Kummt Senf druff

Warum der FCK-Aufstieg wie eine Erlösung ist

Warum der FCK-Aufstieg wie eine Erlösung ist


Wir haben es wirklich geschafft! Bevor der 1. FC Kaiserslautern am Freitag gegen Hannover 96 die Zweitliga-Saison eröffnet, bringt Euch DBB-Autor Marky auf Betriebstemperatur. Es geht um ein monströses Erwachen, Moses Boyd, das Palzlied - und Marco Antwerpen.

Irgendwo in der Südpfalz in der Nähe der Queich am späten Dienstagabend: Ich knie auf dem Boden und hämmere immer wieder mit der rechten Faust auf den Steinboden. Ich kann es nicht fassen. Ich muss es begreifen. "Das gibt es nicht. Das gibt es nicht!", brülle ich. "WIR STEIGEN WIRKLICH AUF". "Das gibt es nicht". "Ist das denn zu fassen?", frage ich - ja, wen eigentlich? Den Fußballgott? Den Erfinder von "Verstehen Sie Spaß?", Kurt Felix? Oder mich selbst?

Viele Kilometer weg in Dresden bebt auch die Erde. Philipp Hercher hat gerade das 2:0 geschossen. Und auf dem großen Fernseher vor mir fliegen Raketen aufs Feld. Es ist wie an Silvester kurz nach Mitternacht. Eine neue Zeit beginnt, ein neues Fußball-Leben. Wir verjagen die bösen Geister der Vergangenheit mit einem großen Knall. "JAAAAAAA" brüllt es hinter mir aus vielen vertrauten Kehlen.

Drei Stunden vor Anpfiff saß ich noch am Schwimmbadrand und schaute meinem Sohn beim DLRG-Training zu. Ich dachte dabei: Er ist so frei und leicht. Er weiß von nichts. Und das ist gut so. Ich dagegen war im Tunnel. Wie vor einer schweren, entscheidenden Prüfung. Im Energiespar- und Abwesenheits-Modus - für Berufskollegen und Familie. Die verbleibende Akkuleistung voll ausgerichtet auf das finale Hochfahren. Gleichzeitig war ich froh, dass dieser unruhige Ruhezustand heute enden sollte. Endlich. Gewissheit.

Can’t stop the feeling

Als meine Kinder schliefen, verließ ich das Haus. Ich nahm mein Lautern-Herz in beide Hände und fuhr zu unserem Treffen im eingangs erwähnten Hof. Heute Abend sollte keiner alleine sein, der es nicht wollte. Sebastian, den ihr vom Unzerstörbar-Podcast kennt, redete mir vorher ins Gewissen: "Heute müssen alle hingucken - die Mannschaft spürt das". Ich hab es an dem Abend nicht immer geschafft hinzuschauen. Aber wie die Roten Teufel in der Dresdner Hölle aus der Pause kamen, das war schon mitreißend. Die Mannschaft zeigte am Ende eindrücklich, was sie kann. Und gibt es einen besseren Zeitpunkt, zu zeigen, was man kann, als wenn es drauf ankommt!?

Meine Tochter hatte im Vorfeld der Relegation unsere Alexa genötigt, "Rockmusik" zu spielen. Wisst ihr, welche zwei Lieder die KI auswählte? "Can’t stop" von den Red Hot Chilli Peppers und "We are the Champions" von Queen. Also unser ehemaliges Einlauflied vom letzten Aufstieg in die Bundesliga und dann das Lied, das überall läuft, wenn Sportler etwas Großes gewinnen. Freddy Mercury flashte mich derart, dass mir in diesem Moment bewusst wurde, wie lange wir mit dem FCK nichts mehr gewonnen hatten. Und wie verdammt groß die Sehnsucht danach wirklich war. Beide Lieder hörte ich, als ich in der Aufstiegsnacht nach Hause zurückfuhr.

Endlose Liebe

Und ich stellte mir vor, was jetzt eigentlich in der ganzen Pfalz und bei allen, die mit diesem Verein zusammenleben, los sein musste. Ich kenne euch ja alle und hab euch schon oft genug erlebt! Euch und Eure Emotionalität, wenn es um den FCK geht. Man erkennt Euch allein schon daran, dass ihr so laut Tore und Siege beschreit, wie kaum eine andere Fangemeinde. Dann wisst ihr nicht, wohin mit eurer Liebe. Im Hinspiel gegen Dresden habt ihr so laut gebrüllt, dass mir schier die Schädeldecke weggeflogen ist. Nein, eure Leidenschaft, die könnt und wollt ihr nicht verstecken. Einen der schönsten Aufstiegs-Erlebnisberichte las ich dann auf "Der Betze brennt": Ein Vater beschrieb dort, wie er es zum Ende des Spiels nicht mehr ausgehalten hatte und das Haus verließ. Im Feld drehte er einsam seine Runden. Irgendwie - war es auf seinem Handy, waren es Jubelschreie, waren es Raketen - hat ihn dann DIE Nachricht erreicht. Das Spiel war aus und gewonnen! Er eilte in sein Haus zurück, im Flur rannten ihm seine Kinder schon entgegen - Tränen überströmt. Alle fielen sich in den Arm, herzten sich, feierten… In dieser Geschichte ist alles drin, was man über die Bedeutung dieses Abends wissen muss. Welche Erlösung er nicht für den Verein ist, sondern auch für die Menschen, für Ehen, für Freundschaften und Familien.

