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Gegner-Check Darmstadt: Kalte Dusche statt Kyro-Sauna

Gegner-Check Darmstadt: Kalte Dusche statt Kyro-Sauna

Foto: Imago Images

Das Duell mit Darmstadt 98 hält für den 1. FC Kaiserslautern gleich mehrere spannende Be­geg­nun­gen bereit. Etwa mit Coach Florian Kohfeldt. Der legt bei den Lilien einen starken Kar­rie­re-Neustart hin. Und ist ein geistiger Zwilling von Markus Anfang.

Anspruch und Wirklichkeit: Er ist wieder da. Florian Kohlfeldt, einst Jahrgangsbester beim Fußballlehrer-Lehrgang, anschließend als aufstrebender Stern am Trainerhimmel wahlweise mit Julian Nagelsmann oder Jürgen Klopp verglichen. Vier Jahre Cheftrainer bei seinem Heimatverein Werder Bremen, zwei Spielzeiten lang recht erfolgreich, zwei weniger. In Werders Abstiegssaison 2020/21 am vorletzten Spieltag entlassen. Anschließend eine Runde beim VfL Wolfsburg mit Abschluss auf Rang 12. Zu wenig für die VW-Bosse, Trennung. Danach Gastspiel im belgischen Eupen. Im März 2024 Rücktritt nach sieben Niederlagen in acht Spielen. "11 Freunde" verglich ihn mit einem ehemaligen Kinderstar, der im Erwachsenenalter abstürzte. Dennoch: Darmstadts Sportchef Paul Fernie holte Kohfeldt zum Bundesliga-Absteiger, nach einem Saisonstart mit drei Niederlagen in vier Spielen und dem Abgang Torsten Lieberknechts. Den Mann, der sagt, er sei lieber Favorit als Außenseiter. Was im krassen Gegensatz zum Selbstverständnis des Underdogs steht, das die Aufstiegshelden Lieberknecht und Dirk Schuster in Darmstadt formten. Aber: Fernie war schon zu Zeiten, als er noch für Wehen Wiesbaden scoutete, Fan des Bremers Kohfeldt. Und: Es folgten zwölf Spiele mit nur einer Niederlage, 20 Punkten und 28:16 Toren. Pech hatte der Coach bei seiner Rückkehr nach Bremen, die ihm der DFB-Pokal bescherte. Der Zweitligist gab sich erst in der Nachspielzeit mit 0:1 geschlagen. Zuletzt ein 2:2 beim Hamburger SV. Sind die Lilien nun zurück im Aufstiegsrennen? Offiziell streben sie eine "stabile Entwicklungssaison" an. Für Zweitliga-Verhältnisse steht der Verein jedenfalls auf festen Fundamenten. Die Verkäufe von Christoph Klarer und Marvin Mehlem haben im Sommer über 5,5 Millionen Euro in die Kassen gespült. Nicht einmal die Hälfte davon wurde in Kicker reinvestiert - das ist solide. Schmuckstück des Klub-Inventars ist eine Kyro-Sauna, die High-Tech-Version der einst von Per Mertesacker promoteten Eistonne. Sie erlaubt Regeneration bei Temperaturen bis 160 Grad Celsius minus. Tut besonders gut, wenn dem Gegner zuvor eine kalte Dusche verabreicht wurde.

Die Neuen: Alle reden von Isac Lidberg (26). Der Schwede kam erst Mitte August, bestritt nur noch zwei Einsätze unter Lieberknecht und rockte anschließend die Kohfeldt-Offensive: Neun Treffer, drei Vorlagen bislang, die Bundesliga-Scouts stellen bereits ihre Ferngläser scharf. Soll eine Million Euro gekostet haben, ein wenig mehr als der Ex-Stuttgarter Matej Maglica (26), der bislang aber enttäuschte. Statt seiner hat sich Aleksandar Vukotic (29) einen Stammplatz als Innenverteidiger gesichert. Er kam für kleines Geld von Absteiger Wehen Wiesbaden, bekanntlich hatte auch der FCK ein Auge auf ihn geworfen. Ebenso eingeschlagen hat der Franzose Killian Corredor (24), der nominell über die linke Seite kommt, aber sehr variabel ist. Auf der Sechs festgespielt hat sich Kai Klefisch (25), der für 500.000 Euro aus Paderborn kam. Mit Kohfeldts Umstellung von Dreier- auf Viererkette hat sich der Ex-Basler Sergio López (25) als Rechtsverteidiger etabliert. Fynn Lakenmacher (24) (ehemals 1860 München), Merveille Papela (23) (Mainz 05), Luca Marseiler (27) (Viktoria Köln) und Guille Bueno (22) (Borussia Dortmund II) sind bislang nur Ergänzungsspieler, schaffen aber die Qualität in der Kaderbreite, die laut Kohfeldt zum Trumpf der Lilien werden soll. Der Ex-Lautrer Paul Will (25), zuletzt in Dresden gelandet, fällt bislang verletzungsbedingt aus. Fernies größter Coup ist jedoch die Verpflichtung von Philipp Förster (29). Nach seinem Engagement beim VfL Bochum vereinslos, engagierte er den einstigen Stuttgarter erst im September. Ab dem 7. Spieltag mutierte er zum Dreh- und Angelpunkt im Lilien-Spiel. Vier Treffer, drei Vorlagen seither.

