt, sondern richtig mitreißt, ihn durch alle Wechselbäder an möglichen Gefühlen rauschen lässt. Und nichts anderes durfte er an diesem Sonntagnachmittag im Fritz-Walter-Stadion erleben.

Ob da am Ende ein Punkt fürs eigene Team herausspringt oder drei Zähler, ist in dieser Phase der Saison zwar natürlich auch schon wichtig - aber vermutlich können Fans, Spieler und Trainer für den weiteren Verlauf aus diesem 4:4 mehr mitnehmen als aus einem unspektakulären 1:0. Und abgesehen davon hatte diese Partie phasenweise auch fußballerisch ein Niveau, dass es gegenwärtig auch eine Klasse höher kaum zu sehen gibt. Auch wenn es für ein solches Eishockey-Ergebnis Abwehrspieler braucht, die gegnerischen Stürmern gern mal ein wenig behilflich sind.

Entspannter Nachmittag? Der dauerte nur elf Minuten

Dabei hatte es zunächst "nur" nach einem entspannten schönen Nachmittag für Lautern ausgesehen. Ecke Mike Wunderlich, Luca Schulers Kopfball-Abwehr geriet zu kurz, Marlon Ritter zog aus dem Hinterhalt ab und Terrence Boyd sorgte für eine Richtungsänderung der Flugbahn hinein ins Tor. 1:0. Und das nach nur sieben Minuten. Gegen einen Gegner, der bislang mit nur drei Zählern in der Tabelle dastand, zuletzt zwei Mal torlos geblieben war und die meisten Gegentreffer in der Liga kassiert hat. Also zurücklehnen und genießen, wie der Aufsteiger FCK an diesem 6. Spieltag bereits die Punkte elf, zwölf und 13 einfährt und dabei vermutlich auch was für Torverhältnis tut. Oder? Von wegen.

Denn plötzlich stand nicht mehr der schwach gestartete Zweitliga-Aufsteiger aus Magdeburg auf dem Platz, sondern der souveräne Meister der vergangenen Drittliga-Saison. Der mit dem schnellen Passspiel, den gut einstudierten Laufwegen und diesen schnellen Flügelspielern, die regelrecht versessen darauf sind, an ihren Gegenspielern vorbei zu dribbeln und in den Strafraum einzudringen.

Titz' kluger Schachzug mit Julian Rieckmann

Nach der 0:4-Pleite zuhause gegen Hannover am vergangenen Wochenende hatte FCM-Coach Christian Titz in seiner Startelf drei Änderungen vorgenommen. Nicht alle erschlossen sich sofort.

Für den normalerweise starken Außen Jason Ceka startete Moritz Kwarteng, der bislang ebenfalls einen guten Eindruck hinterlassen hatte. Da mögen Trainingseindrücke oder Trainer-Gefühl den Ausschlag gegeben haben. Da Kwarteng zwei Treffer selbst markierte und einen vorbereitete, erübrigt sich die Frage, ob die Entscheidung richtig war. Für den erfahrenen Alexander Bittroff brachte Titz doch wieder das bislang enttäuschende Bayern-Talent Jamie Lawrence, das ihn auch diesmal nicht glücklich gemacht haben dürfte. Lawrence stand alles andere als sicher.

Und für die erfahrene Stammkraft Connor Krempicki gab der junge Julian Rieckmann sein Zweitliga-Debüt. Das wiederum war eine echte Überraschung, die sich aber bald schon als kluger taktischer Schachzug des Trainers erwies. Denn bei Lautrer Ballbesitz ließ sich der physisch starke 22-Jährige zwischen seine beiden Innenverteidiger fallen, wo er Boyd bekämpfte, und das meist erfolgreich. Kurz vor der Pause hatte Rieckmann sogar eine Einschussgelegenheit zum 4:1 für sein Team, nachdem er sich halbrechts in den Strafraum geschmuggelt hatte.

Denn bei eigenem Ballbesitz schob sich der große Blonde ins hintere Mittelfeld. Von dort glückte ihm unter anderem der starke tiefe Pass auf den nach rechts ausweichenden FCM-Mittelstürmer Schuler, der aus dieser Position den Führungstreffer seines Teams vorbereitete. Und wie Rechtsverteidiger Mohammed El Hankouri anschließend seinen Weg in den Strafraum fand und Kwartengs Zuspiel mitnahm, das hatte schon Klasse. Allerdings sah Kevin Kraus zuvor im Zweikampf mit Kwarteng gar nicht gut aus.

Beachtliches Debüt von Klement, aber ein aggressiver Sechser fehlt

Für den Ausgleich hatte Kwarteng bereits sechs Minuten früher gesorgt, diesmal mit dem Kopf. Nach Flanke von El Hankouri. Vorausgegangen war ein erster Kombinationswirbel der Gäste, bei dessen Feinjustierung allerdings Abwehrspieler des FCK mithalfen. Und das Publikum am Betzenberg bekam einmal mehr Gelegenheit, sich an die quälenden Minuten zu gewöhnen, die es dauert, bis eine Schiedsrichterentscheidung durch den "Video Assistant Referee" überprüft ist. Dr. Robin Braun hatte den Treffer zunächst nämlich aberkannt. Möglicherweise, weil er den Ball vor dem finalen Zuspiel im Aus gesehen hatte, oder Kwarteng im Abseits. Traf beides nicht zu, wie der Video-Schiri feststellte.

Nach der verspielten frühen Führung verloren die Männer in Rot für eine halbe Stunde komplett den Faden. Der FCM bestimmte das Spielgeschehen klar, vor allem, weil die Gastgeber keinerlei Zugriff im Mittelfeld bekamen. Das 1:3 schließlich geriet zum peinlichsten aller Gegentreffer dieses Nachmittags. Kwarteng schob sich im Zehnerraum an einem Gegenspieler nach dem anderen vorbei, bis er freies Schussfeld hatte und mit nur zwei Schritten Anlauf neben den rechten Pfosten zielen durfte. Da hätte ein aggressiver Sechser wie Hikmet Ciftci eher gelbwürdig gefoult, als sich so düpieren zu lassen.

Dirk Schuster hatte sich allerdings entschlossen, im hinteren Mittelfeld ein Techniker-Duo zu platzieren. Neben Marlon Ritter, bei dem diesmal insgesamt Licht und Schatten wechselten und der in dieser Phase seine dunkelsten Momente hatte, agierte Neuzugang Philipp Klement, dem die Rolle des tiefen Aufbauspielers nicht ganz fremd ist, der zuletzt beim VfB Stuttgart aber meistens und in seiner stärksten Zeit beim SC Paderborn fast immer weiter vorne in der Zentrale unterwegs war.

Neuen Hoffnung vor der Pause - und Schuster krempelt um

Unterm Strich aber gab der 29-Jährige ein beachtliches Debüt. Kurz vor der Pause sorgte er sogar dafür, dass auf dem Betzenberg wieder Hoffnung aufflammte. Nach einem hohen Freistoß-Ball Klements stieg Innenverteidiger Boris Tomiak höher als alle anderen und versenkte das Leder per Kopf hinter dem langen Pfosten.

Trainer Schuster war es dann, der anschließend in der Kabine die neuerliche Wende ermöglichte. Er stellte um, brachte für den offensiven Kenny Redondo den defensiven Robin Bormuth. Wie das - beim Stande von 2:3?

Schuster wollte mit seinem zweiten Neuzugang hinten eine Dreierkette formieren. Vorne stürmten von nun an mit Philipp Hercher und Boyd zwei Spitzen, hinter ihnen der Zehner Wunderlich. Dreierkette gegen Drei-Mann-Sturm, der beinahe klassisch mit zwei Flügelstürmern operiert? Das ist nicht unbedingt das, was die Fußball-Lehrbücher empfehlen. Aber die Wahrheit liegt nun mal auf dem Platz.

Denn nach vorne lief es nun tatsächlich besser. Und die Frage, wie der Flügelspieler Hercher in einem Zwei-Mann-Sturm zurechtkommen würde, war schon zwei Minuten nach dem Wiederanpfiff beantwortet worden: Hercher hielt den Schlappen in eine präzise Ritter-Flanke von links - und schon stand es 3:3.

Der VAR entscheidet - leider nicht über das 4:4

Die 35.643 Zuschauer waren schon jetzt aus dem Häuschen. Aber am Betzenberg geht halt alles immer noch ein bisschen heftiger, aufwühlender, dramatischer. 66. Minute. FCM-Amara Condé erwischte im Zweikampf mit Klement im Strafraum mehr Mann als Leder, worauf Schiri Braun zunächst auf "Ball gespielt" entschied, sich dann aber doch nochmals zum Videostudium zurückziehen musste - und entschied: Elfmeter. Wunderlich traf. Der Mythos Betze lebte. Auch im VAR-Zeitalter.

Leider bemühte der Referee nicht diese modernen Medien, um sich den Ausgleichstreffer in der 79. Minute nochmal anzusehen. Dann nämlich hätte er gesehen, dass Tomiak zuvor von Schuler an- und umgerempelt worden war. Er purzelt förmlich in den von Andreas Luthe abgewehrten Ball - und hat nicht den Hauch einer Chance, "sein" Eigentor zu verhindern.

