Wenn Maik Franz heute Nacht schweißgebadet aufwacht, dann hat er sicher von Mo Idrissou geträumt. Die beiden lieferten sich beim Kräftemessen der Bundesliga-Absteiger 1. FC Kaiserslautern gegen Hertha BSC ein Duell wie einst Gandalf und Balrog. Die weiteren Hauptdarsteller der intensiven 92 Minuten: Schiri Thorsten Kinhöfer, der den Betze-Geist provozierte, und Kunstschütze Ronny.
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Das erste große Pfeifkonzert tönte bereits eine Dreiviertelstunde vor Anpfiff von Deutschlands höchstem Fußballberg. Die Berliner Hertha war zum Warmlaufen aus der Kabine gekommen. Wer nach dieser peinlichen Pannen-Saison so großkotzig durch die Zweite Liga stolziert („FSV zu null weghauen“, „ab Oktober unschlagbar sein“), der wird am Betze eben noch unfreundlicher empfangen als andere Gegner. Und wer nach monatelangem Nicht-Könnens und Nicht-Leistens noch einen Robo-Dance an der Alten Försterei vollführt und vorm „Bild“-Mikro groß das Maul aufreißt, der kriegt von den Pfälzer Krischern eben besonders viel Herzlichkeit.
Zum Spiel! Das war noch keine 120 Sekunden alt, da hatten Mo Idrissou und Maik Franz schon mehr Körperkontakt gehabt als manche Eheleute. Erst küsste Franz den Rasen, dann lag Idrissou unten. Da hatten sich zwei gesucht und gefunden und verdammt viel zu erzählen. Das ging oft so weit, dass selbst der als humorfrei geltende Schiri Kinhöfer grinsen musste. Nur einmal, in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit, schien auch er damit zu liebäugeln, den unzertrennlichen Bad Boys - mit einer gelb-roten Karte für Idrissou - ein wenig Abstand zu gönnen. Aber Kinhöfer pfiff zur Pause.
Dieser Kinhöfer, unter dem der FCK meist als Verlierer vom Platz geht, hatte kurz zuvor den berühmt, berüchtigten und zuletzt eher selten anzutreffenden Betze-Geist aus den Katakomben des Fritz-Walter-Stadions gelockt. Ja, mit seinen seltsamen Entscheidungen regelrecht herbei gepfiffen. Das wütende Echo von den Tribünen war infernalisch. Wie der Betze in diesen Minuten geiferte, tobte, schäumte - ein Traum für Kenner und Liebhaber.
Zirkusreif sind auch die Schüsse von Ronny. Wo lagert in diesem schmächtigen Spieler die Munition für dieses Fuß-Feuerwerk?! Tobias Sippel musste in der ersten Halbzeit nicht nur einmal zeigen, was er in Gerrys Flugschule gelernt hat. Als eine Hereingabe von Ronny bedrohlich nah über der Torlinie wieder runter kam, machte er seinem Torwartvater aber auch auf andere Art alle Ehre: Sippel packte erst die Pille und verarztete dann die gegnerischen Angreifer. Natürlich rief das sofort Sportkamerad Franz auf den Plan - und die West. Man kann den Ex-Frankfurter zum Teufel wünschen - aber wenn wir ganz ehrlich sind: Sind denn solche Typen in Zeiten der Nutella-Nationalspieler nicht eine Wohltat?!
Eine Kante ist auch Franco Foda. Er war in den ersten 45 Minuten kaum in seiner Coaching-Zone zu bändigen. Foda haderte, dass die Roten Teufel so schwer ins Spiel fanden. Der Plan war es, diesem den FCK-Stempel aufzudrücken - mit Mimoun Azaouagh statt Enis Alushi auf der Sechser-Position. Aber die Hertha war zu wach, zu reif. Ein anderes Kaliber als Dresden oder Duisburg. Der FCK verteidigte hoch, presste, arbeitete beherzt gegen den Ball - viel, viel leidenschaftlicher als gegen die Zebras. Aber in der Offensive schien man dann immer ein oder zwei Mann zu wenig zu sein. Hertha-Coach Jos Luhukay hatte für sein 4-2-3-1-System die Stürmer Sandro Wagner und Sami Allagui geopfert und dem FCK so das Zentrum zugestellt. Und über die Außen fand man auch heute nicht in die Erfolgsspur. Wie es gehen könnte, zeigte Florian Dick, der von Alex Baumjohann glänzend frei gespielt wurde. Aber der zuletzt arg schwächelnde Rechtsverteidiger jagte die Kugel am Pfosten vorbei. Im 4-2-3-1-System von Foda spielen die Außenverteidiger eine wichtige (Offensiv)-Rolle. Drücken wir also die Daumen, dass Dick wieder aus seinem Loch kommt. Heute war er verbessert. Die größte Chance der Hertha in der ersten Hälfte vergab Änis Ben-Hatira. Aber Sippel hat derzeit einfach Nerven und Eier.
Kleinigkeiten würden dieses Spiel entscheiden, hatte Franco Foda im Vorfeld gesagt. Die Angst, diesen einen Fehler zu machen, war in der zweiten Halbzeit allen Spielern anzumerken. Der für den gelb-rot gefährdeten Peter Niemeyer eingewechselte Felix Bastians forderte dann doch das Schicksal heraus, spielte einen Querpass in die Füße von Mo Idrissou, der aber - mit Franz im Windschatten - zu früh und zu unplatziert abschloss. Als es dann auf die 70. Minute zuging und es immer stärker nach einem 0:0 roch, trat Schiri Kinhöfer ans Regiepult und schob den Spannungs-Schalter nach oben: Elfmeter. Idrissou. Tor (66.)! Doch die Westkurve hatte sich kaum entknäult und die Lieder zur rauschenden Schlussfeier zusammengekramt, da loderte schon die Lunte für eine neuerliche Ronny-Rakete. Und dieses Mal war Sippel machtlos. Ein Tor aus dem Stand, dass die knapp 1.500 Hertha-Fans aus den Socken haute (69.).
Natürlich kann man sich darüber ereifern, dass man diesen vielleichten besten Schützen des deutschen Profifußballs nicht so frei stehen lassen darf. Natürlich hätte Foda früher Mimoun Azaouagh durch den defensiv stärkeren Enis Alushi ersetzen können. Aber das 1:1 war am Ende einfach gerecht. „Es war ein Duell auf Augenhöhe“, resümierte auch Foda.
Was hat uns gegen Hertha positiv überrascht? Alexander Baumjohann holt die Grätsche raus - 14 gewonnene Zweikämpfe - nur Heintz gewann mehr (16). Dazu war der zuletzt viel gescholtene Leon Jessen heute einer der verlässlichsten Passgeber, Ballverteiler und Zweikämpfer im Team. Und Marc Torrejón kommt. Olé!
Was hat uns gefehlt? Vor allem Kreativität. Schade, dass sich Kostas Fortounis im Länderspiel verletzt hat.
Über was haben wir gelacht? Über Sandro Wagners Abgesang auf den Betze-Mythos. Lieber Sandro, heute musst selbst du gemerkt haben, dass dieser Mythos genauso unzerstörbar ist wie der FCK. Weil er in jedem von uns steckt, weil wir ihn von Generation zu Generation weitergeben. Weil wir diesen Verein bis zu unserem letzten Atemzug leben. Der Hass, der dir heute vor allem beim Warmlaufen vor der Westkurve entgegenschlug, ist im Umkehrschluss Ausdruck unserer Liebe zum FCK. Du wirst den Tag verkraften...
Quelle: Der Betze brennt | Autor: Marky