Die Formation: Manche sagen, Fernie habe den aktuellen Kader schon im Sommer mehr für Kohfeldt als für Lieberknecht zusammengestellt. Steile These, unterstellt sie doch, der Sportchef habe den Trainerwechsel schon zu diesem Zeitpunkt im Hinterkopf gehabt. Fakt ist, dass unter Kohfeldt die Rädchen erstaunlich schnell ineinandergegriffen haben, trotz der zahlreichen Neuverpflichtungen. Kohfeldt setzt auf ein 4-2-2-2, wobei besonders die vier Offensivspieler sehr beweglich sind. Förster, in den gängigen Aufstellungsgrafiken in der Regel rechts offensiv positioniert, mutiert oft zum Zehner, sein Gegenüber Corredor taucht in der Offensive überall mal auf. Den Platz neben Lidberg im Angriff nimmt meist Fraser Hornby (25) ein, von dem vor dem HSV-Spiel vergangene Woche (2:2) gemeldet wurde, er werde wochenlang verletzt ausfallen, der dann aber doch auflief. Nach einer Verletzungspause drängt aber Oscar Vilhelmsson (21) wieder in die Startelf. Lakenmacher ist vorne ebenfalls eine Option, Marseiler auf den Flügeln. Im zentralen Mittelfeld zieht der ehemalige Magdeburger Andreas Müller (24) neben Klefisch seine Kreise. Den Abwehrchef gibt Kapitän Clemens Riedel (21), die Viererkette neben ihm, Vukotic und López komplettiert Fabian Nürnberger (25) als Linksverteidiger. Im Tor steht nach wie vor Marcel Schuhen.

Zahlenspiele: Ja, schon klar, in der "Kohfeldt-Tabelle", die ab dem 5. Spieltag gewertet wird, ist Darmstadt Erster. Andererseits: Der Lautrer Lauf begann mit dem 3:0 gegen Paderborn am 9. Spieltag. Und in einer ab dieser Runde gebildeten "Formtabelle" liegt wer vorne? Richtig: der 1. FC Kaiserslautern. Statistiken sind doch was Schönes, man kann sie immer so hinbiegen, wie man's braucht. Der gerne genommene Vergleich der diversen Laufwerte fällt bei diesen Teams eher nichtssagend aus. Bei "Sprints" sind die Lilien sogar schlechter als die Teufel, dafür sind diese nun Letzter im Ranking der intensiven Läufe. Gepunktet haben bekanntlich beide. Weil sie gut treffen. Darmstadt bereits 30-mal, Lautern 29-mal, damit Zweit- und Drittbeste im Liga-Ranking. Nach xGoals aber ist der FCK besser: 28,43 : 24,26. Die Pfälzer arbeiten auch nach hinten erfolgreicher, auch wenn Kollege Computer es nicht so sieht: 21 Gegentore (xGoals against: 23,48) gegenüber 25 (xGA: 19,27). Darmstadt hat allerdings erst einmal "zu null" gespielt, Lautern schon fünfmal. Vukotic gewinnt in der Liga die meisten Kopfball-Duelle, ist aber auch Gelbe-Karten-König, hat sich den Karton schon sieben Mal betrachtet. Das Spiel beim HSV zuletzt hätten die Lilien nach xGoals übrigens gewinnen müssen. Auffallend war auch, dass die meisten Angriffe über die rechte Seite liefen, wo vornehmlich Förster und López unterwegs sind.

Fazit: Kohfeldt bevorzugt den vielzitierten "dominanten Ballbesitz-Fußball", allerdings nicht zum Selbstzweck, sondern zielgerichtet Richtung Tor. Automatisierte Vorwärtsbewegungen, bei denen die Räume stets besetzt bleiben, das Personal aber rotieren darf. Ein auch qualitativ breit aufgestellter Kader ... Moment mal - kennen wir das nicht von irgendwoher, von irgendwem? Richtig: Florian Kohfeldt scheint ein geistiger Zwilling von FCK-Trainer Markus Anfang zu sein. Auch, was ihre offen-kommunikative Art angeht, ähneln sich beide. Vorzeichen, die auf ein Spiel hindeuten, in dem es rauf und runter geht, dass richtig geil zu werden verspricht. Allerdings heißt es von Kohfeldt, er sei reifer geworden. Und pragmatischer. Das jüngste Heimspiel gegen Preußen Münster etwa endete mit einem unbefriedigenden 0:0. Darmstadt war zwar durchweg überlegen, in der Schlussphase aber verzichtete Kohfeldt darauf, mit Wechseln und Umstellungen das letzte Risiko zu gehen, die Entscheidung auch auf die Gefahr hin erzwingen zu wollen, ein Kontertor zu kassieren. So, wie es Markus Anfang im Heimspiel gegen Hertha BSC (3:4) widerfahren ist. Es könnte also ein Topspiel werden, bei dem am Ende doch der gewinnt, der Chancen und Risiken besser abwägt. Für die Roten Teufel bedeutet das: die Nerven behalten. Dann werden gegebenenfalls die Lilien kalt geduscht, bevor sie ihre Kyro-Sauna betreten.

Quelle: Der Betze brennt

Weitere Links zum Thema:

- Ohne Redondo und Elvedi, aber mit Hanslik in Darmstadt (Der Betze brennt)

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