Der 1. FC Kaiserslautern braucht keinen weiteren Lockdown, das Team spielt sich sein Stadion selbst leer. Nach dem 1:1 gegen den FSV Zwickau muss Trainer Marco Antwerpen einige Rätsel zu lösen, denn die anstehenden Aufgaben haben es in sich.
Kein früher Rückstand, stattdessen der Führungstreffer nach 19 Minuten, der eigentlich die Köpfe freien machen sollte, wie etwa beim 3:0-Sieg vor Wochenfrist gegen 1860 München geschehen. Stattdessen aber immer mehr Nachlässigkeiten, je länger das Spiel dauert. Lange Phasen ohne entlastende eigene Angriffe. Ausgleich in der 79. Minute. Dann doch noch die Siegchance, Elfmeter in der 89. Minute: verschossen. Und in der Nachspielzeit fast noch den Zwickauer Siegtreffer kassiert. Der hätte sich durchaus als "gerechte" Strafe bezeichnen lassen, aber mit solchen Formulierungen ist es im Fußball so eine Sache.
Was will man da noch erklären, geschweige denn analysieren? "Wir kriegen nicht alle elf Spieler auf den Platz", meinte FCK-Trainer Marco Antwerpen danach, "das ist unser Problem, das hatten wir in der ersten Halbzeit auch schon." Man mag es kaum glauben: Ein 1. FC Kaiserslautern, der keine elf Spieler mehr auf den Platz bringt, die kapiert haben, um was geht, wie der Coach weiter ausführt? Da kann der Klub ja kaum noch erwarten, dass er alle Fans auf die Ränge bekommt. Viele scheinen es ja bereits verstanden zu haben. Von 20.000, die kommen durften, kamen am Samstag gerade mal noch 7.150, und von denen wären nach diesem Spiel einige gerne zuhause geblieben.
Mentalität? Die Diskussion bringt doch nichts
"Das hat nichts mit Mentalität zu tun, das hat nichts mit Qualität zu tun, da fehlen einfach ein paar Prozente", diktierte René Klingenburg nach dem Abpfiff ins SWR- Mikrofon. Das ist ja mal nett, dass einer mal nicht die üblichen Phrase "Mentalität" bemühen möchte. Über die hat sich übrigens Nationalspieler Christoph Kramer zuletzt in seiner Kolumne für "11 Freunde" ein paar interessante Gedanken gemacht. Die ewigen Mentalitätsdiskussionen seien Unsinn, schrieb er, denn um überhaupt Fußballprofi werden zu können, müsse ein Spieler ja schon in der Jugend permanent zu den Besten seines Jahrgangs gehört haben. Und das schaffe keiner "ohne Wille, Fokus und Konzentration." Von daher unterschieden sich gute und schlechte Profis nicht grundsätzlich in ihrer Einstellung zu ihrem Sport, sondern: "im Spielverständnis, in der Handlungsschnelligkeit, im Umgang mit dem Ball, wie schnell wir laufen oder wie genau wir in höchster Bedrängnis passen können."
Das sind in der Tat alles Dinge, die die FCK-Elf gegen Zwickau in der zweiten Hälfte mit zunehmender Spielzeit vermissen ließ. Aber eine Woche zuvor gegen die Löwen hat das alles doch viel besser ausgesehen, drum kann es doch nicht grundsätzlich fehlen, zumindest nicht auf dem Level, der für die 3. Liga angezeigt ist. Also ist es doch Kopfsache? Teamspirit vielleicht? Oder war die Mannschaft falsch formiert oder taktisch falsch ausgerichtet? Dann läge der Schwarze Peter beim Trainer. Wieder einmal. Und zum wievielten Mal in den vergangenen 20 Jahren eigentlich?
Fingerzeige: Zentrales Duo Sessa/Klingenburg ist gegenwärtig beste Lösung
Das Handbuch der Ausreden hielte natürlich noch eine weitere Erklärung bereit: Es war das dritte Spiel einer Englischen Woche, da sei ein Abbauen in der Zweiten Hälfte verständlich, und auch wenn Zwickau wohl kein Drittliga-Kenner als "Topteam" bezeichnen würde, so verfügen die Schwäne doch über eine enorme Physis und sind immer ein unangenehmer ... Das will doch niemand hören, geschweige denn lesen. Hilft ja auch alles nichts, der Trainer muss jetzt Antworten finden vor den nächsten Aufgaben, denn die haben es in sich: Am kommenden Samstag muss sein Team zum starken Tabellenzweiten nach Magdeburg, am Samstag darauf steigt am Betzenberg das Derby gegen Waldhof Mannheim.
Die Mannschaft nach sechs Spieltagen erneut personell und taktisch umzukrempeln, kann nicht die Lösung sein. Nicht mal in diesem Spiel war alles schlecht. Dem Problemfeld "zentrales Aufbauspiel" begegnete Antwerpen gegen Zwickau mit einem Duo: Nicolas Sessa versuchte bei eigenem Ballbesitz das Spiel von hinten heraus zu ordnen, gegen den Ball positionierte sich René Klingenburg tief, um die beiden Innenverteidiger zu unterstützen. Solange Marlon Ritter, Felix Götze und Hikmet Ciftci verletzt ausfallen, dürfte diese Lösung die beste Mischung aus physischer Präsenz und spielerischer Qualität bieten.
Das Flügelspiel ist auch nicht so übel
Ebenso zeigten die Roten Teufel einige Flügelangriffe, die durchaus gut anzusehen waren. Philipp Hercher, Kenny Redondo und Hendrick Zuck leiteten über ihre Seiten mehrere Toraktionen ein. Redondo etwa schlug vor der Pause eine astreine Flanke auf den in der Mitte einlaufenden Kapitän Jean Zimmer, der aber einmal mehr bestätigte, dass er nicht der Mega-Kopfballspieler ist. Und schade, dass Hercher nach 58 Minuten ein Zuspiel von Zuck zehn Meter vorm Zwickauer Kasten nicht unter Kontrolle bekam. Vergangene Spielzeit hat er gezeigt, dass er es besser kann, da erzielte er fünf Treffer, und das als Rechtsverteidiger.