Für meine Kinder hat sich die Saison auch gelohnt. Nach jedem Sieg gab es ein Eis, eine glänzende Idee meiner Tochter. Eine Win-Win-Situation sozusagen. Meist erlebten meine Kids die Erfolge hautnah zu Hause mit. Ja, ich bin tatsächlich erst spät wieder auf meinen Betze zurückgekehrt. An Ostersonntag. Und wurde Zeuge.

Als die Leute nach dem 3:1 gegen Saarbrücken aus dem Stadion strömten, konnte man an ihren Gesichtern nicht ablesen, was in den zurückliegenden 90 Minuten passiert war. Sie waren in sich gekehrt. Keine Gesänge, kein Jubel. Der Welt entrückt, von den Eindrücken überwältigt. Ich fragte einen Kumpel, wie wir dieses Spiel jetzt eigentlich einordnen sollten? In unsere ewige Top 10? Wir gehen schon seit 30 Jahren plus auf den Berg... Ernsthaft? Top 10? Ja, klar! Hans-Peter Briegel zog in der Zwischenzeit im TV Vergleiche zum 5:0 gegen Real Madrid. Völlig verrückt? Na klar, aber auch authentisch.

Boyd als Moses

Es waren die typischen Zutaten, die den Betze einst zum Mythos werden ließen. Vor allem der Spielverlauf. Erst diese Rote Karte, die für uns in der Westkurve mangels Perspektive nicht nachvollziehbar war. Ja, sie erschien himmelschreiend ungerecht. Dann der Ausgleich der Saarbrücker, deren Jubelschreie Kaiserslautern schon Jahrzehnte nicht mehr gehört hatte. Und die Angst! Verlieren wir nicht nur dieses große Derby, sondern verkacken wir jetzt auch den Aufstieg?! Ist Kurt Felix zurück mit seinem aufwendigsten Streich, den er jemals bei "Verstehen Sie Spaß" gespielt hat?! Doch dann nahm die größte Geschichte, die die Betze-Jünger seit langem erlebt hatten, ihren Lauf: Am Tag der Auferstehung von Jesus kehrte der FCK von den Totgeglaubten zurück. Vor Terrence Boyd teilte sich der Strafraum wie einst das Meer bei Moses. Die Saarbrücker Verteidiger wurden von so viel Wucht einfach zur Seite gespült. Und als Moses Boyd sein eines Auge gen Westen richtete, sah und spürte er mit jeder Faser seines Leibes ein biblisches Beben - und nicht nur dort, auch im Norden, im Osten und besonders im Süden. Dann kam auch noch Redondo und fackelte den brennenden Busch endgültig ab. Boyd suchte später auf Social Media nach einem Eigenschaftswort für das Erlebte. Es kamen auch tolle Vorschläge zusammen; ich habe auch noch einen: Es war monströs. Das Monster hatte nicht nur seine Augen geöffnet. Es war aufgetaucht und hatte wild um sich geschlagen. Oder um es mit einer anderen epischen Story zu sagen: Wir erlebten das Erwachen der Macht.

Dieses Saarbrücken-Spiel war aber nicht nur ein Anfang. Es läutete auch das Ende von Marco Antwerpen ein. Ich habe in jenen Tagen eine DBB-Kolumne über unseren damaligen Trainer geschrieben, habe viel über ihn recherchiert und nachgedacht. Erschienen ist das Stück nie. Thomas Hilmes hatte wieder mal einen guten Riecher. Das Unmögliche ist beim FCK eben möglich. Bekanntlich. Als sich die Nachricht von Antwerpens Entlassung verbreitete, war das für viele ein Schock. Manche machten ihrem Ärger in den Foren Luft und brachen eine Lanze für den Ex-Coach: "Lieber noch eine Drittligasaison mit Antwerpen" ... es gehe um Haltung im Verein. Ein "DBB"-User entgegnete den Treueschwüren: "Ihr tut ja fast so, als wäre Antwerpen ein FCK-Held wie Fritz Walter …"

Danke an Ante

Mit Fritz Walter braucht man Antwerpen natürlich nicht vergleichen. Warum auch. Die Helden von Bern haben einem ganzen Land Gutes getan. Antwerpen hat dem FCK gutgetan. Er hat diesem tief gefallenen und traumatisierten Verein wieder das Siegen beigebracht. Mit seiner Art, seinem Denken und seiner Rhetorik. "Ich will immer gewinnen", ist ein Satz, den Antwerpen wie ein Mantra benutzt. Vor dem Saarpfalz-Derby sagte er in der Pressekonferenz: "Wir haben das Derby in Mannheim gezogen, warum sollten wir nicht auch ein zweites in Saarbrücken gewinnen." Hendrik Zuck verriet im immer hörenswerten FCK-Podcast des SWR, Antwerpen sei der erste Trainer gewesen, der wirklich nachgefragt habe, warum bei Kaiserslautern hoch veranlagte und hoch dotierte Spieler scheinbar immer schlechter würden. Und er hat diesen gordischen Knoten, über den ich mir selbst in Kolumnen den Kopf zerbrochen habe, durchschlagen. Wie auch immer er das angestellt hat.

Antwerpen war auch selbst einmal im SWR-Podcast zu Gast: Dort erklärte er vor der Saison, die zum Aufstieg führen sollte, dass er am Betze viel Wertschätzung erfahre. So wie vielleicht noch nie in seiner Trainerkarriere. Antwerpen konnte hier so sein, wie er ist. Ein Segen. Für beide Seiten. Vor seinem letzten Spiel bei Viktoria Köln hielt Antwerpen eine denkwürdige Pressekonferenz ab. Es war, wie wir heute wissen, seine Abschiedsrede. Er hob hervor, dass man in dieser herausragenden Saison alle Fragen, die man auf dem Feld gestellt bekam, beantworten konnte. Und keiner konnte Antwerpen da widersprechen. Und doch gab es noch diese eine entscheidende Frage: Schafft der FCK auch den Aufstieg? Wenn man sich mit unserem Ex-Trainer ein wenig genauer beschäftigt, dann weiß man, dass er für einen Job brennt - und zwar an beiden Enden. Mein Arbeitsleben hab ich dir vermacht, jeden Tag und jede Nacht. Antwerpen hat hier alles rausgehauen, was er hatte. Sein Kommentar vor dem berüchtigten Braunschweig-Heimspiel gegen Magdeburg ließ mich aufhorchen: Anschauen wolle er sich das eher nicht, vielleicht gehe er in die Kirche beten …

Antwerpen war eins mit dem FCK, vor allem in diesen letzten emotionalen Wochen, gefeiert von Tausenden bei Schweinespielen wie in Würzburg. Er erlebte den Betze-Wahnsinn an vorderster Front. Und mal ehrlich, wer konnte nach diesem himmelhoch jauchzenden Sieg über Saarbrücken noch einen klaren, kühlen Kopf bewahren? Unmöglich. Antwerpen hat den Staffelstab fast bis ins Ziel getragen. Mit letzter Kraft. Vielleicht konnte diese Mammut-Aufgabe, diese mission impossible, auch kein Einzelner bewältigen, vielleicht brauchte es dafür einfach zwei Cheftrainer. So will ich Antwerpen in Erinnerung behalten. Für mich ist er ein Held.

Awwer onnerschtwu is onnerscht

Das Leben geht weiter. Schon an diesem Freitagabend mit Dirk Schuster als Trainer unter Flutlicht. Dann ertönt auch wieder das Palz-Lied auf dem Betze. Gerade in Corona-Zeiten haben viele ihre Heimat wiederentdeckt. Die Sehnsucht nach regionaler Verankerung, nach Gemeinschaft und Nähe ist groß. Als die "Anonyme Giddarischde" vor dem Anpfiff gegen Dortmund II ihren Song über die Pfalz und ihre besonderen Menschen live vor der Westkurve schmetterten, da war dieses Gefühl greifbar. Wie Tausende diese Zeilen voller Inbrunst mitsangen, hat mich überwältigt. Wann hat man so einen Zusammenhalt in diesem Stadion ein letztes Mal gespürt? Ich musste an Norbert Thines denken, wie er in den frühen 90ern durch das Stadionrund lief.

Im Refrain des Palzlieds heißt es:

Des wer alles nix besonnres
Sagscht du un du mischt jetzt geh
Weil es gäb außer de Palz jo a noch
Onneres zu seh'
Sicher hoscht du recht
Wonn du sagscht dass ders
Onnerschtwu a gfallt

Auf den Betze gemünzt, könnte man sagen: Manche haben in den letzten Jahren den FCK ein wenig aus den Augen verloren. Nicht aus dem Sinn. Haben vielleicht am Wochenende was anderes gemacht: Ihr Auto gewaschen, ihren Garten gepflegt, sind mit der Familie gewandert oder haben Bundesliga auf Sky geguckt. Aber jetzt ist die Lust und Leidenschaft wieder groß, in dieses Stadion zurückzukehren - in ihr Stadion. Denn:

Awwer onnerschtwu is onnerscht.
Un halt net wie uffm Betze.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Marky

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