Aber, wie schon gesagt: Nach diesem Spektakel hätten die Magdeburger es nicht verdient gehabt, als Verlierer nach Hause zu fahren. Und auch aus FCK-Sicht wäre ärgern nach diesem Spiel unangebracht.

Zukunftsfragen: Dreierkette? Zweier-Sturm?

Die Fragen, welche Erkenntnisse diese Partie beschert, dürfen dennoch gestellt werden. Etwa: Wie zukunftssicher ist diese Hintermannschaft der Roten Teufel? Nach fünf reellen und ungefähr zehn gefühlten Gegentreffern in den jüngsten beiden Spielen?

Nach dem 2:3 zur Pause endete die zweite Hälfte gegen Magdeburg immerhin 2:1, und das eine Gegentor war im Grunde keines. Das spricht also für die Umstellung von Vierer- auf Dreierkette. Freilich: Die FCM-Flügelstürmer versetzten den Lautrer Abwehrverbund auch in den zweiten 45 Minuten noch in Angst und Schrecken. Als Ceka für Schuler kam und Kwarteng in die Mitte rückte, war die Dreierbesetzung eigentlich noch stärker als zuvor. Andererseits: Tatsuyo Ito und Co. werden in dieser Saison noch ganz andere Abwehrreihen terrorisieren, erst recht, wenn auch Drittliga-Topscorer Baris Atik in dieses Team zurückkehrt.

Der smarte Bormuth jedenfalls brachte ein wenig mehr an Ruhe und Ballsicherheit in die letzte Reihe und dürfte sich daher schnell etablieren. Da man sich den FCK 2022/23 aber auch schlecht ohne Tomiak und Kraus vorstellen kann, könnte die Dreierkette durchaus wieder feste Grundordnung werden.

Zusätzliche Optionen eröffnet auch Philipp Klement, der in der Schlussphase nach der Auswechslung Wunderlichs dessen Zehner-Position übernahm, auf der er eigentlich zuhause ist. Als Alternative für den 36-Jährigen ist er sicher auch geholt wurden. Ob er aber dauerhaft eine Lösung neben Marlon Ritter als Doppel-Sechs ist? Zwei Techniker nebeneinander, das hat gegen Magdeburg zumindest nicht durchgehend überzeugt.

Und Hercher als Teil eines Sturmduos? Kein Thema: funktioniert. Nicht nur wegen seines Treffers. Ohnehin schon vergangene Saison bester Scorer seines Teams, war Hercher in seiner neuen Rolle in Hälfte zwei sogar noch gefährlicher. Allerdings: Neben Boyd ist auch noch Daniel Hanslik da. Und Lex Tyger Lobinger. Und Muhammed Kirpit. Auch Kenny Redondo wäre in einem 3-4-1-2 eher Stürmer als Schienenspieler. Sodass sich dann wieder die Frage stellen würde, ob der FCK bis zum Transferschluss an diesem Donnerstag tatsächlich nochmal am Markt aktiv werden müsste.

Die xGoals werden der Gefährlichkeit des FCM nicht gerecht

Zu den Visualierungen. Sander Ijtsmas xGoals-Berechnung nähert sich diesmal wieder der von bundesliga.de und Co. an. "11tegen11“ kommt auf einen Wert von 1.99 : 1.23, der Rest auf 1.98 : 1.44. Der Darbietung der Magdeburger werden diese Ergebnisse aber beide nicht gerecht, erschienen sie doch viel, viel gefährlicher. Der wahrscheinliche Grund: Wenn die starken Außen sich durchgesetzt haben, in die Mitte passen, aber ein Abwehrbein vor dem einschussbereiten Stürmer an den Ball kommt, ist das für die Computersoftware nun einmal keine "Einschussposition"- und wird mit 0.0 gewertet. Der menschliche Betrachter sieht das nun einmal nicht so.

xG-Plot FCK-FCM

Zur Positions- und Passgrafik: Sieh an, der FCK hat wieder eine Mittelfeldzentrale. Nachdem in den jüngsten Spielen das Aufbauspiel vorwiegend über Außen lief, sorgt Klement nun für mehr Präsenz in der Mitte, mehr noch als Ritter.

Passmap FCK

Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik der Gäste. Keine Linien zwischen dem dribbelnden Moskito Ito und seinen Sturmpartnern Kwarteng und Schuler. Da hätte aber wahrscheinlich auch ein Zuspiel bereits gereicht, um es schnackeln zu lassen.

Passmap FCM

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2022/23: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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