Vielleicht bedeutet "die 3. Liga annehmen" ja auch, dass Einschussgelegenheiten wie diese genügen müssen, um ein Spiel vorzuentscheiden. Vom Elfmeterpfiff in der 89. Minute mal ganz abgesehen. Aber was bringt es, auf einem Mike Wunderlich herumzuhacken, der mit seinen 35 Jahren der Erfahrenste im Team ist und obendrein als Meister des ruhenden Balls gilt? Niemand sonst wäre die Verantwortung aufzubürden gewesen, kurz vor Schluss doch noch die Weichen auf Sieg zu stellen. Andererseits sollte auch niemand besser als er in der Lage sein, einen solchen Fehlschuss mental wegzustecken und wieder nach vorn zu blicken.
Problemherde Sturmzentrum und Innenverteidigung
Problemherd bleibt weiterhin das Sturmzentrum. Muhammed Kiprit durfte zum dritten Mal hintereinander von Beginn an ran. Diesmal mühte er sich rund 70 Minuten, und bei dem 22-Jährigen darf das "Englische Woche" als Entschuldigung für den sichtbaren Kräfteverzehr am ehesten gelten. Erneut bot er sich auf der gesamten Breite des Spielfelds an, schlug in Hälfte eins auch mal eine ansehnliche Linksflanke, bekam aber zunehmend Probleme, Bälle festzumachen. Ebenso missglückte das Einsetzen einlaufender Mitspieler auf den Flügeln. Mit der Einwechslung von Daniel Hanslik wurde freilich auch nichts besser.
Nachzudenken wäre über einen Wechsel in der Innenverteidigung. Wobei Boris Tomiak der Gegentreffer kaum anzukreiden ist. Er wird von Ronny König, dessen Schuss aus 18 Metern weit am Tor vorgestrichen wäre, schlicht und ergreifend angeschossen, worauf das Leder am chancenlosen Matheo Raab vorbei ins lange Eck rollt. Knackpunkt ist vielmehr die Fußabwehr Marvin Sengers, mit der er eine Flanke von Can Coskun aus der linken Verteidigerposition in die Spielfeldmitte ablenkt. Der Ball war nicht so scharf getreten, als dass er sich nicht energischer hätte geklärt werden können.
Schon in der ersten Hälfte hatte sich der nunmehr 38-jährige (!) Ronny König im Strafraum einmal viel zu lässig gegen Senger durchgesetzt. Raab machte diese erste große Ausgleichs-Chance der Zwickauer zunichte, in einer Phase, in der FCK das Spiel noch einigermaßen im Griff hatte. Es war nicht die erste Unsicherheit Sengers in den vergangenen Wochen. Dem 21-Jährigen wäre vielleicht mal eine Pause zu gönnen, zumal mit dem erfahrenen Alex Winkler eine 1:1-Alternative bereit steht.
Stehle rein und wieder raus: Was war das denn?
Ansonsten gilt: Endlich elf Spieler auf den Platz schicken, die kapiert haben, um was es geht. Wie schreibt Christoph Kramer ebenfalls? "Wenn nur ein Spieler keinen hundertprozentigen Willen zeigt, wenn er nicht den richtigen Fokus hat oder nicht konzentriert genug ist, schadet er seiner Mannschaft." Und: "Sollte das bei zwei oder drei Spielern der Fall sein, wird ihre Mannschaft kein Spiel gewinnen."
In der Tat. Wobei elf Spieler eigentlich nicht reichen, insgesamt dürfen ja 16 ran. Und insbesondere eine Einwechslung schwächte das FCK-Team am Samstag merklich. Simon Stehle wirkte derart uninspiriert, als er nach 63 Minuten für Zimmer auf den Platz kam, dass ihn Antwerpen 22 Minuten später wieder herausnahm. "Höchststrafe" lautet die gängige Reporterphrase da. Auf jeden Fall ein weiteres Rätsel, das der Trainer in den nächsten Tagen lösen muss.
Wie mittlerweile gewohnt: Die xG-Grafiken fürs Spiel folgen. Einfach am Montag nochmal vorbeischauen.
Ergänzung, 23.08.2021: xG-Plots zeigen klares Chancenplus für Zwickau
Die xG-Plots von Sander Ijtsma verdeutlichen es sogar noch stärker als befürchtet: Zwickau hätte durchaus gewinnen können, vielleicht sogar müssen. Ohne den Elfmeter würde sich der expected Goals-Gesamtwert des FCK bei ungefähr 0.4 bewegen. Das ist für ein Heimspiel klar zu wenig.
Dabei sieht die Positions- und Passgrafik diesmal gar nicht so übel aus. Diesmal waren alle im Spiel, die linke Seite war sogar die aktivere, nachdem sie zuletzt im Halle-Spiel vollkommen isoliert war.
Im Vergleich dazu die Positions- und Passgrafik der Zwickauer: Viele kleine Spots, also insgesamt wenig Ballbesitzorientierung. Die lange Linie von Keeper Brinkies auf Mittelstürmer König verdeutlicht, wie das Spiel des FSV angelegt ist: auf lange Bälle eben. Und wenn man dazu die xG-Timeline betrachtet, könnte man glatt und wieder einmal zu dem Schluss kommen: In dieser Liga kann das einfachere Spiel das Erfolg versprechendere sein.
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer
Weitere Links zum Thema:
- Saison-Übersicht 2021/22: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage