Interview des Monats: Ex-FCK-Spieler und -Trainer Hannes Bongartz, Teil 1/2

"Das 5:0 gegen Real bleibt im Kopf wie eingenagelt"

"Das 5:0 gegen Real bleibt im Kopf wie eingenagelt"

Bundesliga auf dem Betze: Bongartz gegen die Gladbacher Vogts (l.) und Schäfer (r.); Foto: Imago Images

Er war Spielmacher und Cheftrainer des 1. FC Kaiserslautern: Anlässlich seines bevor­stehenden 70. Geburtstags sprechen wir mit Hannes Bongartz über seine Karriere, glorreiche FCK-Spiele und wie er einst für eine kleine Revolution sorgte.

Der Betze brennt: Hannes Bongartz, am Sonntag werden Sie 70 Jahre alt. Wie werden Sie feiern?

Hannes Bongartz (69): Ach, ich bin keiner, der große Feiern veranstaltet. Seit ich Familie habe, sind Geburtstage für mich eine Familienangelegenheit. Das bedeutet, ich werde mit meiner Frau und meinen Töchtern feiern, natürlich bei einem leckeren Häppchen.

Der Betze brennt: Und mit welchen Anrufen alter Weggefährten aus Kaiserslautern rechnen Sie?

Bongartz: Peter Briegel wird sicher anrufen, auch Andreas Brehme hat immer Kontakt gehalten. Solange er lebte, war auch Hans-Günter Neues immer dabei, er war ja auch einer aus dem Westen wie ich. Ansonsten bin ich keinem böse, wenn er an meinem Geburtstag mal nicht anruft. Wenn er es einfach tut, sobald es ihm in den Sinn kommt, ist das auch in Ordnung. So soll das doch sein unter Fußballern.

Der Betze brennt: Sie spielten lange Jahre selbst auf Top-Niveau, waren Trainer mehrerer Klubs in der Bundesliga und sind nun schon seit einiger Zeit als Berater junger Spieler tätig. Werden sie auch mit 70 weiterhin im Fußball-Geschäft aktiv bleiben - oder langsam kürzertreten?

Bongartz: Nein, warum sollte ich? Ich bin für keine große Agentur unterwegs, sondern will lediglich meine Erfahrung an junge Spieler weitergeben. Die Jungs, die aus so einer U19 rauskommen, wollen doch alle den nächsten Schritt nach vorne machen und brauchen einen ersten Tipp oder einfach mal ein gutes Gespräch. Da werden doch oft schon die falschen Entscheidungen getroffen.

"Lautern und Schalke haben die Wucht, um wieder hochzukommen"

Der Betze brennt: Wie viele Klienten betreuen Sie denn?

Bongartz: Ich hab immer so um die sieben Jungs, das ist auch genug, wenn man sich deren Spiele regelmäßig anschauen will. Talente, die Rat suchen, gibt es genug. Allein in der Umgebung meines Wohnortes Bottrop gibt es mindestens zehn Nachwuchsleistungszentren. Da kommen jedes Jahr acht bis zehn junge Spieler raus. Nicht bei allen reicht es für den Profifußball, aber alle wollen irgendwie weiterkommen. Auch der FCK hat auf dem Fröhnerhof im Grunde eine Traumanlage zur Verfügung. Früher gab es für Jungs aus der Region auch nichts Größeres, als dort die Chance zu suchen, um eines Tages auf dem Betzenberg spielen zu können. Mittlerweile laufen viele leider lieber woanders hin. Um das zu ändern, müsste investiert werden. Aber das ist schwierig geworden.

Der Betze brennt: Wie sind Sie denn überhaupt Spielerberater geworden?

Bongartz: Das hat sich mehr zufällig ergeben. Als ich 2008 aus Griechenland zurückgekehrt bin (als Sportdirektor von Skoda Xanthi; Anm. d. Red.), habe ich mich gefragt: Was hat dir in dem Geschäft eigentlich immer am meisten Freude bereitet? Die Antwort darauf war: Junge Spieler voranbringen. Das beste Beispiel sind die Brüder Altintop. Halil habe ich von Wattenscheid zum FCK vermittelt, wo er zum gefürchteten Bundesliga-Torjäger aufstieg. Hamit landete sogar beim FC Bayern und später für kurze Zeit bei Real Madrid. Das ist natürlich schwer zu toppen.

Der Betze brennt: Ihre Spieler- und Trainerkarriere kreist im Wesentlichen um drei Vereine: Schalke 04, 1. FC Kaiserslautern und Wattenscheid 09. Keiner von denen gab in den vergangenen Jahren Anlass zur Freude. Mit wem haben Sie denn am meisten gelitten?

Bongartz: Gelitten habe ich mit allen, aber Wattenscheid ist schon ein besonderer Fall. Das ist im Grunde ja nur ein Stadtteil von Bochum, da ist so viel große Konkurrenz drumherum. Als das Unternehmen von Mäzen Klaus Steilmann in Schwierigkeiten geriet, war eigentlich schnell klar, dass der Verein sich ohne ihn nicht mehr lange wird halten können. 2019 wurde der Spielbetrieb dann ja auch eingestellt. Die Fälle von Kaiserslautern und Schalke sind anders gelagert, und da lassen sich durchaus Vergleiche ziehen. Um solche Vereine auf Kurs zu halten, brauchst du nicht nur die Mittel, sondern Leute mit Qualität, die zusammenhalten und sagen: So wird’s gemacht. Da ist bei beiden Klubs im Management nicht alles optimal gelaufen, sowohl im sportlichen als auch im wirtschaftlichen Bereich. Aber sowohl beim FCK als auch bei Schalke schlummert immer noch diese Wucht, um es auch wieder nach oben schaffen zu können.

"Traditionsvereine dürfen den Abstieg nicht als generellen Trend akzeptieren"

Der Betze brennt: Da lassen sich ja nicht nur Kaiserslautern und Schalke nennen. Von den großen Traditionsvereinen, die zu Ihrer Zeit das Bild der Bundesliga bestimmten, finden sich immer mehr nur noch in der zweiten oder dritten Liga wieder. Ist deren Zeit womöglich generell vorbei?

Bongartz: Auf keinen Fall. Ein Verein muss geführt werden, muss auf allen Ebenen florieren, von oben nach unten. Und je größer ein Verein ist, desto schwieriger ist er zu führen, das ist richtig. Aber mit gutem Management ist es zu schaffen. Wenn nun Vereine wie Hamburg, Bremen und Schalke in der 2. Bundesliga spielen, und sich wesentlich kleinere Vereine in der Bundesliga tummeln, sollte man das nicht als generellen Trend akzeptieren. Stattdessen sollten sich die Vereinsmanager Gedanken machen: Wie konnte es so weit kommen? Was können und was müssen wir ändern?

Der Betze brennt: In Ihrer aktiven Zeit waren Sie Kalli Feldkamps Spielmacher in seiner ersten Amtszeit am Betze. In diesen vier Jahren waren sie an drei Titeln ganz nah dran, haben aber alle knapp verfehlt: In der Saison 1978/79 war der FCK lange Tabellenführer, im DFB-Pokal 1981 scheiterte er im Finale an Eintracht Frankfurt, im Uefa-Cup 1982 im Halbfinale am IFK Göteborg. Welcher verpasste Titel ärgert Sie bis heute am meisten?

Bongartz: Der schönste Titel wäre natürlich die Deutsche Meisterschaft gewesen. Entscheidend war damals das Spiel am 25. Spieltag bei unserem schärfsten Verfolger, dem Hamburger SV. Da flog Günter Neues nach 19 Minuten vom Platz, weil er zu Schiedsrichter Walter Eschweiler ein Wort sagte, das man nicht sagen darf. Wenn wir da was geholt hätten, hätten wir es geschafft, da bin ich sicher. So aber verloren wir 0:3. Im DFB-Pokal-Finale 1981 hatten wir einfach einen schlechten Tag, waren viel zu verklemmt. Und wenn ich an die Uefa-Cup-Spiele dieser Zeit denke, die bleiben mir auch ohne Titel unvergessen. Allein unser 5:0-Sieg gegen Real Madrid steckt bei mir im Kopf wie eingenagelt. Überhaupt waren wir damals ein Team wie Pech und Schwefel, haben in diesen Jahren in Kaiserslautern viel bewegt. Von 1978 an haben wir jedes Jahr international gespielt.

Von Übersteigern und Schlenzern gegen die Königlichen: "Diese Mannschaft war zu allem fähig"

Der Betze brennt: Damit haben Sie auch schon die Frage beantwortet, die wir als nächste auf dem Zettel haben: Welche Spiele im FCK-Trikot sind Ihnen am unvergesslichsten geblieben?

Bongartz: Natürlich das Spiel gegen Real Madrid. Diese Mannschaft 5:0 zu schlagen, das war eine absolute Sensation. Das Fundament war schon zwei Wochen zuvor im Bernabeu-Stadion gelegt worden. Einmal durch den Elfmeter-Treffer zum 1:3, den Norbert Eilenfeldt kurz vor Schluss erzielte, der hatte uns rechnerisch wieder näher herangebracht. Tiefer saß jedoch, was die Spanier sich in diesem Spiel uns gegenüber geleistet hatten. Die hatten getreten, gespuckt, gebissen, alles und noch mehr, was damals unter internationaler Härte verbucht wurde. Nach der Partie saßen wir dann in der Kabine und dachten: Wartet, in zwei Wochen sehen wir uns wieder. Von da an hat man in jedem Training gemerkt, dass wir nur noch an dieses Spiel dachten. Dass es dann auch noch so lief - Wahnsinn! Wir hatten aber auch die richtigen Typen für so einen Auftritt. Peter Briegel, Reiner Geye, Friedhelm Funkel, das alte Schlitzohr, und wie sie alle hießen. Diese Mannschaft war zu allem fähig.

Der Betze brennt: Das 3:0, mit dem der FCK das Gesamtergebnis endgültig zu seinen Gunsten gestaltete, erzielten Sie - ein Schlenzer ins lange Eck, zuvor waren sie mit Ihrem berühmten Übersteiger in den Strafraum der Madrilenen eingedrungen. Wo hatten Sie den eigentlich her?

Bongartz: Den hatte ich mir schon in meinem Jugendjahren beim Bonner SC irgendwo abgeschaut, ich glaube, bei einem Spieler von Alemannia Aachen. Dann habe ich den Übersteiger so lange für mich selber ausprobiert, bis er immer besser klappte und immer mehr Gegner drauf reinfielen. Schließlich wurde er mein Markenzeichen.

Der Betze brennt: 1991 waren Sie zwar schon Trainer in Wattenscheid, haben aber einen nicht unbeträchtlichen Teil zur Deutschen Meisterschaft des FCK beigetragen: Als am 32. Spieltag der FCK in Bremen 2:1 siegte, schlugen Sie mit Wattenscheid zeitgleich den FC Bayern mit 3:2. Damit hatte der FCK vier Punkte Vorsprung in der Tabelle, die Meisterschaft war so gut wie entschieden. Hatten Sie vor oder nach diesem Spieltag Kontakt mit Ihrem ehemaligen Chef Kalli Feldkamp? Gab's Glückwünsche oder Sektpräsente?

Bongartz: In der Tat traf in den Tagen danach eine Fuhre aus Schloss Wachenheim bei uns in Wattenscheid ein, ohne dass wir da vorher etwas vereinbart oder überhaupt einmal darüber gesprochen hatten. Wir haben den Lautrern diese Freude damals natürlich gerne gemacht, ich muss aber klar sagen: Wir hatten die Punkte gegen die Bayern damals auch für uns selbst gebraucht, denn wir steckten noch mitten im Abstiegskampf. Mit Kalli Feldkamp hatte ich davor und danach sowieso immer wieder zu tun, gerade auch in Wattenscheid, gemeinsam mit Klaus Steilmann.

"Den FCK mit Viererkette spielen zu lassen, war damals schon gewagt"

Der Betze brennt: 1985 wurden Sie selbst Cheftrainer des FCK. Sie kamen unter kuriosen Vorzeichen. Präsident Udo Sopp hatte eigentlich schon den erfahrenen Aleksandar Ristic als Trainer verpflichtet, dann gab er sein Amt an Atze Friedrich ab, der löste den Vertrag mit dem aus seiner Sicht zu teuren Ristic auf und holte Sie quasi direkt vom DFB-Lehrgang. Hat es Sie nicht belastet, unter diesen Umständen Ihr erstes Engagement antreten zu müssen?

Bongartz: Überhaupt nicht. Das war doch für mich eine riesige Ehre, direkt beim FCK anfangen zu können. Ich steckte noch mitten im Lehrgang und musste mir die Freistellung erst genehmigen lassen. Den Atze kannte ich noch von früher, der wusste, wie ich ticke, drum ging ich mit meiner typisch rheinländischen Mentalität ans Werk: Keine Angst, das wird schon. Es lief dann ja auch lange Zeit sehr gut. Im zweiten Jahr wurden wir Siebter und hätten uns beinahe für den Uefa-Cup qualifiziert, hätten wir nicht unser letztes Saisonspiel gegen den Hamburger SV vergeigt.

Der Betze brennt: Sie zählten damals beim FCK zu den ersten Trainern in Deutschland, die mit Viererkette spielen ließen.

Bongartz: Die Begeisterung dafür rührte noch von meiner aktiven Spielzeit beim FCK her. Im Uefa-Cup-Halbfinale waren wir ja am IFK Göteborg gescheitert, der damals von Sven-Göran Eriksson trainiert wurde. Der hatte mit Viererkette spielen lassen, und das hat mir so imponiert, dass ich mir spontan dachte: Das ist der Fußball der Zukunft. Ich hatte mich damit auch schon intensiv befasst, bevor ich als Trainer beim FCK anfing. Auch auf den DFB-Lehrgängen wurde oft über die Viererkette diskutiert, nur spielen ließ sie in Deutschland noch keiner. Als Trainer von Lautern habe ich mir dann gesagt: So, jetzt probieren wir das mal. Und es hat ja dann auch gut geklappt. Das war vielleicht nicht unbedingt revolutionär, zur damaligen Zeit aber schon gewagt.

Der Betze brennt: Sie haben aber nicht immer mit Viererkette spielen lassen.

Bongartz: Natürlich nicht, ich musste ja mit dem Personal klarkommen, das ich zur Verfügung hatte. Am besten funktioniert hat die Viererkette mit Stefan Majewski und Michael Dusek in der Innenverteidigung. Wenn ich die nicht zur Verfügung hatte, musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Der eine war der robuste Typ, der abräumte, der andere der Kopf, der das Spiel lesen konnte. Die waren wie Schwarzenbeck und Beckenbauer, nur auf Pfälzer Art. Und mit dem Unterschied, dass sie auf einer Linie spielten. Das hat unheimlich Spaß gemacht, auch den Spielern.

"Von Wuttke wusste ich ja, was für ein Typ er war"

Der Betze brennt: Sie holten auch Wolfram Wuttke zum FCK, der als Spielmacher überragende Spiele unter Ihnen machte, aber auch immer wieder durch immense Leistungsschwankungen auffiel. Als sie ihn nach einer 2:3-Niederlage gegen den FC Homburg im November 1987 aus dem Kader verbannen wollten, wurden sie von ihrem Traineramt freigestellt. Sahen Sie sich da als Wuttke-Opfer?

Bongartz: Nein. Ich denke, nach zweieinhalb Jahren in Lautern war ich auch verschlissen, gerade ein Typ wie ich, der immer mit vollem Elan bei der Sache war. Von Wuttke wusste ich ja, was für ein Typ er war, und dass er schwer zu führen ist. Als ich weg war, ist es mit ihm ja auch nicht besser geworden.

Der Betze brennt: 2015 ist Wolfram Wuttke ja leider verstorben. Hatten Sie ihn zwischenzeitlich nochmal wieder getroffen und über die Vorfälle von damals geredet?

Bongartz: Nein, gar nicht. Aber ich wäre auch nicht nachtragend gewesen, wenn sich die Gelegenheit ergeben hätte. Das sind die Dinge, die passieren im Fußball-Ggeschäft nun einmal.

Der Betze brennt: Dennoch ist es schade, dass so ein Genie nie richtig konstant auf Kurs gekommen ist. Sie waren als Trainer damals ja noch recht jung. Wenn Sie einen Wuttke später als gereifte Persönlichkeit unter Ihrer Fittiche bekommen hätten, hätten Sie ihn dann vielleicht hinbiegen können?

Bongartz: Das könnte sein. Mit zehn, fünfzehn Jahren mehr an Trainer-Erfahrung auf dem Buckel reagiert man hier und da auch mal anders. Aber dann brauchst du auch einen entsprechend breiten Kader, um besser damit umgehen zu können. Wenn du nur einen kleinen Kader zur Verfügung hast und einer permanent quer im Stall steht, geht das nicht. Das ist auch nicht fair den anderen gegenüber.

Morgen im zweiten Teil unseres Interview des Monats: Hannes Bongartz über das heutige Trainergeschäft, Telefonate mit FCK-Coach Antwerpen und seine Sicht auf die aktuelle Situation der Roten Teufel.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Thomas Hilmes, Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Teil 2 des Interviews: "Ein FCK-Aufstieg würde mich wahnsinnig freuen" (Der Betze brennt)

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